Junge Frauen - rau und unverstellt

"Girls" ist die konsequente Fortsetzung "Sex and the City", nur eben zehn Jahre später. Vor eineinhalb Jahren hatten "Girls", vier junge Frauen aus Brooklyn, Mitte Zwanzig, Premiere beim Pay-TV-Sender "HBO" - jetzt kommt die erste Staffel auf DVD.
Wir werden dich nicht weiter unterstützen, Hannah. / So würde ich das nicht ausdrücken…so wie Du, Laurine! / Aber ich habe keinen Job! / Nein, aber Du hast ein Praktikum, von dem Du sagst, es wird ein Job. / Ich weiß nicht, wann. / Du hast vor zwei Jahren die Uni abgeschlossen, und ebenso lang unterstützen wir Dich jetzt, das ist genug. / Die Wirtschaft ist in der Krise, meine Freunde bekommen alle Hilfe von ihren Eltern.
Gleich in der ersten Szene der Serie verändert sich fast alles für die 24-Jährige Hannah Horvath: Ihre Eltern streichen ihr die finanzielle Unterstützung – von nun an muss sie auf eigenen Beinen stehen. Und das im teuren New York – mitten in der Finanzkrise!

Hannah, gespielt von Lena Dunham, die die Serie erfand, schrieb und in einigen Folgen auch Regie führte, ist eine pummlige, tätowierte Frau Mitte Zwanzig , bestens ausgebildet, Ex-Literaturstudentin, mit scharfem Witz, einem engen Freundeskreis von drei schwierigen bis durchgeknallten Freundinnen – und einem unbedingten Überlebenswillen – trotz aller widrigen Umstände.

Ich will Euch morgen nicht sehen! / Was? Aber wir fliegen am Dienstag! / Ich muss arbeiten, abends gehe ich mit jemandem Essen und dann bin ich noch damit beschäftigt, zu werden, wer ich bin.

Immer wieder haben sowohl amerikanische, als auch deutsche Kritiker die Serie mit "Sex and the City" verglichen, jenem Glamour-Abziehbild von New York der Jahrtausendwende, deren Charaktere Jobs mit einem Monatseinkommen von 10.000 Dollar haben – mindestens. Das ist in "Girls" völlig anders. Zwar sehen Hannahs drei Freundinnen ebenfalls ziemlich gut aus, sie selbst schrammt jedoch stets zielsicher an jedem Modetrend vorbei, und betont ihre Pummeligkeit eher noch, anstatt sie zu verdecken. Von daher ist die Grundstimmung von "Girls" eine völlig andere.

Man wohnt in sperrig-heruntergekommenen Wohnungen, die man sich teilt mit Lebenspartnern oder schwulen Freunden. Das Geld ist knapp – reicht aber immer noch für ein Bier, eine Party oder einen Snack in einer Bar. Die "Generation Praktikum" hangelt sich von einem Aushilfsjob zur nächsten vielversprechenden, aber unbezahlten Stelle. Zu allem Überfluss verliert Hannah gleich in der ersten Folge auch noch ungewollt ihren Praktikumsplatz:

Hallo! / Worum geht’s? / Naja, Du weißt: Ich arbeite schon über ein Jahr hier. / Ach wirklich, so lange? Du bist ein unschätzbarer Teil unseres Unternehmens. / Wie ich vor kurzem gelernt habe, ist das Gegenteil von gar nicht geschätzt sehr geschätzt. Und ich muss dir sagen, dass ich nicht mehr umsonst arbeiten kann, dass sich meine finanzielle Situation verändert hat. / Oh Hanna, es tut mir wirklich leid, dich zu verlieren, ich wollte dich gerade mit unserer Twitter-Präsenz vertrauen, dafür wärst du genau die Richtige. / Also, wenn Du glaubst, dass Du von uns nichts mehr lernen kannst, dann / Nein, so ist es nicht, nur muss ich auch was essen.

