Julia von Heinz über "Und morgen die ganze Welt"

Sich nur mit Nazis zu kloppen, reicht nicht

07:13 Minuten
Eine junge Frau wird von mehreren vermummten Polizisten bedrängt und festgehalten. Sie hat ein ernstes Gesicht.
Luisa (Mala Emde) schließt sich der Antifa-Bewegung an und kommt auch mit der Staatsmacht in Konflikt. © picture alliance/dpa/Venice Film Festival/AP Photo/Oliver Wolff
Moderation: Susanne Burg |
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Ihre persönlichen Erfahrungen in der Antifa-Bewegung hat Regisseurin Julia von Heinz im Film "Und morgen die ganze Welt" verarbeitet. Doch ihr gehe es auch darum, Menschen zu fragen, warum sie sich nicht engagieren.
Patrick Wellinski: Luisa studiert Jura im ersten Semester. Als wir sie im Spielfilm "Und morgen die ganze Welt" kennenlernen, zieht sie in ein besetztes Haus ein und wird Mitglied der Antifa. Dort macht sie bei Aktionen gegen rechtspopulistische Parteien mit. Sie verliebt sich in Alfa, der immer extremere Aktionen plant, bis die beiden meinen, eine Nazi-Terror-Zelle aufgedeckt zu haben, die Verbindungen bis in den Polizeiapparat hat.
Soweit der Inhalt von Julia von Heinz' neusten Spielfilm, der im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele in Venedig seine Weltpremiere feierte. Der Film basiert auf Ihren eigenen Erfahrungen in der Antifa. Was wollten sie durch diesen Zugang einem großen Publikum vermitteln?
Julia von Heinz: Film muss in allererster Linie spannend und unterhaltsam sein. Dafür taugt mein Leben nicht. Das heißt, wir haben lange an einem Drehbuch geschrieben, das den Zuschauer mit reinzieht und Spannung erwarten lässt. Ich habe sehr viel Persönliches in die Figur reingebracht, was ihre Gefühle, ihre Beziehungen und Motivationen betrifft. Aber die Dinge um sie herum haben wir uns im Laufe der Zeit als Autoren ausgedacht.
Wellinski: Das Spannende ist, dass wir mit Luisa in den Film reingeworfen werden. Sie möchte in diesem besetzten Haus wohnen und zur Antifa gehen. Wir lernen eine politisierte Person kennen. Was hat sie politisiert?
von Heinz: Ich würde die Frage gern an jeden zurückgeben, der mir diese Frage stellt: Was ist die Motivation, sich nicht gegen Nazis zu engagieren? Ich wollte lieber von jedem die Motivation hören, anstatt zu fragen, warum machst du etwas.

Schuldgefühle wegen der Herkunft

Wellinski: Es wirkt so, dass der Film das selber hinterfragt. Beispielsweise die schönen Szenen, wenn sie zurück zu ihrer Familie geht. Das ist eine Familie, die jagt und Geld hat, aber nicht so autoritär wirkt, sondern liebevoll ist. Man hat das Gefühl, das ist das Kontrastprogramm zum Leben in der Kommune.
von Heinz: Aber ein Teil ihrer Motivation ist sicherlich dort zu finden. Ich glaube, dass dieses Privilegierte, ihr Schuldgefühle gibt. Sie fühlt sich zunehmend schuldig. Im Grunde sagt man ihr, dich kann man mit deiner Herkunft gar nicht ernst nehmen. Das gibt ihr noch mehr das Gefühl, sie muss allen beweisen, wie ernst sie es meint.
Wellinski: Gibt es also einen Rechtfertigungsdruck, dass sie mitmachen will für die eine gute Sache?
von Heinz: Das wird eine von vielen ihrer Motivationen sein. Sie liest die Nachrichten, sie sieht, was geschieht - auch das ist eine Motivation.
Ich habe das Gefühl, sie ist bei sich zu Hause einsam. Hier findet sie plötzlich das sprudelnde Leben und einen Familienersatz. Wir merken, dass sie sich ein bisschen in einen Typ verknallt.
Ich finde Filme zu einfach, die mir sagen, das ist die Motivation: Mein Großvater war Nazi, jetzt muss ich was dagegen machen. Viele Fernsehfilme haben diese einfache Psychologie. Wenn ich die Möglichkeit des Kinos habe, wo die Menschen sich zurücklehnen und nicht nebenher bügeln, erlaube ich mir, in allen Zwischentönen zu erzählen, woher eine solche Motivation kommt.

