"Es gibt komplexe Dynamiken aus Missgunst und Neid"
13:42 Minuten
Julia Franck hat erfolgreiche Bücher geschrieben. Sie habe negative Erfahrungen gemacht, sagt sie. Vielleicht eine Frage des Geschlechts? "Wo Frauen das Wort haben, wird deren Wort, deren Macht, die damit entstehen könnte, angefeindet."
Andrea Gerk: Ende November kam eine Meldung, bei der wir hier in der Redaktion ein bisschen gestutzt haben. Da hieß es, die Schriftstellerin Julia Franck übergibt ihr Archiv dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach, also Briefe, Korrespondenzen mit dem Verlag, Essays, Übersetzungen; auch die Manuskripte von erfolgreichen Romanen wie "Die Mittagsfrau", für den Julia Franck 2007 den Deutschen Buchpreis bekam hat und der in 37 Sprachen übersetzt wurde. Gestutzt haben wir bei dieser Nachricht vor allem, weil Julia Franck erst 49 Jahre alt ist, und ich bin gespannt, was sie zu diesem Schritt bewegt hat. Wie ist denn das? Bietet man diesen Archivaren in Marbach da seine Sachen an oder wird man da gefragt?
Franck: Man wird schon gefragt. Je nach Lebenssituation gibt es allerdings unterschiedliche Auslöser oder Gründe, warum man sich dann dazu entschließt. Es gibt auch Schriftsteller, die bauen sich in ihren Villen oder Wohnungen eigene Altare und Archive auf. Für mich war das tatsächlich immer in den letzten Jahren eine drängende Platzfrage, wohin mit all den Belegexemplaren, mit all den Plakaten, mit all den Manuskripten. Im Laufe der Jahre haben allein die Materialien über einen großen Raum gefüllt, und als ich Ende letzten Jahres in eine deutlich kleinere Wohnung umgezogen bin, war klar: ich muss mich von ganz vielem dieser Materialien trennen. Ich habe auch vieles verschenkt, an Bibliotheken gegeben, aber den Großteil gerade der Manuskripte und der Belegexemplare hat Marbach dann dankenswerterweise übernommen.
Tagebücher noch nicht in Marbach
Gerk: Könnte man sowas theoretisch auch rückgängig machen und sagen, "ach, ich möchte es mir gern noch mal angucken, kann ich das mal wieder ein halbes Jahr ausleihen"?
Franck: Nein, aber man hat natürlich jederzeit Zugriff und kann jederzeit nach Marbach fahren und sich dort in die eigenen Manuskripte wieder einlesen, wenn man das denn möchte. Ich habe zum Beispiel bislang Tagebücher oder auch private Briefkorrespondenzen noch nicht nach Marbach gegeben.
Gerk: Sie haben neulich in Marbach auch an einer Veranstaltung teilgenommen, die hieß "Schreiben oder nicht schreiben". Und Sie haben ja auch schon lange keinen neuen Roman veröffentlicht. Da habe ich mich gefragt: Will sie die Sachen einfach nicht mehr haben, schließt sie damit auch das Schreiben ab. Muss man das befürchten als Leser Ihrer Bücher?
Franck: Nein, das muss man, glaube ich, nicht befürchten. Ich schreibe immer. Ich glaube, es gibt wenige Schriftsteller, die sich aussuchen können, ob sie schreiben oder nicht. Das Schreiben ist tatsächlich eine Art Notwendigkeit, eine innere; aber die Öffentlichkeit hat mir, muss ich sagen, im Laufe der zehn, fünfzehn sehr erfolgreichen Jahre auch sehr zugesetzt. Die Öffentlichkeit ist ein unfassbarer Zeitdieb, ein Konzentrationsdieb und letztlich natürlich auch die Konfrontation mit Öffentlichkeit für einen so schüchternen Menschen wie mich.
Die Angst der Autorin vor der Bühne
Gerk: Was meinen Sie mit Öffentlichkeit? Die Kritik, die Leser, die Lesungen, der ganze Literaturbetrieb?
Franck: Zum einen sind es tatsächlich Lesungen vor einem Publikum mit 100 oder 400 Menschen. Das sind Situationen, denen ich im Laufe der Jahre entgegenwuchs, aber Sie können sich kaum vorstellen, mit welchen zitternden, schlotternden Knien ich in den ersten Jahre jede dieser Bühnen betreten habe und es nie genossen habe. Auch wenn ich dann versuche, mich ganz auf das Gespräch jeweils mit dem Moderator, mit dem Publikum zu konzentrieren, ist das fern jeden Genusses. Also, diese Form des Auf-die-Bühne-Steigens, sich als Person einer Öffentlichkeit auszusetzen, das verursacht in mir wahnsinnige Ängste, und da bin ich, glaube ich, auch nicht alleine. Es gibt Schriftsteller wie Feridun Zaimoglu, der hat mal zu mir ganz lachend frei gesagt: "Ich bin eine Rampensau." Klar, es gibt Schriftsteller, die genießen das.
