Rechte Rhetorik untergräbt Vertrauen in den Rechtsstaat
Der frühere Bundesrichter Thomas Fischer warnt, mit Begriffen wie "Anti-Abschiebe-Industrie" und "Herrschaft des Unrechts" werde der Rechtsstaat delegitimiert - systematisch. Es drohe die Gefahr, dass die Bevölkerung dem Staat am Ende nichts mehr zutraue.
Der frühere Bundesrichter Thomas Fischer sieht in der Rhetorik von AfD und Teilen der CSU einen Angriff auf den Rechtsstaat. Wenn von "Anti-Abschiebe-Industrie" oder der "Herrschaft des Unrechts" die Rede sei, "dann ist das wirklich gefährlich". Dahinter stehe "das Bestreben, den Staat, den Rechtsstaat und damit die rechtlichen Strukturen der Gesellschaft insgesamt zu delegitimieren und den gesellschaftlichen Frieden so zu zerstören, dass große Teile der Bevölkerung dem Staat überhaupt nichts mehr zutrauen". Fischer warnte in der Sendung "Tacheles", dies sei eine systematische Strategie, die sehr gefährlich sei, "denn eine rechtsstaatliche Demokratie ist existenziell auf die Legitimität ihrer Institutionen angewiesen".
Was das Strafrecht betrifft, "hat die AfD ja nichts anderes zu bieten, als dass man Ausländer möglichst hart bestrafen solle und ansonsten eben mit dem Knüppel auf alles draufschlagen solle. Das ist ja keine Rechtspolitik und würde auch nicht dazu führen, dass es irgendwie schöner, besser oder sicherer in Deutschland wird."
Viele neue Straftatbestände haben nur symbolischen Charakter
Aber führen schärfere Strafgesetze nicht zu mehr Sicherheit? Thomas Fischer ist skeptisch und sagte: "Kaum fällt irgendein gesellschaftlicher Missstand auf, kommt garantiert einer her und sagt: Wer ist dafür verantwortlich? Der muss zurücktreten. Und warum ist das nicht strafbar?" Deshalb würden immer mehr rein symbolische Straftatbestände geschaffen, "die ihr Ziel völlig verfehlen. Es wird so getan, als ob in dem Moment, in dem ein Gesetz im Bundesgesetzblatt steht, das Problem gelöst wäre."
Viele jüngst geschaffene Straftatbestände hätten lediglich symbolischen Charakter. "Sie sollen einfach nur zeigen, dass der Staat mit der Rechtspolitik für Sicherheit sorgen möchte. Das ist ein Anspruch, der verfehlt ist." Gleichzeitig sei manches Antiterrorgesetz rechtsstaatswidrig. Dass etwa der bloße Versuch unter Strafe stehe, aus Deutschland auszureisen, um sich in einem ausländischen Terrorcamp ausbilden zu lassen, um später zurückzukehren und dann einen Anschlag zu verüben, sei mit dem Rechtsstaat nicht vereinbar: "Weil da ja (…) nicht viel mehr bestraft wird als der bloße böse Wille, der bloße idiotische Gedanke."
Lücken des Strafrechts als Kennzeichen des Rechtsstaates
Grundsätzlich könne das Strafrecht nicht beliebige Missstände beheben. Die Lücken des Strafrechts seien gerade das Kennzeichen des Rechtsstaates. "Wenn das Strafrecht keine Lücken hätte, dann käme man ja mit einem einzigen Paragraphen aus. Der würde lauten: 'Das menschliche Handeln wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis lebenslänglich bestraft. Absatz 2: Ausnahmen sind bei der nächstgelegenen Polizeidienststelle zu beantragen.' Das ist natürlich eine alberne Vorstellung."
Die Bürger sollten sich bewusst machen, dass alle neuen Sicherheitsgesetze auch auf sie selbst angewendet werden könnten. "Das kann massiv nach hinten losgehen. Und in der Regel ist es in der Geschichte immer nach hinten losgegangen."
Das Interview im Wortlaut:
Deutschlandfunk Kultur: Der Rechtsstaat: Wie soll er funktionieren, wenn er nicht straft, wie sollte er dann seine Gesetze durchsetzen? Aber bestraft er immer die Richtigen? Bestraft er richtig? Was ist das überhaupt, eine gerechte Strafe?
Es sind sehr grundsätzliche Fragen, die ich heute mit einem Menschen diskutieren will, der sich mit dem Strafrecht auskennt wie kaum ein anderer. Er war lange Jahre Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof. Jeder Jurist dürfte seinen jährlichen Kommentar zum Strafgesetzbuch kennen. Und viele von Ihnen dürften seine scharfzüngigen Kommentare zu gesellschaftlichen und juristischen Fragen kennen. – Herzlich willkommen auf der Frankfurter Buchmesse, auf der Bühne von Deutschlandfunk Kultur, herzlich willkommen Thomas Fischer.
Thomas Fischer: Hallo, guten Tag.
