Jugendroman: "Auerhaus"

Verrückte Schüler-WG auf dem Land

Zwei Jugendliche laufen Hand in Hand durch eine Unterführung
Frieders Freunde halten fest zusammen. © imago/Westend61
Von Elke Schlinsog |
Fünf Freunde versuchen einen sechsten mit einer WG zu retten. Frieder hat versucht sich umzubringen, nun wollen die anderen ihm im "Auerhaus" Halt geben. Der Berliner Lesebühnen-Autor Bov Bjerg schreibt mit viel Humor über die Erlebnisse auf dem Dorf, verschweigt aber nicht die Angst, mit der die Freunde leben.
Was für ein Feuerwerk der Freundschaft! Bov Bjerks Roman "Auerhaus" feiert das Zusammensein: besser, die Schönheit der Gemeinsamkeit, die umso mehr leuchtet, wenn sie sich mit den Eigenarten und Verrücktheiten jedes Einzelnen mischt. Wer das Buch liest, wohnt mindestens diese Lesestunden lang mit im Auerhaus, einer Schüler-WG auf dem Land, ist noch einmal 18 und kennt die sechs Freunde und ihr Versprechen nur zu gut: Ihr Leben möge bitteschön nicht so langweilig werden wie das der Eltern. Aber sie wollen nicht nur ihre eigene Zukunft retten, sondern vor allem das Leben eines Freundes.
Diese Sehnsucht nach Gemeinschaft kennen wir aus der Literatur: Christa Wolfs "Sommerstück", geschrieben im Jahr des Mauerfalls, steht für so eine Utopie. Wer erinnert sich nicht an ihre Hymne "Wir wussten, wir wollten zusammen sein": Freundschaft als wahres Leben im falschen. Oder Rilke, Hölderlin, Goethe – sie alle haben diese romantische Idee gefeiert, und was bei ihnen auch immer mitschwang: die Ahnung der Endlichkeit dieses irdischen Glücks.
Über der witzigen Szenerie liegt ein Schatten
Als Wortsezierer und genauer Beobachter hat sich der Lesebühnen-Autor Bov Bjerg spätestens 2004 einen Namen gemacht, als er für seine Erzählung "Howyadoin" mit dem MDR-Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Den Weg, den er dann mit seinem Romandebüt "Deadline" (2008) einschlug, den witzigen und gleichzeitig sehr genauen Umgang mit Wörtern, Bildern und Situationen, den führt er nun souverän weiter. So heißt sein Held, der naturgemäß ein Anti-Held ist, nur "Höppner Hühnerknecht", weil er auf der Hühnerfarm jobbt; seinen Stiefvater nennt er ausschließlich den "Fiesen Freund Meiner Mutter", also konsequenterweise nur "F2M2"; auf dem Supermarktparkplatz fahren die "Hausfrauen in ihrem Hausfrauenzweitwagen" wieder in Richtung "Hausfrauenzuhause" - und die Apotheke heißt "Auschwitzapotheke", weil der Inhaber eine KZ-Vergangenheit hat. Schon ist das Zeitportrait perfekt: Mit einfachen Mitteln umkreist Bov Bjerg ein süddeutsches Dorf in den frühen 80er-Jahren, mit allen Zutaten, die es braucht.
Doch es liegt ein Schatten über der eigentlich leichten Szenerie. Der 18-jährige Frieder versucht sich das Leben zu nehmen. Er wird gerade noch gerettet, und seine Mitschüler haben die Idee, mit ihm in einem leerstehenden Haus mitten im Dorf eine Wohngemeinschaft zu gründen. Ihr Utopia heißt "Auerhaus" (nach dem Madness-Song "Our House"), es ist ein warmes, schönes, "richtiges Leben mit Aufstehen und Frühstückmachen und Federballspielen, mit Essenbesorgen und zusammen kochen... und ziemlich viel Reden". Am Ende sind sie zu sechst: Frieder und der Ich-Erzähler, seine Freundin Vera, Pauline, die schönste Frau der Welt (nach Vera), die verwöhnte Cäcilia aus gutem Hause und der schwule Elektriker und Drogenkonsument Harry. Das Auerhaus ist voller Leben - und trotzdem ist da immer die große Angst um das eine Leben.
Die Kraft dieses Romans wirkt lange nach
Das wollen die Slapstick-Szenen, die Bov Bjerg einschiebt, auch gar nicht verdecken. Die linkische Musterungsszene zum Beispiel, in der die Jungs einfach mal eine Akte stehlen: Man begreift trotzdem sofort, was für eine Last es ist, mit einem Kranken, einem Lebensmüden in einem Haus zu leben, erst recht für 18-Jährige. Tabletten nehmen, sich vor einen Zug werfen oder den Strick nehmen: Sie alle leben mit der Angst, dass Frieder "es immer wieder tun kann, wenn es nötig ist". Aber: "Nicht achtzehn zu werden, war Scheiße. Wenn man nicht achtzehn wurde, war alles umsonst."
Nicht nur durch die Sprache, die Bov Bjerg anschlägt, können wir uns hineindenken in die Jung- und Heißköpfe, die einerseits überfordert diese große Lebensaufgabe schultern, andererseits gerade durch ihre Leichtigkeit und Unbeschwertheit ihren Freund Frieder durchs Leben tragen. Dass Auerhaus-Glück auf jeden Fall schwer teilbar und vielleicht buchstäblich nicht auszuhalten ist, das ist spürbar von Anfang an. Aber die Wärme, der Klang und vor allem die Kraft dieses Romans wirken lange nach.

Bov Bjerg: "Auerhaus"
Blumenbar, Berlin 2015
236 Seiten, 18 Euro

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