Julia Franck schlägt Verlegung der Buchpreis-Verleihung vor
Die Schriftstellerin Julia Franck hat sich für eine zeitliche Abkopplung des Deutschen Buchpreises von der Frankfurter Buchmesse ausgesprochen. Dies gebe neu erscheinenden Werken eine größere Chance für Aufmerksamkeit, die diese "dringend" benötigen, sagte die Gewinnerin des letzten Jahres. Der Preis sei inzwischen so bekannt, dass eine Verlegung um vier Wochen vor oder nach der Buchmesse problemlos möglich sei.
Dieter Kassel: Heute Abend wird in Frankfurt der Deutsche Buchpreis vergeben, und das erst zum vierten Mal. Es handelt sich also noch um einen sehr jungen Preis, allerdings um einen Preis, der schon eine richtige Erfolgsgeschichte vorzuweisen hat, einen durchaus schon etablierten Preis. So sieht es vor allem der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der diesen Preis verleiht. Die deutschen Autoren sehen das zum Teil anders. Daniel Kehlmann zum Beispiel hat in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" am vorletzten Wochenende sogar die Abschaffung des Preises verlangt und hat in diesem Zusammenhang auch Julia Franck zitiert, immerhin die
Buchpreisträgerin des Jahres 2007. Auch sie ist unzufrieden mit dem Preis, vor allen Dingen mit den Prozeduren, die Autoren drumherum aushalten müssen. Julia Franck hat den Preis bekommen für ihren Roman "Die Mittagsfrau" und ist jetzt bei uns am Telefon. Schönen guten Tag, Frau Franck!
Julia Franck: Ja, guten Tag, Herr Kassel!
Kassel: Wie sehen Sie denn das? Kehlmann hat da einen Artikel geschrieben, der sogar die Überschrift trägt, "Den Deutschen Buchpreis abschaffen!" Ist das eine Forderung, der sie sich sogar anschließen könnten?
Franck: Nein. Ich denke, ich schließe mich da eher dem Kehlmannschen Realismus an, ich glaube nicht, dass der Preis sich abschaffen lässt. Das, was er fordert in seinem Artikel, ist auch vielmehr eine Veränderung der Modalitäten. Die Überschrift macht dann ein anderer. Das sind Blattmacher, das ist Journalismus. Wenn da manche Autoren die Abschaffung des Preises fordern, glaube ich, dass sie bestimmte Verhältnisse nicht realistisch einschätzen. Ich glaube, es geht allen eher um das Prozedere, und das ist für die Nominierten, für diejenigen, die auf der Shortlist stehen, in den vergangenen Jahren alles andere als angenehm gewesen.
Kassel: Lassen Sie uns doch noch bitte an Ihrem Beispiel das mal noch durchexerzieren. Erinnern wir uns ans vergangene Jahr. Der erste Moment, als Sie erfahren haben, Sie sind auf der sogenannten Longlist, also eine von 20 Autorinnen, was für Gefühle hatten Sie da? War das nur Freude oder ging das schon los mit dem, was Sie inzwischen als ungeheuerliches Prozedere bezeichnen?
Franck: Es überschlugen sich Erfolgsnachrichten zu dem Buch. Das Buch erschien ja erst am 10. September. Die Longlist kam tatsächlich schon vier Wochen eher raus. Das heißt, ich wusste schon, bevor das Buch erschien, dass die Kritiker es gelesen hatten und auf die Longlist gesetzt haben. Was ich wiederum Wochen vorher wusste, war, dass auch die Buchhändler das Buch überaus mochten und die Einkaufszahlen des Buches für den Verlag so hoch waren wie für kein anderes in dem ganzen Jahr beim Fischer-Verlag. Das heißt, ein Erfolg zeigte sich schon sehr früh, kaum war das Leseexemplar verschickt und die Vorschauen raus.
Das, was dann begann, nachdem das Buch da war, am 10. September, und am 12. dann die Shortlist bekannt wurde, zwei Tage später, und es zu den sechs Titeln gehörte, die dort auf dieser Shortlist stehen sollten, das war ziemlich schwer zu ertragen in den Wochen. Es war ein einziges Gefecht, ein einziger Streit in den Feuilletons. Wenn die "Süddeutsche" schrieb, wir wollen das und dieses Buch als Preisträger, schrieb die "FAZ", wir wollen ganz sicher nicht dieses, sondern ein anderes. Schrieb der "Spiegel" das eine, schrieb "Die Zeit" das andere. Und es war im Grunde, wenn man es aus der Distanz betrachtet, auch eine Schlacht oder ein vitalisierter Streit über ästhetische Meinungsproduktion, Meinungsfindung der Feuilletonisten, der Kritiker.
