Erlaubtes "Doping" im Sport
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Auch jenseits verbotener leistungssteigernder Substanzen gibt es Mittel und Tricks, die sportlichen Erfolgschancen zu steigern - das glauben viele Sportler. Bestimmte Nahrungsmittel etwa gelten als empfehlenswert. Auch Sex spielt eine Rolle.
"Guter Start von Johnson – Johnson gewinnt. 9,79 Sekunden – neuer Weltrekord! – Der Doping-Skandal um den kanadischen Sprinter und Olympia-Sieger Ben Johnson überschattet die Olympischen Spiele in Seoul…"
Es waren muskelbildende Steroide, die Ben Johnsons Fabelzeit bei den Spielen in Südkorea 1988 ermöglichten. Wahre Sportsfreunde tun so etwas natürlich nicht. Wer eine lebenslange Sperre vermeiden will, wie sie der Kanadier nach einem weiteren Doping-Vergehen kassierte, der sollte tunlichst derlei Substanzen vermeiden. Aber auch jenseits solcher krimineller Methoden, so glauben viele Sportler und Sportlerinnen, gibt es genügend Mittel und Tricks, mit denen die sportliche Leistung verbessert werden kann. Zum Beispiel durch Nahrungsergänzungsmittel.
"Die sind zahllos und da hat jeder Sportler so seine eigenen Vorlieben", sagt Robert Margerie, Facharzt für Innere Medizin und Anti-Doping-Beauftragter des Landessportbundes Berlin. Um die Wirkung einzelner Substanzen ranken sich viele Mythen. Wie steht es mit Traubenzucker?
"Wir wissen, dass natürlich die Zufuhr von Glukose oder von Zucker, wie Traubenzucker es eben auch darstellt, bei Langzeitausdauer sinnvoll ist während des Wettkampfs. Nicht, um kurzfristig Leistung zu steigern, sondern um die Leistung zu erhalten."
Doping meint ja die Einnahme von Substanzen, die eine nachweisliche Leistungssteigerung herbeiführen. Diese Eigenschaft haben Traubenzucker, Energydrinks oder Koffein offensichtlich nicht. Wer vor dem Wettkampf zwei Kannen Kaffee konsumiert, dürfte zwar keine unerlaubten Grenzwerte überschreiten. Eine belebende Wirkung wird sich so aber in der Regel auch nicht einstellen.
"Naja, Koffein steht nicht mehr auf der Dopingliste, ist ja ein Nahrungsbestandteil. Gleichwohl ist es so, dass man das überdosieren kann. Dass man da auch Nebenwirkungen hat, wenn man das zu hoch dosiert einnimmt. Das führt bis hin zu Schwindel, Kopfschmerzen, Herzrasen usw. Es kann also dann auch negative Wirkungen haben."
Pasta-Parties vor dem Wettkampf eher ungut
Anders verhält es sich mit der Zufuhr von Kohlehydraten.
"Man sieht zum Beispiel bei dem aktuellen Marathon-Weltrekord, der in Berlin gelaufen wurde, da spielen Nahrungsergänzungsmittel natürlich eine Rolle."
"Olympiasieger Kipchoge hat für die Jagd nach der globalen Bestmarke unter anderem die Flüssigkeitsaufnahme optimiert. Sein persönlicher Flaschengeist feiert jede geglückte Getränkeaufnahme."
Der Lauf, bei dem der Kenianer Eliud Kipchoge den Marathon-Weltrekord mit 2:01:39 Stunden pulverisierte. Am Streckenrand gibt es Verpflegungsstände, an denen sich die Sportler mit isotonischen Getränken, Obst und kohlehydrathaltigen Müsliriegeln versorgen.
"Das heißt, Kohlenhydrate werden während der Belastung zugeführt, um die Intensität, also diese hohe Leistungsfähigkeit über einen langen Zeitraum aufrecht zu erhalten."
