Wie eine Stadt versucht, Obdachlose durch den Coronawinter zu bringen
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Wegen der Abstands- und Hygieneregeln sind Schlafplätze für Obdachlose in diesem Winter knapp. Die Stadt Frankfurt am Main sucht deshalb nach zusätzlichen Notunterkünften: in ehemaligen Kirchenräumen, leerstehenden Läden - und Hotels. Doch das klappt nur bedingt.
"Ich schlafe immer draußen", sagt Horst, ein Mann mit langem grauen Bart, den ich vor der "Weser 5" treffe. Die "Weser 5" ist eine ehemalige evangelische Kirche im Bahnhofsviertel von Frankfurt am Main, die zum Zentrum für Obdachlose umgebaut worden ist. Hier gibt es im Winter im alten Kirchenraum Übernachtungsmöglichkeiten für rund 20 Leute. Mehr geht nicht, wegen der Corona-Abstandregelungen. Horst, der ursprünglich aus Ostfriesland kommt, lebt seit 16 Jahren in Frankfurt am Main, findet das Angebot hier im Grunde gut:
"Nett. Jeder versucht sein Bestes, ist sehr friedlich."
Weil er aber in Gemeinschaftsunterkünften Diebstahl und Schlägereien fürchtet, schläft er auch bei Minustemperaturen lieber draußen:
"Vorletzte Nacht habe ich sehr gefroren, doch die letzte Nacht auch. Ich habe manchmal sehr viel Angst."
Damit niemand draußen im Winter erfriert, will die Stadt zumindest wohnungslose Drogenabhängige in Hotels im Bahnhofsviertel unterbringen. Auch rund um das Messegelände stehen viele Hotels wegen des Corona-Lockdowns zurzeit leer.
"Ich weiß, dass sich was im Bereich der Drogenhilfe getan hat, dass dort jetzt im Bahnhofsviertel noch zusätzliche Hotelkapazitäten angemietet werden", sagt Jürgen Mühlfeld, der Leiter des Diakoniezentrums "Weser 5". "Sodass im Drogenhilfebereich auf alle Fälle zusätzliche Hotelzimmer zur Verfügung gestellt werden. Wegen Corona."
Viele Hotels wollen nicht an Obdachlose vermieten
Das Angebot an Hotelzimmern reicht jedoch längst nicht aus, um alle Obdachlosen in Frankfurt am Main von der Straße zu holen. Rund 200 Menschen leben auch bei Minustemperaturen weiterhin draußen.
Die Stadt kann einem Hotelbesitzer lediglich rund 30 Euro pro Nacht für die Unterbringung eines Obdachlosen zahlen. Renovierungskosten können gar nicht erstattet werden. Wenn die Hoteliers diese Bedingungen hören, scheuen sie oft vor einer Vermietung an Obdachlose zurück, zumal ihnen derzeit ja 75 Prozent der Einnahmeausfälle vom Staat ersetzt werden.
"Die Vorstellung, dass uns ständig Hotels angeboten werden und zwar auch noch zu einem zahlbaren Preis, das ist nicht so", sagt Daniela Birkenfeld, die Sozialdezernentin der Stadt Frankfurt am Main. "Insbesondere nicht für einen Personenkreis von Drogenabhängigen oder obdachlosen Wohnungslosen, sondern da setzt man eigentlich mehr darauf, dass die Pandemie vorbeigeht und man in der Zwischenzeit die staatlichen Hilfen in Anspruch nimmt und dann irgendwann in zwei Jahren zum Normalbetrieb zurückkehren kann."
Deswegen gibt es in der Stadt Winternotunterkünfte in Kirchenräumen, einem leerstehenden Ladenlokal und in einem U-Bahnhof. Auch in der Diakoniestation "Weser 5" erfordert die Pandemie andere Abläufe als sonst, erklärt Einrichtungsleiter Jürgen Mühlfeld:
"Es können maximal 40 Personen in der Tagesstätte sitzen und essen. Das wird dann am Eingang kontrolliert, und jeder muss natürlich eine Maske aufhaben. Wenn er keine Maske hat oder die Maske schmutzig ist, bekommt er von uns eine neue Maske. Da achten wir sehr darauf. Wenn man ansteht zum Essen, muss man Abstand einhalten. Und dann darf man halt erst die Maske abnehmen, wenn man am Tisch sitzt, um dann zu essen."