Und die Objekte dabei waren natürlich die Bücher, zum Teil aber auch die Personen. Also natürlich sind wir auch gemeinsam zu Interviews eingeladen worden, sollten wir gemeinsam uns über unsere Bücher, über unser Werk, über unsere Arbeit unterhalten. Und das war sehr, sehr schwierig, weil wir uns diese Konkurrenz ja zueinander gerade als Menschen gar nicht ausgesucht hatten.
Kassel: Aber kann man denn Menschen zur Konkurrenz zwingen? Wenn Sie sagen, Sie wollen gar nicht und wollten auch damals nicht einen Kampf auskämpfen mit anderen Autorinnen und Autoren, man hat sie doch auch nicht dazu gezwungen?
Franck: Na ja, das ist schon ein ziemlicher Druck, der dann entsteht, weil jeder Schriftsteller, der ein Buch veröffentlicht, einerseits weiß, wie sehr er auf die Aufmerksamkeit angewiesen ist. Er muss bestimmte Interviews machen. Und wenn er sich den Interviews ganz verweigert, fürchtet er, könnte das Buch ganz ignoriert werden. Und das geschieht, da muss man sich nichts vormachen, geschieht natürlich 98 Prozent der Bücher. 98 Prozent der erscheinenden Bücher tauchen in den Feuilletons gar nicht auf. Insofern kann man bei allem Streit und aller Schwierigkeit, auch diese Polemik, die Häme, die Lobeshymnen dann zu ertragen, doch sagen, besser man wird überhaupt wahrgenommen, als dass man ganz verschwindet.
Kassel: Machen wir mal weiter. Wir waren jetzt noch bei der Longlist, dann kamen Sie auf die Shortlist, am Ende haben Sie den Preis bekommen. Wurde es auch, je näher Sie der Preisverleihung kamen, mit dem, was Sie als so belastend empfunden haben, immer schlimmer oder haben Sie sich langsam ein bisschen dran gewöhnt?
Franck: Ich empfand das bis zur Preisverleihung immer schlimmer, und auch die Woche der Buchmesse war dann sehr, sehr anstrengend. Und das liegt tatsächlich an der Konstellation. Das eine ist das Buch, über das wird gestritten und geredet, das andere ist man als Mensch. Man sitzt neben Schriftstellerkollegen, die man sehr schätzt. Also ich jedenfalls saß in dieser Preisverleihung ausschließlich neben Kollegen, die ich sehr schätze. Und dann überwiegt in einem Augenblick der Verkündung fast das Schamgefühl, dass die anderen es nicht bekommen haben, als die Freude, dass man selbst es bekommen hat. Es ist ja keine objektiv messbare Qualität. Den besten Roman des Jahres kann es ja so gar nicht geben.
Kassel: Aber wenn Sie jetzt gerade noch mal betonen, dass sie neben sogar vielleicht Freunden, guten Bekannten oder zumindest von Ihnen geschätzten Kollegen saßen bei der Preisverleihung, bei dieser Bekanntgabe, ist es denn so schlimm, warum gilt denn nicht dieser angeblich olympische Gedanke, dabei sein ist alles? Warum kann man nicht sagen, wenn ich ihn kriege, ist es schön, und ich gehe davon aus, dann freuen sich die anderen fünf für mich mit, wenn ihn einer der anderen kriegt, freue ich mich für den mit?
Franck: Ich glaube, dass es deshalb so schlimm ist, weil man aufgrund der letzten Jahre davor auch schon wusste, dieses Buch wird sich nicht 10.000 oder 20.000 Mal verkaufen, was für deutschsprachige Literatur auch schon große Erfolge sind, muss man sagen, sondern mehr als 100.000 Mal. In meinem Fall hat es diese Dimension vollkommen gesprengt und hat sich jetzt über 400.000 Mal verkauft. Auch was die Übersetzung anbelangt. Das Buch ist binnen zwölf Monaten jetzt in über 30 Sprachen verkauft worden, erscheint in 75 Ländern. Das sind Dimensionen, die die anderen Bücher einfach nie erreichen werden.