Deutschlandfunk Kultur: Ich freue mich, dass Sie da sind. Ich weiß aus Ihrem Buch, das Sie mitgebracht haben, "Über das Strafen" heißt dieses Buch, dass Sie es nicht mögen, wenn Journalisten juristische Kategorien durcheinanderwirbeln oder nicht richtig begriffen haben. Ich beginne das Gespräch trotzdem mit einer kleinen Durcheinanderwirbelung, bevor wir die Kategorien wieder auseinander sortieren, und habe immer zwei Fragen an Sie. Erstens eine Frage an den juristischen Profi Thomas Fischer und dann eine Frage an den Menschen Thomas Fischer. Ich hoffe, Sie machen das Spielchen mit.
Was ist rechtens und was ist gerecht?
Thomas Fischer: Ich hoffe, dass ich das auseinanderhalten kann.
Deutschlandfunk Kultur: Der erste Fall, den ich meine, ist der massenhafte Missbrauch in der Katholischen Kirche, der nicht durch ordentliche Gerichte aufgearbeitet wird, sondern durch die Kirche selbst, und die Täter im Zweifelsfall nur versetzt werden. – Erstens: rechtlich völlig in Ordnung?
Thomas Fischer: Kommt drauf an. Wenn Tagen verjährt sind, sind sie verjährt. Da gibt’s juristisch dann nichts mehr zu machen. Wenn sie nicht verjährt sind, wäre es wahrscheinlich nicht in Ordnung.
Deutschlandfunk Kultur: Und was sagt zweitens der Mensch Thomas Fischer?
Thomas Fischer: Es kommt auch da wieder ganz darauf an. Jeder Einzelfall muss einzeln betrachtet werden. Es kann sicher Fälle geben, in denen disziplinarische Maßnahmen ausreichen, wobei man jetzt aus vielen Veröffentlichungen hat schließen können, dass die Maßnahmen, die getroffen wurden, völlig unzureichend waren bzw. die Gefährdung nicht gemindert haben, sondern allenfalls verlagert. In anderen Fällen kann das nicht ausreichen.
Deutschlandfunk Kultur: Sie wägen jetzt schon sehr ab. Das Auseinandersortieren machen wir gleich noch gründlicher. Gehen wir das mal schnell durch. Wie sieht es aus beim Diesel-Skandal? In Deutschland hat man kaum Chancen auf Entschädigung. Und die Manager haben kaum mit Haftstrafe zu rechnen. – Juristisch rechtens?
Thomas Fischer: Wahrscheinlich, schauen wir mal, wie es ausgeht in München und Wolfsburg. Aber natürlich ist es auch nicht ganz in Ordnung, die ganze Sache jetzt auf die Manager abzuladen und so zu tun, als ob das einzige, was den Menschen vom Diesel drohen könnte, wäre, dass sie ihre Kaufhäuser in der Innenstadt nicht mehr anfahren können. Das eigentliche Problem spielt überhaupt keine Rolle mehr.
Deutschlandfunk Kultur: Das eigentliche Problem: der Klimawandel.
Thomas Fischer: Ja, das einzige Problem ist ja die Luftverschmutzung.
Deutschlandfunk Kultur: Ein drittes, letztes Beispiel habe ich noch: Rechtsextreme Randalierer in Chemnitz, die teilweise mit Jugendstrafe auf Bewährung davongekommen sind. – Rechtens und auch gerecht?
Thomas Fischer: Wenn es Jugendliche sind, wird es richtig sein, sie als Jugendliche zu bestrafen. Das ist der Sinn des Gesetzes. Wenn es Heranwachsende sind, kommt es drauf an, ob sie noch jugendtypische Taten begehen – das wird man hier möglicherweise eher nicht annehmen können. Ob eine Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird, ist eine Einzelfallentscheidung, die man auch nicht übern Daumen brechen kann oder ganz allgemein entscheiden kann.
Natürlich spielen da Sachen eine Rolle wie sogenannte generalpräventive Gesichtspunkte. Also die Verteidigung der Rechtsordnung, wie es im Gesetz heißt. Insoweit spricht eher weniger dafür, diese Strafen zur Bewährung auszusetzen. Aber ausgeschlossen ist es nicht.
Deutschlandfunk Kultur: Ich war jetzt sehr gespannt, was Sie antworten, ob Sie unterschiedliche Antworten geben, ob etwas juristisch rechtens ist und trotzdem nicht gerecht ist. Aber bei Ihnen scheint das einigermaßen deckungsgleich zu sein. – Kommen wir deswegen mal auf das Grundsätzlichere: Was soll denn das Strafrecht? Soll es Genugtuung schaffen? Soll es Prävention schaffen? Vergeltung?
"Nur ein paar besonders gierige Dummköpfe erwischt"
Thomas Fischer: In der populären allgemeinen Ansicht steht ja diese Vergeltung im Vordergrund. Gerade für die Menschen, die von den dahinterstehenden Straftaten ja in der Regel nur sehr wenig wissen, sich dann natürlich meistens mit Opfern von Straftaten oder behaupteten Straftaten eher identifizieren als mit den Beschuldigten. Da spielt natürlich dieser Vergeltungsgedanke, dieser Ausgleichsgedanke eine große Rolle.
Das staatliche Strafrecht muss aber auch andere Zwecke berücksichtigen. Denn Strafrecht ist ja nicht einfach nur eine Umsetzung von privatem Rachebedürfnis, sondern gerade das Gegenteil. Der Staat und das staatliche Strafrecht haben viele Aufgaben. Das Strafrecht muss Schuld ausgleichen. Es muss diese Form von Vergeltung üben. Es muss auf den einzelnen Täter präventiv einwirken, also ihn zum Beispiel von weiteren Taten abhalten. Und es muss natürlich ganz wesentlich auch andere Täter abschrecken und in der gesamten Gesellschaft den Eindruck erwecken, dass die Regeln, die gelten, auch wirklich gelten.