In der Läuferszene wird die gezielte Aufnahme von Kohlehydraten als "Carbo-Loading" bezeichnet. Und in Form von "Pasta-Parties" am Abend vor dem Wettkampftag regelrecht zelebriert.
Lange Zeit hielt sich unter den Marathonis der Glaube an die segensreiche Wirkung einer kurzfristig vorgenommenen maximalen Auslastung des Kohlehydratspeichers. Nach dem Motto: Je mehr Nudeln, desto mehr Substanz und Kraft in der entscheidenden Phase des Laufs. So ab Kilometer 33 oder 34, wenn der "Mann mit dem Hammer" kommt. Mike Kleiss, aktiver Marathonläufer und Kommunikationsmanager, hält gar nichts von dieser Theorie.
"Das ist ja mittlerweile sogar wissenschaftlich erwiesen, dass das totaler Quatsch ist. Wenn man einen Tag vorher sich die Pasta reinhaut, der Körper ist gar nicht in der Lage, so schnell die Kohlehydratespeicher zu füllen. Sondern das muss man schon in der Ernährung weit vor dem Marathon machen, damit der Körper wirklich aufgeladen ist mit guten Kohlehydraten."
Gute Kohlehydrate – damit meint er Dinkelnudeln, die deutlich mehr Ballaststoffe enthalten als die übliche Pasta aus Weizenmehl. Aber in rauen Mengen, kurz vor dem Wettkampf? Lieber nicht. Für Robert Margerie spricht schon die mangelnde Bekömmlichkeit gegen die Express-Methode.
"Viele vertragen es gar nicht, diese Pasta-Exzesse am Vorabend. Das hat dann möglicherweise die Nebenwirkung, dass man Durchfall hat oder schlechter schläft, wenn man sich den Bauch noch so vollschlägt am Abend vor dem Wettkampf. Da muss man sehr vorsichtig sein. Grundsätzlich ist es natürlich so, dass wir Sportlern eine kohlenhydrat- und eiweißreiche Ernährung empfehlen."
Alkohol und Sport kann gefährlich werden
Was die Pasta für Langstreckenläufer, sind Eiweißpräparate und Proteine für Gewichtheber und andere Kraftsportler. In den einschlägigen Internet-Foren überbieten sich die Möchtegern-Arnold-Schwarzeneggers mit teilweise äußerst fragwürdigen Rezepten. Da wird etwa die kombinierte Einnahme von Glycerin und Aspirin angepriesen. Angeblich wird dadurch das Wasser unter die Haut in die Muskeln gezogen, was diese leistungsfähiger machen soll, während Aspirin gleichzeitig das Blut verdünnt. Robert Margerie kann angesichts solcher Praktiken nur mit dem Kopf schütteln. Und er warnt vor einem Protein-Overkill.
"Was Bodybuilder, Kraftsportler da zum Teil zu sich nehmen, das ist jenseits von Gut und Böse, auch jenseits der Verträglichkeit. Da werden also Mengen konsumiert, die überflüssig sind, im besten Sinne einfach nur teuer sind, aber auch Nebenwirkungen haben und – was die Verträglichkeit angeht, aber auch hin bis zu nierenschädigend sein können."
Und dann wäre da noch die Sache mit dem Alkohol. Hochprozentiges zur Leistungssteigerung? Eine absurde Vorstellung, sollte man meinen. Tatsächlich geht der erste nachgewiesene Dopingfall bei Olympischen Spielen auf Alkoholmissbrauch zurück. In Mexiko City 1968 wurde der Moderne Fünfkämpfer Hans-Gunnar Liljenwall nachtäglich disqualifiziert, seinem Team die Bronzemedaille aberkannt. Warum? Der Schwede hatte sich vor dem Schießwettbewerb mit seinen Teamkollegen zwei Pils genehmigt. Eine damals unter Schützen offenbar übliche Praxis. Von wegen sichere Hand und so. Dumm nur, dass Liljenwall hinterher mit 0,81 Promille positiv getestet wurde. Erlaubt waren maximal 0,5 Promille.
