"Nur mit der AKP können wir überleben"
In der Türkei liegt das Durchschnittsalter bei gerade mal 29 Jahren. Kein Wunder, dass die Parteien HDP und AKP im Wahlkampf besonders lautstark um junge Wähler werben. Erdogans konservative AKP kann auf großen Rückhalt bei den Jungen bauen.
Eigentlich könnte das ein ganz gewöhnlicher Wahlkampf sein: Fähnchen, Kugelschreiber, Infoflyer, Musik. Eine Gruppe junger Menschen steht hier am lila-grün dekorierten Wahlkampfstand der pro-kurdischen HDP in Istanbul – einige hören der Wahlkampfhymne zu, ein Student mit einem auffällig schönen Hipsterbart pfeift sogar fröhlich mit. Doch das hier ist kein gewöhnlicher Wahlkampf.
"Da die Türkei sich gerade in einem Kriegszustand befindet, wollen die meisten jungen Menschen hier nicht mehr über ihre eigenen Probleme reden, sondern nur noch über das alles beherrschende Thema des Kriegs in den Kurdengebieten",
erklärt der 27-jährige Savas Cicek, der in Istanbul Philosophie studiert. Viele von den jungen Freiwilligen hier haben Freunde beim Anschlag in Ankara verloren. Die HDP hat daraufhin alle Großveranstaltungen abgesagt. Trotzdem muss der ohnehin schon ungleiche Wahlkampf gegen die omnipräsente AKP weitergehen. Savas Cicek erzählt, wie er bei Hausbesuchen immer wieder erklären müsse, dass die pro-kurdische HDP nicht von der Untergrundorganisation PKK ferngesteuert sei, wie es die AKP suggeriert. Wenn dann noch Zeit ist, versuchen sie gerade junge Menschen von der Vision der HDP zu begeistern.
"Die AKP ist gegen unsere Freiheit",
erzählt Ertürk Erkek, der eben noch fröhlich mitgepfiffen hat.
In Umfragen bekommt die HDP auf rund 14 Prozent
"Das sieht man an einem ganz einfachen Beispiel: Wenn es nach der AKP geht, dürfen ein Mädchen und ein Junge nicht unverheiratet zusammenleben. Die AKP will unseren Lebensstil vereinheitlichen, aber wir verteidigen eine multikulturelle und multiidentitäre türkische Republik."
Und das scheint gerade bei jungen Wähler/innen anzukommen: In Umfragen bekommt die HDP rund 14 Prozent der Stimmen.
Ganz anders als die HPD wirbt die Regierungspartei AKP um junge Menschen, so wie bei einer Großveranstaltung mit tausenden Anhängern in Istanbul, die gekommen sind, um den Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden Ahmet Davutoglu zu sehen.
"Erdogan ist ein richtiger Mann"
Der will vor allem junge religiöse Wähler/innen damit locken, dass seine Partei im Falle eines Wahlsiegs Singles dabei helfen wird, einen Ehepartner zu finden. Ein Grüppchen von 20-Jährigen steht in einer Menge von überwiegend älteren AKP-Anhängern, alle haben die türkische und die AKP-Fahne in der Hand. Einer von ihnen, mit dunklen, hochgegelten Haaren, zeigt stolz seinen Bildschirmschoner auf dem Smartphone: ein Foto von Präsident Erdogan. "Er ist ein richtiger Mann", sagt er, mit Daumen hoch, "ein Osmane." Neben ihm steht ein Mädchen mit langen Haaren.
Mädchen: "Die AKP ist die einzige Partei, unter deren Führung wir überleben können. Wir würden sonst sterben, das ist eine Tatsache."
Ohne die AKP keine Sicherheit. Dieses Mantra von Präsident Erdogan scheint bei dieser jungen Wählerin angekommen zu sein. Doch diese Wahlkampfstrategie der AKP wird nicht aufgehen, meint die Politikwissenschaftlerin Arzu Kibris von der Sabanci Universität. Sie hat untersucht, wie die Wähler/innen in den 90er-Jahren auf den Konflikt zwischen dem türkischen Militär und der kurdischen Untergrundorganisation PKK reagiert haben.
Die Älteren laufen der AKP weg, die Jungen bleiben
"Meine Studien zeigen, dass die Wähler tendenziell die Regierungspartei für die Verluste im Konflikt mit den Kurden beschuldigen. Und je mehr dieser Konflikt in den Vordergrund rückt, desto mehr bekommen nationalistische Parteien Stimmen, die weniger Zugeständnisse machen und statt auf Verhandlungen auf ein militärisches Vorgehen setzen."
Sie geht deshalb davon aus, dass die AKP abgestraft wird. In einigen Umfragen liegt ihre Zustimmung bei unter 40 Prozent. Auch wenn die älteren wegrennen, viele junge Menschen werden trotzdem für die AKP stimmen, meint der Wahlforscher Ali Carkoglu von der Koc Universität.
Carkoglu: "Es sieht gerade so aus, als stünden junge Menschen immer noch auf der Seite der AKP. Denn viele dieser jungen Wähler/innen sind tendenziell konservativ, weil sie in den 80ern und 90ern geboren sind und sich an keinen anderen Führer erinnern als an Erdogan."