Gerk: Der macht ja auch relativ viele Lesungen im Jahr.
Franck: Genau, aber ich habe das nie genossen. Dazu kommt natürlich, klar, die Kritik: Die ist auch zum Teil entsetzlich und setzt einem zu. Ich bin nicht jemand, der damit ganz cool umgehen kann und sagt: "Ich lese das alles nicht." zudem wird man darauf angesprochen, man wird von Lesern wie auch von Moderatoren auf bestimmte Kritiken angesprochen. Das kann einen nicht kalt lassen. Da die Literatur das Subjektivste, das Individuellste, das Eigentliche ist, das man von sich nach außen gibt, ist auch jede Kritik so treffend, wie sie gemeint ist, und zwar persönlich treffend. Das hat nichts mit ihrer inhaltlichen Qualität zu tun und auch nichts mit der inhaltlichen Qualität des Buches, um das es geht, sondern mit der öffentlichen Zurichtung der Person, die dahintersteht.
"Jede Kritik trifft in den eigenen Kopf"
Gerk: Sie sind ja sehr beliebt beim Publikum und bei den Buchhändlern. Aber bei dem letzten Roman "Rücken an Rücken", wirklich auch nur bei dem, bei dem wurde ja wirklich unter der Gürtellinie sehr ausgeteilt – fand ich, als ich das jetzt noch mal gelesen habe. Dann gibt es ja Leute, die sagen, "na ja, wenn man schon was veröffentlicht, muss man sowas auch aushalten können", aber in den letzten Jahren hat man oft den Eindruck, dass da auch die Kritik, gerade auch bei weiblichen Schriftstellerinnen, oft übers Ziel hinausschießt. Gibt es da für Sie auch eine Grenze? Man muss offenbar nicht alles aushalten?
Franck: Man kann gar nicht alles aushalten, und man zieht sich dann eben einfach noch weiter zurück und zögert tatsächlich mit dem Veröffentlichen. Das macht etwas in einem. Tatsächlich ist man anders als beim Film oder in der Musik, die immer als Ensemble auftreten, ist man als Autor ganz allein. Es ist niemand sonst für ein Buch verantwortlich. Jede Kritik trifft unmittelbar in den eigenen Kopf, ins eigene Hirn, in die Hand des Schreibenden.
Gerk: Aber man kann es auch nicht nicht lesen, oder?
Franck: Es gibt Schriftsteller, die daran vorbeileben und nicht lesen, was über sie geschrieben wird. Einige Kollegen, vor allem Männer, haben mir auch immer wieder in den letzten Jahren beteuert, dass sie das einfach gar nicht machen. Es geht natürlich auch nicht nur Frauen in der Öffentlichkeit schlecht, auch Männer werden angefeindet. Wir erinnern uns zum Beispiel an Christian Kracht vor zwei, drei Jahren. Da gab es dann tatsächlich eine Art öffentliche Debatte. Dann springen andere Feuilletonisten dem Schriftsteller, dem geliebten Schriftsteller zur Seite und verteidigen ihn; oder auch der Verleger in dem Fall. Das alles kann man als Schriftsteller gar nicht kontrollieren. Man kann nur seinen Text schreiben, man kann sich nur zurückziehen und sich auf das konzentrieren, besinnen, das die eigentliche Arbeit ausmacht, das Schreiben selbst.
Gerk: Aber haben Sie nicht auch den Eindruck – das ist, was ich mich manchmal frage –, dass das immer personenbezogener wird, diese negative Kritik; und dass es auch häufig so ist, dass jemand vorher wahnsinnig gelobt wurde. Wir haben vorher überlegt, bei Judith Hermann war das auch so, dann schrieb Edo Reents zum Beispiel beim zweiten Buch "Judith Hermann hat zwei Probleme: Sie kann nicht schreiben und sie hat nichts zu sagen." Also das ist ja quasi die Vernichtung einer Schriftstellerin.
Franck: Genau.
Selbstkasteiung der Kritikerkaste?
Gerk: Könnte es sein, den Eindruck hat man manchmal, die Kritiker bestrafen sich für ihre eigene Begeisterung, die sie beim ersten Buch hatten, und da muss jemand auch so ein bisschen vom Sockel gestoßen werden.
