"Es muss leicht aussehen"
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Er nennt sich ein Chamäleon und schlüpft gern in die Haut anderer: Mit Parodien von Helmut Kohl bis Marcel Reich-Ranicki hat Thomas Freitag Kabarett-Geschichte geschrieben. Auch mit 70 wird er wieder auf der Bühne stehen – sobald Corona es erlaubt.
So schön wie er kann keiner die alte Garde deutscher Politgrößen durch den Kakao ziehen – Thomas Freitag "lebt" seine Figuren, ahmt ihre Sprechgewohnheiten und Stimmfärbungen so täuschend echt nach, dass man meint, die alten Haudegen stünden vor einem. Mit diesem Talent gesegnet spielte sich der politische Kabarettist vom Stuttgarter "Renitenztheater" über das renommierte Düsseldorfer "Kom(m)ödchen" bis ins Deutsche Fernsehen.
Erste Gehversuche als Messdiener
Geboren 1950 in Hessen wächst Thomas Freitag im schwäbischen Backnang auf – in einem "sehr katholischen" Elternhaus, wie er sagt. Der Vater sei "ein verkappter Sozialdemokrat" gewesen, engagiert sich aber als guter Katholik für die CDU. In Freitags Kindheit sind Politik und Religion stets präsent: "Mein Vater hat, bevor er das Brot angeschnitten hat, noch ein Kreuz auf dem Rücken gemacht – man dankt für die Speise, die man bekommt. Und sonntags ging man in die Kirche."
Dort macht Freitag seine "ersten Gehversuche als Messdiener" und findet so Geschmack an der Bühne. Sein Talent bleibt nicht lange verborgen, immer wenn Besuch kommt, sagt die Mutter: "Thomas, jetzt mach doch mal!" – und der Sohn bringt alle mit seinen Auftritten zum Lachen. Doch eine künstlerische Laufbahn soll er auf keinen Fall einschlagen, es muss schon etwas "Anständiges" sein und so macht Thomas Freitag auf Wunsch der Eltern erstmal eine Banklehre.
Wie ein Artist durch die Luft fliegen
Doch die Liebe zum Theater ist geweckt. Und mischt sich mit großem Interesse für Politik: Willy Brandt und die Ostpolitik Ende der 60er-Jahre beeindrucken Freitag stark. Er verweigert den Wehrdienst, leistet Zivildienst und schafft nach der Banklehre den Sprung ins Theater. In seinen Programmen entwickelt er sich bald zum Meister des politischen Kabaretts.
Er sei ein zutiefst nachdenklicher Mensch, sagt Thomas Freitag. Deshalb bringe er nicht nur eigene Texte auf die Bühne, sondern lasse auch Texte von Autoren schreiben, "weil ich sonst zu schwer daherkomme". Etwas, das in seinem Job nie passieren dürfe: "Es muss leicht aussehen", sagt er. "Wenn’s bemüht aussieht, muss man sich überlegen, ob man sich im richtigen Genre bewegt. Unser Beruf muss ganz leicht daherkommen – fast wie die Artisten, die durch die Luft fliegen. Und das ist eine gigantische Arbeit, die dahinter steckt."
Als Kabarettist nähert er sich seinen Figuren, indem er sie "vom Körper her" aufbaut – quasi in ihre Haut schlüpft. Auf diese Weise hat er seine berühmtesten Parodien angelegt: Willy Brandt, Helmut Kohl, Franz Josef Strauß, Marcel Reich-Ranicki. Und die legendäre Abschiedsrede von Herbert Wehner in der Kabarettsendung "Scheibenwischer" – Autor damals war Dieter Hildebrandt.
Der letzte Dinosaurier war Helmut Kohl
Thomas Freitag bedauert, dass richtig gute Vorbilder für seine Kabarettnummern immer schwerer zu finden sind: "Heute ist es nicht mehr so spannend – ob nun Frau Merkel oder Herr Scholz das Land regieren… – der letzte Dinosaurier im großen Stil war Helmut Kohl. Danach wurde es ein bisschen beliebig".
Das komme vor allem daher, dass es früher noch um wahre politische Richtungen gegangen sei: "Es liegt also gar nicht so an den Personen, es liegt am System, in dem wir heute leben."
Demokratie als einmaliges Geschenk
Seine Arbeit als politischer Kabarettist stellt er in den Dienst der Demokratie, die er für kostbar und fragil hält. Thomas Freitag zeigt sich erschüttert darüber, dass in der Corona-Krise Populisten und Verschwörungstheoretiker so massiv auf den Plan träten.
Angesichts des Zurückfallens ins Reaktionäre sieht er es als wichtige Aufgabe an, die Freiheit zu verteidigen: "Das ist ein einmaliges Geschenk, diese Demokratie – das ist nicht aus dem Regal zu holen. Ich weiß, zerdeppern kann man sie schnell. Aber aufbauen ist wahnsinnig schwer. Und ich habe manchmal das Gefühl, die Leute gehen aufs Eis. Und da sage ich: Vorsicht!"
Mehr als eine Autobiographie
Vor kurzem ist Thomas Freitags Autobiografie "Hinter uns die Zukunft" erschienen, sein erstes Buch überhaupt. Darin blickt er auf die Bundesrepublik – von 1950 bis heute. Es sei, sagt er, kein launiger Band mit Anekdoten des Lebens: "Ich spiegele darin die Veränderungen in unserem Land, es ist also mehr als eine Autobiografie. Weil ich mich einmische. Und die Dinge auch bewerte."
(tif)