Deutschlandfunk Kultur: Wie sieht das aus, wenn wir ein Beispiel wie die Finanzkrise nehmen, wo Banker selten in Haftung genommen wurden? Erfüllt das Strafrecht dann solche Zwecke?
Thomas Fischer: Die Finanzkrise ist natürlich ein schwieriges und deshalb auch sehr hochinteressantes Beispiel, weil da so eine intuitive Gerechtigkeitserwägung eher dafür spricht zu sagen, das ist grandios gescheitert. Eine strafrechtliche Aufarbeitung der sogenannten Finanzkrise, weder der ersten, noch der zweiten, hat es ja nicht wirklich gegeben. Es sind vielleicht ein paar Dummköpfe erwischt worden, die besonders gierig irgendwelche Betrügereien begangen haben. Aber das Große und Ganze, die Sache selbst ist ja strafrechtlich gar nicht fassbar gewesen.
Das ist jetzt natürlich eine Frage, die man rechtspolitisch anders betrachten kann als rechtsdogmatisch. Denn die Straftatbestände, die da inmitten standen, insbesondere natürlich Betrugsstraftaten, waren nach den Regeln unseres Strafrechts schlicht und ergreifend nicht oder nur sehr schwer feststellbar.
Deutschlandfunk Kultur: Das hinterlässt aber ein großes Unrechtsempfinden, Unrechtsgefühl in der Bevölkerung. Zu Recht, wie Sie gerade sagen. – Was für Folgen hat das für einen Rechtsstaat, wenn solche Taten dauerhaft nicht richtig sanktioniert werden?
"Gewaltstraftaten werden viel prominenter wahrgenommen"
Thomas Fischer: Na, das kann unter der Rubrik, das sei halt systemrelevant, abgehakt werden. Wird ja auch häufig abgehakt. Es ist ja nicht so, dass der Rechtsstaat zusammengebrochen ist, weil alle Vorstände von allen Banken noch immer weiterhin da sind. Die Empörung hat sich also wieder gelegt, nachdem gesagt wurde, das Geld ist ja immer noch sicher, oder die Bundesregierung wird es schon ersetzen.
Aber natürlich steht dahinter eine bestimmte Struktur, in der gefährliches Verhalten in einer Gesellschaft überhaupt definiert, erkannt, festgestellt und zur Kenntnis genommen wird. Und es ist so, dass in unserer Gesellschaft insbesondere Gewaltstraftaten, Raub- und Diebstahlsdelikte, Sexualdelikte, also einfache überschaubare Sachverhalte, viel prominenter erstens wahrnehmbar sind und zweitens auch viel stärker im Vordergrund stehen. Während systematische Dinge wie Umweltstrafrecht, Wirtschaftsstrafrecht im weiteren Sinne, wie auch dieses jetzt, häufig gar nicht ankommen bei uns, weil die Regeln das nicht hergeben.
Deutschlandfunk Kultur: Und bei den spektakuläreren Sachen findet teilweise eine bemerkenswerte Vermischung statt, die beklagen Sie auch in Ihrem Buch. Sie kritisieren Medien dafür. Aber ich glaube, man kann an manchen Stellen auch Politiker kritisieren, wenn wir zum Beispiel den Fall von Sami A. nehmen, diesen mutmaßlichen Leibwächter Bin Ladens. Das ist eigentlich gar keine strafrechtliche Sache. Aber wenn dann der NRW-Innenminister am Gericht vorbei eine Abschiebung durchzusetzen versucht, so als wäre diese Abschiebung eine Strafe für Taten, die gar nicht juristisch nachgewiesen sind. – Was geht da in Ihnen als Jurist vor?
Thomas Fischer: Ich finde die Beschreibung nicht ganz zutreffend. Erstens haben Sie völlig Recht damit, dass es mit Strafrecht nix zu tun hat. Das ist schlicht und ergreifend Ausländerrecht und Verwaltungsrecht.
Deutschlandfunk Kultur: Es wird aber so behandelt, als wäre das die gerechte Strafe, dass dieser Mensch abgeschoben werden müsste.
Thomas Fischer: Nein. Es gab und gibt noch immer eine rechtskräftige Ausweisungsverfügung. Es gab nur eine einstweilige Anordnung des zuständigen Verwaltungsgerichts, dass sie nicht umsetzbar war aus bestimmten Gründen. Der Skandal ist eigentlich nur der gewesen, dass die Verwaltung, also die Innen- und Ausländerverwaltung, sich über gerichtliche Entscheidungen mit Fleiß und mit einem erheblichen Maß an Trickserei, fand ich, hinweggesetzt hat.
Das ist natürlich ein krasser Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip des Rechtstaats und deshalb auch falsch.
Deutschlandfunk Kultur: Aber die, die das getan haben, die sahen die Stimmung der Bevölkerung, so bildeten sie sich das zumindest ein, hinter sich. Und das ist diese Frage, um die es mir geht.
