Juristin erwartet Zunahme von Sorgerechtsprozessen
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das die Rechte unverheirateter Väter stärkt, sind vermehrt rechtliche Auseinandersetzungen um das Sorgerecht zu erwarten, glaubt Jutta Wagner. Die Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes hält das deutsche Familienrecht in manchen Punkten für antiquiert.
Ulrike Timm: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat ledigen Vätern den Rücken gestärkt und einem Singlevater bestätigt, dass er im Kampf um sein Mitspracherecht bei der Sorge um seine Tochter anders behandelt worden sei als die Mutter – das sei eine Diskriminierung. Nach deutschem Recht etwa kann eine ledige Mutter dem Kindsvater zum Beispiel den Kontakt zum Kind verweigern, denn bei unverheirateten Paaren hat das Sorgerecht automatisch allein die Mutter. Was dieses Urteil bedeutet für die Lebenswirklichkeit von Vätern, Müttern und Kindern, wie für die Rechtsprechung in Deutschland? Darüber sprechen wir jetzt mit Jutta Wagner, sie beschäftigt sich vor allem mit Familienrecht, ist Vorsitzende des Deutschen Juristinnenbundes und hat mehrfach Väter in Sorgerechtsangelegenheiten vertreten. Frau Wagner, guten Tag!
Jutta Wanger: Guten Tag!
Timm: Was bedeutet denn dieses Urteil? Muss jetzt das deutsche Familienrecht von Grund auf geändert werden?
Wagner: Also, dieses Urteil weist vielleicht zu Recht darauf hin, dass auch das deutsche Familienrecht in manchen Punkten noch ein bisschen 50er-Jahre, retro ist. Es muss zwar nicht von Grund auf geändert werden, aber doch in einem für unverheiratete Väter wesentlichen Punkt: Die Situation ist zurzeit ja so, dass unverheiratete Väter nur dann mit der Mutter gemeinsam das Sorgerecht ausüben können, wenn die Mutter zustimmt. Und wenn die Mutter Nein sagt, dann haben sie in Deutschland keinerlei Rechtsmittel, das heißt, sie können nicht vor Gericht darauf klagen, dass sie am Sorgerecht beteiligt werden, sondern sie sind einfach ohne jegliche Gegenwehr. Und das, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg jetzt gesagt, das darf nicht sein, es muss einen Rechtsweg für diese Väter geben.
Timm: Sie haben ja öfter Väter gegenüber Müttern vertreten, Väter, die eine absolute Minderheit sind. Die klagen darauf, dass sie mehr Umgang mit ihren Kindern haben können und die Mutter stellt sich quer. Ja, sind Ihre Mandanten denn jetzt automatisch besser dran?
Wagner: Nein, automatisch ist überhaupt niemand dran. Ich habe sogar sehr große Zweifel, ob dieser Vater, der jetzt da in Straßburg erfolgreich war, nun in Deutschland, wenn er denn irgendwann mal klagen kann, das Sorgerecht bekommen wird, aber diese praktischen Fragen sind immer was ganz anderes als die rechtlichen Fragen. Also, Straßburg hat nur gesagt: Deutschland muss für diese Väter einen Weg zur gerichtlichen Entscheidung eröffnen. Das ist etwas ganz anderes, als wenn Straßburg gesagt hätte: Es muss automatisch so sein, dass mit der Geburt eines Kindes beide Elternteile – auch, wenn sie nicht verheiratet sind – das Sorgerecht haben. So weit ist Straßburg eben nicht gegangen. Das machen einige europäischen Länder so, aber es muss eben nicht unbedingt so sein.
Timm: Das ist jetzt die juristische Seite, die viele Menschen noch lange beschäftigen wird. Haben sich die Richter vielleicht auch schlicht leiten lassen von der Lebenswirklichkeit? Heute wird jedes dritte Kind unehelich geboren, man verhandelt über ein Problem, was es, glaube ich, vor 30 Jahren fast noch nicht gab: Ein lediger Vater klagt auf mehr Umgang mit seinem Kind. Ist das eine Anmutung an die Lebenswirklichkeit?
