Kathrin Passig und Aleks Scholz: "Handbuch für Zeitreisende"
Rowohlt Berlin, 2020, 336 Seiten, 20 Euro
Virtuell durch die Weltgeschichte
06:05 Minuten
Dieser Reiseführer ist ausgesprochen aktuell: Kathrin Passig und Aleks Scholz laden zu sehr unterhaltsamen, virtuellen Zeitreisen durch vergangene Epochen ein. Als hätten sie geahnt, dass der Sommerurlaub 2020, coronabedingt, anders ausfallen wird.
Gleich zu Beginn eine Reisewarnung: Einen Abstecher in die Zeit der Dinosaurier empfiehlt das "Handbuch für Zeitreisende" nur ausgesprochen abenteuerlustigen Zeitgenossen. Zwar schafft es der tonnenschwere T. Rex nur auf eine Geschwindigkeit von 20 Kilometern pro Stunde, doch in der Epoche lauern erhebliche Gefahren. Vielleicht also doch eine Zeitreise in die jüngere Vergangenheit? Hier gibt es "fremde, bizarre Welten zu entdecken", in denen man zugleich "einigermaßen problemlos mit den Einheimischen kommunizieren" kann, so die Autoren. Sie meinen die DDR.
In kurzen Kapiteln reisen die Journalistin Kathrin Passig und der Physiker Aleks Scholz einmal durch die Weltgeschichte und zurück: Das Pleistozäns vor gut einer Million Jahre ist ein Paradies für Wintersportler, auch wenn es an den Annehmlichkeiten eines Skilifts fehlt. Im mittelalterlichen Island ging es fortschrittlich zu, leider nur ist die Sprache ungemein kompliziert. Und der Urknall und die Entstehung der Erde sind eine ziemlich langweilige Angelegenheit – nur empfehlenswert für Reisende mit langem Atem.
Geheimtipps statt Massenziele
Nun ist ein episodenhaftes Kompendium der Weltgeschichte auf dem Büchermarkt nichts neues, doch Passig und Scholz verpacken es in eine originelle Idee: Wenn Zeitreisen möglich sind, dann lohnt ein Abstecher in eher unbekannte Kapitel unserer Vergangenheit. Geheimtipps eines echten Reiseführers gleich lässt das Duo folglich das antike Rom oder die Seidenstraße links liegen. Ausreichend oft beschrieben. "Wir legen den Schwerpunkt auf überraschende Einblicke in die Geschichte" lautet ihr Versprechen, dass die Autoren tatsächlich einlösen.
Und so ist die Grundidee eines Reiseführers in die Vergangenheit tatsächlich mehr als ein simples Gimmick: Die Auswahl der Epochen ist ebenso überraschend wie das, was es dort zu entdecken gibt. Der Leser steht oft neben der Zeit und abseits der bekannten Pfade: Wenn die Autoren etwa die Uraufführung von Beethovens 9. Sinfonie beschreiben, ist das verknüpft mit ungewöhnlichen Fragen: Welche Musik war damals eigentlich im Alltag populär? Und wie können wir heute wissen, wie sich Beethoven die Aufführung seiner Werke gewünscht hätte?
Corona-Lektüre für den Balkon
Geschrieben vor der Corona-Pandemie ist der Teil mit "praktischen Informationen für Zeitreisende" geradezu erschreckend aktuell. Denn schon früher drohten Gefahren in Form von Pandemien. Das Verständnis von Hygiene ist ein vergleichsweise neues. Sätze wie "Gewöhnen Sie sich am besten schon vor der Reise an, grundsätzlich nicht mit den Händen in Augen, Nase oder Mund zu fassen" klingen ungut vertraut. Und die Warnung "Eventuell muss eine Quarantäneperiode nach Urlaubsende eingehalten werden" hat in der Realität eine nie gekannte Brisanz.
Der literarische Ausflug durch Raum und Zeit ist da weitaus ungefährlicher. Er lohnt sich, denn Passig und Scholz holen den Leser ab zu kurzweiligen Abenteuern, zum sommerleichten Träumen von fernen Ländern ohne Maske und Abstandsregeln. Und dafür muss man nicht einmal den eigenen Balkon verlassen.