Julia Shaw: „Bi. Vielfältige Liebe entdecken“

Über die Lücke in der sexuellen Befreiung

05:36 Minuten
Das Cover des Sachbuchs  von Julia Shaw, "Bi. Vielfältige Liebe entdecken". Autorenname und Titel stehen auf einem farbenfrohen Hintergrund, in dem blaue und pinke Farben und Mischtöne aus diesen beiden Farben zu sehen sind.
© Hanser

Julia Shaw

Übersetzt von Sabine Reinhardus

Bi. Vielfältige Liebe entdeckenHanser , München 2022

304 Seiten

25,00 Euro

Von Susanne Billig |
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„Ein bisschen bi schadet nie“, sagt das Sprichwort. Stimmt das? Oder erleben bisexuelle Menschen nach wie vor massive Diskriminierung? Die Psychologin und Expertin für Queer History Julia Shaw geht dieser und weiteren Frage rund um diese sexuelle Identität nach.
Bisexuell, plurisexuell, omni-, poly- und pansexuell. Genderfluide. Polyqueer und polyamor. Sexuelle und Genderidentitäten werden mittlerweile offener diskutiert und ausgelebt.*
Die vielen aussagekräftigen Studien, die es dazu inzwischen gibt, lassen sich in dem neuen Buch von Julia Shaw nachlesen: „Bi. Vielfältige Liebe entdecken“. Sollte man sich als Leserin und Leser bei dem Erstaunen ertappen, wie seriös und zahlengesättigt es in diesem Buch zugeht, befindet man sich bereits mitten im Thema. Ja, der Bisexualität haftet etwas Oberflächliches an. Warum das handfeste Diskriminierung ist, zeigt dieses Buch.

Riesige Bandbreite sexuellen Verhaltens

Nach einem ausführlichen historischen Blick in die Sexualwissenschaften geht die Autorin zu evolutionsbiologischen Perspektiven über. Die meisten Tiere legen eine riesige Bandbreite sexuellen Verhaltens an den Tag, die mit gängigen Kategorisierungen nichts zu tun haben. Fließend, oft ungezielt und erotisch überschießend geht es in der Tierwelt zu.
Menschen hingegen quälen sich mit gesellschaftlichen Tabus. Für Bisexuelle bedeutet das spezifische Formen der Diskriminierung. Sie gelten in der schwul-lesbischen Szene als potenzielle Verräterinnen und Verräter. Lesbische Frauen empfinden es nicht selten als Bedrohung, möglicherweise eines Tages mit einem Mann – und der geballten gesellschaftlichen Macht in seinem Rücken – um eine Geliebte konkurrieren zu sollen.
Schwule Männer pflegen in internen Kreisen gerne mal eine Macho-Attitüde. Die Bereitschaft, sich auch einer Frau innig zuzuwenden, passt dazu wenig.

Während der AIDS-Epidemie stigmatisiert

Aber auch der heterosexuelle Mainstream wendet sich tendenziell feindlich gegen Bisexuelle. Eindringlich beschreibt Julia Shaw, wie bisexuelle Männer jahrelang als Treiber der AIDS-Epidemie stigmatisiert wurden. Außerdem werden Bisexuelle häufig verdächtigt, sexuell haltlos und bindungsunfähig zu sein.
Ein ganzes Kapitel widmet Julia Shaw Gewalterfahrungen. Tatsächlich wird keine andere Gruppe so häufig Opfer häuslicher Gewalt wie bisexuelle Frauen, die der geballten Eifersucht herrschsüchtiger Partner ausgesetzt sind.
Erfreulicherweise bleibt das Buch nicht bei der Anklage stehen. Studien belegen auch, dass bisexuelle Menschen sich in der Regel freier als andere fühlen und viel Glück aus dem Gefühl ziehen, lieben zu können, ohne sich von Geschlecht oder Gender einschränken zu lassen.

Shaw verwebt Expertise mit persönlicher Erfahrung

Julia Shaw bringt ihre ganze Expertise als promovierte Psychologin und Expertin für Queer History ein, ergänzt durch anschauliche persönliche Erfahrungen. Sich erotisch nicht auf das Geschlecht anderer festzulegen, sondern von individuellen Eigenschaften verführen zu lassen, scheint in der Sexualität so nahe zu liegen.
Es ist ein großes Verdienst des Buches, überzeugend zu zeigen, dass ausgerechnet hier noch immer eine riesige Lücke in der Debatte um die sexuelle Befreiung klafft.
*Eingekürzt und eine inhaltliche Korrektur vorgenommen.

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