"Wenn Du hungrig genug bist, wird dir was einfallen", sagt ihr Chef und setzt sie auf die Straße. Das ist gewissermaßen das Leitmotiv: Hannah und ihre Freundinnen sind hungrig nach Leben, nach neuen Erfahrungen, nach Umbrüchen - nach positiven, versteht sich. Doch fast immer läuft es nicht so, wie die Vier sich das vorstellen. Um nochmal den Vergleich mit "Sex and the City" zu bemühen – der Sex in "Girls" ist nicht romantisch-verklärt wie damals – tolle Körper haben großartigen Sex - sondern es geht rau und unverstellt zu, mit all den Unzulänglichkeiten des richtigen Lebens: Da haben eben auch schon mal unperfekte Körper unperfekten Sex:

Ich will mich umdrehen! / Aber Du hasst doch "doggy style" / Ich hasse es nicht, ich hasse es nur nicht immer! / Du hast gesagt, Du fühlst dich da wie ein Sparschwein. / Nein, ich habe gesagt, ich sehe aus wie ein Sparschwein. / Okay!

Wie sehr die vier jungen Frauen auf der Suche nach ihrem Platz im Leben sind, nach dem richtigen Partner, nach dem Sinn des Daseins – dieses Motiv findet sich in fast jeder Szene der Serie. Da erinnert "Girls" schon fast an den vielzitierten Adorno-Satz: "Es gibt kein richtiges Leben im falschen" – doch welches ist das Richtige, welches das Falsche?

Als Jemma, eines der Girls, eine Abtreibung vornehmen lassen muss, hat Marnie, die Mitbewohnerin von Hannah, dafür gar kein Verständnis – und erzählt ihr von ihrem Lebenstraum:

Ich muss Mutter werden Hannah, ich bin nur dazu auf diesem Planeten. / Vielleicht hat Charlie zu wenig Spermien? / Ganz sicher hat Charlie zu wenig Spermien, oder ich bin…./ Du bist nicht unfruchtbar!

Die Serie schwankt in ihrem Frauenbild irgendwo zwischen Doris-Day-haftem Klischee der 50er bis hin zur modernen aufgeklärten und unabhängigen Frau von heute. Genau dieses Spannungsfeld macht den Witz der Serie aus. Wenn es um Liebe geht, ist eben längst nicht jede Entscheidung rational und vernünftig, das wusste schon Woody Allen zu berichten. Hannah macht jedenfalls kurzzeitig Schluss mit ihrem Freund Adam, einem durchtrainierten Teilzeit-Schauspieler und Handwerker, der spleenige Hobbys hat, leicht autistisch ist und auch sonst wenig gesellschaftsfähig. Dafür aber ist er ein guter Liebhaber:

Und ich, ich habe auch nicht das Gefühl, dass du mir zuhörst / Also, deshalb war‘s das für mich…sorry, dass ich das nicht früher erkannt habe, wahrscheinlich hältst du mich jetzt für noch blöder, als sowieso schon, aber sieh das als Beweis für deinen Charme, denn vielleicht weißt du das nicht, denn Du bist sehr, sehr charmant… Und ich mag dich auch wirklich…nur ich will das so nicht mehr, weil es sich beschissen für mich anfühlt!

Am Ende der ersten Staffel, so viel sei verraten, ist alles offen – und doch, es geht natürlich weiter im Leben - und in der Serie. In den USA wird derzeit gerade die dritte Staffel produziert. Wer also "Sex and the City" mochte, wird sicher auch diese Serie mögen – auch wenn am Ende einer jeden Folge nicht, wie damals, das jeweilige Oberthema der Folge zusammengefasst wird. Die Fragen werden nicht von einer Erzählerin aufgelöst, sondern bleiben unbeantwortet.

Das ist vielleicht der größte Unterschied zwischen den beiden Serien: "Sex and the City" war voll und ganz zu Hause im Manhattan der Upper Class – Hannah und ihre Freundinnen kämpfen sich dagegen in Brooklyn durch – und New York wirkt auf Hannah schon mal wie "eine Stadt, die uns alle nicht haben will", wie sie selbst einmal sagt.

Obdachloser: Hey, warum lächelst du nicht? Hast Du Herzschmerz, Süße, wenn ich dich sehe, möchte ich sagen: Hallo….New York!

Besprochen von Michael Meyer

Girls
Erste Staffel, erschienen bei Warner Home Video,
28 Euro als DVD, 35 Euro für die Blu-Ray-Version