Raus aus der Diktatur
Usbekistan ist eines der jüngsten Länder weltweit. Aber gerade für die Jungen gibt es keine echte Perspektive. Viele von ihnen leben im Ausland wie in Russland, Südkorea oder im Nachbarland Kasachstan. Dabei flackerte nach dem Präsidentenwechsel eine Hoffnung auf.
Im Zentrum Almatys ist der Orient ganz nah – hier auf dem Grünen Basar – dem wichtigsten Markt der Stadt – preisen Tausende Verkäufer ihre Produkte an. Es gibt fast alles: Schuhe, Küchengeräte, Werkzeuge aller Art. Vor allem aber – und daher der Name Grüner Basar – gibt es hier Lebensmittel: Fleisch, Milch, Obst und Gemüse. Alles frisch, direkt aus der Region und meistens erheblich billiger als in Supermärkten.
Gleich am Eingang der Haupthalle sind die Stände mit bunten Bergen aus Gewürzen und Trockenfrüchten. Die Gerüche von Ingwer, Kreuzkümmel und Zimt vermischen sich. Orange leuchten die Aprikosen, blau die Rosinen, braun die Mandeln, Pistazien und Walnüsse. Hinter den Verkaufsständen stehen Männer mit sonnengegerbter Haut in Wattejacken. Sie nehmen sofort jeden potenziellen Kunden ins Visier. Reichen Feigen oder Datteln herüber. "Hier, probieren Sie."
Der Gewürzhändler
Die Verkäufer von Trockenfrüchten und Gewürzen stammen alle aus dem benachbarten Usbekistan – aus der Region Samarkand. Sie sind Gastarbeiter – wenn auch keine typischen mit einem kasachischen Arbeitgeber. Die meisten hier haben ein eigenes Geschäft. So auch Mansur, ein freundlicher etwa 50-jähriger, kleiner Mann, der auf einer Kiste hinter einem Berg Gewürze steht – und zu seinem Schutz hier einen anderen Namen trägt.
"Wir? Wir handeln. Wir bauen alles selbst an. Die Weintrauben, die Mandeln, wir haben eigene Obstgärten. ... Unsere Leute sind in Kiew, Weißrussland, in Moskau. Und unsere Familie ist eben hier. Wir sind alle aus einem Dorf n Usbekistan, kennen uns alle untereinander. Ich war von 1989 bis 1993 in Kiew, dann bin ich hierhergekommen, es hat mir besser gefallen, da bin ich hier geblieben."
Mansur ist nur einer von rund zwei Millionen Usbeken jährlich, die ihre Heimat verlassen haben, um Geld im Ausland zu verdienen. Die meisten von ihnen gehen nach Russland, Südkorea oder eben ins nördliche Nachbarland Kasachstan.
"Usbekistan ist eines der zehn autoritärsten Regime"
Zu Sowjetzeiten, bis zur Unabhängigkeit im Jahr 1991, war Usbekistan politische und wirtschaftliche Führungsmacht in Zentralasien. Es hatte eine gut entwickelte Industrie und Landwirtschaft, die besten Universitäten in der Region. Doch das ist lange her. Islam Karimow, der langjährige Präsident, habe das Land in 25 Jahren zu einem autoritären Staat gemacht. Das sagt Kamoliddin Rabbimow, ein usbekischer Politologe, der im französischen Exil lebt:
"Usbekistan ist eines der zehn autoritärsten Regime in der Welt. Nach allem, was man dazuzählen kann. Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit – haben wir nicht und hatten wir auch nicht."
Anfang September vergangenen Jahres starb Islam Karimow – der neue Präsident ist seit Dezember Schawkat Mirsijojew. Große Veränderungen erwartet Verkäufer Mansur dadurch nicht. Und so wird er wohl weiter im Ausland arbeiten müssen – wie mittlerweile auch sein 16-jähriger Sohn, der neben dem Vater am Gewürze-Stand in Almaty steht.
Der Junge ist schlank, hat glänzende dunkle Augen, rosa Wangen und eine Zipfelmütze auf dem Kopf. Wie sein Vater redet er mit den Kunden freundlich und zuvorkommend, nur sehr viel zurückhaltender. Das Sagen am Verkaufsstand hat ganz klar Mansur, der Vater – auch wenn es um die Zukunft des Sohnes geht:
"Er soll studieren, an die Handelsschule gehen, um mit dem Kopf zu arbeiten, was mit Wirtschaft eben. Heutzutage hängt ja alles von der Wirtschaft ab."