"Die pure Demokratie und die puren Emotionen führen nicht zu Gerechtigkeit"
Thomas Fischer: Dafür sind ja rechtliche, justizielle, rechtsstaatliche Institutionen da, weil Richter diejenigen sind, die in unabhängiger und halbwegs neutraler Weise sich aus diesem unmittelbaren intuitiven Zusammenhang von Gerechtigkeit, Empörung, Rachebedürfnis, Opferschmerz und Täterangst und Ähnlichem etwas zurückziehen sollen und die Aufgabe haben, insgesamt für Rechtsfrieden zu sorgen, indem sie möglichst alle wichtigen Interessenlagen und Perspektiven eines Falles betrachten.
Deutschlandfunk Kultur: Aber genau um dieses Spannungsfeld geht es mir. Vorhin bei der Finanzkrise haben wir gesagt, das ist ein Problem, wenn sie tatsächlich dauerhaft nicht richtig aufgearbeitet wird und dass das das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung stört. Jetzt plädieren Sie gerade dafür, na ja, die Emotionen müssen da eigentlich raus gedrängt werden. – Widersprechen sich diese beiden Positionen nicht?
Thomas Fischer: Nein, das empfinde ich eigentlich nicht so. Das bedeutet ja nicht, dass dieses emotionale Bedürfnis nach Gerechtigkeit immer falsch ist oder dass es illegitim ist. Es ist natürlich legitim. Es kann nur nicht unmittelbar umgesetzt werden in rechtliche Regelungen oder gar in staatliche Gewalt. Das würde dazu führen, dass man auf die Straße geht und bei jedem einzelnen Strafverfahren fragt: Wie würden Sie denn diesen Beschuldigten, der der Vergewaltigung oder des Totschlags oder des Raubs beschuldigt wird, wie möchten Sie den bestrafen? Die pure Demokratie und die pure Empörung führen ja nicht zu Gerechtigkeit.
Übrigens ist es eine Erfahrung, die man als Strafrichter ganz häufig macht: Wenn Sie Menschen über Fälle befragen, wenn Sie in der Fußgängerzone zu irgendeinem spektakulären Fall eine Umfrage machen, dann kriegen Sie massenhaft Vorschläge, wie die Strafen zu sein haben angeblich nach Meinung der Menschen.
Deutschlandfunk Kultur: Zum Beispiel?
Thomas Fischer: Das sind in der Regel brutal harte Strafen oder vollkommen rechtsstaatswidrige Folterstrafen. Da hört man die unglaublichsten Vorschläge, was man mit diesen "Kinderschändern" und wie sie alle heißen, diesen Monstern, diesen Fremden in unserer Gesellschaft angeblich anfangen soll.
Wenn Sie dieselben Leute als Schöffen in den Gerichtssaal setzen und an einem zweitägigen Prozess teilnehmen lassen…
Deutschlandfunk Kultur: Dann sind die plötzlich gemäßigt.
Thomas Fischer: Dann sind die nicht nur gemäßigt, sondern häufig geradezu wie ausgewechselt. Weil sie den Dingen nahekommen, weil sie sehen, dass es nicht nur eine Perspektive gibt, und weil die Lebensumstände meistens wesentlich komplizierter und differenzierter sind, als dass man sie in nur einem Schlagwort zusammenfassen könnte.
"Es war legitim, Menschen wegen Hexerei zu verurteilen"
Deutschlandfunk Kultur: Diese Empörung, die Sie jetzt angesprochen haben, führt uns zu einer weiteren Zutat, bei der ich mich frage, ob sie eigentlich in das Strafrecht hineingehört. Die erste war dieses intuitive Gerechtigkeitsgefühl, und die zweite ist die Moral. – Wie viel Moral braucht das Strafrecht?
Thomas Fischer: Moral ist eine wesentliche Quelle von Recht. Moral und Ethik sind wesentliche Quellen von Recht. Aber es reicht natürlich nicht aus. Alles ist immer in Bewegung. Nicht nur das Recht ist in Bewegung, sondern auch die Moral. Die gesellschaftlichen Vorstellungen verändern sich im Laufe der Zeit sehr stark. Vor dreihundert Jahren wurde man verurteilt wegen Schadenszauber oder weil man andere Menschen mittels bösem Blick schlimme Krankheiten angehext hatte. Auch das ist ja gesellschaftlich allgemein akzeptiert worden.
Wir können auch schwerlich sagen, dass das alles vollkommene Fehlurteile waren. – Über viele Jahrhunderte hinweg hat Justiz und hat das Recht ausschließlich Unrecht produziert. Nur wir haben jetzt plötzlich in den letzten zehn Jahren das Recht erstmals richtig erfunden. So funktioniert es ja nicht.
Deutschlandfunk Kultur: Wollen Sie damit sagen, das war völlig richtig? Das waren richtige Urteile, wenn früher Menschen wegen Hexerei verbrannt wurden?
Thomas Fischer: Das waren legitime Urteile, das glaube ich schon. Genauso wie man nicht sagen kann, dass jedes einzelne Urteil, das jemals durch Beweiserhebung mit Folter erreicht worden ist, vom Grundsatz her falsch war, vom Grundsatz her überhaupt nicht legitim. Ich glaube nicht, dass man hingehen kann und sagen: die letzten 2.000 Jahre Rechtsgeschichte bestehen ausschließlich aus Verrücktheit und Rechtsbeugung und Verbrechen. So, glaube ich, kann man mit unseren Vorfahren und mit der geschichtlichen Entwicklung nicht umgehen.
