Julie Smith: „Aufstehen oder liegen bleiben?“
© Rowohlt Verlag
Wege aus der Leidensfalle
06:25 Minuten
Julie Smith
Übersetzt von Kirsten Riesselmann
Aufstehen oder liegen bleiben?Rowohlt Verlag, Hamburg 2022368 Seiten
17,00 Euro
Sich einsam und ausgebrannt die Decke über den Kopf ziehen? Oder aufstehen und mit hilfreichen psychologischen Techniken experimentieren? Die britische Psychologin Julie Smith macht Mut.
„Aufstehen oder liegen bleiben? Tools für deine mentale Gesundheit“ – einen treffenderen Titel hätte der deutsche Verlag für das neue Buch von Julie Smith nicht finden können, denn genau das möchte es leisten: Hilfe zur Selbsthilfe.
Die britische Psychologin, der auf den Social Media Millionen von Menschen folgen, geht das Thema wohltuend vielschichtig an. In den Anfangskapiteln legt sie dar, was Stimmungstiefs kennzeichnet und wie sich persönliche Stimmungsfallen erkennen lassen. Anschließend befasst sie sich mit der wichtigen Frage, woher die Motivation kommen kann, überhaupt etwas an der eigenen Lage zu verändern. In den weiteren Kapiteln geht Julie Smith wichtige Teilbereiche des emotionalen Erlebens systematisch durch – Schmerz, Trauer, Selbstzweifel, Ängste, Stress, aber auch Verbundenheit mit anderen und mit übergeordneten, sinnstiftenden Zielen.
Tagebuchschreiben hilft
Einigen Seiten gut lesbarer Hintergrundinformationen, zurückhaltend angereichert mit Verweisen auf die aktuelle Studienlage, lässt Julie Smith jeweils ihre Toolkits folgen: Was lässt sich konkret tun? Um die Motivation aufrecht zu erhalten ist es zum Beispiel wichtig, auf ausreichend Schlaf zu achten und sich körperlich genug zu bewegen, möglichst im Freien, denn Sonnenlicht hat eine stimmungsaufhellende Wirkung.
Wer dennoch nachts wach liegt, kann ein Sorgentagebuch neben das Bett legen, sich Belastendes von der Seele schreiben – und sollte vor allem das Buch auch wieder zuklappen. In jedem Kapitel wechseln bekanntere Ratschläge mit ausgefeilten Hinweisen zur Selbsterforschung ab. Vor allem das Tagebuchschreiben entlang kluger Fragen, die sie im Buch reichlich auflistet, empfiehlt Julie Smith sehr.
Vermeidungsverhalten zementiert neurotische Ängste
Hier und da mag man anderer Meinung sein, etwa beim Thema Therapien gegen Angst. Ganz richtig macht die Autorin darauf aufmerksam, dass Vermeidungsverhalten neurotische Ängste nur zementiert, wer also nicht Aufzug fahren kann und fortwährend Treppen hochsteigt, wird sein Leben lang Angst vor dem Aufzugfahren haben.
Die Autorin beschreibt es für sich selbst am Beispiel ihrer Höhenangst: Sie hätte, so sagt sie, auf den schiefen Turm von Pisa hinaufsteigen und sich von der Angstwelle überfluten lassen sollen, um ihre Höhenangst loszuwerden. Doch Überflutungstherapien müssen nicht sein. Zu solchem Horror gibt es geschicktere Alternativen, mit denen Angsterkrankte sich langsam, aber systematisch ihr altes Leben zurückerobern können.
Eigenständiges Arbeiten ist gefragt
Unter dem Strich sind die zahllosen Vorschläge der Autorin überaus durchdacht und solide, brauchen aber auch Leserinnen und Leser, die mit einem solchen Buch eigenständig umzugehen wissen. Die Ratschläge eines einzigen Kapitels umzusetzen, kann bereits viele Monate dauern.
Wer einfach nur quer liest, wird sich aber zumindest von der Ermutigungskraft der Autorin anstecken lassen und lernen können: Ja, es gibt ein Füllhorn wirksamer Methoden, um die psychische Gesundheit wieder ins Lot zu bringen. Bis zur nächsten Erschütterung – denn die, so betont die Autorin realistisch, kommt bestimmt.