Und das zu wissen, das im Hinterkopf zu haben, das ist natürlich eine große Anspannung und auch, ja, das ist wie ein Schicksalsschlag, der einen dann in diesem Augenblick ereilen soll, nur treffen den Menschen über andere Menschen, und natürlich, auch letztlich von einem solchen Erfolg hängt auch die hohe und die Besonnenheit ab, mit der man dann in den nächsten Jahren arbeiten kann.
Ein Schriftsteller, der nicht in dieser Dimension verkauft, ist zum Beispiel darauf angewiesen, alle Lesungen der Welt zu machen. Der ist dann ein Jahr lang unterwegs, ununterbrochen macht er Veranstaltungen und kann nicht am Schreibtisch sitzen und arbeiten, weil er natürlich auch von etwas leben muss. Und dieses Zusammenhängen der monetären, der prekären Bedingungen der Arbeit eines Schriftstellers und des möglichen Erfolges, die kann man ja nicht wegdenken.
Die Einkommensverhältnisse von Schriftstellern sind wirklich ganz, ganz schlechte. Da muss man sich nichts vormachen. Für die ein Prozent, die jetzt so erfolgreich sind wie Daniel Kehlmann oder ich, ist das nur noch sozusagen Teil der Vergangenheit und Erinnerung, aber wir haben alle diese Jahre hinter uns, in denen wir von 10.000 Euro Jahreseinkommen leben mussten.
Kassel: Oder weniger. Aber ist dann nicht, was Sie jetzt gerade sagen, eher ein Argument für den Deutschen Buchpreis, denn ich meine, damit gibt es ja mehr, weil so was, was Sie gerade beschrieben haben, 75 Länder, in denen Ihr Buch erschienen ist oder noch erscheinen wird insgesamt, das ist doch ohne, gerade diese Auslandspräsenz ist doch ohne den Buchpreis so vorher kaum zu machen gewesen?
Franck: Da haben Sie recht. Also für mich ist es ein großes Glück, für mich ist es natürlich, es ist ja so, dass auch schon früher Bücher von mir erfolgreich waren, auch schon auf Bestsellerlisten manchmal standen, aber wie gesagt, die Dimension, die ist hier eine vollkommen neue und andere. Und die Beschleunigung, die darin steckt, ist auch eine vollkommen neue. Daniel Kehlmann hat diesen Erfolg sogar ohne den Buchpreis geschafft. Er war zwar auf dieser Shortlist, was man auch sagen muss, sicher einen Teil der Aufmerksamkeit in der Veröffentlichungszeit beschleunigt hat, aber ich glaube, dass diese Dimension natürlich für Einzelne ganz wunderbar ist. Ich will gar nicht sagen, dass ich darüber für mich unglücklich bin. Ich glaube, ich bin eher für die gesamte literarische Bewertung und auch Wahrnehmbarkeit der Bücher etwas traurig und darüber auch etwas besorgt.
Kassel: Frau Franck, Sie haben ja gesagt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, Sie sind keineswegs für die Abschaffung des Preises, Sie würden aber gerne am Prozedere einiges verändern. Dann machen Sie es doch mal konkret. Ich bin es zwar nicht, aber wenn ich jetzt vom Börsenverein wäre und Sie dürfen mir diktieren, wie das in Zukunft laufen soll, was für einen Buchpreis und was für einen Ablauf von Bekanntgabe bis zur Verleihung würden Sie sich wünschen?
Franck: Es war sehr wichtig für den Buchpreis, ihn in den ersten Jahren jetzt an die Buchmesse zu knüpfen und ihn auch während der Buchmesse zu verleihen, um ihm die notwendige Aufmerksamkeit zu geben. Inzwischen ist er so groß geworden und erhält er so viel Aufmerksamkeit, nicht nur in Deutschland, sondern auch in den ausländischen Medien, dass man ihn sehr souverän vier Wochen nach vorne oder hinten legen könnte, was einfach ein Vorteil wäre für die anderen Bücher, die anderen deutschsprachigen Neuerscheinungen, die einfach ebenso diese vier Wochen der Aufmerksamkeit vor der Buchmesse dringend brauchen in den Feuilletons. Und ich glaube, dass das den Büchern, die auf der Shortlist stehen, und auch dem Preisträger in keinster Weise schaden würde, dass es aber sehr gesund wäre für alle anderen Titel, die in dieser Zeit erscheinen.