Sondern man muss sehen, dass sich die Dinge außerordentlich kompliziert in einem ständigen kommunikativen gesellschaftlichen und politischen Prozess bewegen. Alles verändert sich. Auch das, was wir jetzt hier gerade tun, ist ja ein Teil davon. Es gibt viele Mitspieler. Es gibt viele Akteure auf dieser Bühne. Der Gesetzgeber ist der eine. Die Menschen sind die anderen. Die Medien spielen eine ganz wichtige Rolle. Und es ändern sich gesellschaftliche Umstände nicht durch bloßes Erkennen von Wahrheit. Die Menschen selbst ändern sich, weil sich die Verhältnisse ändern. Deshalb ändert sich die Wahrheit.
Also: Modernisierung kommt nicht einfach daher, dass plötzlich 1990 oder 2010 Dinge erkannt werden, die man genauso gut schon vor 150 Jahren hätte erkennen können, sondern weil sich die gesellschaftlichen Verhältnisse insgesamt komplett geändert haben.
"Inkompetenz des Publikums rechtfertigt nicht Inkompetenz der Medien"
Deutschlandfunk Kultur: Wir sprechen über das Strafen. – Was sind eigentlich gerechte Strafen? Ich habe es vorhin schon angedeutet, Herr Fischer, Sie gehen in Ihrem Buch auch hart ins Gericht mit Journalisten, die unsauber mit juristischen Kategorien arbeiten, die Dinge vermischen und dadurch eigentlich keine Aufklärung betreiben, sondern eher das Gegenteil und eine Emotionalisierung herbeiführen.
Sie schreiben, das Publikum habe zwar häufig keine Ahnung, aber "Inkompetenz des Publikums rechtfertigt nicht Inkompetenz der Medien". – Steht es tatsächlich so schlecht um den deutschen Strafrechtsjournalismus?
Thomas Fischer: Da muss man sagen: Die Medien haben ja eine außerordentlich bedeutende, wichtige Rolle, dieses Verständnis von Recht, von der Diskussion von Recht, von der Entwicklung von Recht usw. zu vermitteln. Da scheint mir in der Tat in einem wirklich hohen Maße die Struktur der medialen Berichterstattung den Ansprüchen, die man da stellen muss, nicht zu genügen.
Teilweise ist das schwer vermeidbar, weil die Presse etwa naturgemäß zur Skandalisierung neigt. Das heißt, herausgegriffen aus diesem unendlichen Geschehen der Welt, die uns umgibt, werden immer die Dinge, die besonders spektakulär sind, skandalös sind, in der Regel auch besonders schlecht sind. Und wenn das ausschließlich auf so einer oberflächlichen und eindimensionalen Ebene vermittelt wird, kommt natürlich auch immer nur das an.
Das zeigt ja beispielsweise, dass in ganz vielen Fällen die Vorstellung der Menschen, die sie von der Lage des Rechts, von der Sicherheitslage, von der Kriminalitätslage haben, mit der Realität überhaupt nicht übereinstimmen, sondern ganz falsch sind.
Deutschlandfunk Kultur: Was zum Beispiel die Einschätzung der Sicherheitssituation betrifft.
Thomas Fischer: Ja.
Deutschlandfunk Kultur: Und eine Sache taucht in Ihrem Buch mehrfach auf, da habe ich den Eindruck, die erbost Sie wirklich. Das sind Titelseiten, die es zu einem großen Skandal erklären, dass da eine "Rechtslücke" entdeckt worden sei. – Und Sie sagen, die Rechtslücke ist in Wahrheit kein Skandal, sondern ein Zeichen dafür, dass der Rechtsstaat gut funktioniert.
Thomas Fischer: Ja. "Rechtslücke" ist einfach eine Metapher, die schief ist.
Deutschlandfunk Kultur: Was ist da falsch?
"Die Lücke im Strafrecht ist ja grad der Gag"
Thomas Fischer: Wenn das Strafrecht keine Lücken hätte, dann käme man ja mit einem einzigen Paragraphen aus. Der würde lauten: "Das menschliche Handeln wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis lebenslänglich bestraft. Absatz 2: Ausnahmen sind bei der nächstgelegenen Polizeidienststelle zu beantragen." Dann wäre das Sitzen, das Trinken, das Rauchen, das Stehen, das Schlafen strafbar und man müsste immer eine Ausnahmegenehmigung beantragen. Dann hätte man ein Strafrecht ohne Lücken.
Das ist natürlich eine alberne Vorstellung. Das heißt, die Lückenhaftigkeit ist gerade der Gag eines Strafrechtes. Das ist ja gerade das Gute am Strafrecht, dass wir nicht alles menschliche Handeln mit Strafe bedrohen und alle Menschen für ihre bloße Existenz ins Gefängnis stecken.
Das bedeutet die Formulierung: Strafrecht ist fragmentarisch, es wählt sich aus den vielen Handlungen, die Menschen begehen, nur diejenigen aus, von denen die Gesellschaft in ihrem jeweiligen Zustand meint, dass sie besonders stark in fremde Rechtsgüter eingreifen oder besonders gefährlich sind.
