Lost in Casablanca
Köln ist seit der Silvesternacht vor einem Jahr Synonym für sexuelle Belästigung und Übergriffe auf Frauen. Einige der damals Festgenommenen stammen aus Casablanca. Die Metropole in Marokko ist eigentlich eine reiche Stadt, doch das kommt nur wenigen zugute.
Freitag, kurz nach 19 Uhr. Im Kulturzentrum von Sidi Moumen lernen Hunderte Kinder und Jugendliche Mathe, Physik, Englisch, Gesang – obwohl sie schon einen ganzen Schultag hinter sich haben.
Wären sie nicht hier, würden sie wohl auf der Straße rumhängen, denn viel gibt es nicht zu tun in Sidi Moumen, einem Moloch am Rande Casablancas.
Viele hier träumen von Deutschland, erzählt Boubker Mazoz, der Gründer des Zentrums. Doch in Deutschland sind Marokkaner seit der Kölner Silvesternacht nicht mehr willkommen, weiß er. Viele derjenigen, die vor einem Jahr am Hauptbahnhof waren, kamen aus Casablanca.
Wären sie nicht hier, würden sie wohl auf der Straße rumhängen, denn viel gibt es nicht zu tun in Sidi Moumen, einem Moloch am Rande Casablancas.
Viele hier träumen von Deutschland, erzählt Boubker Mazoz, der Gründer des Zentrums. Doch in Deutschland sind Marokkaner seit der Kölner Silvesternacht nicht mehr willkommen, weiß er. Viele derjenigen, die vor einem Jahr am Hauptbahnhof waren, kamen aus Casablanca.
"Sie haben sich geärgert über diese Leute"
"Die Reaktion der Menschen hier? Sie haben sich einfach nur geschämt für das, was passiert ist. Sie haben sich geärgert über diese Leute. Einige der jungen Menschen hier haben ihren Plan, nach Europa zu gehen, verworfen. Denn sie haben sich gesagt: 'Nein, wenn ich die schlechten Menschen, die ich hinter mir lassen will, dort wiedertreffe, dann bleibe ich lieber hier.'"
Trotzdem habe es im Herbst 2015 einen regelrechten Exodus in Sidi Moumen gegeben, erzählt Mazoz. Die Jungs hätten die Bilder der offenen Grenzen gesehen und sich auf den Weg gemacht – mit einer Strategie.
"Zuerst lernen sie den syrischen Dialekt und viel über das Land. Wir hatten zu der Zeit einen Witz: Wenn die Jungs von der türkischen Polizei verhaftet werden, werden sie gefragt, woher kommst du? – Aus Marokko. – Und was machst du hier? – Ich bin syrischer Flüchtling."
Der Weg nach Europa ist oft die einzige Chance für die Jugendlichen in Sidi Moumen. Eigentlich angelegt als Müllkippe leben heute geschätzt 500.000 Menschen hier. Die meisten in Sozialwohnungen, viele können sich noch nicht einmal das leisten. Sie hausen in Wellblechhütten ohne Strom und Wasser. Der Boden ist schlammig, Esel fressen schimmliges Brot, dazwischen spielen Kinder.
Ein Geschenk aus den USA
Hier hat Mazoz vor zehn Jahren sein Kulturzentrum eröffnet. Ein schlichter Bau mit zwei Etagen, die Räume sind bunt gestrichen, es gibt ein Computerzimmer und eine Bibliothek. Auf dem Hof steht ein ausrangierter gelber Schulbus. Ein Geschenk aus den USA. Mazoz begrüßt die beiden Jungs, die im Bus sitzen und mit ihren Handys spielen.
"Das ist Abdeslam. Er ist nach Deutschland gegangen. Er war ein syrischer Flüchtling (lacht)."
Abdeslam, der seinen Nachnamen nicht nennen will, schwört, dass er sich immer nur als Marokkaner ausgegeben hat.
"Nein, immer nur Marokkaner!"
Sein Abenteuer begann im November 2015. Er ist in die Türkei geflogen, von dort aus mit dem Boot nach Griechenland übergesetzt, den Rest ist er Zug gefahren oder gelaufen. Der 21-Jährige hat es immerhin bis nach Frankfurt geschafft.