"Alkohol wurde in den 60er- und 50er-Jahren tatsächlich im Leistungssport auch eingesetzt, bei der Tour de France. Da gab es in der Verpflegung nämlich auch Wein. Ich bezweifle auch rückblickend, dass das leistungssteigernd gewesen ist",
meint Robert Margerie. Der Anti-Doping-Beauftragte hält Alkohol im Sport für eher kontraproduktiv. Obwohl:
"Es ist so, dass Alkohol ähnlich wie Fett sehr energiereich ist und möglicherweise darüber bei der Ausdauerleistung auch dazu führt, dass man länger durchhält. Dass es unmittelbar leistungssteigernd ist, ist eine Legende."
Der Glaube an diese Legende kostete den britischen Ex-Weltmeister Tom Simpson bei der Tour de France 1967 das Leben. Nach seiner tödlichen Herzattacke fanden sich in seinem Körper diverse Aufputschmittel und – Alkohol. Fazit: Wer als Sportler auf der sicheren Seite bleiben will, sollte in erster Linie auf eine ausgewogene kohlehydrat- und eiweißreiche Kost setzen. Dann erübrigt sich die Fahndung nach vermeintlich leistungsstimulierenden Nahrungsergänzungen, findet Ausdauersportler Mike Kleiss.
"Mit einer Einschränkung: Wenn man sehr viel trainiert, ist es sicher so, dass man ab und zu mal den einen oder anderen Vitaminfaktor mit dazu ballern muss, damit man wirklich gut abgedeckt ist. Gerade bei Läufern ist es das Natrium, was oft fehlt. Aber das ist keine Nahrungsergänzung, sondern das ist dann ein Ausgleich eher"
Erfolg belohnen - auch mit Jubel
Die Ernährung ist das eine. Aber wie steht es mit der Rolle des Mentalen im Sport? Ein Rennen oder ein Wettkampf wird auch im Kopf entschieden, heißt es häufig. Für Mike Kleiss ist da durchaus was dran. Aber dann relativiert er:
"Ich glaub, das Mentale dabei ist auch wieder für jeden individuell wieder total verschieden. Es ist 'ne Kopfsache auf der einen Seite, ja sicher. 'Ne lange Strecke zu laufen, ist 'ne Kopfsache. Aber wenn Sie muskulär und konditionell nicht fit sind, wird’s Ihnen nicht weiter helfen."
Schon klar. Beschwörungsformeln vor dem Spiegel á la "Ich bin der Größte. Niemand kann mich bezwingen", dürften wenig bringen, wenn die nötigen Trainingseinheiten vorher nicht absolviert wurden. Aber ganz ohne psychologische Vorbereitung geht es im modernen Leistungssport auch nicht.
"Das Motivationstraining bzw. das Zielsetzungstraining ist tatsächlich auch ein ganz wichtiger und einer der obersten Bestandteile in der psychologischen Beratung und dem Coaching",
sagt Nadja Walter, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sportpsychologie und Sportpädagogik der Universität Leipzig. Die Zauberformel für ein erfolgversprechendes Motivationstraining, so verrät sie, ist die so genannte SMART-Regel:
"Da steht bei dem Wort SMART jeder Buchstabe für einen ganz bestimmten Aspekt bei der Zielsetzung. Das S steht beispielsweise für Spezifisch, das M für Messbar, das A für Attraktiv, also es muss mir natürlich auch selber gefallen, das Ziel; das R für Realistisch, dass ich eben nicht versuche, innerhalb von einer Woche fünf Kilo abzunehmen, sondern das Ganze vielleicht auf vier Wochen oder auf sechs Wochen strecke. Und das T im Wort SMART steht für Terminiert. Das sind so die wesentlichen Grundlagen, die wir auch den Athleten immer wieder mit an die Hand geben."