Und wenn man sagt, wir haben schon wieder eine Strafrechtslücke erkannt, dann meint mein eigentlich nicht, dass eine Lücke da ist, sondern man stellt die rechtspolitische Forderung auf, irgendetwas, was bisher nicht strafbar ist, soll von jetzt an strafbar sein.
Deutschlandfunk Kultur: Genau das ist der Punkt. Sie sagen, diese ganze Art und Weise der Berichterstattung, die würde zu dem Verständnis hindrängen, man müsse nur schärfere Gesetze einführen, höhere Strafen androhen. Und das Ganze ginge deshalb in so eine Art unreflektierte Verbotsdiskussion.
Thomas Fischer: Ja.
Deutschlandfunk Kultur: Das hat natürlich politische Folgen.
Thomas Fischer: Das hat politische Gründe und politische Folgen, natürlich. Denn die Darstellung und die Rezeption, die Aufnahme in der Öffentlichkeit ist ja eine Vorstellung, die davon ausgeht, das Strafrecht, das Recht insgesamt sei ein fertiges Ding wie so eine Folie, wo man jetzt das Richtige oder das Falsche empfinden kann, was endlich mal zum Ende kommen muss, wo endlich mal jetzt Schluss sein muss, wo man irgendwie durch ständiges Lückenfüllen einen Zustand herstellen muss, der dann für endgültige und optimale Sicherheit sorgt.
Das ist natürlich eine völlige Illusion. Sondern alles verändert sich ja ständig. Deshalb muss man nicht nur sagen, es ist eine Lücke da, sondern man muss dazu sagen: Warum ist die Lücke da? Ist die wirklich da? Wie wollen wir sie füllen? Können wir sie füllen? Was hat das für Auswirkungen, Zweit-, Dritt- und Viertauswirkungen? Was spricht dafür und was spricht dagegen?
Deutschlandfunk Kultur: Denn sonst kommen tatsächlich Gesetze zustande, die sehr drastisch sind. Insbesondere hat das nämlich Folgen in der Sicherheitspolitik.
Thomas Fischer: Das ist ja ein Kennzeichen unserer Strafrechtspolitik, dass wir immer mehr Gesetze machen, die ihr Ziel völlig verfehlen.
Deutschlandfunk Kultur: Zum Beispiel?
Thomas Fischer: Gesetze, die in ihrer bloßen Verabschiedung schon ihren Endpunkt erreicht haben. Sie hören zwei Monate lang von einem Skandal nach dem anderen. Es wird aufgeblasen, ob das nun Sexualstrafe ist oder ob das Messerstecherei ist oder ob das die Wohnungseinbruchsdiebstähle sind. Vor anderthalb Jahren gab es plötzlich eine Welle, eine unglaubliche Welle von Berichterstattung über sich ständig steigernde Zahlen von Wohnungseinbrüchen. Dann hat der Gesetzgeber den Strafrahmen für Wohnungseinbrüche aus denselben Gründen, aus denen er im Jahr 1998 die Strafen schon mal erhöht hat, mit exakt denselben Begründungen im Jahr 2015 nochmal leicht erhöht. Als ob irgendein Wohnungseinbrecher sagen würde, okay, für zehn Jahre mach ich den Wohnungseinbruch, für zwölf Jahre aber nicht.
"Nicht den bloßen idiotischen Gedanken bestrafen"
Deutschlandfunk Kultur: Das zieht sich ja als roter Faden durch ihr Buch, dass Sie sagen: Höhere Strafandrohungen sind unsinnig.
Thomas Fischer: Nein, nicht immer, aber seitdem das so im Gesetz steht, hört man doch nichts mehr davon. Es wird so getan, als ob in dem Moment, in dem ein Gesetz im Bundesgesetzblatt steht, das Problem gelöst wäre. Dahinter steht aus rechtspolitischer Sicht, dass die Rechtspolitik in sehr kurzen Rhythmen arbeiten muss, dass die Öffentlichkeit sofortige und schnelle Abhilfe verlangt und dass ununterbrochen ein Erledigungsdruck aufgebaut wird. Und das kostet ja auch nichts. Ins Gesetz können wir alles schreiben, was jetzt auch noch verboten ist und was jetzt mit ganz besonders hoher Strafe bedroht wird. – Aber das ändert natürlich in der Sache und am Problem überhaupt nichts.
Deutschlandfunk Kultur: Seitdem das angebliche "Supergrundrecht auf Sicherheit" erfunden worden ist, ist das ein Bereich, in dem besonders viele solche Gesetze entstehen. Ich musste an eines denken, das schildern Sie auch als Beispiel in Ihrem Buch. Der Versuch, aus der Bundesrepublik auszureisen, um sich in einem anderen Land in einem sogenannten Terrorcamp ausbilden zu lassen, um dann wieder zurückzukommen, um dann hier einen Terroranschlag verüben zu wollen – allein der Versuch der Ausreise soll schon unter Strafe stehen.
Thomas Fischer: Das soll nicht nur unter Strafe stehen, sondern steht unter Strafe.
Deutschlandfunk Kultur: Was sagt Ihr Juristenherz zu solchen Konstruktionen?