Wagner: Vielleicht eine ganz kleine Richtigstellung an der Stelle: Ein lediger Vater kann auf Umgang auch schon nach derzeit geltendem Recht klagen und das schon seit über 20 Jahren. Das Umgangsrecht ist schon ganz gut gewährleistet. Das Sorgerecht ist wieder was anderes, und da haben Sie sicher recht, dass die deutschen Gesetze der sich entwickelnden Lebenswirklichkeit noch nicht weit genug angepasst sind, was sicher an der sehr konservativen Sicht liegt, die die Juristen im Allgemeinen auf diese Sachverhalte haben.
Man hat ja doch die überkommene Auffassung immer noch teilweise, dass der unverheiratete Vater einfach keine Verantwortung übernehmen will – sonst würde er ja die Mutter heiraten – und dass er deshalb quasi als Sanktion auch nicht am Sorgerecht partizipieren soll, nach dem Motto: Wer keine Pflichten übernehmen will, soll auch keine Rechte haben.
Und das geht natürlich an der Sichtweise auf das Kind vorbei. Also, wir bemühen uns ja in erster Linie, auf die Kinder zu gucken und wünschen uns, dass alle Kinder einen Vater und eine Mutter haben. Und das hat dazu geführt, dass man nach und nach die rechtliche Ausgrenzung des unverheirateten Vaters beseitigt hat, weil man eben das Kind in den Vordergrund stellt und dem Kind ein Vater mehr verbunden ist, der auch in gewisser Weise Rechte hat.
Timm: Sie, Frau Wagner, haben solche Väter öfter vertreten, auch schon vor vielen Jahren, und sind dabei immer wieder abgeschmettert worden. Sie sagten vorhin so schön, das war das Denken der 50er-Jahre, was im deutschen Familienrecht bis heute verankert worden ist. Können Sie uns in ein paar Worten sagen: Was haben Sie da so erlebt?
Wagner: Also, ich bin als ganz junge Rechtsanwältin gemeinsam mit einem unverheirateten Paar und dessen Sohn vor das Bundesverfassungsgericht gezogen und wollte damals schon erreichen, dass unverheiratete Väter mit am Sorgerecht beteiligt werden dürfen. Da haben wir leider damals verloren, weil eben damals dieses alte Denken noch die Mehrheit hatte, also, dass man bestraft werden sollte für eine Elternschaft oder Beziehung minderer Güte.
Timm: Nun sprechen wir über eine engagierte Minderheit von Vätern, 80 Prozent aller Väter sind ein paar Jahre nach der Trennung auch aus eigenem Bestreben heraus nur noch Zahlväter, kümmern sich kaum noch um ihre Kinder, wenn überhaupt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stärkt also einer Minderheit den Rücken, nämlich dem neuen Mann.
Wagner: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sagt wirklich nur: Es muss einen Rechtsweg geben, es muss eine gerichtliche Entscheidung geben. Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied, dass die gerichtliche Entscheidung – nach meiner Erfahrung jedenfalls – gerade in den Fällen, in denen Väter jahrelang gegen die Mutter letztlich kämpfen –, ... Dass der Rechtsweg dann erfolglos bleiben wird, das steht auf einem ganz anderen Blatt.
Ich meine, kein vernünftiger Mensch wird sich vorstellen können, dass es besonders viel Sinn macht, wenn eine Mutter und ein Vater bis aufs Blut zerstritten sind und überhaupt kein Wort miteinander reden können und nichts vernünftig miteinander regeln können, dass es überhaupt keinen Sinn macht, wenn solche Menschen gemeinsam das Sorgerecht ausüben. Das sind ja auch genau die Fälle, bei denen heute schon bei verheiratet gewesenen Eltern das Sorgerecht einem Elternteil allein übertragen wird. Das soll ja die große Ausnahme sein und ist ja auch inzwischen die Ausnahme.
Aber man wird mit Sicherheit auch in Zukunft nicht Vätern auf dem Rechtsweg – der geschaffen werden muss nach der Entscheidung von Straßburg – das Sorgerecht übertragen, wenn sie in keiner Weise mit der sorgerechtsberechtigten Mutter irgendetwas Praktisches übereinstimmend auf die Reihe kriegen.
