Juri Sternburg: Migranten haben es schwer im deutschen Kulturkreis

Juri Sternburg im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 06.05.2011
Der "Stückemarkt" des 48. Berliner Theatertreffens, das heute beginnt, stellt unbekannte Autoren aus ganz Europa vor. Einer von ihnen ist Juri Sternburg. Nicht-deutsche Künstler haben nicht die gleichen Möglichkeiten wie deutsche Theatermacher, sagt er.
Liane von Billerbeck: Heute beginnt in Berlin das 48. Theatertreffen, unter den zehn dazu eingeladenen Inszenierungen der vergangenen Spielzeit findet sich erstmals auch ein Kreuzberger Off-Theater, das Berliner Ballhaus Naunynstraße, und das 50 Jahre, nachdem der erste Gastarbeiter aus der Türkei kam.

Neben diesen Inszenierungen werden während des Theatertreffens auch acht Autoren beim "Stückemarkt" vorgestellt. Der Stückemarkt ist ein Entdeckerfestival für noch unbekannte Autoren aus ganz Europa. Einer, der es geschafft hat, sich gegen die Konkurrenz von 350 Kollegen zu behaupten, das ist Juri Sternburg, geboren 1983 und aufgewachsen in Berlin-Kreuzberg. "Der Penner ist schon wieder woanders" heißt sein Stück, das die Jury ausgewählt hat, und Juri Sternburg ist jetzt bei uns zu Gast. Ich grüße Sie!

Juri Sternburg: Schönen guten Tag!

von Billerbeck: In Ihrem Stück geht es um zwei Männer, die in der Berliner U-Bahn unterwegs sind, wie es im Pressetext heißt, zwei Männer unbestimmten Alters auf einer düsteren und für alle, die ihnen begegnen, tödlichen Sinnsuche. Grund der Fahrt ist die Suche nach einem Dealer, aber der Penner ist jetzt schon wieder woanders. Andrej und Igor heißen die beiden, die sich anmaßen, da über Leben und Tod zu entscheiden, und gerade gab es ja solche Fälle von Gewalt auf Berliner U-Bahnhöfen, das klingt, als hätten Sie das Thema längst vorausgesehen.

Sternburg: Also vorausgesehen habe ich es bestimmt nicht, weil es ja schon ewig aktuell ist, immer wieder war und auch immer wieder sein wird. Also Gewalt von Jugendlichen, unter Jungendlichen, gerade an Orten wie U-Bahnhöfen, wo man zwangsläufig aufeinandertrifft – nachts oder auch tagsüber –, ist natürlich ein Thema, was immer wieder da sein wird und was ich bestimmt nicht vorausgesehen habe.

von Billerbeck: Lesen Sie ihr eigenes Stück anders, wenn Sie an diese aktuellen Meldungen denken, oder guckt man da noch mal neu drauf?

Sternburg: Nein, ich lese es nicht anders, weil ich glaube, dass ich persönlich es ja nur so lesen kann, wie ich es gemeint habe, und ich habe es ja nicht so gemeint, dass ich die Klischeebilder von zwei gewalttätigen Jugendlichen darstellen möchte.

von Billerbeck: Sondern?

Sternburg: Wenn man es liest, kommt man ziemlich schnell darauf, dass es nicht zwei jugendliche Proleten sind, die mit Goldkette durch die U-Bahn gehen und Leute abstechen, sondern es sind zwei Menschen, die konsequent sind, die keine Lügen mehr hören wollen und, weil sie keine Lügen mehr hören wollen, zu diesen Maßnahmen greifen, zu denen sie eben greifen – die in dem Fall Mord sind.

von Billerbeck: Aber sie erheben sich sozusagen und machen sich zu Herren über Leben und Tod.