Die strengen Pandemieregeln in den Frankfurter Obdachlosen-Tageseinrichtungen gehen Horst bisweilen ein wenig auf die Nerven, verrät er draußen vor der Tür der "Weser 5":
"Es lief hier am Anfang sehr schlecht. Jetzt haben sie die Tische noch mal aufgeteilt, mit Plexiglas. Aber vor ein paar Wochen haben die Leute sehr oft vor der Tür warten müssen. Und das war ärgerlich, da hätte man Zelt aufbauen können. Wenigstens einen Tee geben, der Wartezeit wegen. Aber jetzt läuft es."
Der Kältebus bringt Tee und Schlafsäcke
Christine Heinrichs organsiert beim Frankfurter Verein für soziale Heimstätten die Obdachlosenhilfe. Der Verein, ein großer Sozialhilfeträger in der Mainmetropole, bietet jeden Winter in einer Frankfurter U-Bahn-Station eine Notunterkunft für bis zu 150 Menschen an, damit sie nicht bei Minustemperaturen auf der Straße schlafen müssen. Außerdem betreut er den sogenannten "Kältebus" der Stadt, der Nacht für Nacht die Schlafplätze der Wohnungslosen anfährt und heißen Tee oder Schlafsäcke verteilt.
Wie ihr Kollege Mühlfeld von der "Weser 5" berichtet auch Christine Heinrichs über vergleichsweise wenige Coronafälle bei ihrer Klientel, die ohnehin auf der Straße oft sozial sehr distanziert lebe. Außerdem habe man in den elf Monaten der Pandemie bereits viel gelernt:
"Und wir sind insofern sehr erfolgreich mit der Prävention, dass wir seit März, glaube ich, noch keine 20 Fälle hatten. Von daher sehen wir, dass die Konzepte so funktionieren, wie wir sie uns vorgestellt haben."
Auch in der Notunterkunft in der U-Bahnstation Eschenheimer Tor werden die Hygieneabstände strickt gewahrt. Rund 90 Menschen übernachten zurzeit hier. Einer von ihnen ist Angel Gastrev. Er stammt aus der bulgarischen Großstadt Plovdiv und lebt nun seit acht Jahren in Deutschland. Jetzt im Winter schläft der Obdachlose in der U-Bahn-Station:
"Alles gut. Morgens um 6 Uhr aufstehen, es gibt Frühstück, Kaffee, Tee und so. Manchmal Mittagessen in der Bärenstraße."
Die Bärenstraße – das ist der sogenannte "Tagesaufenthalt" der katholischen Caritas für Obdachlose in Frankfurt am Main. Der Obdachlose Horst geht lieber dort mittagessen als in der evangelischen Einrichtung "Weser 5":
"Mir ist das zu knapp, hier zu essen. Heute sowieso. Dann gehe ich lieber in der Bärenstraße, da gibt es richtig gutes und viel Essen. Hier ist es evangelisch. Hier ist die Küche ein bisschen kleiner und das ist alles ärmer hier."
Viele Spenden, nur Wohnraum gibt es nicht
Jürgen Mühlfeld, der Leiter des Diakoniezentrums "Weser 5" ist überrascht, als ich ihm von der Kritik an seinem Essen berichte: "Ich habe jetzt nicht gehört, dass es da an Essen fehlen würde. "
Gespendet würde ohnehin zurzeit genug – auch für die Tafeln der Stadt. Vor allem Kleidung könne man gar nicht mehr annehmen:
"Und wir müssen jetzt aktuell sagen: Stopp, mehr Kleider können wir jetzt gerade nicht annehmen, weil unsere Lagerkapazitäten halt ausgeschöpft sind. Also ich glaube nicht, dass gerade zu wenig gespendet wird, sondern dass es sehr wohl von den Menschen wahrgenommen wird, dass eben auch gerade Obdachlose unter den Bedingungen von Corona noch hilfsbedürftiger sind, als sie das eh schon sind."
Verschärft wird die Lage durch die hohen Mieten, die sich einige nicht mehr leisten können – und deshalb auf der Straße gelandet sind. Viele haben die Hoffnung auf eine eigene Wohnung noch nicht ganz aufgeben. Doch Jürgen Mühlfeld, der Leiter des Diakoniezentrums Weser 5 beschreibt, wie dramatisch die Lage auf dem Wohnungsmarkt von Frankfurt am Main aktuell ist, gerade bei den Sozialwohnungen:
"Im Jahr 2000 waren es 43.000 Sozialwohnungen, die hier in Frankfurt zur Verfügung standen. Und 2021 werden es 23.000 sein, also eine Halbierung der Sozialwohnungen bei gleichzeitig steigendem Bedarf. Und zwar extrem steigendem Bedarf. Da kann man sich vorstellen, was das für die Leute heißt, die aktuell eben wohnungslos sind."