Kassel: Julia Franck, die den Deutschen Buchpreis 2007 bekommen hat für ihren Roman "Die Mittagsfrau", über ihr eigenes Unbehagen an diesem Preis. Was auch immer sich vielleicht mal irgendwann verändern wird oder nicht, heute Abend ist noch alles wie immer, es gibt die Shortlist mit sechs Namen darauf, und heute Abend werden wir erfahren, wer wirklich den Deutschen Buchpreis 2008 bekommt. Und Sie erfahren das dann natürlich sofort auch hier im Programm von Deutschlandradio Kultur.
Buchpreisträgerin des Jahres 2007. Auch sie ist unzufrieden mit dem Preis, vor allen Dingen mit den Prozeduren, die Autoren drumherum aushalten müssen. Julia Franck hat den Preis bekommen für ihren Roman "Die Mittagsfrau" und ist jetzt bei uns am Telefon. Schönen guten Tag, Frau Franck!
Julia Franck: Ja, guten Tag, Herr Kassel!
Kassel: Wie sehen Sie denn das? Kehlmann hat da einen Artikel geschrieben, der sogar die Überschrift trägt, "Den Deutschen Buchpreis abschaffen!" Ist das eine Forderung, der sie sich sogar anschließen könnten?
Franck: Nein. Ich denke, ich schließe mich da eher dem Kehlmannschen Realismus an, ich glaube nicht, dass der Preis sich abschaffen lässt. Das, was er fordert in seinem Artikel, ist auch vielmehr eine Veränderung der Modalitäten. Die Überschrift macht dann ein anderer. Das sind Blattmacher, das ist Journalismus. Wenn da manche Autoren die Abschaffung des Preises fordern, glaube ich, dass sie bestimmte Verhältnisse nicht realistisch einschätzen. Ich glaube, es geht allen eher um das Prozedere, und das ist für die Nominierten, für diejenigen, die auf der Shortlist stehen, in den vergangenen Jahren alles andere als angenehm gewesen.
Kassel: Lassen Sie uns doch noch bitte an Ihrem Beispiel das mal noch durchexerzieren. Erinnern wir uns ans vergangene Jahr. Der erste Moment, als Sie erfahren haben, Sie sind auf der sogenannten Longlist, also eine von 20 Autorinnen, was für Gefühle hatten Sie da? War das nur Freude oder ging das schon los mit dem, was Sie inzwischen als ungeheuerliches Prozedere bezeichnen?
Franck: Es überschlugen sich Erfolgsnachrichten zu dem Buch. Das Buch erschien ja erst am 10. September. Die Longlist kam tatsächlich schon vier Wochen eher raus. Das heißt, ich wusste schon, bevor das Buch erschien, dass die Kritiker es gelesen hatten und auf die Longlist gesetzt haben. Was ich wiederum Wochen vorher wusste, war, dass auch die Buchhändler das Buch überaus mochten und die Einkaufszahlen des Buches für den Verlag so hoch waren wie für kein anderes in dem ganzen Jahr beim Fischer-Verlag. Das heißt, ein Erfolg zeigte sich schon sehr früh, kaum war das Leseexemplar verschickt und die Vorschauen raus.
Das, was dann begann, nachdem das Buch da war, am 10. September, und am 12. dann die Shortlist bekannt wurde, zwei Tage später, und es zu den sechs Titeln gehörte, die dort auf dieser Shortlist stehen sollten, das war ziemlich schwer zu ertragen in den Wochen. Es war ein einziges Gefecht, ein einziger Streit in den Feuilletons. Wenn die "Süddeutsche" schrieb, wir wollen das und dieses Buch als Preisträger, schrieb die "FAZ", wir wollen ganz sicher nicht dieses, sondern ein anderes. Schrieb der "Spiegel" das eine, schrieb "Die Zeit" das andere. Und es war im Grunde, wenn man es aus der Distanz betrachtet, auch eine Schlacht oder ein vitalisierter Streit über ästhetische Meinungsproduktion, Meinungsfindung der Feuilletonisten, der Kritiker.
Und die Objekte dabei waren natürlich die Bücher, zum Teil aber auch die Personen. Also natürlich sind wir auch gemeinsam zu Interviews eingeladen worden, sollten wir gemeinsam uns über unsere Bücher, über unser Werk, über unsere Arbeit unterhalten. Und das war sehr, sehr schwierig, weil wir uns diese Konkurrenz ja zueinander gerade als Menschen gar nicht ausgesucht hatten.
