Literarischer Deutungskampf um Nobelpreis-Skandal
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Nach dem Literaturnobelpreis-Skandal um ihren Mann, der wegen Vergewaltigung verurteilt wurde, legt Katarina Frostenson nun ihre Sicht der Dinge in einem Buch dar. Ein bestürzender Ausweis der Verblendung, meint SZ-Korrespondent Thomas Steinfeld.
Frank Meyer: In Schweden ist gestern ein Buch von Katarina Frostenson erschienen, in dem es um den Literaturnobelpreis-Skandal der letzten beiden Jahre gehen soll. Vielleicht erinnern Sie sich, dieser Skandal an der Schwedischen Akademie, der vor allem vom Akademiemitglied Katarina Frostenson und von ihrem Ehemann, Jean-Claude Arnault, ausgegangen ist. Arnaud wurde vor einigen Monaten in Stockholm wegen Vergewaltigung zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Er und Katarina Frostenson sollen auch Literaturnobelpreisträger vorab ausgeplaudert haben, außerdem ging es um finanzielle Vorteilsnahme.
Wegen dieser Vorgänge an der Schwedischen Akademie gab es 2018 keinen Literaturnobelpreis. Darüber reden wir jetzt mit Thomas Steinfeld. Er ist Kulturkorrespondent der "Süddeutschen Zeitung", kennt sich in Schweden bestens aus und hat das Buch von Katarina Frostenson gelesen. Guten Tag nach Malmö, Herr Steinfeld!
Thomas Steinfeld: Guten Tag!
Meyer: "K – die Erzählung", so heißt dieser Roman. Geht es denn da jetzt ganz unverhüllt um die Vorgänge an der Schwedischen Akademie?
Steinfeld: Oh ja, es geht sehr unverhüllt um die Vorgänge an der Schwedischen Akademie. Da werden keine Details ausgelassen. Das Buch ist eine Art Tagebuch des ersten halben Jahres nach Beginn dieses Skandals. Also Arnaud ist angeklagt worden von 18 Frauen zahlreicher sexueller Übergriffe, und die beiden halten den öffentlichen Druck nicht mehr aus, der jetzt auf ihnen liegt und fliehen nach Frankreich. Dieses Buch ist sozusagen ein Fluchttagebuch, in dem es dann aber lauter Zwiegespräche mit der Literatur gibt. Katarina Frostenson, die spiegelt sich dann in allen ausgestoßenen und verlassenen und flüchtigen, im Stich gelassenen Figuren und Dichtern der Weltliteratur. Na ja, und daraus besteht das Buch.
"Es ist bestürzend, dieses Buch zu lesen"
Meyer: Das heißt, Sie stellt sich selbst als Opfer dar und ihren Mann vielleicht auch noch?
Steinfeld: Oh ja! Und ihren Mann auch. Das Buch ist sehr bestürzend, weil das schon von einer totalen Realitätsverweigerung lebt und sie völlig eingeschlossen ist in der Vorstellung. Sie hat sich überhaupt nichts zuschulden kommen lassen und ihr Mann erst recht nicht, und das alles ist eine Verschwörung, an deren Ausgangspunkt die größte schwedische Tageszeitung liegt, nämlich "Dagens Nyheter".
Meyer: Das heißt eine Verschwörung, und schuld sind dann die anderen, auch die anderen Akademiemitglieder, bis hin...
Steinfeld: Ja, an Gehässigkeit fehlt es da wirklich nicht.
"Verblendung, die aus diesem Buch spricht"
Meyer: Was bedeutet denn dieses Buch jetzt, wenn Sie das so darstellen, für den Ruf von Katarina Frostenson als Autorin?
Steinfeld: Das habe ich mich nach der Lektüre auch gefragt, aber das ist ein kompliziertes Verhältnis. Ich glaube nicht, dass sie das literarisch überlebt, aber das ist vielleicht ein bisschen viel gesagt, wenn ich das jetzt so dahinplaudere. Aber dieses Buch ist auch deswegen so bestürzend, weil es eine ziemlich genaue Spiegelung des Literaturbetriebs ist, wie er heute stattfindet. Also sie ist eine bedeutende Lyrikerin und überall preisgekrönt und in der ganzen Welt herumgereicht und übersetzt, und irgendwie spiegelt sich in ihr auch ein Prozess im Umgang mit Literatur, der darauf hinausläuft, dass der Dichter am Ende wichtiger ist als sein Werk.
Also die Subjektivierung von Kritik spielt da eine Rolle. An ihr kann man sehen, was geschieht, wenn man das alles wirklich ernst nimmt, also wenn man den Menschen für wichtiger hält als sein Werk, wenn man keine objektiven Kriterien mehr für den Umgang mit Literatur hat, man Literaturkritik als Porträt und Reportage und Homestory betreibt. Sie hat das offenbar ernstgenommen, und da steht dann irgendwann in diesem Buch der Satz: "Irgendjemand sagte mir mal, ich sei eigentlich die Schwedische Akademie." Da denkt man sich, was ist da passiert. Also welche gigantische Verwechslung hat es da gegeben. Diese Verblendung, die aus diesem Buch spricht, ist, glaube ich, eine Folge dieser gigantischen Verwechslung.
"Man will zur Tagesordnung übergehen"
Meyer: Sie haben sich auch umgesehen, wie andere in Schweden auf dieses Buch von Katarina Frostenson reagieren. Wie fallen die Reaktionen aus?
Steinfeld: Die Schweden lieben ja nun wirklich ihre Akademie, und sie möchten darauf auf keinen Fall verzichten. Die Akademie hat sich ja nun irgendwie rekonstruiert unter der Führung eines wirklich verhandlungserfahrenen Juristen und stolzen Trägers eines schwarzen Gürtels in irgendeinem fernöstlichen Kampfsport. Und die Hoffnungen richten sich jetzt ganz auf die Reorganisation dieser Akademie. Dieses Buch kommt vor, es wird groß besprochen in den Tageszeitungen und auch im Kulturrundfunk, aber es erscheint als gewissermaßen singuläre Verirrung. Man will zur Tagesordnung übergehen, und man sieht das, und man zitiert die hässlichsten Stellen, aber dann sagt man: Ja, jetzt ist aber alles anders.
Meyer: Zur Tagesordnung übergehen ist vielleicht auch schwierig, weil es noch ein weiteres Buch gibt von einer weiteren wichtigen Figur in diesem ganzen Skandal: dem Literaturwissenschaftler Horace Engdahl, der war zehn Jahre lang ständiger Sekretär, also sowas wie ein Sprecher der Schwedischen...
Steinfeld: Er war über viele Jahre hinweg das Gesicht der Akademie.
Ein zweites Buch über den Skandal
Meyer: Genau, und der hat auch ein Buch veröffentlicht, heute nämlich, in dem es vielleicht auch um den Skandal geht?
Steinfeld: Diese beiden Bücher sind irgendwie komplementär. Also, während Frostenson völlig aus sich herausgeht und ihr Innenleben beschreibt, zieht Horace Engdahl einen Kreis der Figurationen um sich herum und schreibt ein aphoristisches Buch, um das Arkanum, um das Geheimnis der Akademie aufrecht zu erhalten. Aber auch das ist eine Reaktion auf diesen Skandal, und das sieht man schon am Umschlag, denn auf dem Umschlag ist Mantegnas Heiliger Sebastian, wie er da an, na ja, in diesem Fall steht er an einem Torpfosten steht, von den Pfeilen der Medien und der Öffentlichkeit durchlöchert, und er lässt überhaupt keinen Zweifel daran, dass er sich in dieser Rolle des Märtyrers und Soldaten wiederfindet.
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