Jugendsprache

Babo und die Nuckeldeutschen

Von Arno Orzessek · 25.11.2013
Als Jugendwort des Jahres hat der Langenscheidt-Verlag "Babo" ausgezeichnet, berichtet die "Welt". Es bedeutet auf Türkisch so viel wie Boss oder Anführer. Die "Berliner Zeitung" setzt sich mit einem Youtube-Clip von Bushido auseinander. Die "FAZ" macht sich in einer Glosse über Wasser- und Apfelschorle-Trinker lustig und nennt sie die "Nuckeldeutschen".
"Wir pfeifen auf die Transzendenz!“,
titelt die Tageszeitung DIE WELT.
Hannes Stein hat am Broadway zwei Stücke gesehen, die oft mit transzendenzsüchtiger Ernsthaftigkeit gegeben werden, nämlich Harold Pinters „Niemandsland“ und Samuel Becketts „Warten auf Godot“.
Anders nun in New York, berichtet Stein:
„Die Leute lachten sich an manchen Stellen geradezu einen Ast ab (auch der Rezensent hielt sich nicht zurück).“
Trotzdem oder deshalb bewegt den Rezensenten eine ernste Feuilletonisten-Frage:
„Darf man diese Stücke (…) aufführen, als seien sie leichte Komödien?“
Steins Antwort:
„Man muss es sogar. Denn beide haben die Struktur von äußerst elaborierten Witzen, denen die Schlusspointe fehlt (…). ‚Warten auf Godot‘ erweist sich dem genaueren Hinsehen als Paradebeispiel des irischen Kneipenhumors: rabenschwarz, mäandernd, zum Sterben komisch.“
Steins Frohlocken umschließt auch die Darsteller Ian McKellen und Patrick Stewart:
„Welch poetischer Unsinn! Stewart und McKellen zelebrierten ihn, sie trugen den Quatsch sozusagen auf Händen vor sich her.“
Gegen Quatsch auf dem Theater wettert Gerhard Stadelmaier regelmäßig in der FRANKRUFER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
Als Glossenautor quatscht er allerdings selbst gern herum… Dieses Mal über die „Nuckeldeutschen“, also jene Millionen öffentlicher Wasser- und Apfelschorle-Trinker.
„Offenbar stehen die Nuckeldeutschen (…) kurz vor dem Dehydrieren“
– ist natürlich genauso großer Quatsch wie seine semiotische Folgerung:
„So wie die Pickelhaube für die wilhelminische Ära oder die Swastika (vulgo: Hakenkreuz) für die nazistische wird einmal die Flasche für die Merkelsche Ära signetmäßig geradestehen müssen.“
Wenn es nur poetischer Quatsch wäre, den der Vulgär-Musikant Bushido von sich gibt – er stünde kaum im feuilletonistischen Fadenkreuz von Jens Balzer.
Unter dem Titel „Homo Ehe mit Thai-Nutte“ schreibt der Autor der BERLINER ZEITUNG über „Leben und Tod des Kenneth Glöckler“.
So heißt der Youtube-Clip, in dem Bushido seinen ehemaligen Mitmusikanten Kenneth Glöckler alias Kay One beschimpft und am Ende per Kopfschuss tötet.
„Das Hinrichtungsvideo (resümiert Jens Balzer) ist kurzweilig anzuschauen und sicher auch irgendwie von der Kunstfreiheit gedeckt. Was freilich der Grund für Bushidos Übellaunigkeit ist, versteht man wohl nur, wenn man sich schon einmal mit den internen Streitigkeiten männlicher deutscher Sprechgesangskünstler mit Migrationshintergrund befasst hat, womit der Autor dieser Zeilen nicht dienen kann.“
Nun denn. Wer Bushido für einen peinlich-krawalligen Vollpfosten hält, wird Balzers Verhöhnung beipflichten.
Falls andererseits Bushido BERLINER ZEITUNG liest, wird er Balzer wahrscheinlich als "schwulen Neger" oder so titulieren.
Dass man unter Migranten auch andere Töne kennt, beweist in Dänemark der 18-jährige Yahya Hassan, den Thomas Steinfeld in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG unter dem Titel „Ghettoknecht Dichter“ als „literarische Sensation“ vorstellt.
Hier einige Hassan-Verse:
„‘Ich hasse das Land das ihres war / Und das Land, das unseres wurde / das Land, das niemals ihres wurde / und das Land, das niemals unseres wurde / Also warum flüsterst du in das entzündete Ohr / Dass ich die Bäume betrachten soll?‘“
SZ-Interpret Steinfeld adelt Hassan:
„Im Anspruch auf äußerste Wahrheit klingt hier zuweilen eine lyrische Tradition durch, für die ansonsten Paul Verlaine oder Charles Bukowski stehen.“
Als Jugendwort des Jahres hat der Langenscheidt-Verlag derweil „Babo“ ausgezeichnet, berichtet DIE WELT.
„Babo ist zazaisch“,
erklärt Matthias Heine nach einem Blick ins zazaische Online-Wörterbuch …
Dem er auch entnimmt, dass Babo eine Variante des türkischen Baba ist,
„Baba (indessen) mit all seinen Aussprachevarianten – genau wie Mama – zu den universalen Stammelwörtern (gehört), die Kleinkinder aller Kulturkreise bilden.“
Heine erinnert an den Song des Rappers Haftbefehl „Chabos wissen, wer der Babo ist“ und erklärt Uneingeweihten:
„Schlauere Chabos wissen, dass Babo ein Assi-Wort ist.“
Wer das jetzt nicht versteht, sollte dem Feuilleton trotzdem treu bleiben, ist es doch nicht zuletzt – mit einer SZ-Überschrift – ein „Kursbuch der Phantasie“.
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