"Jungs empfinden unsere Welt als feminisiert"

Moderation: Tom Grote |
Nach Ansicht der Autorin Katrin Müller-Walde haben Jungen zu wenige männliche Vorbilder, die ihnen das Lesen schmackhaft machen. Auch in der Medienwelt gebe es kaum männliche Stars, die sich mit einem Buch auf die Bühne stellten, sagte die Journalistin.
Auszug aus dem Gespräch:

Tom Grote: Warum lesen Jungen denn nicht mehr?

Katrin Müller-Walde: Das hat verschiedene Gründe. Also ich werde mal versuchen, ein paar aneinanderzureihen, auch wenn die Komplexität der Frage eine lange, lange Antwort eigentlich provoziert. Ich versuch’s mal kurz zu halten: Also zunächst mal geht es damit los, dass wir leider in der Grundschule schon mit den falschen Texten arbeiten. Das ist keine Erkenntnis, die ich alleine gewonnen habe, sondern eine, die sich aus einer Studie ergibt, der so genannten Erfurter Studie. Danach sind Grundschüler nicht nur befragt worden, was sie gerne lesen wollen, sondern auch Lehrer befragt worden, was sie im Unterricht für Texte einsetzen. Und da stellen wir fest, dass zu einem Zeitpunkt, da Kinder vor allem Texte lesen wollen, die ihnen Spaß machen, mit Texten mehr oder weniger bombardiert werden, die zu anspruchsvoll sind, zu pädagogisch wertvoll, um das mal verkürzt zu formulieren. Das ist ein Grund.

Ein weiterer Grund ist, dass Jungs der Meinung sind, dass Lesen etwas ist, was sie, ich zitiere wörtlich, als weibisch empfinden. Sie empfinden unsere Welt als feminisiert, sie sind von frühester Kindheit an mit Frauen umgeben, die ihnen vorlesen, sowohl im Kindergarten als auch zuhause. Das geht weiter mit Lehrerinnen, über Bibliothekarinnen, über Lektorinnen, die Texte beeinflussen und letztlich ja auch die Cover mitgestalten lassen. Wenn man weiß, dass 80 Prozent aller Buchkäufer Frauen sind, dann ahnt man, warum Cover beispielsweise sehr feminin gestaltet sind. Das ist also ein zweiter Grund. Jungen haben das Gefühl, dass Lesen etwas ist, was ausschließlich mit Frauen zu tun hat. Und wenn sie selber richtige Männer werden wollen, dann müssen sie sich, weil sie selber nicht wissen, was männlich ist, davon distanzieren, und zunächst mal alles das ablehnen, was aus ihrer Sicht weiblich ist. Und dazu gehört eben auch lesen.

Ein dritter Grund ist, dass es zuwenig männliche Vorbilder gibt. Sowohl zuhause in den Familien, wir wissen, dass das klassische Familienbild immer mehr auseinanderbricht, also zuwenig Männer, Onkel, Brüder, die lesen, den Kindern ein Vorbild sind, vor allem den Jungs, aber eben auch in der Medienwelt. Schauen sie sich an, von Stefan Raab angefangen über einen Herrn Schumacher im Sport werden sie kaum Stars finden, die sich mit einem Buch auf die Bühne stellen …


Das vollständige Gespräch mit Katrin Müller-Walde können Sie für begrenzte Zeit in unserem Audio-on-Demand-Angebot hören.