Alle zehn Tage, so erzählt der 16-Jährige, fahre er zurück nach Usbekistan, um dort in die Schule zu gehen. Danach komme er wieder nach Almaty zum Arbeiten. Er löst sich mit seinem älteren Bruder ab. Der Weg von Mansurs Sohn scheint vorherbestimmt.
Doch die wirtschaftlichen und politischen Zwänge der Heimat öffentlich zur kritisieren, wagen Vater und Sohn nicht. Die Angst vor Konsequenzen in der Heimat ist selbst im Ausland zu groß. Deshalb lobt Mansur den neuen Präsidenten Schawkat Mirsijojew auch überschwänglich, er solle ruhig alles so machen wie sein Vorgänger Karimow:
"Schawkat Mirsijajew, ja. Der alte Präsident Islam Abduganijewitsch Karimow hat ihm ja alles Nötige beigebracht und ordentlich hinterlassen."
Als Islam Karimow im September vergangenen Jahres mit 78 Jahren überraschend starb, hatte sich schnell der bisherige Premierminister Schawkat Mirsijojew als Nachfolger ins Spiel gebracht und die Geschäfte als Interimspräsident übernommen. Vor den Präsidentenwahlen am 4. Dezember gab es zwar einen Wahlkampf – neben Mirsijojew traten drei weitere Kandidaten an. Doch sei die Wahl nicht demokratisch gewesen, so die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.
Für den im Exil lebenden usbekischen Politologen Rabbimow war das absehbar, echte demokratische Legitimierungsverfahren gäbe es in Usbekistan nicht:
"Im Autoritarismus kämpfen die Mächtigen nicht mit irgendwelchen Wahlprogrammen, mit irgendwelchen Ideen. Ganz im Gegenteil: Im Autoritarismus geht es um Fragen wie Geld, Verbindungen zu Mächtigen, die richtigen Leute quasi. Die Elite bleibt an der Macht."
Mirsijojew wurde im Dezember mit knapp 89 Prozent aller abgegebenen Stimmen zum Präsidenten gewählt. An einen Wandel, den der neue Präsident verspricht, glauben die wenigsten Usbeken.
Die Menschenrechtsaktivistin
Auch Marzhan Turdimova – auch ihr Name und der ihrer Tochter wurde geändert – macht sich keine Illusionen. Sie ist ähnlich wie Gewürzhändler Mansur von Usbekistan mit ihrer Familie nach Kasachstan gezogen. Jedoch aus einem völlig anderen Grund. Turdimova ist Menschenrechtsaktivistin, sie wurde in ihrer Heimat politisch verfolgt und musste fliehen. – Turdimova hat ein anonymes Bürohaus in Almaty als Treffpunkt vorgeschlagen – vorher kauft sie noch ein Stück Kuchen für den Gast. Normalerweise falle die Bewirtung bei Usbeken opulenter aus, entschuldigt sie sich, doch stehe sie wirtschaftlich nicht besonders gut da:
"Sie wissen wahrscheinlich, wie das Karimow-Regime bei uns funktioniert hat. Es hat sich überhaupt nichts geändert. Shavkat Mirsijojew sagt ja ganz offen, er sei der 'Sohn' Karimows, ein Anhänger der Politik. Deshalb hat sich in Usbekistan rein gar nichts geändert."
Turdimova ist 2014 mit ihrer damals 27-jährigen Tochter Zhanna aus Usbekistan geflohen. Nur so konnte die Familie den anhaltenden Repressionen und einer möglichen Haftstrafe der Mutter entkommen. Mehrfach hatte die Mittfünfzigerin in der usbekischen Hauptstadt Taschkent Demonstrationen organisiert, kritische Artikel veröffentlicht, sich für Meinungsfreiheit eingesetzt – und war dafür immer wieder zu Verhören bei der Miliz gelandet. – Ihre Tochter Zhanna hat Turdimova seit zwei Jahren nicht gesehen. Diese war nach der Flucht aus Kasachstan direkt nach Deutschland weitergereist, wo sie einen Studienplatz bekommen hatte. Zhanna studiert jetzt in Hamburg Erziehungswissenschaften. Die beiden kommunizieren seit mehr als zwei Jahren nur per Internet miteinander. In einer Videoschalte von Hamburg nach Almaty erzählt die Tochter, dass eine Rückkehr in die Heimat für sie auf keinen Fall in Frage komme:
"Nein, ich plane nicht, nach Usbekistan zurückzukehren, ich werde dort als Verräterin betrachtet. Es gibt keine Gewissheit, dass einem dort nicht doch irgendwas zustößt. Man muss immer auf der Hut sein, ständig aufpassen. Da gibt es keine Freiheit, nein, ich will nicht zurück."
