Von wegen verlorene Generation
Die wirtschaftliche Lage in Griechenland ist katastrophal - gerade für junge Menschen. Deshalb wagen wohl viele den Sprung in die unternehmerische Selbstständigkeit. Begegnungen in der Athener Start-Up-Szene.
"Eigentlich wollten wir ganz andere Sachen produzieren, komische Stoffe zusammennähen. Aber in Griechenland haben viele Unternehmen dicht gemacht, nur wenige sind übrig geblieben. Also haben wir uns entschieden, diese Taschen so zu machen: Ohne Näher. Das Problem hat uns also einen neuen Weg aufgezeigt."
Seit April schneidet und bastelt Alkioni Matsourdeli gemeinsam mit ihrer Kollegin Danai handgefertigte und selbst designte Handtaschen unter dem Namen "Lommer".
Ob Einkaufstasche oder ein kleines Portemonnaie, für eine Knopftasche brauchen sie gerade einmal 40 Minuten. Seit ihrem Verkaufsbeginn im April haben sie schon über 200 Taschen verkauft. Vor allem in andere Länder exportiert.
"Mit so einer großen Resonanz haben wir nicht gerechnet. Gerade im Ausland, das hatten wir uns schwieriger vorgestellt, Fuß zu fassen. Wir hatten gute Rückmeldung, in der ganzen Welt. Nordafrika läuft erstaunlicherweise verdammt gut (sie lacht)...Wir wissen nicht, warum."
Die Taschen werden auch nach Vietnam und Afrika verkauft
Einige Taschen werden sogar aus Vietnam bestellt. Die 27-Jährige studierte Produktdesignerin wirkt schüchtern, sichtlich angenehm überrascht von der hohen Nachfrage nach den Individualstücken "Made in Athens". Lachen und gute Laune, das ist sowieso die beste Voraussetzung für Kreativität, sagt ihre Kollegin und Freundin Danai.
"Wir feiern, spielen hier im Büro. Wir bekommen eine unheimliche Befriedigung durch unseren Job. Einzig in unserem Alltag müssen wir Einschnitte hinnehmen. Wir widmen uns nur dieser Arbeit, sind Kompromisse eingegangen, weil wir selbständig sein möchten und in unsere eigene Sache investieren wollten. Es hängt von deiner Psychologie ab, ob du dich runterziehen lässt. Und wir lassen uns nicht unterkriegen."
Eine Einschränkung ist für Danai, dass sie nach ihrem Produktdesignstudium in Mailand mit 29 Jahren nun wieder zuhause wohnt bei den Eltern. Noch viel zu unregelmäßig werden ihre Taschen gekauft, zu hoch das Risiko, die Miete für die eigene Wohnung nicht mehr zahlen zu können.
"Ich wohne zwar noch mit meinen Eltern zusammen. Aber hier nimmst du und gibst etwas zurück. Als ich mich entschloss, in Griechenland zu bleiben, um das hier aufzubauen, wusste ich: Ich muss Zugeständnisse machen. Ich habe es akzeptiert und muss mir Zeit geben."
Das Kulturzentrum ist in einem ehemaligen Industriegebäude
Das Büro der beiden Designerinnen liegt im frisch sanierten fünfstöckigen Industriegebäude von "Romantso" - ein Kulturzentrum gegründet im Herzen der Krise. Hier beziehen Grafikdesigner ihre Büros, kleine Kunstmagazine teilen sich Redaktionsräume, Fotografen nutzen die freien Flächen für Foto-Shootings. Die Handtaschen-Designerinnen Danai und Alkioni träumen davon, ihre Taschen einmal auszustellen, irgendwann Beschäftigte einzustellen, Menschen Arbeit zu geben und selbst mehr Zeit zu haben für neue Produkte.
"Weil alle hier in einem Produktionsfieber stecken, gibt man sich gegenseitig Impulse, um weiterzukommen. Du gibst alles und du siehst, dass niemand alleine ist. Oft sind Menschen so pessimistisch drauf, nichts läuft, alles ist so schlecht. Dabei kommst du hierher und du befindest dich in einer Kreativblase."
Das Allerschönste in turbulenten und wirtschaftlich unsicheren Zeiten ist es aber, wenn Alkioni in der Athener Metro nach ihrer eigenen, selbstgemachten Tasche mit Autogurt gefragt wird.
"'Wo hast du diese Tasche her?', werde ich gefragt. Ich antworte: 'Ich liebe dich! Du hast meinen Tag gerettet, nimm meine Visitenkarte, du kriegst Rabatt, komm vorbei!'"
Nur wenige Straßenblocks vom "Romantso" entfernt liegt das "Cube". Ein Co-Working Space, das Büroraume für rund 30 Start-Up Unternehmen bietet. Der 43-jährige Stavros Messinis hat es vor drei Jahren gemeinsam mit seiner Frau Maria gegründet.