Timm: Das war ja auch der Grund des deutschen Rechtes, dass man gesagt hat, okay, lieber die Mutter allein mit dem Sorgerecht versehen als ständiger Kampf bis aufs Blut um das Kind. Das tut dem Kind nicht gut. Ja, diese Lebenswirklichkeit, die es auch gibt, wird ja mit dem neuen Urteil aus Straßburg vielleicht sogar häufiger vorkommen, dass es dann doch Kampf gibt ums Kind, weil beide kämpfen?
Wagner: Ja, ich fürchte, ja, und das tut natürlich auch den Kindern nicht gut. Man muss ja doch einfach sehen, dass die rechtliche Seite für Eltern, die sich verstehen und die das Wohl des Kindes wirklich in den Vordergrund stellen können, eigentlich keine so große Rolle spielt. Da funktioniert das ganz praktisch. Das Sorgerecht ist ja etwas in einer funktionierenden Elternschaft, was irgendwo auf dem Papier steht.
Timm: Da, wo man klagen muss, ist es eigentlich schon wieder vorbei irgendwo?
Wagner: Ja, da sind die Probleme einfach schon zu groß, um wirklich sinnvoll da noch irgendwas gerichtlich regeln zu können.
Timm: Nun steht ja Deutschland mit seiner derzeitigen Regelung ziemlich allein. Abgesehen von Österreich, Schweiz und Liechtenstein haben alle europäischen Länder gemeinsames Sorgerecht, auch bei ledigen Paaren. Wenn sich das jetzt bei uns verändern wird, gucken wir doch einfach mal ganz neutral über die Grenzen: Welche Erfahrungen hat man denn anderswo damit gemacht? Hat es die Schwierigkeiten vermehrt oder vermindert?
Wagner: Das kann ich so wirklich leider nicht sagen, weil ich keine belastbaren Aussagen dazu kenne. Ich fürchte auch, die wird man nicht bekommen. Ich befürchte schon, dass es die Probleme vermehren wird, weil es eben Väter, die sich mit den Müttern nicht verstehen und streiten und nicht so mitmachen dürfen, einfach in weitere gerichtliche Auseinandersetzungen treiben wird, die immer eine Belastung für die Beteiligten sind.
Timm: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stärkte mit einem Urteil heute ledige Väter. Ob das wirklich Konsequenzen hat für die Lebenswirklichkeit in Deutschland, das sei noch dahingestellt. Wir sprachen mit Jutta Wagner, der Vorsitzenden des Juristinnenbundes. Herzlichen Dank für das Gespräch!
Wagner: Danke auch!
Jutta Wanger: Guten Tag!
Timm: Was bedeutet denn dieses Urteil? Muss jetzt das deutsche Familienrecht von Grund auf geändert werden?
Wagner: Also, dieses Urteil weist vielleicht zu Recht darauf hin, dass auch das deutsche Familienrecht in manchen Punkten noch ein bisschen 50er-Jahre, retro ist. Es muss zwar nicht von Grund auf geändert werden, aber doch in einem für unverheiratete Väter wesentlichen Punkt: Die Situation ist zurzeit ja so, dass unverheiratete Väter nur dann mit der Mutter gemeinsam das Sorgerecht ausüben können, wenn die Mutter zustimmt. Und wenn die Mutter Nein sagt, dann haben sie in Deutschland keinerlei Rechtsmittel, das heißt, sie können nicht vor Gericht darauf klagen, dass sie am Sorgerecht beteiligt werden, sondern sie sind einfach ohne jegliche Gegenwehr. Und das, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg jetzt gesagt, das darf nicht sein, es muss einen Rechtsweg für diese Väter geben.
Timm: Sie haben ja öfter Väter gegenüber Müttern vertreten, Väter, die eine absolute Minderheit sind. Die klagen darauf, dass sie mehr Umgang mit ihren Kindern haben können und die Mutter stellt sich quer. Ja, sind Ihre Mandanten denn jetzt automatisch besser dran?