Thomas Fischer: Das ist eine relativ typische Konstruktion, die man als extreme Vorverlagerung bezeichnen kann. Wir haben ja seit einigen Jahren schon den § 89 a und b, diese Vorschriften, die das Sich-Ausbilden-Lassen in irgendwelchen Aktivitäten terroristischer Art unter Strafe stellt. Das ist ja an sich schon eine Vorverlagerung. Denn da muss ja noch viel passieren, bis es dann zu einer Terrortätigkeit kommt: Diese Ausbildung muss vollzogen werden; es muss dann zu einer Entscheidung kommen; es muss ein Tatentschluss erfolgen; es muss die Tat versucht werden; es muss die Tat vollendet werden. – Ganz weit vor verlagert.
Und jetzt geht man halt noch einen Schritt weiter und sagt schon, nicht nur die Ausreise selbst ist strafbar, sondern schon der Versuch der Ausreise mit dem Ziel, das zu machen, ist strafbar. Das ist eine Strafnorm, von der man sagen muss, da stößt der Rechtsstaat an die Grenzen des Schuldprinzips: Weil da ja möglicherweise letzten Endes nicht viel mehr bestraft wird als der bloße böse Wille, der bloße idiotische Gedanke.
"Das ist in der Geschichte immer nach hinten losgegangen"
Deutschlandfunk Kultur: Sie haben gesagt, es stößt an die Grenze. Aber Sie sagen, es ist noch in Ordnung für einen Rechtsstaat, einen bösen Willen zu bestrafen?
Thomas Fischer: Nein. Das ist es nicht.
Zweitens ist die Frage der Umsetzbarkeit, der Praktikabilität außerordentlich naheliegend. Das gilt auch für das aktuelle, immer wieder neu diskutierte Sexualstrafrecht, was ja auch immer noch nicht ausreichen soll. In vielen Fällen ist es ja so, dass wir heute viele Tatbestände haben, die zwar im Gesetz drinstehen, bei denen man aber beim besten Willen nicht mehr weiß, wie Gerichte diese Regeln vernünftig, rational und halbwegs gerecht umsetzen sollen.
Wenn Sie zum Beispiel nur noch Tatbestände schaffen, die geradezu typischerweise auf Aussage-gegen-Aussage-Situationen hinauslaufen, wo es nur noch darum geht, ob irgendeine Person vor fünf Jahren oder sechs Monaten irgendwann mal gesagt hat, nein oder nicht nein, …
Deutschlandfunk Kultur: Sie meinen im Sexualstrafrecht.
Thomas Fischer: Ja. Das kann man aber genauso gut auf andere Deliktsgruppen übertragen. Das sind typische Strukturen, die wir heute geschaffen haben. Und da muss man einfach sagen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass auf dieser Grundlage richtige Urteile entstehen, ungefähr genauso groß ist wie die Wahrscheinlichkeit, dass unrichtige Urteile entstehen. Man weiß es halt nicht. Und man kriegt es auch nicht raus mit vernünftigen Mitteln.
Deshalb glaube ich, dass Straftatbestände solcher Art, wie auch zum Beispiel diese versuchte Ausreise, eher einen symbolischen Charakter haben. Sie sollen einfach nur zeigen, dass der Staat mit der Rechtspolitik für Sicherheit sorgen möchte. Das ist ein Anspruch, der heute an Strafrechtspolitik gerichtet wird, die sich von Sicherheitspolitik, also Polizeirechtspolitik, gar nicht mehr unterscheidet, …das ist ein Anspruch, der verfehlt ist.
Deutschlandfunk Kultur: Davor warnen Sie ja ganz grundsätzlich: Durch das Strafrecht Sicherheit schaffen zu wollen.
Thomas Fischer: Ja, durch Strafrecht Missstände bekämpfen. Jeden Missstand in der Gesellschaft. Kaum ist irgendwo aufgefallen, dass irgendwas in irgendeinem Kindergarten nicht funktioniert oder irgendeine Schule keine Beleuchtung hat, kommt garantiert einer her und sagt: Wer ist dafür verantwortlich? Der muss zurücktreten. Warum ist das nicht strafbar?
Das sind wohlfeile Forderungen und wohlfeile Versprechungen, die zu einer vollkommenen Überlastung des Strafrechts an sich führen und nicht dazu, dass Gerichte hergehen und versuchen möglichst viel Unrecht anzurichten und nicht hart genug zu strafen. Und die Bürger müssen sich immer auch überlegen: Diese Sicherheitsanforderungen, die betreffen ja auch sie selbst.
Deutschlandfunk Kultur: Das kann nach hinten losgehen.
Thomas Fischer: Das kann massiv nach hinten losgehen. Und in der Regel ist es in der Geschichte immer nach hinten losgegangen.
Deutschlandfunk Kultur: Das würde also heißen, dass eine solche Strafgesetzgebung, die Sicherheit schaffen will, in Wirklichkeit eher die Strafgesetze, vielleicht sogar den Rechtsstaat an seine Grenze bringt. Vielleicht auch ein bisschen gefährdet. In Ihrem Buch skizzieren Sie aber noch eine weitere große Gefahr für Rechtsstaat und Strafrecht auch. Und die kommt von politisch rechter Seite.