Noch knapper formuliert: Ein klares realistisches Ziel setzen und den nicht allzu steinigen Weg dahin regelmäßig kontrollieren – das sind elementare Voraussetzungen nicht nur für die Einhaltung von Neujahrsvorsätzen, sondern auch für sportlichen Erfolg. Damit ein solches Programm nicht freudlos abgespult wird, bedient sich die Sportpsychologie ergänzend auch lerntheoretischer Erkenntnisse. Jeder Erfolg wird belohnt.
"Das bedeutet, dass wenn ich beispielsweise mir ein Ziel gesetzt habe und da auch eine Belohnung auf mich wartet, wenn ich dieses Ziel erreicht habe, sei es in der Gewichtsreduktion das passende Kleidungsstück, sei es im Leistungssport der Pokal oder sei es im Gesundheitssport vielleicht die Boni, die wir von den Krankenkassen erhalten, dann fördert das natürlich gleichzeitig auch die Motivation."
Das Abklatschen im Volleyball oder der kollektive Torjubel – vor allem im Mannschaftssport existiert eine Fülle von Ritualen, mit denen die Beteiligten demonstrieren, dass sie eine Einheit sind.
"Dieses Abklatschen oder dieses Beglückwünschen beispielsweise beim Volleyball oder der Jubel, je nachdem, welchen Punkt ich erzielt habe oder ob ich ein Tor erzielt habe, ist im Prinzip auch nichts anderes als eine Belohnung, die ich mir selber damit gesetzt habe."
Das Feedback von Mannschaftkameraden oder auch vom Publikum verstärkt die positiven Effekte der erbrachten Leistung, wirkt motivationsfördernd. Verhaltensforscher erkennen in solchen Aktionen auf dem Spielfeld Merkmale ritueller Handlungen frühmenschlicher Stammeskulturen.
Bestimmte Kleidungsstücke oder Gesten geben Sicherheit
Rituale geben Sicherheit. Das gilt nicht nur für Mannschaftssportler. Gerade im Spitzensport gibt es viele Athleten und Athletinnen, die auf den ersten Blick recht kuriose Gewohnheiten pflegen. Sportler, die am Wettkampftag immer dieselbe Nahrung zu sich nehmen. Oder den linken Schuh zuerst anziehen, weil auf der Herzseite angeblich die Emotionen schlummern. Oder bestimmte Kleidungsstücke tragen. Was versprechen sie sich davon?
"Ich habe an dem Tag des Wettkampfs ein neues Kleidungsstück getragen oder ein Kleidungsstück, worin ich mich besonders wohl fühle, und hab' tatsächlich auch meine Leistung steigern können. Dass konkret das Kleidungsstück dafür verantwortlich ist, ist relativ unwahrscheinlich."
Serena Willliams trägt während eines Turniers immer dieselben Socken. Socken, die bis zum letzten Spiel nie gewaschen werden. Angeblich, weil sie ihr erstes Grand-Slam-Finale mit blütenweißen Socken vergeigte. Jogi Löw mochte sich jahrelang vor wichtigen Spielen nicht von seinem blauen "Glückspulli" trennen. Die Wahl eines bestimmten Textils ist der Klassiker unter den Ritualen.
"Und beim nächsten Wettkampf wird quasi assoziiert: Wenn ich diese Kleidung wieder trage, dann kann ich meine Leistung wieder verbessern. Also das sind einfach lerntheoretische Gründe. Die um Gottes Willen niemandem ausgeredet werden sollen. Die sollen bitte dabei bleiben. Das ist total schön, und das ist total hilfreich auch, weil das dem Athleten auch unheimlich viel Stabilität gibt."
Mittelstrecken-Champ Mo Farah pflegte vor dem Wettkampf seinen Schädel zu rasieren. Liverpools ivorischer Innenverteidiger Kolo Touré bestand darauf, als letzter Spieler seines Teams den Rasen zu betreten. Der kanadische Schwimmer Santo Condorelli zeigt vor jedem Start seinem auf der Tribüne zuschauenden Vater den Mittelfinger – im gegenseitigen Einvernehmen. Routinen, die diese Athleten jahrelang sklavisch einhielten.