Wagner: Nein, automatisch ist überhaupt niemand dran. Ich habe sogar sehr große Zweifel, ob dieser Vater, der jetzt da in Straßburg erfolgreich war, nun in Deutschland, wenn er denn irgendwann mal klagen kann, das Sorgerecht bekommen wird, aber diese praktischen Fragen sind immer was ganz anderes als die rechtlichen Fragen. Also, Straßburg hat nur gesagt: Deutschland muss für diese Väter einen Weg zur gerichtlichen Entscheidung eröffnen. Das ist etwas ganz anderes, als wenn Straßburg gesagt hätte: Es muss automatisch so sein, dass mit der Geburt eines Kindes beide Elternteile – auch, wenn sie nicht verheiratet sind – das Sorgerecht haben. So weit ist Straßburg eben nicht gegangen. Das machen einige europäischen Länder so, aber es muss eben nicht unbedingt so sein.
Timm: Das ist jetzt die juristische Seite, die viele Menschen noch lange beschäftigen wird. Haben sich die Richter vielleicht auch schlicht leiten lassen von der Lebenswirklichkeit? Heute wird jedes dritte Kind unehelich geboren, man verhandelt über ein Problem, was es, glaube ich, vor 30 Jahren fast noch nicht gab: Ein lediger Vater klagt auf mehr Umgang mit seinem Kind. Ist das eine Anmutung an die Lebenswirklichkeit?
Wagner: Vielleicht eine ganz kleine Richtigstellung an der Stelle: Ein lediger Vater kann auf Umgang auch schon nach derzeit geltendem Recht klagen und das schon seit über 20 Jahren. Das Umgangsrecht ist schon ganz gut gewährleistet. Das Sorgerecht ist wieder was anderes, und da haben Sie sicher recht, dass die deutschen Gesetze der sich entwickelnden Lebenswirklichkeit noch nicht weit genug angepasst sind, was sicher an der sehr konservativen Sicht liegt, die die Juristen im Allgemeinen auf diese Sachverhalte haben.
Man hat ja doch die überkommene Auffassung immer noch teilweise, dass der unverheiratete Vater einfach keine Verantwortung übernehmen will – sonst würde er ja die Mutter heiraten – und dass er deshalb quasi als Sanktion auch nicht am Sorgerecht partizipieren soll, nach dem Motto: Wer keine Pflichten übernehmen will, soll auch keine Rechte haben.
Und das geht natürlich an der Sichtweise auf das Kind vorbei. Also, wir bemühen uns ja in erster Linie, auf die Kinder zu gucken und wünschen uns, dass alle Kinder einen Vater und eine Mutter haben. Und das hat dazu geführt, dass man nach und nach die rechtliche Ausgrenzung des unverheirateten Vaters beseitigt hat, weil man eben das Kind in den Vordergrund stellt und dem Kind ein Vater mehr verbunden ist, der auch in gewisser Weise Rechte hat.
Timm: Sie, Frau Wagner, haben solche Väter öfter vertreten, auch schon vor vielen Jahren, und sind dabei immer wieder abgeschmettert worden. Sie sagten vorhin so schön, das war das Denken der 50er-Jahre, was im deutschen Familienrecht bis heute verankert worden ist. Können Sie uns in ein paar Worten sagen: Was haben Sie da so erlebt?
Wagner: Also, ich bin als ganz junge Rechtsanwältin gemeinsam mit einem unverheirateten Paar und dessen Sohn vor das Bundesverfassungsgericht gezogen und wollte damals schon erreichen, dass unverheiratete Väter mit am Sorgerecht beteiligt werden dürfen. Da haben wir leider damals verloren, weil eben damals dieses alte Denken noch die Mehrheit hatte, also, dass man bestraft werden sollte für eine Elternschaft oder Beziehung minderer Güte.
Timm: Nun sprechen wir über eine engagierte Minderheit von Vätern, 80 Prozent aller Väter sind ein paar Jahre nach der Trennung auch aus eigenem Bestreben heraus nur noch Zahlväter, kümmern sich kaum noch um ihre Kinder, wenn überhaupt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stärkt also einer Minderheit den Rücken, nämlich dem neuen Mann.
