Der selbstbewusste Störenfried
Von der Zwei-Mann-Bude zum führenden deutschen Ökostrom-Konzern – so wird die Geschichte der Firma Juwi üblicherweise erzählt. Einer der Gründer ist Matthias Willenbacher. Ein Stelldichein am Windrad.
Matthias Willenbacher parkt sein Elektro-Auto der Marke Tesla am Fuß eines Windrads. Böen pfeifen übers Nordpfälzer Bergland, die Rotoren vieler Windparks in der Ferne wirbeln.
Gute-Laune-Wetter für einen Windmüller. Willenbacher streift sich eine leuchtend blaue Vlies-Mütze über und lächelt.
"Also, das ist meine Heimat. Hier bin ich aufgewachsen. Das ist der Schneebergerhof, ein kleiner Weiler im Donnersbergkreis, und hier habe ich auch mein erstes Windrad gebaut."
An dessen Stelle produziert heute das Enkel-Modell 15 mal so viel Strom wie das Ur-Windrad von 1996. Ein Quantensprung, findet Willenbacher. Mitte der 1990er Jahre studierte der Bauernsohn Physik in Mainz. Nach einem Unfall hatte er im Krankenhaus über Windräder gelesen.
"Also, im nördlichen Rheinland-Pfalz gab‘s ja schon welche. Und in der Eifel gab’s ne Gruppe von Leuten, die gesagt haben: 'Wir wollen ein Zeichen setzen.' Und das fand ich toll."
Erneuerbare Energie: Willenbacher wollte dabei sein
Umstellen auf erneuerbare Energien, um das Klima zu retten, Willenbacher wollte dabei sein. Wie praktisch, dass der Unfall eine Versicherungsprämie abwarf.
"Dann hab‘ ich aber von meinem Vater gesagt bekommen das wollen wir nicht, weil mein Vater Angst hatte, dass ich Haus und Hof verspiele. Und deshalb habe ich überlegt, wie kann ich das sonst hinkriegen, habe halt in meinem Freundes- und Bekanntenkreis rumgefragt, wer ist noch so verrückt? Und innerhalb kürzester Zeit hatte ich noch acht andere 'Spinner' gefunden, die das mitfinanzieren wollten."
Teilweise Ökos in Birkenstock und Strickstrümpfen, teilweise unpolitische Normal-Verrückte – zu denen zählt sich Willenbacher. Er, der Visionär, traf auf den Rechner Fred Jung – beide gründeten "Juwi" im rheinhessischen Wörrstadt.
Das Start-up projektierte und betrieb Windparks und Solaranlagen auf der freien Fläche. Die Pionierfirma wuchs rasant, "unkontrolliert" meinen Kritiker. 1500 Mitarbeiter, Milliarden-Umsatz, Firmensitz mit Öko-Kantine, Kita und Ladestationen für Elektroautos, ein Parade-Unternehmen bis 2013.
Dann: ein Drittel Umsatzeinbruch, auch infolge gekappter Zuschüsse für Solaranlagen auf der Freifläche. Durchgesetzt von der Großen Koalition im Bund. Die Folge für Willenbacher: Er musste 500 Stellen abbauen, verlor die Mehrheit in seinem Unternehmen, schied erst aus dem Vorstand und im vergangenen Jahr aus dem operativen Geschäft aus. Der gut gelaunte Mittvierziger sieht sich dennoch als "sehr erfolgreicher" Unternehmer.
"Gerade in der Krise habe ich es geschafft, Juwi weiter existieren zu lassen. Juwi ist heute erfolgreich am Markt, und ich glaube, dass es ein sehr großer Verdienst von mir war, gerade in dieser Krisenzeit, als das Handelsblatt und andere Medien täglich negative Schlagzeilen über Juwi produziert haben - und in dieser Phase das Schiff wieder in den Hafen zu fahren, ich glaube, das war gerade meine größte unternehmerische Leistung."
Unter falscher Bescheidenheit leidet der smarte Gutausseher nicht. So ist auch zu erklären, dass er sich mit seinem Anliegen, Deutschlands Energieversorgung bis 2020 komplett auf Erneuerbare umzustellen, direkt an die Bundeskanzlerin wandte – auf einer Geschäftsreise trafen sich beide. Doch Angela Merkel beschied ihm:
"Herr Willenbacher, schreiben Sie mir mal'n Brief, den hatte ich ihr auch geschrieben. Und nachdem dann eine Standardantwort kam, habe ich mein Buch veröffentlicht, um tatsächlich etwas mehr Aufmerksamkeit für das Thema zu erreichen."
"Unmoralisches Angebot" an Kanzlerin Merkel
"Mein unmoralisches Angebot" nannte Willenbacher 2013 das Versprechen an Merkel, sein Unternehmen an die damals 500 Bürger-Energiegenossenschaften zu verschenken. Für den Fall, dass die Kanzlerin bis 2020 eine komplett erneuerbare dezentrale Energieversorgung hinbekäme.
60.000 Käufer wollten wissen, wie sich der Pionier den Ausstieg aus fossiler und Atomenergie binnen weniger Jahre vorstellt. Manche sehen Willenbacher als Wegbereiter klimaneutralen Wirtschaftens. Aber:
"Leute, die mit Kohle- und Atomkraftwerken Geld verdienen, und die Politiker, die diese Unternehmen unterstützen, sehen mich mit Sicherheit als Störenfried. Heute haben wir über 30 Prozent unseres Stroms aus erneuerbaren Energien. Und ich glaube, das genau wollen die Vertreter der Atom- und Kohlekraftwerke und der Schwerindustrie eben nicht hören, dass der Strom aus erneuerbaren Energien günstig ist, dass es schnell möglich ist – genau diese Dinge wollen sie nicht hören, weil das ihnen ihr Geschäftsmodell kaputt macht."
Matthias Willenbacher zieht die Mütze vom Kopf und öffnet die Tür zum Betonturm des Windrades. Drinnen ist es warm, und das digitale Display zeigt 36 Stundenkilometer Windgeschwindigkeit, gleich 5000 Kilowattstunden Leistung.
"Das ist Wahnsinn. 5000 KW heißt, 5000 Föns, die man gleichzeitig einschalten kann. Das ist schon toll."
Ein guter Tag für einen Windmüller. Der die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat, die Kanzlerin persönlich von seiner Vision zu überzeugen.
"Wenn sie jetzt erneut antritt und als Kanzlerin gewählt werden sollte, würde ich mir wünschen, dass sie wesentlich mehr tut."