Junge Polen in Deutschland

Die Vermittlerrolle der neuen Generation

Deutsche und polnische Fahne auf dem Rasen
Der deutsch-polnische Austausch ist vielfältig - und bei Verstimmungen zwischen beiden Ländern besonders wichtig. © picture alliance / ZB / Patrick Pleul
Von Peter Sawicki |
Die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland sind historisch vorbelastet - und seit dem Wahlsieg der rechtskonservativen PiS-Partei besonders angespannt. Können junge Polen hierzulande eine Vermittlerrolle übernehmen?
"Nationalität?"
"Pole!"
"Und? Warum möchten Sie Anzeige erstatten?"
"Hat man mir geklaut mein Auto! Was ist los?!"
(lacht) "Entschuldigung! Es ist nur ... ein Pole, dem man das Auto geklaut hat ... Egal!"
Vor nicht allzu langer Zeit waren Polenwitze in Deutschland noch weit verbreitet. Und für TV-Sendungen wie die Sat.1-Produktion "Was guckst Du?!" Anfang der 2000er-Jahre ein Garant für hohe Einschaltquoten.
Die Leidtragenden konnten darüber selten lachen. Polnische Kinder, die in Deutschland aufwuchsen, sahen sich häufig als "fremd" abgestempelt. So empfand es Maria Kossak. In Warschau 1982 geboren, lebt sie seit ihrem dritten Lebensjahr in Berlin. Sie arbeitet als Malerin und Fotografin. Um keine Außenseiterin zu werden, versuchte sie ihre polnische Herkunft zu verschweigen.
"Ich bin zweisprachig aufgewachsen, und habe mich dann immer mehr distanziert zu dieser Herkunftskultur. Es war nicht schick, ein polnisches Mädchen zu sein – es war schicker, ein deutsches Mädchen zu sein! Man will ja nicht immer wieder erklären, was man hier eigentlich macht und ob man aus einer Familie kommt, die klaut. (lacht) Das ist ja irgendwie müßig."
Polnische Wurzeln neu entdeckt
Im jungen Erwachsenenalter jedoch habe sie ihre polnischen Wurzeln neu für sich entdeckt. Eine Reise ans andere Ende der Welt öffnete ihr die Augen. In Australien habe sie gemerkt, dass ihr zur Vollendung der eigenen Persönlichkeit etwas fehle.
"Ich habe mir dann auch ein anderes Selbstbewusstsein aufbauen können, weil ich gemerkt habe, dass die polnische Kultur ebenso reich ist wie die deutsche und genauso viele interessante Denker, Schriftsteller und Künstler hat."
In ihre Arbeit lässt Maria Kossak heute Facetten beider Länder einfließen. Abstrakte und wilde Collagen. Sie bildet polnische Künstler ab oder verfremdet Fotografien aus ihrem Alltag in Berlin.
Ihre Werke sind für Maria Kossak eine Art deutsch-polnisches Dialogfeld. Inspiriert habe sie zu dieser Herangehensweise auch die europäische Integration.
"Das Zusammenwachsen von Europa war für mich deshalb auch auf der persönlichen Ebene wie eine Art Heilungsprozess – weil plötzlich dieser Dialog neu aufleben konnte, und ich auch diese Welten vereinen konnte."
"In die deutsche Sprache verliebt"
"Guten Tag! Dzien dobry"
Ein Ort des deutsch-polnischen Austausches ist die Berliner Buchhandlung "Buchbund". Magdalena Ziomek-Frackowiak kommt häufig hierher. Hier gibt es Bücher in beiden Sprachen.
In Deutschland lebt die Kunsthistorikerin seit der Jahrtausendwende – sie kam als Mittzwanzigerin, der Liebe wegen.
"Ich habe Deutschland zunächst die ganze Zeit als etwas Temporäres für mich empfunden. Bis es irgendwann einen Klick gemacht hat – ich habe ein paar Worte von Brecht verstanden und seitdem habe ich mich auch in die deutsche Sprache verliebt und gegenüber der Sprache geöffnet."
Heute ist Magdalena Ziomek-Frackowiak Kulturmanagerin. Geholfen habe ihr dabei auch ihr neues Umfeld. Weltoffene Menschen, die sie akzeptierten als eine, die zwischen zwei Kulturen wandert.
