"Junger Mann mit unauffälliger Vergangenheit"

Fintenreicher Roman aus der "bösen" Schweiz

Blick auf Zürich und die Limmat, sowie den Zürichsee
Blick auf Zürich: "Vermögensoptimierung für die oberen Zehntausend, Steuervermeidung, Offshore und so weiter" - so sieht der Schriftsteller Jens Steiner die Schweiz. © picture-alliance/ dpa
Von Meike Feßmann |
Ein Züricher Philosophiestudent steht unter Verdacht, einen Medienmogul entführt zu haben. Die Geschichte seiner Verfolgung erzählt Jens Steiner in seinem neuen Roman. "Ein listiges und spannendes Erzählspiel", findet Meike Feßmann.
Er ist ein ebenso sensibler wie verspielter Autor, der 1975 geborene Jens Steiner, der als Lehrer und Lektor gearbeitet hat, bevor er 2013 für seinen zweiten Roman überraschend mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet wurde. "Carambole" hieß der Roman über ein Dorf - nach dem Fingerbillard, das ein paar Männer gern miteinander spielen.
Seinen nunmehr dritten Roman, "Junger Mann mit unauffälliger Vergangenheit", könnte man ohne weiteres als Strategiespiel bezeichnen. Denn der Autor führt den Leser lange Zeit geschickt in die Irre, um am Ende einen großen Coup zu landen.
Außen Kant, innen Darwin
Zwei Zürcher Philosophiestudenten, beide ziemlich eigenbrötlerisch, freunden sich an. Nächtelang philosophieren sie, reden über Schopenhauer und den "Faust", machen sich über die anderen Studenten lustig, allen voran die vielen "Weißköpfe", die sich in den Vorlesungen tummeln. Eines Tages ist der Vortrag eines Medienzars angekündigt. In der Aula wird er über "Printmedien im 21. Jahrhundert" sprechen.
Um dessen Doppelzüngigkeit zu entlarven, spielen sie während seines Vortrags, der Kant zitiert und von "aufgeklärten" Bürgern spricht, einen anderen Vortrag per Band in den Saal. Er wurde vor Bankenvertretern und Managern gehalten und spricht eine ganz andere Sprache: "Nur der Starke ist unabhängig...kchrr...nur der Unabhängige ist stark", krächzt es trivial-darwinistisch aus den Lautsprechern.
Der Ich-Erzähler Paul Kübler und sein Freund Magnus sind mächtig stolz auf ihre Aktion. Doch der Medienmogul verzichtet auf eine Anklage. Die ganze Sache verläuft im Sand.
Das alles ist vier Monate her, wenn der Roman beginnt. Bei unserer ersten Begegnung mit dem Erzähler erleben wir ihn ziemlich verwirrt. Er ist in einem Marseiller Hotel untergekommen und fühlt sich verfolgt. Im Schweizer Fernsehen sah er sein eigenes Bild, als "junger Mann mit unauffälliger Vergangenheit", der den Medienmogul entführt haben soll.
Verknüpfung von politischer Analyse und fintenreicher Erzählung
Jens Steiner erzählt in harten Schnitten. Mal befinden wir uns in Marseille, mal in Zürich, mal in der Gegenwart, mal in der Vergangenheit. Wir erfahren, dass die Mutter des Erzählers vor drei Jahren in Italien verunglückt ist. Wie schon in "Hasenleben", seinem Debütroman, fehlt auch hier der Vater. Er ist ein "schwarzes Loch" heißt es, so wie es in diesem Roman viele Metaphern gibt, die auf physikalische Theorien anspielen, auf "Schrödingers Katze" beispielsweise oder die Relativitätstheorie.
Der Roman hält eine eigentümliche Spannung. Allerdings ist es wie beim Krimi: Wer die Handlung verrät, wird zum Spielverderber. Dabei verknüpft er auf raffinierte Weise politische Analyse und fintenreiche Erzählung. Er ist auch eine Kritik an der Schweiz als einem Land, das "Vermögensoptimierung für die oberen Zehntausend, Steuervermeidung, Offshore und so weiter" perfektioniert und dessen Demokratie durch den Einfluss von Großbanken und Konzernen unterlaufen wird. Wie schaffen es die "Drahtzieher" und "Hintermänner", "unserem Fokus zu entschlüpfen"? Das ist die zentrale Frage des Romans. Zugleich führt er uns vor, wie das gelingen kann. Ein listiges und spannendes Erzählspiel.
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