Käppner: "1941 – Der Angriff auf die ganze Welt"

Ein Appell ans breite Publikum

Motorisierte Kolonnen der Wehrmacht auf dem Vormarsch in Jugoslawien während des Balkanfeldzuges im Jahr 1941.
Die Wehrmacht auf dem Vormarsch in Jugoslawien während des Balkanfeldzuges im Jahr 1941 © picture-alliance/ dpa
Von Michael Schornstheimer |
Ende 1941 lag Deutschland mit fast der gesamten übrigen Welt im Krieg. Für den Historiker und Journalisten Joachim Käppner war das Jahr 1941 ein Schicksalsjahr, in dem sich die Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg bereits abzeichnete.
Wann zeichnete sich ab, dass Deutschland den Zweiten Weltkrieg verlieren würde? Häufig ist zu lesen und zu hören, das sei mit der verlorenen Schlacht um Stalingrad im Winter 1942/43 klar geworden. Eine Dreiviertelmillion Menschen kamen dabei ums Leben. Die meisten davon Soldaten der Roten Armee. Dennoch musste sich General Paulus mit etwa 100.000 Soldaten und Offizieren schließlich ergeben. Im kollektiven Gedächtnis war das der Anfang vom Ende.
Für den Historiker und Journalisten Joachim Käppner begann die Niederlage schon früher. Er markiert 1941 als Schicksalsjahr. Und schon im Sommer 1940 gab es dafür Anzeichen. Denn so lange hatte Berlin gehofft, dass Großbritannien im Krieg mit Deutschland einlenken würde: die britischen Politiker, die für Zurückhaltung gegenüber Deutschland plädierten, die "Appeaser", hatten durchaus noch großen Rückhalt in der Bevölkerung. Doch dann griff die Luftwaffe in der sogenannten "Operation Seelöwe" England an. Und verlor bis zum Herbst beinahe doppelt so viele Flugzeuge samt Besatzung wie Großbritannien.
Joachim Käppner: 1941 – Der Angriff auf die ganze Welt
Joachim Käppner: 1941 – Der Angriff auf die ganze Welt© Rowohlt Berlin
"Es war die erste deutsche Niederlage des Zweiten Weltkriegs und zugleich jene, die Hitlerdeutschlands Schicksal auf lange Sicht bereits entschied. Sieger wie Besiegte konnten das im Herbst 1940 nicht erkennen. Sie wussten nicht einmal wirklich, wer nun gesiegt und wer verloren hatte. (…) Hier scheiterte über Kent und London Hitlers Versuch, England aus dem Spiel zu nehmen, das letzte Bollwerk der Demokratie so weit zu bringen, dass es wenigstens um Frieden bitten würde."
Erinnerungen an verdrängte Verbrechen
Käppner beschreibt in seinem Buch glücklicherweise nicht nur kühl die Schlachten, sondern lenkt seinen Blick auch immer wieder auf Nebenereignisse und einzelne Personen.
Auf Johannes Blaskowitz beispielsweise, den beinharten konservativen Offizier, der aber immerhin in mehreren Memoranden gegen den Vernichtungskriegs in Polen protestierte. Als einziger General! Erfolglos, natürlich. Aber untypisch und mutig.
Zu den weniger bekannten Ereignissen des Kriegsjahres 1941 zählt auch der deutsche Bombenangriff auf Belgrad mit Hunderten von Flugzeugen und ungezählten Opfern. Oder die Invasion auf Kreta:
"Wie schon in Polen behandelte die deutsche Kriegsführung hier in orwellhafter Verdrehung von Ursache und Wirkung Widerstand, den sie doch durch die Invasion erst provoziert hatte, als Terror durch ‚Bestien und Mörder‘, gegen den nur noch größerer Terror helfe. In Zusammenarbeit mit dem Reichssicherheitshauptamt ermordete die Wehrmacht gleich nach dem Sieg Hunderte Menschen."
Mehrfach bezieht sich der Autor auf die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht", die das Hamburger Institut für Sozialforschung erstmals 1995 zeigte. 20 Jahre ist das schon her! Doch die einst provozierenden Thesen sind nun nicht mehr umstritten. Wiederholt beschreibt Käppner, wie tief die Menschenverachtung der Nationalsozialisten in die Köpfe und Herzen von Mannschaften und Offizieren eingedrungen war. Von Recht oder Kriegsrecht konnte keine Rede sein. Knapp sechs Millionen Rotarmisten fielen lebend in deutsche Hände. Aber es überlebte noch nicht einmal die Hälfte. 3,3 Millionen sowjetische Soldaten kamen in deutschen Lagern ums Leben:
"Der Grund war nicht, dass die Wehrmacht die Masse an Menschen nicht versorgen konnte. Der Grund war, dass sie die Gefangenen nicht versorgen wollte. Und zwar von vornherein nicht. (…) Dies war Absicht, kein den Umständen geschuldetes Versagen der Sieger. Niemals zuvor in der Militärgeschichte hatte es ein Verbrechen dieser Dimension gegeben."
Es gibt keine Helden in diesem Krieg
Energisch begründet der Autor seine These, wonach es keinen "richtigen Krieg im falschen" geben konnte. Zum Beispiel im Fall Erwin Rommel, den der Autor etwas salopp "Poster Boy des NS-Staates" nennt. Denn was wäre passiert, wenn der Kommandeur des Afrikakorps nicht geschlagen worden wäre? Wenn seine Truppen bei El Alamein gesiegt hätten und die Ölquellen des Irak und Palästina eingenommen hätten?
Auch Palästina wäre ein Schauplatz des Holocaust und nicht Fluchtpunkt verfolgter Juden gewesen. (…) Zur Deportation der nordafrikanischen Juden in den Tod kam es nur deshalb nicht, weil Rommel rechtzeitig geschlagen wurde.
Mit seinem Buch "1941 - der Angriff auf die ganze Welt" beansprucht der Autor nicht, Neuigkeiten an den Tag zu bringen. Es ist gedacht für ein breites Publikum. Und er will nicht nur vom Krieg erzählen, der heute noch nachwirkt, sondern auch von der Verantwortung der Menschen für ihr Handeln. Das gelingt ihm ziemlich gut.

Joachim Käppner: 1941 – Der Angriff auf die ganze Welt
Rowohlt Berlin, 320 Seiten

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