Wagner: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sagt wirklich nur: Es muss einen Rechtsweg geben, es muss eine gerichtliche Entscheidung geben. Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied, dass die gerichtliche Entscheidung – nach meiner Erfahrung jedenfalls – gerade in den Fällen, in denen Väter jahrelang gegen die Mutter letztlich kämpfen –, ... Dass der Rechtsweg dann erfolglos bleiben wird, das steht auf einem ganz anderen Blatt.
Ich meine, kein vernünftiger Mensch wird sich vorstellen können, dass es besonders viel Sinn macht, wenn eine Mutter und ein Vater bis aufs Blut zerstritten sind und überhaupt kein Wort miteinander reden können und nichts vernünftig miteinander regeln können, dass es überhaupt keinen Sinn macht, wenn solche Menschen gemeinsam das Sorgerecht ausüben. Das sind ja auch genau die Fälle, bei denen heute schon bei verheiratet gewesenen Eltern das Sorgerecht einem Elternteil allein übertragen wird. Das soll ja die große Ausnahme sein und ist ja auch inzwischen die Ausnahme.
Aber man wird mit Sicherheit auch in Zukunft nicht Vätern auf dem Rechtsweg – der geschaffen werden muss nach der Entscheidung von Straßburg – das Sorgerecht übertragen, wenn sie in keiner Weise mit der sorgerechtsberechtigten Mutter irgendetwas Praktisches übereinstimmend auf die Reihe kriegen.
Timm: Das war ja auch der Grund des deutschen Rechtes, dass man gesagt hat, okay, lieber die Mutter allein mit dem Sorgerecht versehen als ständiger Kampf bis aufs Blut um das Kind. Das tut dem Kind nicht gut. Ja, diese Lebenswirklichkeit, die es auch gibt, wird ja mit dem neuen Urteil aus Straßburg vielleicht sogar häufiger vorkommen, dass es dann doch Kampf gibt ums Kind, weil beide kämpfen?
Wagner: Ja, ich fürchte, ja, und das tut natürlich auch den Kindern nicht gut. Man muss ja doch einfach sehen, dass die rechtliche Seite für Eltern, die sich verstehen und die das Wohl des Kindes wirklich in den Vordergrund stellen können, eigentlich keine so große Rolle spielt. Da funktioniert das ganz praktisch. Das Sorgerecht ist ja etwas in einer funktionierenden Elternschaft, was irgendwo auf dem Papier steht.
Timm: Da, wo man klagen muss, ist es eigentlich schon wieder vorbei irgendwo?
Wagner: Ja, da sind die Probleme einfach schon zu groß, um wirklich sinnvoll da noch irgendwas gerichtlich regeln zu können.
Timm: Nun steht ja Deutschland mit seiner derzeitigen Regelung ziemlich allein. Abgesehen von Österreich, Schweiz und Liechtenstein haben alle europäischen Länder gemeinsames Sorgerecht, auch bei ledigen Paaren. Wenn sich das jetzt bei uns verändern wird, gucken wir doch einfach mal ganz neutral über die Grenzen: Welche Erfahrungen hat man denn anderswo damit gemacht? Hat es die Schwierigkeiten vermehrt oder vermindert?
Wagner: Das kann ich so wirklich leider nicht sagen, weil ich keine belastbaren Aussagen dazu kenne. Ich fürchte auch, die wird man nicht bekommen. Ich befürchte schon, dass es die Probleme vermehren wird, weil es eben Väter, die sich mit den Müttern nicht verstehen und streiten und nicht so mitmachen dürfen, einfach in weitere gerichtliche Auseinandersetzungen treiben wird, die immer eine Belastung für die Beteiligten sind.
Timm: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stärkte mit einem Urteil heute ledige Väter. Ob das wirklich Konsequenzen hat für die Lebenswirklichkeit in Deutschland, das sei noch dahingestellt. Wir sprachen mit Jutta Wagner, der Vorsitzenden des Juristinnenbundes. Herzlichen Dank für das Gespräch!
Wagner: Danke auch!