Franck: Ja, es gibt natürlich unglaublich komplexe Dynamiken aus Missgunst, Neid, die immer dann eintreten, wenn ein Schriftsteller mit einem Buch besonders erfolgreich war oder zu werden droht. Das habe ich in meiner Entwicklung auch schon bei der "Mittagsfrau" bemerkt. Da waren die Kritiken auch heftig. Mir war vollkommen klar, dass jedes Buch, das als nächstes erscheinen würde, es sehr schwer haben würde bei der Kritik – einfach weil der Neid, die Missgunst und der Affekt gegen ein solch erfolgreiches Phänomen enorm sind. Das nimmt dann tatsächlich eine Dynamik an, die wird von keinem Einzelnen lanciert, da gibt es keinen Dirigenten in dieser Hinrichtung, die dann geschieht, sondern das ist ein kultureller Reflex. Vielleicht hat das auch was mit einem kulturellen Reflex gegen Frauen zu tun – das können wir uns immer wieder fragen. Auch unter den Dirigenten gibt es nur ganz wenige Frauen, unter den Regisseuren gibt es nur ganz wenige Frauen. Überall dort, wo Frauen das Wort haben, wird deren Wort, deren Macht, die damit entstehen könnte, natürlich angefeindet, unterwandert, zerschlagen nach Möglichkeit.
Gerk: Fängt das nicht auch schon mit diesen Zuschreibungen an? Ich erinnere mich noch, als Sie angefangen haben: Sie waren zwar nicht total mit diesem Stempel belegt, aber da gab es ja dieses Fräuleinwunder-Phänomen. Und damit macht man ja Frauen eigentlich auch schon ein bisschen handhabbarer, greifbarer, damit fängt auch die Misere eigentlich schon an.
Franck: Ja, dagegen können wir uns natürlich nicht wehren. Also wir sind Frauen, wir wollen auch, oder ich zumindest möchte eine Frau sein und auch bleiben; und natürlich können wir uns nicht dagegen wehren, dass unsere Gegenwart vor allem aus Bildern besteht. Wir sind auf Fotos, im Fernsehen, überall, im Internet, überall sichtbar und werden danach beurteilt, wie wir aussehen. Jeder Schriftsteller, ob Mann oder Frau, nimmt möglichst gute Fotos von sich; die Presseabteilung der Verlage nimmt die bestmöglichen Fotos, sodass jeder darauf gut aussieht, Mann wie Frau, oder halbwegs gut aussieht. Den Frauen wird es dann natürlich zum Vorwurf gemacht, und es heißt: "Ah, sie sieht gut aus, also klar hat sie Erfolg, klar will ein Verlag die Bücher dieses jungen Fräuleins drucken, weil sie ja sehr gut aussieht." Und dann gucken wir uns doch mal an, wie sie aussehen. Da hat selbst die "Emma", muss man schändlicherweise sagen, damals mitgemacht und hat einen ganzen Parcours, so ein Panorama von weiblichen Schriftstellerporträts in ihrem Heft auf einer Doppelseite abgedruckt und sie untertitelt mit jeweils passenden Ausdrücken, die diesen Frauentypus zusammenfassen sollten: "die Verwegene", "die Wilde", "die Abenteurerin", "die Naive". Das hatte nichts mit der Literatur zu tun, nur mit dem Porträt, und es war nicht bildkritisch gedacht.
Die zwei Julia Francks
Gerk: Da bleibt noch einiges umzudenken und zu tun. Jetzt nehmen Sie sich da so raus, aber gibt es denn für die Leser, für Ihr Publikum schon noch sowas wie Hoffnung, dass wir mal wieder einen Roman von Julia Franck lesen dürfen?
Franck: Doch, ich glaube ja. Es sind zwei Julia Francks: Die eine ist die, die wirklich diese Bücher schreibt und die dafür oft Jahre der Entwicklung braucht, und ich bin einfach – auch das gehört zu jedem Schriftstellerdasein dazu –, ich bin in meinem Leben auch immer wieder mit Manuskripten gescheitert und habe Manuskripte, von Anfang an war das so, nach 50, 60, 70 Seiten verworfen, eine Pause eingelegt, andere Dinge gemacht, geschrieben und wieder neu angefangen. Diesem Prozess folgend bin ich trotzdem guter Dinge, dass da ein Roman entsteht, der vielleicht eines Tages von der anderen Julia Franck der Öffentlichkeit freigegeben wird. Die andere Julia Franck ist diejenige, die diese Schreibende beschützen muss. Das ist gerade nach den Erfahrungen der Öffentlichkeit, dieser erfolgreichen 15 Jahre, sehr schwer, da den richtigen Moment zu finden und zu sagen, jetzt halten wir uns und das Buch für stark genug, um das erneut zu wagen.
Gerk: Also ich bin gespannt. Ich werde es auf jeden Fall lesen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.