Justin Biebers Album "Changes"
Nach einigen Jahren Rückzug wieder zurück in der Öffentlichkeit - mit einem neuen Album: Justin Bieber. © picture alliance / dpa / AdMedia / FS
Liebeslieder aus dem Kalenderspruch-Generator
07:36 Minuten
Drogen, Fehltritte, abgebrochene Welttournee 2016, dann ein Entzug, Hochzeit – nun ist Justin Bieber zurück mit einem neuen Album. "Changes" ist eine Liebeserklärung an seine Frau. Doch eine wenig überzeugende, meint unsere Kritikerin.
Der kanadische Musiker Justin Bieber wurde 1994 in London, Ontario geboren. Groß geworden ist der Popstar nicht nur mit dem Internet, sondern mehr oder weniger im Internet. Seitdem er 14 ist, wird praktisch jeder seiner Schritte von Millionen Fans weltweit verfolgt. Am Freitag hat Justin Bieber sein neues Album "Changes" veröffentlicht. Es ist sein fünftes und hat viel damit zu tun, was es heißt, ein weltweiter Superstar zu sein und unter den Augen der Öffentlichkeit erwachsen zu werden. Mittlerweile ist Bieber 25 Jahre alt und hat das Album seiner Frau Hailey Baldwin gewidmet.
Die 17 Songs von "Changes" klängen wie vieles andere aktuell in den Pop-Charts weltweit – mit Stilen wie Tropical, EDM und R'n'B, sagt Musikjournalistin Elissa Hiersemann. Die Lieder seien zwar hochwertig produziert, "aber das Gegenteil von aufregend oder neu. Sie klingen schon jetzt seltsam überholt".
Biebers Gesang auf "Changes" sei abwechslungsreicher als auf den vier Alben davor, urteilt Hiersemann. "Er zieht im wahrsten Sinn des Wortes alle Register: Bruststimme, Kopfstimme – rau, sanft, süß wie Honig. Es wird viel geschmachtet auf dem neuen Album." Beispielsweise im Song "That’s What Love Is".
Das neue Album sei eine musikalische Liebeserklärung an Biebers Frau Hailey Baldwin, so Hiersemann. Das heute 23-jährige Model und Bieber haben 2018 geheiratet. "Man kann sagen, dass Justin Bieber ein neues Kapitel in seinem Leben aufgeschlagen hat." Das Album erzähle auch vom Rückzug ins Private in den sicheren Hafen der Ehe.
Mit Anfang 20 absolut am Ende
Das muss man auch vor dem Hintergrund sehen, dass Justin Bieber 2016 seine Welttournee zu dem sehr erfolgreichen Album "Purpose" vom einen Tag auf den anderen abgebrochen hat. "Zu dem Zeitpunkt war er über ein Jahr unterwegs, hatte schon 150 Konzerte in 40 Ländern, auf sechs Kontinenten gegeben", blickt Elissa Hiersemann zurück. "Seine Batterien waren anscheinend vollkommen leer." Hinzu kam: "Er war vor den Augen der Welt ein Teenager, der jede Menge Drogen ausprobiert, sich krass daneben benimmt, sehr viel Druck von allen Seiten bekommt und ihn sich selbst auch macht." Mit Anfang 20 sei er absolut am Ende gewesen.
Bieber selbst erzählt in der Youtube-Doku "Seasons", die gerade angelaufen ist, er habe damals die Reißleine gezogen, weil er "das Gefühl hatte, ich sterbe". Seine Security-Leute seien nachts in sein Zimmer gekommen, um seinen Puls zu checken. "Ich wachte morgens auf und schmiss direkt ein paar Pillen und rauchte einen Joint."
Während des Entzugs, den er machte, kam seine jetzige Frau Hailey Baldwin ins Spiel. "Sie passt auf, dass er seine Medikamente gegen die Depression nimmt, dass er gegen Panikattacken in sein Sauerstoffzelt steigt, sie liegt nachts total müde neben ihm, wenn er noch putzmunter Ideen in sein Handy singt", sagt Hiersemann.
Liebes-Album wirkt wie Anachronismus
Davon, was Justin Bieber durchgemacht habe, höre man aber nichts auf diesem neuen Album. Dafür ist das Thema Liebe omnipräsent. Es wirke fast wie ein Anachronismus auf einem Popalbum wie diesem, so Hiersemann. "Liebe ist etwas, was im Mainstream seit ein paar Jahren seltsam abwesend ist." Das hänge sicher mit dem Erfolg von Rap zu tun, wo es eher um Sex geht.
Doch der Gesang habe keine wirkliche Tiefe, urteilt Hiersemann. "Nicht zuletzt, weil die Lyrics auch aus einem Kalenderspruch-Generator sein könnten." Ein Beispiel: "'You teach me what love is, it’s a blessing, that you’re in my life' – auf Deutsch: Du lehrst mich, was Liebe ist, es ist ein Segen, dass du in meinem Leben bist' – hm…" Es fehle die Spannung, sowohl in den Texten als auch in der Musik.
Eventuell entspreche das genau dem momentanen Bedürfnis von Justin Bieber nach Kontinuität und Verlässlichkeit. "Das Album wirkt auf sonderbare Weise demütig, bescheiden, vielleicht sogar anspruchslos."
(abr)