Vergessener Widerstand gegen das NS-Regime
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In Darmstadt erinnert nichts an die Widerstandskämpferin gegen das NS-Regime, Käthe Kern. Ihr Neffe Hans Joachim Landzettel möchte das gern ändern und erzählt von ihrem Mut und ihrer Rolle in der Sozialdemokratie vor und nach 1945.
Hätte der Umsturzversuch von 20. Juli 1944 geklappt, Käthe Kern wäre wohl die Büroleiterin des Sozialdemokraten Wilhelm Leuschner geworden. Er war von den Widerstandskämpfern gegen das NS-Regime als Vizekanzler einer Übergangsregierung nach Hitler vorgesehen.
Leuschner wurde nach dem gescheiterten Attentat verhaftet und hingerichtet. Käthe Kern blieb unentdeckt. Heute ist die wohl wichtigste hessische Widerstandskämpferin gegen die Nationalsozialisten in ihrer alten Heimat fast vergessen.
Mitwirken am Umsturzversuch 1944
Ihr Neffe Hans Joachim Landzettel will das ändern. Er sagt: „Die Tante Käthe war schon eine tolle Frau. Ich glaube schon, dass sie einiges gewagt hat.“
Der 88-Jährige hat recht. Seine Tante Käthe Kern hat einiges gewagt: Sie arbeitete während der NS-Zeit ein Jahrzehnt lang in Berlin illegal für die sozialdemokratische Gewerkschaftsgruppe um Wilhelm Leuschner.
Diese Organisation kooperierte beim Umsturzversuch des 20. Juli 1944 eng mit den Militärs um den wohl bekanntesten Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime, Claus Philipp Maria Schenk Graf von Stauffenberg.
Früher Widerstand
Käthe Kern pflegte Korrespondenzen mit Oppositionellen an vielen Orten, tippte Denkschriften für eine Zukunft nach Hitler ab oder übernahm Kurierdienste für den Leuschner-Widerstandskreis. Und dies, obwohl sie bereits 1933 für einige Wochen von der Gestapo inhaftiert worden war, erinnert sich der Neffe. „Sie hat in der Weimarer Zeit sehr gegen Hitler gewettert. Da war sie auf der Liste. Sie war mutig und hat gekämpft.“
Käthe Kern war jahrelang die einzige Frau in der Berliner Führungszelle um den ehemaligen hessischen Innenminister und Gewerkschaftsfunktionär Leuschner. Leuschner und Kern kannten sich bereits seit gemeinsamen Jugendzeiten nach dem Ersten Weltkrieg in Darmstadt. „Ob da eine Liebesbeziehung war – ich nehme schon an, dass sie für ihn geschwärmt hat“, sagt Landzettel.
Enge Verbindung zu Wilhelm Leuschner
In den Nachkriegsjahren verrät die Oppositionelle, der von den Nazis hingerichtete Leuschner sei der wichtigste Mann ihres Lebens gewesen. Vieles spricht jedoch dafür, dass sie privat eher Frauen liebte.
Zumindest hatte sie kein gemeinsames Kind mit Leuschner, wie das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ in der Nachkriegszeit einmal behauptete, erinnert sich ihr Neffe – ein gelernter Kinderarzt. Er habe sie nach dem „Spiegel“-Bericht gefragt:
„Da hat die so gelacht und hat gesagt: Ach, Achim. Du kennst mich doch! Wenn ich jemals ein Kind gehabt hätte, das hätte ich doch nicht verheimlicht. Da hätte ich doch alles für getan. Sie war sehr für Kinder und für Alte – das war ihr Spezialgebiet.“
Das machte sie zum Beruf - in der DDR-Regierung der Nachkriegsjahrzehnte. Käthe Kern blieb nach 1945 in Ost-Berlin, trat in die SED ein, engagierte sich vor allem frauenpolitisch und wurde im Gesundheitsministerium für den Bau von Kinderkrippen in DDR-Betrieben verantwortlich.
In den Nachkriegsjahren war sie eine enge Vertraute von Otto Grotewohl, der den sozialdemokratischen Teil in der unter starkem Druck der Sowjets geschaffenen neuen Einheitspartei mit der KPD maßgeblich verkörperte.
Politikerin in der DDR
„Ein Satz hat sich mir eingeprägt – ich bin sicher, dass sie ihn mir persönlich gesagt hat. Sie sagte: 'Weiß Du, der Otto Grotewohl ist auf mich zugekommen und hat gesagt: Käthe, wir dürfen doch das Land nicht mit dem Russen allein lassen'“, erzählt der Neffe.
Bei der Ersten-Mai-Kundgebung nach der Befreiung von der NS-Diktatur erinnert Käthe Kern 1946 vor mehreren Hunderttausend Menschen an ihre hingerichteten sozialdemokratischen Gefährten aus dem Widerstand: „Ich denke vor allem auch an Wilhelm Leuschner. Dessen gesamte politische Arbeit in Gemeinschaft mit anderen dem Ziele der gewerkschaftlichen Einheit diente.“
Als sie vier Jahre später zum 60. Geburtstag Leuschners in der DDR mit den Gewerkschaften eine Erinnerungsbroschüre herausgeben will, wird ihr das untersagt. In der Hochphase des Stalinismus soll in Ost-Berlin nicht an sozialdemokratische Widerstandskämpfer erinnert werden.
Landzettel glaubt, dass seine Tante darunter sehr gelitten habe, obwohl sie sich den SED-Regeln zumindest öffentlich unterwarf: „Sie war bis zuletzt SPD-Frau."
Vergessen in der Heimatstadt Darmstadt
Doch die hessische Sozialdemokratie, in der ihre Eltern und sie gemeinsam mit Leuschner politisch sozialisiert worden waren, vergaß Käthe Kern. Wohl auch, weil sie sich für die SED entschieden hatte.
Dennoch reist Kern in den Nachkriegsjahrzehnten immer wieder in ihre Heimatstadt Darmstadt – allerdings immer mit Stasi-Begleitung, sagt Landzettel. Sein eigenes Engagement in einer Bürgerinitiative gegen eine von der sozialdemokratischen Lokalregierung geplante Stadtautobahn mitten durch Darmstadt in den 1960er-Jahren habe sie missbilligt: „Achim, eigentlich kannst du es nicht machen, du schadest der SPD damit.“
Ehrung für die Mutter Elisabeth Kern
Heute berichtet der betagte Mann in Veranstaltungen der Darmstädter Geschichtswerkstatt oder der Volkshochschule über seine Tante. Er erzählt auch von seinen Großeltern Elisabeth und Jacob Kern, die die Gestapo nach dem 20. Juli 1944 ebenfalls verhaftete.
Während in Darmstadt an Käthe Kern offiziell nicht erinnert wird, ist ihrer Mutter Elisabeth seit 2002 eine Straße gewidmet, so Landzettel. Dafür habe damals nicht die SPD gesorgt, sondern eine kleine Frauenpartei im Darmstädter Stadtparlament. Landzettel wünscht sich, dass mutige Frauen wie seine Tante künftig mehr Beachtung finden.