Justiz

Wird unabhängig gegen VW ermittelt?

Die "Justitia", Göttin der Justiz und der Gerechtigkeit, steht auf dem Gerechtigkeitsbrunnen in Frankfurt am Main.
"Justitia", Göttin der Justiz und der Gerechtigkeit © picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt
Von Peter-Alexis Albrecht |
Beim VW-Skandal laufen die Aufsicht über den Konzern und über die strafrechtlichen Ermittlungen in einer Person zusammen: der des niedersächsischen Ministerpräsidenten. Das kritisiert der Jurist Peter-Alexis Albrecht - und fordert eine institutionell unabhängige Justiz.
Was macht eigentlich ein Aufsichtsrat in einem Konzern? Er hat die Geschäftsführung zu überwachen. So steht es im Aktiengesetz. Was macht ein Ministerpräsident? Er beaufsichtigt seine Minister, zum Beispiel den Justizminister, und trägt für dessen Aktivitäten die politische Verantwortung.
Und was macht ein Justizminister? Er ist zuständig für die Auswahl aller Richter und Staatsanwälte sowie für die Organisationsstruktur der Justiz. Er ist auch für Ermittlungen der Strafverfolger verantwortlich, hat sogar ein Weisungsrecht gegenüber den Staatsanwälten.
Aber was macht ein Ministerpräsident denn noch so? Das kann doch nicht alles sein! Der ist zum Beispiel in Niedersachsen zugleich Aufsichtsrat beim Volkswagenkonzern. Das Land hält über 30 Prozent der VW-Aktien.
Niemand darf seinen Kontrolleur selbst bestellen
Wenn also der Ministerpräsident als Aufsichtsrat die Vorstände und das Management zu überwachen hat, wie kann er dann zugleich Chefermittler gegen VW und seinen Aufsichtsrat sein, also wirtschaftliche Konzernaufsicht und strafrechtliche Ermittlungsaufsicht in einer Person vereinen? Das kann keiner!
Stellen Sie sich vor: Der Justizminister klopft beim Ministerpräsidenten an die Tür und sagt: Entschuldigung Chef, Sie sind Aufsichtsrat bei VW. Was haben Sie vom Diesel-Milliarden-Betrug gewusst, beziehungsweise, was haben Sie nicht gewusst, beziehungsweise, was hätten Sie wissen müssen? Ich muss leider auch gegen Sie persönlich ermitteln.
Weil im Rechtsstaat niemand seinen strafrechtlichen Kontrolleur selbst bestellen darf, fordern die deutschen Richterverbände seit langem die Unabhängigkeit der Dritten Gewalt als Institution. Auch wollen sie die Staatsanwälte von amtlichen Weisungen der Exekutive befreien. Im Rechtsstaat muss das Strafrecht unparteiisch und unabhängig aufgestellt sein. Das betrifft Staatsanwälte und Richter gleichermaßen.
Auch als Institution muss Justiz unabhängig sein
Aber sind Richter nicht von Verfassung wegen ohnehin persönlich völlig unabhängig gestellt! Was will man denn mehr? Mag sein, aber das endet leider bei der Person.
Die Institution Justiz, also die gesamte Gerichtsorganisation, zum Beispiel die Auswahl der Richter und Staatsanwälte, wird gesteuert durch die Justiz-Ministerien. Und da gilt das Prinzip von Befehl und Gehorsam – wie es in der ausführenden Gewalt im Staate eben üblich ist.
In einer Bund-Länder-Kommission, die kürzlich die Autonomie der Justiz in Europa unter die wissenschaftliche Lupe nahm, wurde festgestellt, dass die Steuerung der Dritten Gewalt durch die Exekutive anfällig sei für zweifelhafte Einflüsse.
So habe die jüngste Finanz- und Bankenkrise gezeigt, dass Kreditinstitute über die Ministerien versucht hätten, in eigener Sache indirekt auf Ermittlungen der Justiz einzuwirken. Deswegen müsse man sie resistent machen. Wissen Sie, wer das gesagt hat? Das war Gerhard Reissner aus Österreich, der Präsident des Weltrichterverbandes.
Befangenheit ist eines Rechtsstaates unwürdig
Im Fall des "Abgastestbetruges bei Volkswagen" geht es nicht um einen konkreten Tatverdacht gegen Aufsichtsräte, gar gegen den Ministerpräsidenten selbst. Davon ist jedenfalls bis heute nirgends und nichts bekannt. Es geht allein um die Besorgnis der Befangenheit, die eines Rechtsstaates unwürdig ist.
Übrigens: Jeder Richter, gegen den die Besorgnis von Befangenheit glaubhaft vorgetragen wird, wird vom betreffenden Verfahren ausgeschlossen. So streng ist das Recht auf unterer Ebene.
Es wird Zeit, dass die Justiz im Interesse der Gesellschaft insgesamt unabhängig organisiert wird. Ansonsten lassen sich politische Wirtschaftsstraftaten überhaupt nicht aufklären.
Peter-Alexis Albrecht, geboren 1946, ist Jurist, Sozialwissenschaftler und emeritierte Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Goethe Universität Frankfurt am Main. Seine Forschungsgebiete sind das Strafrecht in seinen Bezügen zur Kriminologie, zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie sowie die Erforschung der Wirkungsweisen des Kriminaljustizsystems. Veröffentlichungen u.a.: "Die vergessene Freiheit" (3. Auflage, 2011) und "Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft – Auf der Suche nach staatskritischen Absolutheitsregeln" (2010). Mit dem Beginn der Unruhen in der Ukraine im November 2013 gab er zusammen mit Professoren aus drei ukrainischen Universitäten den dreisprachigen Band "Der eigene Weg der Ukraine" (BWV, 2013) heraus.
Peter-Alexis Albrecht
Peter-Alexis Albrecht© Gisèle Zandel
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