Juli Zeh: Unterleuten
Luchterhand Literaturverlag, München 2016
640 Seiten, 24,99 Euro
Großbauer trifft auf Windparkinvestor
Die Idylle scheint perfekt. Die Ex-Berliner fühlen sich wohl als Neu-Brandenburger. Doch dann will ein Investor einen Windpark errichten – und für den Krieg im Dorf ist alles angerichtet. Juli Zehs neuer Gesellschaftsroman zeichnet ein wenig idyllisches Bild vom Leben auf dem Land.
Ein Dorf ist ein Mikrokosmos. Das Personal ist überschaubar, die Konflikte sind es auch. Das bedeutet aber nicht, dass es hier friedlicher zugehen würde als andernorts. Die Regeln kapitalistischer Profitmaximierung gelten auch hier, und die Leichen, die im Keller oder auf den Feldern herumliegen, lassen sich auf Dauer nicht verbergen. "Unterleuten" heißt das fiktive Dorf in der Priegnitz im westlichen Brandenburg, das dem neuen, voluminösen Roman von Juli Zeh den Titel gegeben hat. Es hat, wie alle Dörfer im Osten, Anfang der 1960er Jahre die Zwangskollektivierung erlebt, hat die Wende als neuerliche Enteignung überstanden, die der einstige Großbauer für sich zu nutzen verstand, indem er aus der LPG seine eigene GmbH gemacht hat. Will man es ihm vorwerfen? Immerhin hat er den Betrieb auf diese Weise erhalten, und Biobauer ist er auch. Dass es Neider gibt und alte Kommunisten, die die neue Zeit verachten, ist aber auch klar. Gesellschaftliche Widersprüche auf dem Dorf sind elementar und werden ganz direkt von Mann zu Mann ausgetragen.
Der Naturnaivling mutiert zum übellaunigen Vogelschützer
20 Jahre später – der Roman spielt im Jahr 2010 – hat sich das Dorf erneut verändert. Jetzt leben da auf einmal auch die Großstadtflüchter und Naturnaivlinge aus Berlin. Um zwei Paare handelt es sich: einen Akademiker-Aussteiger, der zum übellaunigen Vogelschützer mutiert ist, nebst seiner Frau, die nichts anderes als das Wohl des Säuglings im Blick hat; und um eine sehr taffe Pferdenärrin, die so eine Art Pferdehotel für Großstädter schaffen will. Sie wird begleitet von einem langhaarigen Freund, der in der Computerspielbranche sein Geld verdient. Und dann ist da noch ein schwerreicher Investor aus Bayern, der Land einfach nur deshalb kauft, weil er es kann und die Zeit hat zu warten, bis die nächste Shopping-Mall, Tankstelle oder aber – wie in diesem Fall – ein Windpark errichtet werden soll. Damit ist alles angerichtet für den Krieg auf dem Dorf, in dem es um Nutzflächen, um Windräder und viel Geld, aber auch um DDR-Geschichte, Ehefrustrationen, Abhängigkeiten und einfach nur um Neurosen und Verrücktheiten geht, wie sie auf dem Dorf ja auch blühen: so wie bei der kleinen dürren Frau mit den unzähligen Katzen, die als Geliebte des Großbauern gilt und praktischerweise direkt neben ihm wohnt.
Die Figuren sind massiv unsympathisch - und bemitleidenswert
Juli Zeh erzählt kapitelweise in wechselnden Perspektiven. Da ist zwar immer die auktoriale, allwissende Erzählerin (die sich in einem Schlusskapitel als Journalistin zu erkennen gibt), doch indem sie allen Figuren reihum nahe zu kommen versucht, gelingt es ihr, sie aus der Innen- und Außenperspektive zu zeigen, mal massiv unsympathisch, mal gezeichnet vom Schicksal und höchst bemitleidenswert. Diese Perspektivwechsel machen den eigentlichen Reiz des Romans aus, der ganz auf Handlung und psychologische Figurenzeichnung setzt, sprachlich aber eher einfach und konventionell gestrickt ist. Vielleicht ist das der Sache aber durchaus angemessen. Schließlich ist das Dorf nicht die Heimatstatt ästhetischer Avantgarde.
Es könnte sein, dass Gesellschaftsromane überhaupt nur noch als Dorfromane möglich sind. Sasa Stanisic hat mit "Vor dem Fest" gezeigt, was in diesem Genre möglich ist, und selbst die Berlinromane der Gegenwart (wie zuletzt Roland Schimmelpfennigs "Januarmorgen") tendieren dazu, die Großstadt ins Brandenburgische hinein zu erweitern. Vielleicht arbeitet die Literatur da der politisch gescheiterten Länderfusion voraus, die eines Tages kommen wird, weil Brandenburg dann sowieso von Berlinern bevölkert ist, während die Einheimischen das Land in Richtung Westen verlassen haben? Juli Zeh weiß, wovon sie spricht. Sie lebt seit einigen Jahren im Havelland.