Kassel: Aber kann man denn Menschen zur Konkurrenz zwingen? Wenn Sie sagen, Sie wollen gar nicht und wollten auch damals nicht einen Kampf auskämpfen mit anderen Autorinnen und Autoren, man hat sie doch auch nicht dazu gezwungen?
Franck: Na ja, das ist schon ein ziemlicher Druck, der dann entsteht, weil jeder Schriftsteller, der ein Buch veröffentlicht, einerseits weiß, wie sehr er auf die Aufmerksamkeit angewiesen ist. Er muss bestimmte Interviews machen. Und wenn er sich den Interviews ganz verweigert, fürchtet er, könnte das Buch ganz ignoriert werden. Und das geschieht, da muss man sich nichts vormachen, geschieht natürlich 98 Prozent der Bücher. 98 Prozent der erscheinenden Bücher tauchen in den Feuilletons gar nicht auf. Insofern kann man bei allem Streit und aller Schwierigkeit, auch diese Polemik, die Häme, die Lobeshymnen dann zu ertragen, doch sagen, besser man wird überhaupt wahrgenommen, als dass man ganz verschwindet.
Kassel: Machen wir mal weiter. Wir waren jetzt noch bei der Longlist, dann kamen Sie auf die Shortlist, am Ende haben Sie den Preis bekommen. Wurde es auch, je näher Sie der Preisverleihung kamen, mit dem, was Sie als so belastend empfunden haben, immer schlimmer oder haben Sie sich langsam ein bisschen dran gewöhnt?
Franck: Ich empfand das bis zur Preisverleihung immer schlimmer, und auch die Woche der Buchmesse war dann sehr, sehr anstrengend. Und das liegt tatsächlich an der Konstellation. Das eine ist das Buch, über das wird gestritten und geredet, das andere ist man als Mensch. Man sitzt neben Schriftstellerkollegen, die man sehr schätzt. Also ich jedenfalls saß in dieser Preisverleihung ausschließlich neben Kollegen, die ich sehr schätze. Und dann überwiegt in einem Augenblick der Verkündung fast das Schamgefühl, dass die anderen es nicht bekommen haben, als die Freude, dass man selbst es bekommen hat. Es ist ja keine objektiv messbare Qualität. Den besten Roman des Jahres kann es ja so gar nicht geben.
Kassel: Aber wenn Sie jetzt gerade noch mal betonen, dass sie neben sogar vielleicht Freunden, guten Bekannten oder zumindest von Ihnen geschätzten Kollegen saßen bei der Preisverleihung, bei dieser Bekanntgabe, ist es denn so schlimm, warum gilt denn nicht dieser angeblich olympische Gedanke, dabei sein ist alles? Warum kann man nicht sagen, wenn ich ihn kriege, ist es schön, und ich gehe davon aus, dann freuen sich die anderen fünf für mich mit, wenn ihn einer der anderen kriegt, freue ich mich für den mit?
Franck: Ich glaube, dass es deshalb so schlimm ist, weil man aufgrund der letzten Jahre davor auch schon wusste, dieses Buch wird sich nicht 10.000 oder 20.000 Mal verkaufen, was für deutschsprachige Literatur auch schon große Erfolge sind, muss man sagen, sondern mehr als 100.000 Mal. In meinem Fall hat es diese Dimension vollkommen gesprengt und hat sich jetzt über 400.000 Mal verkauft. Auch was die Übersetzung anbelangt. Das Buch ist binnen zwölf Monaten jetzt in über 30 Sprachen verkauft worden, erscheint in 75 Ländern. Das sind Dimensionen, die die anderen Bücher einfach nie erreichen werden.
Und das zu wissen, das im Hinterkopf zu haben, das ist natürlich eine große Anspannung und auch, ja, das ist wie ein Schicksalsschlag, der einen dann in diesem Augenblick ereilen soll, nur treffen den Menschen über andere Menschen, und natürlich, auch letztlich von einem solchen Erfolg hängt auch die hohe und die Besonnenheit ab, mit der man dann in den nächsten Jahren arbeiten kann.