Die junge Frau sieht Ihre Zukunft dauerhaft im Exil in Europa oder in Russland. Denn auch sie selbst war in Usbekistan politischer Verfolgung ausgesetzt. Zhanna hatte früh gelernt, für ihre eigene Meinung einzutreten – mit ihrer Mutter als Vorbild. Dabei war sie für deren Aktivitäten schon als Kind in der Schule angefeindet, geschlagen, vor der Klasse bloßgestellt worden. Als sie später in Taschkent Englisch und Spanisch studierte, wurde ihr gedroht, sie von der Universität zu verweisen, ihr die Karriere zu verbauen. Der Grund: Zhanna war vom russischen Fernsehen interviewt worden und hatte die fehlende Meinungsfreiheit in Usbekistan angeprangert. Vor allem junge Leute in Usbekistan litten unter der Paranoia des Systems vor Kritik, sagt sie:
"Manchmal wird die Politik plötzlich deutlich verschärft. Dann muss man sagen, wie toll alles ist, und besonders junge Leute sollen das sagen. Obwohl natürlich genau diese Jugend Usbekistan verlässt, weil es einfach keine Perspektiven gibt, es gibt keine Arbeit, die wirtschaftliche Lage ist unheimlich schwierig."
Der neue Präsident Schawkat Mirsijojew hatte schon vor seiner Wahl im Dezember wirtschaftliche Reformen angekündigt. Die sind dringend notwendig.
Allein im Jahr 2015 wurden laut Weltbank etwa 2,6 Milliarden Dollar des usbekischen Bruttoinlandsprodukts von Gastarbeitern im Ausland nach Hause überwiesen. Das sind etwa zehn Prozent der Wirtschaftsleistung. Eine riesige Zahl, die auf die Schwäche der heimischen Wirtschaft verweist Um diese nun anzukurbeln, will Präsident Mirsijojew die staatliche Kontrolle von Betrieben einschränken. Diese sei ein Herd für Korruption und Hemmnis für das freie Unternehmertum, hatte er die Behörden kritisiert. – Studentin Zhanna bezweifelt diese Ankündigungen. Denn die systematische staatliche Überwachung diene in Usbekistan noch ganz anderen Zwecken.
Zhanna Turdimova: "Wenn Sie sich selbstständig machen wollen, gibt es eine spezielle Methode in Usbekistan. Sie eröffnen das Geschäft. Und so lange es klein ist, läuft alles toll, und es heißt, natürlich tun wir hier alles für junge Unternehmer. Aber sobald Sie anfangen, Geld zu verdienen, kommt der Geheimdienst und nimmt Ihnen alles weg. Und dann verhaftet man Sie unter dem Vorwand des Terrorismus. Das ist ein ausgesprochen praktischer Paragraph. Denn alle, die den Mächtigen nicht passen, angefangen bei Unternehmern über Journalisten bis hin zu sonst irgendwie Andersdenkenden, fallen unter den Begriff Terrorismus."
Der Journalist
Innerhalb Usbekistans kritisch über die Willkür des Staates zu berichten, ist so gut wie unmöglich. Diese Erfahrung hat auch Journalist Rinat Khojaev gemacht. Der 24-Jährige heißt in Wirklichkeit anders, hat Deutsch studiert und lebt außerhalb seiner Heimat. Als ich mit ihm per Internet spreche, erzählt er mir von der Internetzeitung, die er mit Freunden aus Kirgistan und Turkmenistan gegründet hatte. Er wollte für junge Leute aus Zentralasien über Zentralasien berichten:
"Es hat nicht geklappt. Meine Freunde hatten Zensur in den eigenen Ländern und deshalb konnten sie nicht mehr für mich schreiben. Und der zweite Grund, ich hatte selbst Zensur in Usbekistan. Durch die Leute, die bemerkt hatten, dass ich eine Zeitung habe. Ich hatte dann Furcht vor diesen Leuten, weil schon die Lehrer an der Universität mir gesagt haben, dass das keine gute Sache ist, und deshalb musste ich die Zeitung abschaffen - es funktionierte einfach nicht mehr."