"Was uns hier in Athen angeht, ist der Markt sehr klein. Aber es gibt große Talente. Die ersten Schritte und Experimente kann ein junges Unternehmen hier einfach machen, in einer schwierigen Phase testen. In Berlin oder San Francisco wäre das viel teurer."
Junge Anwälte und Programmierer verdienen nicht viel
Cube-Chef Stavros Messinis ist selbst Programmierer und weiß, dass die günstige Mieten und niedrigere Löhne ideal für Start-Ups sind, sich auszuprobieren. Ein Programmierer in Athen bekommt nur 60 Prozent von dem, was ein Kollege in Deutschland bekäme.
"Es werden neue Ideen geboren, aber es werden auch welche begraben. Es ist ein lebhaftes Ökosystem von Existenzen, die etwas Gutes mit sich bringen. Mit neuen Technologien finden sie Lösungen für die Gesellschaft."
Lösungen für die Gesellschaft, danach sucht auch das Start-Up "100mentors". Im Cube gestartet, hat das Unternehmen mittlerweile einen Investor gefunden und den Sprung in die eigenen Büroräume geschafft. Miltiadis Zeibekis, 31 Jahre alt, seine Mutter stammt aus Deutschland, in Griechenland aufgewachsen, ist Software-Entwickler und zuständig für das technische Team.
"100mentors ist eine Plattform, eine Internetplattform, wo wir Leuten helfen, ihren nächsten Schritt zu machen. Entweder akademischer Weise oder professioneller Weise."
Die meisten Kunden kommen aus Griechenland, ein Gespräch mit einem Mentor kostet normalerweise 10 bis 30 Euro. Wer aber hier an einer öffentlichen Uni studiert, kann kostenlos per Videokonferenz auf der Plattform mit einem der über 1.000 Mentoren sprechen. Das sind Dozenten oder Unternehmer, die Ratschläge geben. Keine Selbstverständlichkeit für Miltiadis.
"Wir hatten das natürlich nicht, in unserem Alter, wenn wir unsere Entscheidungen gemacht haben. Das ist halt super, wenn man für zehn Minuten oder für eine Stunde mit jemandem sprechen kann, der das 'Role-Model' von einem Menschen ist, wo wir vielleicht in fünf oder in zehn Jahren sein wollen."
Role-Model, Vorbilder, die sind vor allem im Ausland. Viele junge Leute gehen weg mit der Hoffnung, woanders ihr Glück zu finden. Als einzige Perspektive.
"Das ist eigentlich schade. Aber es gibt leider hier keine guten Jobs. Ist schade einfach."
Wie es vielen jungen Menschen in Griechenland zurzeit geht, zeigt Evita Oikonomou. Evita trägt eine graue Stoffhose, weiße Bluse. In einem Café trinkt sie einen Kaffee – einen eisgekühlten Freddo Espresso.
"Was mache ich? Wo gehe ich hin, bleibe ich hier?"
Sie ist Anwältin in einer Wirtschaftskanzlei, schon – mit gerade einmal 24 Jahren. Sie arbeitet über 40 Stunden die Woche, am Ende des Monats bleibt kaum noch etwas übrig bei der Anwältin.
"300 Euro. Nein, natürlich bleibt da nichts übrig. Wenn du nur ein Stück Lebensqualität haben willst im Alltag, bleibt nichts zum Sparen. Das Geld ist nur für das Nötigste, dass du isst und trinkst, vielleicht ins Theater gehst, ins Kino."
Sie schätzt sich glücklich. Immerhin hat sie einen Job, auch wenn sie so wenig verdient.
"Leider habe ich sehr viele arbeitslose Freunde in meinem Alter und noch älter. Es ist schlimm zu sehen, wie der andere jeden Tag kämpft um rauszufinden: Was mache ich? Wo gehe ich hin, bleibe ich hier? Nicht zu wissen, was morgen passiert, wie jemand überlebt. Es gibt eine tiefe Enttäuschung."
Viele Beziehungen in ihrem Freundeskreis seien so auch gescheitert. Nicht zu wissen, wohin und wann. Träume? Da muss sie erst einmal nachdenken.
"Mein Traum ... Mein Traum ist, dass ich hier gut leben kann, dass ich als Anwältin arbeite, aber davon auch gut leben kann. Mit Würde. Und alleine wohnen. Ich will nicht mit 30 noch bei meinen Eltern sein. Zeit für mich haben und natürlich einen Job haben mit guten Arbeitsbedingungen."
Das klingt so selbstverständlich und komisch zugleich, dass viele junge Menschen in Griechenland genau das nicht haben: Ein Stück Stabilität und Normalität.