Julio Cortázar: „Unerwartete Nachrichten“

Real-fantastische Texte eines Großen der Literatur

06:48 Minuten
Das Buchcover "Unerwartete Nachrichten" von Julio Cortázar
© Berenberg Verlag

Julio Cortázar

Übersetzt von Christian Hansen

Unerwartete NachrichtenBerenberg, Berlin 2022

260 Seiten

25,00 Euro

Von Carsten Hueck · 28.05.2022
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Seine Sprache springt, tanzt, fliegt: Julio Cortázar gilt als Erneuerer der lateinamerikanischen Literatur. Nun erscheint eine Auswahl bisher unbekannter Texte des Autors auf Deutsch.
Er galt als einer der Großen der Literatur – in Lateinamerika wie auch in seiner europäischen Wahlheimat Paris: Julio Cortázar. Geboren während des Ersten Weltkrieges im besetzten Brüssel, gelangte er als Vierjähriger erst mit seinen argentinischen Eltern nach Buenos Aires – in die Stadt, die er lebenslang als Freundin ansah, die er aber 1951 aus politischen Gründen verließ.
Fortan lebte er in Paris, arbeitete als literarischer Übersetzer und für die Unesco, wurde französischer Staatsbürger und schrieb Anfang der 1960er-Jahre sein Hauptwerk „Rayuela“. Der Roman über die Gedankenwelt eines flanierenden Intellektuellen machte ihn zum Starautor.

Briefe, Skizzen und Artikel

Carlos Fuentes nannte Cortázar den „Bolívar des lateinamerikanischen Romans“. Octavio Paz behauptete, Cortázars Prosa brächte die Sprache zum Springen, Tanzen und Fliegen.
Einen herrlichen Eindruck davon – selbst in der Übersetzung – vermittelt nun die Anthologie „Unerwartete Nachrichten“. Herausgegeben von Michi Strausfeld, verdienstreiche Kennerin lateinamerikanischer Literatur, vereint der Band eine Auswahl von Briefen, Skizzen, Artikeln, Capriccios und nachgelassenen Erzählungen des 1984 verstorbenen Autors. Die meisten dieser Texte waren verstreut, tauchten erst viele Jahre nach seinem Tod auf.
Hier nun sind sie erstmals ins Deutsche übersetzt und bieten eine hervorragende Möglichkeit, sich des Autors zu erinnern oder ihn kennenzulernen. Der Boom lateinamerikanischer Literatur ist vorüber, aber Cortázars Texte zu lesen ist eine helle Freude, sie bestehen jenseits von Moden und Zeitläufen.

Poetische Welten offenbaren sich

„Der innere Kern eines Menschen ist der Gebrauch, den er von seiner Freiheit macht… ich verzichte auf eine ästhetische Welt, um Zugang zu einer poetischen zu finden“, schreibt Cortázar in einem Brief aus der Entstehungszeit von „Rayuela“. Poetische Welten offenbaren sich verführerisch in den Texten dieses Bandes.
Und so ist von Patres zu lesen, die im Urwald mittels einer auf einem Lastwagen installierten Pumpe ein Gotteshaus aufblasen, um darin Gesänge anzustimmen, die den Indios vorkommen „wie das Blöken ihrer Ziegen, wenn der Puma um sie herumstreicht.“ Oder von den Cronopien, jenen von Cortázar erfundenen nassgrünen Fabelwesen, aufsässigen Nonkonformisten, die sein Gesamtwerk durchziehen, anarchistisch jegliches Zweckdenken aushebeln und Pommes nur in Portionen von sieben, 32 oder 98 Stück servieren.
Eine andere Geschichte wiederum ist dem „Husten einer deutschen Dame“ gewidmet, oder einem tropischen Vögelchen, das sich vor einem Autospiegel ins eigene Ebenbild verliebt.

Real und fantastisch zugleich

Cortázars Geschichten sind real und fantastisch zugleich, erzeugen immer neue Assoziationen, spielen heiter und ironisch mit dem Leser, sich selbst und dem Autor.
Die Erinnerung an das Hören mit Kopfhörern führt über Cortázars stupende Musik- und Literaturkenntnisse zu Orpheus und Rilke und der Poetik des Autors, der eben musikalisch schreibt: Als Kenner der klassischen Werke, des Tangos und des Jazz verbindet er spielerisch und souverän Pathos, Ernst und Bildung mit Begeisterung und Improvisationslust.
Eine lebenslustige, anspruchsvolle und stimulierende Lektüre.

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