Machtvakuum des Staates

Wellinski: Luisa ist Jurastudentin, was gar nicht so unwichtig ist. Denn in der Uni lernt sie die Theorien des Grundgesetzes und die Frage, was man machen darf und was nicht. Plötzlich beginnt sie aber an ihrem politischen Leben, an gewissen Dingen zu zweifeln. Woran zweifelt sie?
von Heinz: Sie spürt zunehmend, dass es ein Machtvakuum gibt, das der Staat füllen sollte. Wir haben in unserem Grundgesetz ein Gewaltmonopol festgeschrieben, das hoffentlich und bitte sehr - da stehe ich zu 100 Prozent dahinter - bei der Polizei, Bundeswehr und so weiter liegt. Plötzlich spürt sie, es gibt Verbindungen von Polizei, Bundeswehr und Verfassungsschutz in rechtsradikale Netzwerk. Dieses Machtvakuum meint sie plötzlich zu füllen.
Ich finde, wir müssen wahnsinnig aufpassen, dass das in Deutschland nicht noch stärker Realität wird. Vor drei Wochen hat der "Spiegel" minutiös Hunderte von Fällen aufgeschlüsselt, wo rechtsradikale Netzwerke in die staatlichen Organe reichen. Das ist eine unerträgliche Situation.
Wellinski: Das Spannende ist die Figur Dietmar. Er steht ein bisschen für den alten Widerstand, für die alte Linke. Vor allem die Dialoge zwischen den jungen Aktivisten und Dietmar werfen ein anderes Weltbild auf. Er sagt, von mir aus könnt ihr jeden Tag einen neuen Nazi niederprügeln, irgendwann kommt der nächste wieder raus. Belächelt er die Jugend? Was für ein Konflikt wird da aufgemacht? Ich hatte das Gefühl, dass Dietmar lieber über das große Ganze sprechen würde, über den Kampf schlechthin, und er sieht die Jungen, die sich auf kleine Aktionen fokussieren.
von Heinz: Er steht für das, was ich bis in die 90er erlebt habe: Das große Ganze zu sehen, den Kapitalismus als Ursprung des Übels, aus dem die Einzelkämpfe heraus entstehen. Es war immer der große Unterschied, bin ich revolutionär oder bin ich nur reformistisch. Das wurde einander vorgeworfen.
Das ist auch der Konflikt, der hier erzählt wird. Dietmar sagt, wenn ihr Nazis verprügelt, ist es, wie wenn ihr von einem maroden Haus die Fassade immer wieder weiß streicht. Wir sind natürlich stark in die heutige linke Szene gegangen, um unsere eigenen Erfahrungen noch mal zu aktualisieren.
Es gibt viele Einzelkämpfer: die Klimabewegung, die Tierrechtsbewegung, eine starke feministische Transgender-Diskussion. Es zersplittert sich aber auch.
Was im Moment sicherlich fehlt, ist, dass man sich wieder stärker zusammenfindet; im Sinne von, wo ist der Ursprung all dieser einzelnen Übel. Am Ende liegen sie doch in unserem Wirtschaftssystem.

Andere Lebensplanung

Wellinski: Ich finde es spannend, wie Sie in Ihrem Film auch die gruppendynamischen Prozesse darstellen. Es heißt, wir wollen nur die Autos kaputtmachen, dann heißt es, es muss mehr sein. Wie wichtig ist in einer Gruppe eine Anführerfigur?
von Heinz: Ich hoffe, dass ich dieser Figur gerecht werde, indem ich ihn von allen Seiten auch zeige. Alfa heißt nicht umsonst so. Das ist ein kleiner Seitenhieb auf hierarchische Strukturen innerhalb der Antifa und linker Gruppen. Wir brauchen diese Energie in den Gruppen. Gleichzeitig merken wir aber, wie er uns wegbröckelt, wie er zu Luisa später sagt: Bitte, sieh mich nicht als der Superheld, der du meinst, der ich bin, das bin ich nicht.
Als die Repression kommt, will er sich sein Leben nicht versauen. Er sieht sich nicht auf alle Zeit in dieser Gruppe. Er hat ganz andere Pläne und sein Vater hat für ihn auch andere Pläne. In ihm spiegelt sich diese privilegierte Situation von vielen linken Aktivisten wider.
Wellinski: Sie ziehen in den Politthriller noch eine Liebesdreiecksbeziehung ein. Welche Funktion hat dieses Liebesdreieck. Das sind junge Menschen, da gehts auch darum, dass man sich verliebt. Die Gefühle spielen noch eine viel stärkere Rolle als beispielsweise bei Dietmar.
von Heinz: Liebe, Beziehungen und Erotik sind – auch für mich – ein starker Aspekt in der linken Szene. Das spielt alles immer mit rein. Wenn wir so tun, als wären wir nur politische Menschen und nur Kopfmenschen, stimmt das doch nicht. Wir begegnen uns alle miteinander immer auch auf einer anderen Ebene.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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