Ein Schriftsteller, der nicht in dieser Dimension verkauft, ist zum Beispiel darauf angewiesen, alle Lesungen der Welt zu machen. Der ist dann ein Jahr lang unterwegs, ununterbrochen macht er Veranstaltungen und kann nicht am Schreibtisch sitzen und arbeiten, weil er natürlich auch von etwas leben muss. Und dieses Zusammenhängen der monetären, der prekären Bedingungen der Arbeit eines Schriftstellers und des möglichen Erfolges, die kann man ja nicht wegdenken.
Die Einkommensverhältnisse von Schriftstellern sind wirklich ganz, ganz schlechte. Da muss man sich nichts vormachen. Für die ein Prozent, die jetzt so erfolgreich sind wie Daniel Kehlmann oder ich, ist das nur noch sozusagen Teil der Vergangenheit und Erinnerung, aber wir haben alle diese Jahre hinter uns, in denen wir von 10.000 Euro Jahreseinkommen leben mussten.
Kassel: Oder weniger. Aber ist dann nicht, was Sie jetzt gerade sagen, eher ein Argument für den Deutschen Buchpreis, denn ich meine, damit gibt es ja mehr, weil so was, was Sie gerade beschrieben haben, 75 Länder, in denen Ihr Buch erschienen ist oder noch erscheinen wird insgesamt, das ist doch ohne, gerade diese Auslandspräsenz ist doch ohne den Buchpreis so vorher kaum zu machen gewesen?
Franck: Da haben Sie recht. Also für mich ist es ein großes Glück, für mich ist es natürlich, es ist ja so, dass auch schon früher Bücher von mir erfolgreich waren, auch schon auf Bestsellerlisten manchmal standen, aber wie gesagt, die Dimension, die ist hier eine vollkommen neue und andere. Und die Beschleunigung, die darin steckt, ist auch eine vollkommen neue. Daniel Kehlmann hat diesen Erfolg sogar ohne den Buchpreis geschafft. Er war zwar auf dieser Shortlist, was man auch sagen muss, sicher einen Teil der Aufmerksamkeit in der Veröffentlichungszeit beschleunigt hat, aber ich glaube, dass diese Dimension natürlich für Einzelne ganz wunderbar ist. Ich will gar nicht sagen, dass ich darüber für mich unglücklich bin. Ich glaube, ich bin eher für die gesamte literarische Bewertung und auch Wahrnehmbarkeit der Bücher etwas traurig und darüber auch etwas besorgt.
Kassel: Frau Franck, Sie haben ja gesagt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, Sie sind keineswegs für die Abschaffung des Preises, Sie würden aber gerne am Prozedere einiges verändern. Dann machen Sie es doch mal konkret. Ich bin es zwar nicht, aber wenn ich jetzt vom Börsenverein wäre und Sie dürfen mir diktieren, wie das in Zukunft laufen soll, was für einen Buchpreis und was für einen Ablauf von Bekanntgabe bis zur Verleihung würden Sie sich wünschen?
Franck: Es war sehr wichtig für den Buchpreis, ihn in den ersten Jahren jetzt an die Buchmesse zu knüpfen und ihn auch während der Buchmesse zu verleihen, um ihm die notwendige Aufmerksamkeit zu geben. Inzwischen ist er so groß geworden und erhält er so viel Aufmerksamkeit, nicht nur in Deutschland, sondern auch in den ausländischen Medien, dass man ihn sehr souverän vier Wochen nach vorne oder hinten legen könnte, was einfach ein Vorteil wäre für die anderen Bücher, die anderen deutschsprachigen Neuerscheinungen, die einfach ebenso diese vier Wochen der Aufmerksamkeit vor der Buchmesse dringend brauchen in den Feuilletons. Und ich glaube, dass das den Büchern, die auf der Shortlist stehen, und auch dem Preisträger in keinster Weise schaden würde, dass es aber sehr gesund wäre für alle anderen Titel, die in dieser Zeit erscheinen.
Kassel: Julia Franck, die den Deutschen Buchpreis 2007 bekommen hat für ihren Roman "Die Mittagsfrau", über ihr eigenes Unbehagen an diesem Preis. Was auch immer sich vielleicht mal irgendwann verändern wird oder nicht, heute Abend ist noch alles wie immer, es gibt die Shortlist mit sechs Namen darauf, und heute Abend werden wir erfahren, wer wirklich den Deutschen Buchpreis 2008 bekommt. Und Sie erfahren das dann natürlich sofort auch hier im Programm von Deutschlandradio Kultur.