Jurist zum Infektionsschutzgesetz

“Freiwillige Selbstbeschränkung des Parlaments”

06:39 Minuten
Jens Spahn der Bundesminister fuer Gesundheit bei seiner Rede zur Aenderung des Infektionsschutzgesetz bei der 191. Sitzung des Deutschen Bundestag in Berlin
Gesundheitsminister Jens Spahn hält im Bundestag eine Rede zum neuen Infektionsschutzgesetz: Es präzisiere den Rahmen für die Coronapolitik der Regierung, sagt der Jurist Alexander Thiele. © picture alliance / Flashpic/Jens Krick
Alexander Thiele im Gespräch mit Julius Stucke |
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Das veränderte Infektionsschutzgesetz ist beschlossen. Grundsätzlich sei es positiv, den Rahmen für die Corona-Verordnungen zu präzisieren, sagt der Jurist Alexander Thiele. Doch wie diese entstehen, werde weiterhin nicht transparent.
Im Eiltempo haben der Bundestag und der Bundesrat eine Reform des Infektionsschutzgesetzes beschlossen, begleitet von Protesten auf der Straße, aber auch kritischen Stimmen aus der Opposition. Ein Kritikpunkt: Das Gesetz nehme den Parlamenten zu viel Macht.
Der Jurist Alexander Thiele arbeitet momentan an einer Stellungsnahme zu dem Gesetz. Positiv sei, "dass wir eine Reform haben und das Parlament sich der Aufgabe stellt, das Infektionsschutzgesetz ein bisschen pandemiefester zu machen", urteilt Thiele.

Wenig Beteiligung der Abgeordneten

Schlecht gemacht sei aus seiner Sicht, dass im Infektionsschutzgesetz weiterhin nicht vorgesehen sei, dass sich das Parlament immer wieder, mit einer gewissen Regelmäßigkeit, mit der Pandemielage auseinandersetzen müsse.
"Wir haben im Grunde einen verbesserten Rahmen für die exekutivischen Verordnungen, für die Entscheidungen der Landesregierungen. Aber wir haben eben immer noch nicht eine wirklich institutionalisierte, feste und regelmäßige Beteiligung des Parlaments."

Verordnungen gerichtsfester, aber intransparent

Von einer "Entmachtung des Parlaments", die manche Kritiker in der Reform sehen, würde Thiele allerdings nicht sprechen. Das sei ihm "ein bisschen zu scharf", es sei eher "eine freiwillige Selbstbeschränkung des Parlaments". Das Parlament könne das in Zukunft auch wieder anders entscheiden.
Nachdem die Gesetzesreform den Rahmen für die Verordnungen der Landesregierungen jetzt präzisiert habe, würden diese auch gerichtsfester, glaubt der Jurist. Denn diese Verordnungen müssten nun zwingend begründet werden und sollten zeitlich befristet werden.
Das zentrale Problem bleibe aber: "Wie kommt es zu diesen Verordnungen? Wie kommt es zu den Entscheidungen, die im Kanzleramt getroffen werden? Das ist weiterhin nicht transparent."

Entscheidungen in dunklen Räumen

Für die Akzeptanz von Entscheidungen sei es generell wichtig, dass die Betroffenen den Weg der Entscheidungen nachvollziehen könnten und sehen, "dass Argumente gewogen werden, dass Argumente stattfinden, dass diskutiert wird, dass es Rede und Gegenrede gibt." Der Raum dafür sei nicht die Runde aus Kanzlerin und Länderschefs, sondern das Parlament, betont Thiele:
"Das Parlament entschleunigt, indem dort debattiert und diskutiert wird. Die Exekutive soll schnell handeln."
Beides müsse man in dem Spannungsverhältnis während der Pandemiezeit angemessen ausgleichen, was derzeit seiner Ansicht nach nicht gelingt: "Da haben wir eine zu starke Exekutivlastigkeit, zu viele dunkle Räume, die entscheiden."
(jfr)
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