"Ob die jetzt tatsächlich einen leistungssteigernden Effekt haben, ist nicht nachgewiesen. Aber sie haben in dem Moment einen Effekt auf die Psyche des Athleten, dass er sich stabilisiert fühlt, dass er in seinen Routinen bleiben kann, und dass er weiß, okay, es läuft alles genau so, wie es geplant ist. Und darauf setzt ja auch das mentale Training."
Als König der Ticks gilt Rafael Nadal. Seine Trinkflaschen stehen immer akribisch aufgereiht, mit dem Etikett Richtung Court. Er betritt nie die weiße Linie und überschreitet sie immer mit dem rechten Fuß voran. Schlicht eine Macke oder grenzt sowas schon ans Pathologische? Nadja Walter tippt eher auf Ersteres.
"Ich bin mir ziemlich sicher, dass er außerhalb des Wettkampfes, dass ihn das gar nicht interessiert, ob er die Linie betritt oder nicht."
Auch negative Selbstgespräche können helfen
Eine weitere merkwürdige Erscheinung sind Athleten, die sich durch Selbstgespräche anzutreiben versuche. Ein prominentes Beispiel ist die russische Weltrekord-Stabhochspringerin Jelena Isinbajewa. Die konkreten Inhalte ihrer Selbst-Ansprache wurden von Sportreportern nie dechiffriert. Oder der erst kürzlich zurückgetretene deutsche Tenniscrack Tommy Haas, der sich an gebrauchten Tagen selbst laut und deutlich verbal zu geißeln pflegte. Nach dem Verständnis der Sportpsychologie eine eher kontraproduktive oder – wie es in der Fachterminologie heißt - dysfunktionale Herangehensweise. Eigentlich.
"Selbstgespräche sollten tatsächlich möglichst positiv oder erfolgsbezogen formuliert sein, und eher weniger dysfunktional und damit negativ. Aber wir sehen an dem Beispiel von Tommy Haas, dass negativer selbstgewählter Selftalk Effekte auf die Leistungsfähigkeit haben kann. Weil er ja trotzdem einer der Topathleten ist."
Und wie motiviert sich eine Sportpsychologin? Für Nadja Walter erfüllt die sportliche Betätigung selbst diese Funktion. Auch eine Art von Ritual.
"Ich versuche, fast jeden Tag früh zumindest eine kleine Runde laufen zu gehen. Einfach weil mir das hilft, über den Tag zu kommen, und die Extra-Portion Sauerstoff am Morgen dabei auch hilft, wach und munter und motiviert in den Tag zu starten."
Ausdauersportler Mike Kleiss wiederum pflegt ein ganz spezielles Ritual.
"Das Ritual ist bei mir eindeutig, mit Hunden zu laufen jeden Morgen. Hat angefangen, weil sie morgens sowieso raus müssen. Und es zeigt einem auch immer wieder was. Denn Hunde haben einfach ein anderes Empfinden, einen anderen Spürsinn, und wenn Sie sich so'n bisschen drauf einlassen, werden Sie feststellen, dass auch Hunde nicht nur motivieren können. Sie können einen auch drosseln, sie merken auch, wenn es einem nicht so gut geht. Und sie sind einfach auch n Kumpel, der keine Fragen stellt zum Beispiel, wenn man gern allein läuft.
Ach ja, und dann gibt’s noch ein Ritual - die letzten Vorbereitungsläufe vor 'nem Marathon müssen es immer die Foo Fighters sein auf'm Ohr, und gern 'Best of You', mein Lieblingssong von den Foo Fighters in Dauerschleife, wahnsinnigerweise dann auch gerne mal so 30 Kilometer lang. Und ich find’s trotzdem nicht langweilig."