Sie sagen, durch Rechtspopulisten, egal, ob in den USA, egal, ob in Osteuropa, aber auch durch die AfD, durch diese erfolge ein regelrechter Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit, auf die Institutionen. – Was meinen Sie da?
"Das ist natürlich ein leeres und relativ dummes Versprechen"
Thomas Fischer: Ich glaube nicht, dass das eine wirkliche ganz neue Qualität ist. Es ist nur so, dass es – jedenfalls bei uns in Deutschland – quantitativ sehr stark zugenommen hat. Diese sogenannten rechtspopulistischen "Bewegungen" setzen ja gerade an den Bedürfnissen und Intuitionen und Gefühlen an, über die wir jetzt schon ausführlich gesprochen haben, und radikalisieren diese, vereinfachen sie auf noch weitere Weise.
Denn das grundsätzliche Ziel solcher Bewegungen ist eine Delegitimierung staatlicher Strukturen und dessen, was wir als das sogenannte System bezeichnen. Also, in Anknüpfung an die Terminologie aus der Weimarer Republik, wo gesagt wird: Diese alten Strukturen, das alte System muss irgendwie weg und jetzt muss was ganz Neues her, also ein autoritäres System, was dann durch brutale Härte oder durch irgendwelche Regelungen, die vollkommen unklar sind, dann dafür Sorge trägt, dass die Sicherheit erhöht wird. Das ist natürlich ein leeres und relativ dummes Versprechen.
Deutschlandfunk Kultur: Wobei die AfD von sich selbst sagt, sie wolle geltendes Recht wieder in Kraft setzen.
Thomas Fischer: Das ist jetzt was Spezielles, was die Ausländerproblematik betrifft. Ich bin aber jetzt weder Öffentlichrechtler, noch Verfassungsrechtler. Ich glaube trotzdem, dass es falsch ist. Was aber das Strafrecht betrifft, hat die AfD ja nichts anderes zu bieten, als dass man Ausländer möglichst hart bestrafen solle und ansonsten eben mit dem Knüppel auf alles draufschlagen solle. Das ist ja keine Rechtspolitik und würde auch nicht dazu führen, dass es irgendwie schöner, besser oder sicherer in Deutschland wird.
Deutschlandfunk Kultur: Eine weitere Bedrohung für den Rechtsstaat sehen Sie in der verschärften Rhetorik gegenüber dem Rechtstaat. Und das ist dann nicht nur die AfD. Das haben wir im auch zum Beispiel aus der CSU gehört, wenn von der "Anti-Abschiebe-Industrie" die Rede war, von der "Herrschaft des Unrechts". Das ist jetzt auch nur bedingt Strafrecht, aber auch das ist ein Verächtlichmachen von Institutionen.
"Ein Untergangsprogramm für die rechtsstaatliche Freiheit"
Thomas Fischer: Ja. Ich glaube, dass das erstens stimmt und zweitens auch wirklich gefährlich ist. Das hat damit zu tun, was ich auf Ihre letzte Frage schon gesagt habe, nämlich mit dem Bedürfnis oder dem Bestreben, den Staat, den Rechtsstaat und damit die rechtlichen Strukturen der Gesellschaft insgesamt zu delegitimieren und den gesellschaftlichen Frieden so zu zerstören, dass große Teile der Bevölkerung dem Staat überhaupt nichts mehr zutrauen. Und sich diesen maßlosen Forderungen und radikalisierten Forderungen anschließen, dass sozusagen korrupte und rechtsferne und rechtsfeindliche Eliten, "die da oben", gegen das Volk, "uns", regieren und alles falsch machen. Und man müsste nur die Leute auf der Straße und die bio-deutschen Rechthaber fragen, damit alles wieder besser würde.
Das ist eine Strategie, die sich durchzieht, die systematisch ist und die sehr gefährlich ist. Denn eine rechtsstaatliche Demokratie ist außerordentlich stark, ist existenziell auf die Legitimität ihrer Institutionen angewiesen ist.
Deutschlandfunk Kultur: Sie nennen das in Ihrem Buch ein "Untergangsprogramm für die rechtsstaatliche Freiheit". – Was würde uns denn drohen, wenn das Erfolg hätte?
Thomas Fischer: Nun, das kann man überall in der weiten Welt sehen. Und das hat man ja auch in Deutschland schon hinreichend gesehen. Wenn wir soweit kommen beispielsweise, dass "rechtspolitisch", in Anführungszeichen, strafrechtspolitische und sonstige Forderungen mit Hilfe von purer Gewalt umgesetzt werden, oder wenn wir dazu kommen, dass ganze Städte oder Dörfer oder Landstriche beherrscht werden von radikalisierten gewalttätigen Banden, dann ist in der Tat der Rechtsstaat in sehr großer Gefahr. Das lässt sich dann nur noch ganz schwer wieder einfangen und zurückdrängen.
Deutschlandfunk Kultur: Da sind wir dann bei diesem Zorn, über den wir ganz am Anfang gesprochen haben, dieses Gefühl, Recht würde nicht umgesetzt, wenn Bürger glauben, sie müssten das Strafen selbst in die Hand nehmen.
Thomas Fischer: Das ist eine große Gefahr, ja.
Deutschlandfunk Kultur: Herr Fischer, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
Thomas Fischer: Ich danke Ihnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.