Julie Blanc-Gras: "Das Eis brechen. Meine Reise in die Arktis"
Aus dem Französischen von Annika Klapper
Mare, Hamburg 2020
160 Seiten, 18 Euro
Eine fragile Eis-Zauber-Landschaft
06:23 Minuten
Der Journalist Julien Blanc-Gras befuhr die Diskobucht in Grönland. Sein Reisebericht "Das Eis brechen“ schwelgt in der Schönheit der nordischen Landschaften, wirft aber auch einen kritischen Blick auf die Zukunft der Inuit-Kultur.
Es ist eine faszinierende Welt, der sich Julien Blanc-Gras aussetzt: Jeden Morgen erwacht er in einem Traum von Eis. Eisberge, mitunter bläulich schimmernd, dann wieder fast weiß oder gar steinig-staubig grau, mal weit entfernt, mal bedrohlich nah begleiten die Segelexpedition auf ihrem Weg nach Norden. Die Diskobucht ist die Region der Eisberge: Hier liegt der Ilulissat-Eisfjord, in den der ständig kalbende Sermeq Kujalleq Gletscher mündet.
Magische Unberührtheit trifft eisigen Überlebenskampf
Eindringlich beschreibt Julien Gras-Blanc den Zauber der Landschaft, die Stille und die Kälte, Gefühle von Schönheit, von Einsamkeit, Magie und Unberührtheit. Seine Wahrnehmung wird täglich schärfer. In der Eiswüste beginnt er die Farbe einer Flechte zu schätzen, die Schattierungen der Felsen, die Blütenblätter einer Weidenrose oder das zarte Grün des Mooses.
Er erlebt den Alltag der Robbenjäger – ein hartes, oft blutiges und nicht immer erfolgreiches Geschäft und schildert nachvollziehbar, wie die eisige, oft lebensfeindliche Umgebung und die Einsamkeit ihn und seine drei Mitreisenden an Bord der Jacht zusammenschweißt: Die zwei bretonischen Skipper, den Maler und den Schriftsteller verbindet bald eine Freundschaft, die ohne viel Worte auskommt, aber mit dem starken Gefühl, sich aufeinander verlassen zu können. Was in dieser Gegend auch notwendig ist.
Gewalt und Alkohol gehören zum Alltag
So zauberhaft die Landschaft, so depressiv wirken die Orte. Egal ob bunte kleine Häuser oder gesichtslose Betonklötze, das Leben scheint in beiden oft trostlos: Alkoholismus, hohe Selbstmordraten und häusliche Gewalt gehören zum Alltag.
Zwar könnte die wirtschaftliche Lage besser sein – Grönland wird von Dänemark subventioniert – man müsste dafür auf den verstärkten Abbau von Bodenschätzen setzen. Was große Probleme, nicht nur für die Umwelt, mit sich bringt: So plant der Bergbaukonzern "London Mining" zwar ein Eisenbergwerk mit 3000 Beschäftigen, die sollen aber überwiegend aus China kommen. Das brächte zwar Geld, würde die Insel aber demografisch und kulturell komplett verändern.
Die Reportage lebt von detaillierten Beobachtungen
Julien Gras-Blanc verbindet in seiner klassischen Reportage geschickt Natur- und Kulturbetrachtung, Politik und Wirtschaft und schafft so ein Gesamtbild Grönlands. Er ist ein guter Beobachter mit Blick für Details, mitunter leider aber auch mit der Tendenz, Personen auch bloßzustellen – da sein Blick zu sehr auf Absonderlichkeiten fixiert ist.
Doch seine Begeisterung für die fragile Landschaft ist ansteckend, und er nähert sich ehrlich und nachdenklich der wichtigsten Frage, die sich den Inuit stellt: Wie kann die eigene Kultur bewahrt werden, ohne auf die Errungenschaften der Moderne zu verzichten? Schneemobil oder Schlittenhund? Wo ist die Moderne hilfreich, wo raubt sie die eigene Identität? Und was geht nicht zuletzt auch durch den Klimawandel verloren?