Justiz-Thriller von unten
Der Kurzgeschichtenband "Das Gesetz - Stories" passt eigentlich nicht in John Grishams Profil. Im Gegensatz zu seinen Bestsellern kommen hier Rechtsanwälte nur am Rande vor. Hauptfiguren sind frustrierte Angestellte und geschiedene Ehefrauen, Bauarbeiter, Automechaniker.
Inez Graney kann sich nicht erinnern, "wann das Schicksal es das letzte Mal gut mit ihr gemeint hat". Ihr Mann war ein Trinker und hat sie bereits vor Jahren verlassen, jetzt lebt sie allein mit zwei Söhnen, Raymond, ihr ältester, sitzt im Gefängnis. An einem Mittwoch im Juli fahren sie und die beiden jüngeren dorthin, vorbei an trailer parks, abgeernteten Baumwollfeldern und verlassenen Holzhütten. Schon oft haben sie den Weg von Clanton, Mississippi, zur Justizvollzugsanstalt Parchman gemeinsam zurückgelegt. Die Kontrollen am Eingang des Gefängnisses, die Demütigungen des Wachpersonals sind längst zur Routine geworden. Und doch ist an diesem Tag alles anders. Um Mitternacht soll Raymond hingerichtet werden. Für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat.
Das kennt man. Für John Grisham ist Amerika ein einziger Justizirrtum. In "Die Jury", "Die Firma" und knapp zwanzig weiteren Bestsellern hat der gelernte Anwalt immer wieder von geldgierigen Ostküsten-Kanzleien, rassistischen Südstaaten-Richtern und korrupten Politikern erzählt, die ihre Machtkämpfe auf dem Rücken der kleinen Leute austragen. Doch der Fall Raymond Graney ist nicht Auftakt zu einem weiteren 500-Seiten-page-turner, sondern gehört in eine Sammlung von sieben Kurzgeschichten. Ihr Titel: "Das Gesetz". Eigentlich passt der Band nicht in Grishams Veröffentlichungsprofil, denn Rechtsanwälte kommen nur am Rande vor. Die Hauptfiguren hier sind frustrierte Angestellte und traurig geschiedene Ehefrauen, Bauarbeiter, Automechaniker und white trash wie die Graneys.
Inez und ihre zwei Söhne essen Burger am Rand des Highways und verscharren Raymonds Sarg am frühen Morgen auf dem Friedhof von Clanton. Eine Beerdigung in aller Stille, ein Leichenschmaus in einem Fast-Food-Restaurant, das ist das letzte bisschen Würde, das ihnen geblieben ist. Darum geht es John Grisham in seinen doch recht bösen Kurzgeschichten - um den Handlungsspielraum derjenigen, für die "das Gesetz" keine Gerechtigkeit kennt. Er erzählt von einem unterbezahlten Altenpfleger, der die Bewohner eines Seniorenheims mit Porno-Magazinen und Prostituierten versorgt und sich dafür einen Platz in ihrem Testament sichert. Von einem Versicherungsvertreter, der seine Frau an einen Kasino-Besitzer verloren hat und aus Rache die Bank sprengt. Und von einer redneck-Familie, die dem Anwalt, der sie vor Gericht um den Schadensersatz für ihr behindertes Kind gebracht hat, kurzerhand selbst den Prozess macht.
John Grisham bleibt sich also treu. Seine Kurzgeschichten sind Justiz-Thriller "von unten", und Fans kennen natürlich auch den Schauplatz: Die Protagonisten in "Das Gesetz" leben in Clanton, Mississippi, der fiktiven Kleinstadt, die der Autor vor 20 Jahren für seinen Roman "Die Jury" entworfen hatte. Der Kreis schließt sich – und John Grisham macht weiter. Im Oktober erscheint in den USA schon sein nächster Roman. Es geht um einen Mann, der unschuldig zum Tode verurteilt worden ist. Überrascht?
Besprochen von Kolja Mensing
John Grisham: Das Gesetz. Stories
Aus dem Englischen von Kristiana Dorn-Ruhl, Bea Reiter und Imke Walsh-Araya
Heyne Verlag, München 2010
383 Seiten, 19,95 EUR
Das kennt man. Für John Grisham ist Amerika ein einziger Justizirrtum. In "Die Jury", "Die Firma" und knapp zwanzig weiteren Bestsellern hat der gelernte Anwalt immer wieder von geldgierigen Ostküsten-Kanzleien, rassistischen Südstaaten-Richtern und korrupten Politikern erzählt, die ihre Machtkämpfe auf dem Rücken der kleinen Leute austragen. Doch der Fall Raymond Graney ist nicht Auftakt zu einem weiteren 500-Seiten-page-turner, sondern gehört in eine Sammlung von sieben Kurzgeschichten. Ihr Titel: "Das Gesetz". Eigentlich passt der Band nicht in Grishams Veröffentlichungsprofil, denn Rechtsanwälte kommen nur am Rande vor. Die Hauptfiguren hier sind frustrierte Angestellte und traurig geschiedene Ehefrauen, Bauarbeiter, Automechaniker und white trash wie die Graneys.
Inez und ihre zwei Söhne essen Burger am Rand des Highways und verscharren Raymonds Sarg am frühen Morgen auf dem Friedhof von Clanton. Eine Beerdigung in aller Stille, ein Leichenschmaus in einem Fast-Food-Restaurant, das ist das letzte bisschen Würde, das ihnen geblieben ist. Darum geht es John Grisham in seinen doch recht bösen Kurzgeschichten - um den Handlungsspielraum derjenigen, für die "das Gesetz" keine Gerechtigkeit kennt. Er erzählt von einem unterbezahlten Altenpfleger, der die Bewohner eines Seniorenheims mit Porno-Magazinen und Prostituierten versorgt und sich dafür einen Platz in ihrem Testament sichert. Von einem Versicherungsvertreter, der seine Frau an einen Kasino-Besitzer verloren hat und aus Rache die Bank sprengt. Und von einer redneck-Familie, die dem Anwalt, der sie vor Gericht um den Schadensersatz für ihr behindertes Kind gebracht hat, kurzerhand selbst den Prozess macht.
John Grisham bleibt sich also treu. Seine Kurzgeschichten sind Justiz-Thriller "von unten", und Fans kennen natürlich auch den Schauplatz: Die Protagonisten in "Das Gesetz" leben in Clanton, Mississippi, der fiktiven Kleinstadt, die der Autor vor 20 Jahren für seinen Roman "Die Jury" entworfen hatte. Der Kreis schließt sich – und John Grisham macht weiter. Im Oktober erscheint in den USA schon sein nächster Roman. Es geht um einen Mann, der unschuldig zum Tode verurteilt worden ist. Überrascht?
Besprochen von Kolja Mensing
John Grisham: Das Gesetz. Stories
Aus dem Englischen von Kristiana Dorn-Ruhl, Bea Reiter und Imke Walsh-Araya
Heyne Verlag, München 2010
383 Seiten, 19,95 EUR