Rinat schreibt weiterhin - für verschiedene Medien in Zentralasien – aus Vorsicht allerdings unter Pseudonym. Wenn er Interviews zu aktuellen Ereignissen in Usbekistan wie etwa zur Präsidentenwahl führen will, spürt er die Angst seiner Gesprächspartner vor möglichen Konsequenzen:
"Die Leute haben immer Angst davor, dass sie eine kritische Meinung äußern. Ich habe Freunde, die in Usbekistan Jura oder Wirtschaft studiert haben, die sagen mir immer sofort ab. Weil, sie wollen in Usbekistan Karriere machen, und das könnte ihre Karriere beenden."
Natürlich beabsichtigen nicht alle jungen Usbeken, ihrem Land dauerhaft den Rücken zu kehren. Viele wollen – wenn sie es sich leisten können – einfach nur eine bessere Ausbildung, als dies zuhause möglich ist, und kehren dann in ihre Heimat zurück.
Die Deutsch-Kasachische Universität in Almaty, kurz DKU, ist mit ihrem Master-Programm "Regionales Wassermanagement" auch für Studenten aus Usbekistan attraktiv. Die ungleiche Verteilung von Wasser ist in Zentralasien ein politisch hoch brisantes Thema.
Der in weiten Teilen ausgetrocknete Aralsee in Usbekistan und Kasachstan beispielsweise hat sich seit ein paar Jahren in winzige Einzelseen geteilt. Die Bilder von Schiffen, die auf dem trockenen Wüstensand liegen, sind weltbekannt und ein Symbol für eine der größten Umweltkatastrophen weltweit.
Die Universität bildet deshalb junge Spezialisten aus, um die Wasserprobleme in Zentralasien künftig regional anzugehen. Insgesamt 30 Studenten aus Kasachstan, Usbekistan und den zentralasiatischen Nachbarländern sind derzeit immatrikuliert. In einem monatlichen Colloquium stellen sie sich gegenseitig die Themen ihrer künftigen Master-Arbeiten vor, die Unterrichtssprache ist Englisch.
Der Student
Unter den Studenten ist auch Nazim Hassanov aus Usbekistan. Er schätzt die internationale Ausrichtung innerhalb des Programms. Viele Dozenten an der Deutsch-Kasachischen Uni kommen aus Europa, das gäbe es in Usbekistan so nicht, sagt er.
"In erster Linie will ich natürlich meinem Land etwas zurückgeben. Und dafür brauche ich europäisches Wissen, denn das Wassermanagement dort funktioniert wie ein Uhrwerk, am Rhein zum Beispiel oder an der Donau. Und das nach Zentralasien mitzubringen, wir als junge Spezialisten, das wird künftig eine große Hilfe sein."
Nazim ist das, was man als angepasst und regimetreu bezeichnen würde. In Usbekistan hat er bereits mehrfach in staatlichen Behörden gearbeitet. Er sieht die künftige Entwicklung in Usbekistan durchaus positiv.
"Bei uns beginnt jetzt eine neue Ära, also nach den Wahlen. Die Neugestaltung hat ja schon begonnen. Wie es so schön heißt, Moskau wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Wir sind ein ganz junger Staat, da gibt es Probleme, aber auch gute Seiten. Da zu viel zu erwarten, ist einfach schwierig."
Tatsächlich ist der Erwartungsdruck an den neuen usbekischen Präsidenten Schawkat Mirsijojew hoch. Wird er das Land politisch öffnen? Kann er wirtschaftliche Probleme lösen? Kann er der Jugend Chancen eröffnen? Kamoliddin Rabbimow – der usbekische Politologe aus dem französischen Exil.
"Die schwierigste Frage für die jetzige Regierung ist – was kann für die Jugend getan werden? Es geht vor allem um Bildung, denn Usbekistan ist diesbezüglich weltweit hinten dran. Zudem leidet Usbekistan unter einem enormen demografischen Druck. Die Regierung muss sich einfach die Frage stellen, wie stabil das Machtgefüge angesichts dieser Probleme ist."
Usbekistan ist eines der jüngsten Länder weltweit. Von den 31 Millionen Menschen sind rund zwei Drittel jünger als 35 Jahre. Somit wächst die Bevölkerung stetig. Wenn diesen jungen Menschen keine echte Perspektive im eigenen Land geboten werde, so Rabbimow, könne es in naher Zukunft zu Aufständen in Usbekistan kommen. Und die wären womöglich blutiger als der Arabische Frühling.