Sternburg: Ja, sie werden dafür sogar noch belohnt zum Schluss. Also wenn man das Stück liest, kriegt man mit, dass sie zum Schluss sogar noch Millionäre werden und ihre Traumfrauen kriegen. Aber sie sind konsequent. Sie sind konsequent in dem, was sie vorhaben und in dem, was sie wollen. Und es ist ja auch so, dass nicht beide den Dealer wollen. Der eine sucht den Dealer, der andere sucht Gott, und zwar von Anfang an.

von Billerbeck: Die beiden heißen Igor und Andrej, da klingt der Migrationshintergrund schon an. Welche Rolle spielt der für deren Verhalten?

Sternburg: Der spielt für mich insofern eigentlich gar keine Rolle, als dass ich auch das Wort Migrationshintergrund so in meinem Leben nicht kennen gelernt habe. Natürlich, wenn man in Kreuzberg aufwächst, dann ist es was ganz Normales, dann ist es was, was man tagtäglich erlebt, und warum diese beiden so heißen, ist für mich eher ein künstlerischer Hintergrund. Man stellt sich ja als Schriftsteller schon auch immer Personen aus seinem näheren Umkreis vor oder aus seinem Bekanntenkreis, und das habe ich in dem Fall gemacht. Das sind zwei Menschen, die ich kenne, und die sind natürlich in keinster Weise so gepolt. Aber ich fand den Gedanken gut, mich an denen zu orientieren. Und die beiden kommen nun mal aus Kasachstan beziehungsweise der Ukraine.

von Billerbeck: Wenn Sie sich das angucken, was im Theater läuft, was interessiert Sie da? Was gucken Sie an, wenn Sie ins Theater gehen?

Sternburg: Ich gucke mir natürlich genau so die Sachen an, die ich nicht sehen möchte, nur um zu sehen, was passiert. Aber natürlich ist es so, dass ein Großteil – oder das ich persönlich ein Gefühl habe, dass ein Großteil der Texte, die gespielt werden, oder auch ein großer Teil der Inszenierungen nur noch für das bestimmte Publikum produziert werden.

von Billerbeck: Für welches?

Sternburg: Für das Publikum, was Stammpublikum ist. Für das Publikum, was den Kontext versteht zu bestimmten Aussagen und so weiter.

von Billerbeck: Also die Mittelschicht, die gut gebildete Mittelschicht.

Sternburg: Ob es jetzt eine Mittelschicht ist – gerade in Berlin hat man ja auch sehr oft gut gebildete Menschen, die eigentlich sehr wenig Geld haben, weil sie 50 Projekte machen – ob es eine Mittelschicht ist, weiß ich gar nicht, aber für eine Schicht, die bestimmte Dinge versteht und die sich nur noch damit befasst, statt eben mit dieser urbanen Geschichte, die es da draußen gibt, auf jeden Fall.

von Billerbeck: Das heißt, das Theater geht an der urbanen Wirklichkeit vorbei?

Sternburg: Nicht prinzipiell, also dafür müsste ich ja auch komplett die deutsche Theaterlandschaft beurteilen, was ich nicht kann. Aber ich persönlich habe schon oft das Gefühl, dass es Themen sind, mit denen man keine neuen Zuschauer lockt.

von Billerbeck: Sie selbst haben sich auch mit ganz anderen Dingen beschäftigt, nämlich seit Sie 15 sind, haben sie Streetart und Graffiti gemacht. Was fasziniert Sie daran?

Sternburg: Schwer zu beschreiben, was mich daran fasziniert …

von Billerbeck: Das ist ja was ganz anderes als Stücke schreiben!

Sternburg: … ist was komplett anderes, natürlich! Es ist vielleicht auch was, was man in Verbindung bringen kann mit diesen Gewalttaten auf U-Bahnhöfen, wie so was entsteht. Es war natürlich ein Zusammentreffen mit bestimmten Menschen in sehr jungen Jahren. Und diese Menschen haben so was gemacht. Und es war natürlich nichts anderes als ein sich selbst finden und …

von Billerbeck: … verewigen?