"In Frankfurt habe ich gesagt, ich bin minderjährig. Wenn du minderjährig bist, dann kümmern sie sich um dich. Sie haben mich ins Hotel gebracht, haben mich gefragt, ob ich Klamotten haben will. Dann haben sie mir gegeben, was ich brauchte. Ganz ehrlich, sie haben sich sehr um mich gekümmert. Ich bin jeden Tag zur Schule gegangen."
Doch dann musste er in ein anderes Heim. Dort gefiel es ihm nicht, also ist er abgehauen, ist durch ganz Europa gereist. Überall sei er freundlich empfangen worden. Bis zur Silvesternacht.
"Als ich zurück in Deutschland war, ist die Polizei um vier Uhr morgens zu uns ins Heim gekommen. Ich hatte noch nie Handschellen um. Bis zu diesem Moment. Sie haben unsere Telefone durchsucht, Fingerabdrücke genommen, um zu checken, ob wir in Köln waren. Aber dann haben sie gesehen, dass ich Silvester in Brüssel verbracht habe."
Nun ist Abdeslam wieder zurück in Sidi Moumen, hängt wieder jeden Tag im Kulturzentrum ab. Trotz solcher Geschichten wollen nach wie vor viele nach Europa, sagt Mazoz:
"Weil sie die Hoffnung hier verloren haben. Viele bemühen sich jetzt sehr um eine Ausbildung hier, weil sie gehört haben, wie schwer es ist in Europa. Von denen, die zurückkommen und die Wahrheit erzählen. Und ich sage es immer wieder: Wenn du hier keinen Erfolg hast, wirst du nirgendwo Erfolg haben."
Abdeslam sagt, er sei zurückgekommen, weil seine Mutter schwer krank geworden sei. Eine elegante Ausrede. Klingt besser als "Ich hab’s nicht geschafft".
Abdeslam, der seinen Nachnamen nicht nennen will, schwört, dass er sich immer nur als Marokkaner ausgegeben hat.
"Nein, immer nur Marokkaner!"
Sein Abenteuer begann im November 2015. Er ist in die Türkei geflogen, von dort aus mit dem Boot nach Griechenland übergesetzt, den Rest ist er Zug gefahren oder gelaufen. Der 21-Jährige hat es immerhin bis nach Frankfurt geschafft.
"In Frankfurt habe ich gesagt, ich bin minderjährig. Wenn du minderjährig bist, dann kümmern sie sich um dich. Sie haben mich ins Hotel gebracht, haben mich gefragt, ob ich Klamotten haben will. Dann haben sie mir gegeben, was ich brauchte. Ganz ehrlich, sie haben sich sehr um mich gekümmert. Ich bin jeden Tag zur Schule gegangen."
Doch dann musste er in ein anderes Heim. Dort gefiel es ihm nicht, also ist er abgehauen, ist durch ganz Europa gereist. Überall sei er freundlich empfangen worden. Bis zur Silvesternacht.
"Als ich zurück in Deutschland war, ist die Polizei um vier Uhr morgens zu uns ins Heim gekommen. Ich hatte noch nie Handschellen um. Bis zu diesem Moment. Sie haben unsere Telefone durchsucht, Fingerabdrücke genommen, um zu checken, ob wir in Köln waren. Aber dann haben sie gesehen, dass ich Silvester in Brüssel verbracht habe."
Nun ist Abdeslam wieder zurück in Sidi Moumen, hängt wieder jeden Tag im Kulturzentrum ab. Trotz solcher Geschichten wollen nach wie vor viele nach Europa, sagt Mazoz:
"Weil sie die Hoffnung hier verloren haben. Viele bemühen sich jetzt sehr um eine Ausbildung hier, weil sie gehört haben, wie schwer es ist in Europa. Von denen, die zurückkommen und die Wahrheit erzählen. Und ich sage es immer wieder: Wenn du hier keinen Erfolg hast, wirst du nirgendwo Erfolg haben."
Abdeslam sagt, er sei zurückgekommen, weil seine Mutter schwer krank geworden sei. Eine elegante Ausrede. Klingt besser als "Ich hab’s nicht geschafft".