Julia Friedrichs über Vermögen in Deutschland

"Die Mauer zwischen Ost und West steht weiterhin"

An einer Schallschutzwand prangt der verwitterte Schriftzug "Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost".
Über 90 Prozent der sanierten Altbauten in Leipzig wurden an Menschen verkauft, die nicht dort leben, sagt Julia Friedrichs. Die Leipziger könnten sich keine Immobilien leisten. © picture alliance / Peter Gercke / dpa-Zentralbild / ZB
Moderation: Anke Schaefer |
Die Ostdeutschen fühlen sich zu Recht ohnmächtig, meint die Journalistin Julia Friedrichs: Bei den Vermögen, aber auch in Elitenpositionen würden weiter die Westdeutschen dominieren. Friedrichs sieht eine Art "feindliche wirtschaftliche Übernahme".
Viel erreicht, aber noch nicht gut: So liest sich der heute vom Bundeskabinett verabschiedete Der Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit. Julia Friedrichs plädiert dafür, vor allem auf die Vermögen zu schauen: "Die Mauer zwischen Ost und West steht weiterhin", stellt sie fest. "Die Ungleichheit ist extrem - die Ungleichheit der Vermögen und die Ungleichheit vor allem der Erbschaften, was uns zeigt, dass sich das auch auf die nächste Generation weiter vererben wird."
Die Journalistin und Autorin Julia Friedrichs
Die Journalistin und Autorin Julia Friedrichs© dpa / picture alliance / Uwe Zucchi
So würden in den attraktiven Städten Ostdeutschlands die Immobilien vor allem von Westdeutschen gekauft. In Leipzig seien "über 90 Prozent der sanierten Altbauten" an Menschen verkauft worden, die nicht dort leben: "Wir haben da also schon so eine Art wirtschaftliche feindliche Übernahme." Von den steigenden Immobilienpreisen profitierten die Käufer, während die Leipziger einen immer größeren Teil ihres Einkommens für die Miete zahlen müssten.

Keine jammernden Ossis erlebt

Zu dem Vorwurf, "die Ossis" würden sich zu viel beklagen, meint Friedrichs: "Ich habe bei den Recherchen keine jammernden Ossis erlebt, sondern Menschen, die sich angestrengt haben, die sich viel bemüht haben, die auch viel leisten und die auch nicht unzufrieden sind." Dennoch könne sich dort ein Ingenieur, der ein Leben lang gearbeitet habe, keine Immobilie leisten. Sie habe ein "Gefühl der Ohnmacht" festgestellt und "als sehr zutreffend empfunden".
Das zeige sich auch bei der Besetzung der Elitepositionen, die im gesamten Osten stark von Westdeutschen dominiert würden: "Das ist ja nichts Eingebildetes, sondern das ist ja das, was die Menschen erleben. Das heißt, dass sie sich anstrengen, dass sie sich mühen, und dass sie dann trotzdem an eine gläserne Decke stoßen. Das ist so, als würde man auch den Frauen das Jammern vorwerfen, dass sie es nicht geschafft haben."

Verlässliche Standards in ganz Deutschland

Dass die Bundesregierung nun eine Kommission "Gleichwertige Lebensverhältnisse" eingesetzt hat, empfindet die Journalistin als einen richtigen und notwendigen Schritt. Die Lebensverhältnisse in ganz Deutschland würden auseinanderklaffen: zwischen Stadt und Land, zwischen ärmeren und reichen Bundesländern und zwischen Stadtvierteln. Es müssten laut Friedrichs überall "verlässliche Standards" gelten. (bth)

Das gesamte Gespräch mit Julia Friedrichs hören Sie hier:
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