Sternburg: … verewigen auch. Wobei, wenn man sich in den Graffitikreisen bewegt, in denen ich mich bewegt habe, man weiß, dass das auch nicht lange bleibt. Also bemalte U-Bahnen, bemalte S-Bahnen bleiben nicht lange erhalten. Es ist auch nur eine Verewigung für den Moment, für den Augenblick.

von Billerbeck: Man könnte denken, dass der Begriff Integration in den letzten Zeiten, sage ich mal, wieder stärker in Mode gekommen ist, auch was das Theater angeht. Glauben Sie, dass das so eine Art Schlagwort ist, oder so eine Art Marketinginstrument, mit dem man versucht, andere Zuschauergruppen beispielsweise ins Theater zu locken, indem man den Begriff benutzt bei bestimmten Stücken? Oder solche Themen aufgreift?

Sternburg: Glaube ich gar nicht. Nein, ich glaube, dass es immer noch ein Fakt ist, dass – nennen wir sie jetzt schwarze oder migrantische oder ausländische Künstler - es schwer haben im deutschen Kulturkreis, dass es immer noch so ist, dass diese Menschen bis zu einem gewissen Punkt geduldet und gerne vorgezeigt werden, solang sie ihre eigene – ich sage jetzt mal – Folklore vortragen, dass es immer einen gewissen Punkt gibt, wo irgendwann gesagt wird: Moment mal, bis hierhin und Stopp. Ich glaube nicht, dass es wirklich die gleichen Möglichkeiten gibt für migrantische oder wie auch immer, nicht-deutsche Schauspieler, Künstler, Regisseure, wie es für deutsche gibt.

von Billerbeck: Das klingt ja danach, als brauchten wir eine Migrations-Quote, eine Migranten-Quote.

Sternburg: Das glaube ich nicht. Eine Quote ist immer was von oben gefördertes und von oben gefordertes …

von Billerbeck: Sie hilft aber, wie man bei der Frauenquote ja gesehen hat!

Sternburg: … gut, es mag sein, dass sie hilft, aber ich finde, dass das System sich selber erneuern sollte und nicht darauf warten sollte, dass jemand von oben das verordnet.

von Billerbeck: Das heißt, die Migranten sollten sich selber kümmern und die gläserne Decke durchstoßen?

Sternburg: Sich selber kümmern tun sie glaube ich ganz gut. Sie sollten sozusagen den Weg hoch geebnet kriegen.

von Billerbeck: Wie soll das passieren?

Sternburg: Indem man ihnen Zugang gewährt zu den Räumen, zu den Projekten, zu all diesen Dingen, und eben sie nicht beschränkt auf diese Projekte, wo es um Migration geht, sondern indem man sie wirklich an die Theater holt, zu den Veranstaltungen holt, wo auch – ich sage jetzt mal – ganz normale Schauspieler sehr gerne gesehen sind.

von Billerbeck: Sie haben in einem Text für die Zeitschrift "Cigar" mal gesagt: "Es scheint der Zyklus der sinnsuchenden Alles- und Nichtskönner angebrochen zu sein, so wie ich einer bin." Sind Sie denn nun Alles- oder Nichtskönner?

Sternburg: Ja, beides! Auf jeden Fall beides. Also, das eine schließt das andere ja auch nicht aus, und es ist ja auch ein Spiegelbild von diesem – ich hab zwischendurch vier Jahre in Prenzlauer Berg gewohnt, und da trifft man sehr viele solche Menschen – also sinnsuchende Alles- und Nichtskönner –, Menschen, die eben 50 Projekte haben und trotzdem doch nichts machen, eigentlich.

von Billerbeck: Der Autor Juri Sternburg war bei uns zu Gast. Ich danke Ihnen! Sein Stück "Der Penner ist schon wieder woanders" wird am 11. Mai in der Kassenhalle des Hauses der Berliner Festspiele gezeigt, inszeniert von Regisseur David Bösch.
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