"Letztendlich bin ich direkt sozusagen in der besten deutschen Schicht gelandet, bei den Intellektuellen. Und dort habe ich mich sehr gut aufgehoben gefühlt."
2005 gründete sie "AgitPolska" – ein Projekt, das polnische Kultur in Deutschland sowie deutsche Kultur in Polen fördern möchte. Vor allem junge Künstler beider Länder sollen dadurch eine gemeinsame Plattform erhalten.
Vereintes Zusammenleben zwischen Polen und Deutschen
Es hat sich etwas verändert. Während ältere Generationen von Polen in Deutschland zum Teil weiterhin dafür kämpfen, als nationale Minderheit anerkannt zu werden, engagiert sich der Jahrgang der sogenannten "neuen Mittler" für ein vereintes Zusammenleben zwischen Polen und Deutschen.
Streetwork-Projekte, zweisprachige Märchenstunden oder Kulturinitiativen wie "AgitPolska" – all dies seien Beispiele für ein "revolutioniertes" zivilgesellschaftliches Engagement, sagen Emilia Mansfeld und Magdalena Szaniawska-Schwabe. 2011 veröffentlichten sie im Auftrag des Instituts für Auslandsbeziehungen eine Studie, die sich mit den Sichtweisen junger Polen in Deutschland befasst. Beide mit deutsch-polnischer Biografie, haben Spätaussiedlerkinder und auch neuere polnische Migranten befragt.
"Viele von diesen Personen identifizieren sich nämlich vor allem als Europäer, die einfach die Freizügigkeit im offenen Europa genießen. Also, sie betonen, dass die nationale Herkunft für sie eigentlich nur eine sekundäre Bedeutung hat – weil sie sich oft vor allem über ihre Arbeit identifizieren."
Sagt die freie Publizistin Magdalena Szaniawska-Schwabe. Diese überkreuzten Identitäten seien kein Zeichen einer "kulturellen Obdachlosigkeit". Vielmehr ein persönlicher Schatz, den es zu bewahren gelte - betont Emilia Mansfeld, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
"Die jüngere Generation hat einfach das Gefühl, dass sie beides – Polnischsein, Deutschsein – sehr gut miteinander vereinbaren kann, und sich für keine dieser Identitäten in irgendeiner Weise schämen muss. Oder aufgrund dessen irgendwelche Minderwertigkeitskomplexe haben muss."
Eltern fühlten sich oft als Bittsteller in der Gesellschaft
Die Eltern der "neuen Mittler" kamen zumeist in den 1980er-Jahren. Sie fühlten sich oft als Bittsteller in der Gesellschaft des Täterlandes. Sich hier einzugliedern, fiel ihnen deshalb schwer. Viele legten in der Folge einen sonderbaren Spagat zwischen Assimilation und privater Abkapselung hin. Der in Polen geborene ZEIT-Redakteur Adam Soboczynski beschreibt das in seinem Buch "Polski Tango" folgendermaßen:
"Wie die meisten Immigranten aus Polen waren wir damit beschäftigt, nicht aufzufallen. Schließlich hatten wir kommen dürfen, [...] da wir, so die Doktrin, deutscher Volksabstammung waren. Zu Hause sah es anders aus, zu Hause besuchten uns andere Aussiedler [...], kein deutsches Wort kam über ihre Lippen, und bis heute hat kaum ein Deutscher, der in diesem Land auch aufgewachsen ist, die Türschwelle meiner Eltern übertreten."
Heute sei das anders, betont die Kulturmanagerin Magdalena Ziomek-Frackowiak. Polens Beitritt in die EU habe beide Länder noch näher zusammengebracht, sagt sie. Bei politischen Verstimmungen – wie es sie zuletzt gab – seien Dialoge besonders wichtig. Die Kultur könne dazu einen großen Beitrag leisten.
"Da muss man jetzt weiter ansetzen. Man muss jetzt, gerade in diesem Moment, daran arbeiten, dass man den Kulturaustausch weiter fördert."
"Manchmal lese ich gerne Bücher in beiden Sprachen – um zu testen, in welcher Sprache es besser schmeckt."
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