Ist Sex leistungssteigernd oder -mindernd?
Dann wäre da noch die Sache mit dem Sex.
Dass ein sportlicher, durchtrainierter Mensch auch ein potenziell befriedigenderes Liebesleben haben kann als lethargische Zeitgenossen, ist vermutlich keine allzu gewagte Hypothese. Aber gilt das auch umgekehrt? Hat guter Sex möglicherweise positive Auswirkungen auf die sportliche Leistung? Leibes- und Liebesübungen beeinflussen sich gegenseitig, so viel scheint festzustehen. Aber wie? In Boulevardmedien wird das Thema vor großen Sportevents gern ein wenig aufgebauscht. Dürfen die Spielerfrauen mit ins Trainingslager? Der lüsterne Unterton bei so einer Fragestellung ist oft unverkennbar.
"Die Trainer handhaben das unterschiedlich. Manche Sportler berichten auch von leistungssteigernden Effekten durch den Sex. Das ist sicherlich individuell sehr unterschiedlich zu sehen", sagt Sportmediziner Robert Margerie.
"Grundsätzlich ist es natürlich so, dass im Zusammenhang mit einem Wettkampf oder kurz vor einem Wettkampf sicherlich eine sexuelle Handlung nicht leistungssteigernd ist."
Aus der Sportwelt kommen dazu widersprüchliche Stimmen. Der französische Nationalspieler Sami Nasri berichtete in einer TV-Sendung über eiserne Regeln, die Trainer Pep Guardiola den Spielern von Manchester City auferlegt habe: "Sex nur vor Mitternacht, selbst wenn du am nächsten Tag frei hast, so dass du immer einen erholsamen Schlaf hast."
Worauf sich der Katalane prompt zu einem Dementi veranlasst sah.
"Es ist unmöglich, guten Fußball zu spielen, wenn du keinen Sex hast. Ich werde das niemals verbieten. Je mehr Sex sie haben, desto bessere Spieler sind sie."
Was denn nun? Hat der Sex nun bei Sportlern eher erschöpfende oder belebende Wirkung? Der Urologe und Sportmediziner Frank Sommer ist Professor für Männergesundheit am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
"Ja, Sexualität kann je nach Sportart die Leistung verbessern. Aber je nach Sportart kann Sexualität auch die sportliche Leistung verschlechtern."
Schon wieder so ein einerseits, andererseits. Aber Sommer wird konkreter.
"Wie kann es verbessern? Beispielsweise bei Sportarten, wo man sich hochkonzentrieren muss wie Schützen – Gewehr und Pistole, Bogenschießen – bei diesen Wettkämpfen ist es teilweise sehr vorteilhaft, vorher sexuelle Aktivität gehabt zu haben, um eine Relaxion, eine Entspanntheit – das ist natürlich dann wichtig auch, dass man zum Orgasmus kommt – eine Entspanntheit im Körper zu spüren."
Kraftsportler sollten Karenzzeit beim Sex einhalten
Erkenntnisse, die die Deutsche Gesellschaft für Mann und Gesundheit (DGMG), deren Präsident Sommer seit 2005 ist, vor einigen Jahren in einer groß angelegten Studie gewonnen hat. Darin wurde nicht nur der Einfluss von Sexualität auf die Konzentrationsfähigkeit getestet. Auch die Wirkungen auf Kraft und Schnelligkeit wurden genauer untersucht.
"Wir haben festgestellt, dass ein Sprinter, der einen wichtigen Wettkampf hat, bitte den letzten Orgasmus und sonstige sexuelle Aktivitäten mindestens 48 Stunden vor seinem Wettkampf haben sollte. Desto näher die sexuelle Aktivität plus Orgasmus beim Wettkampf gewesen ist, desto weniger Spritzigkeit – die müssen ja sehr schnell aus den Startblöcken rauskommen - und desto weniger Aggressionen – weil, die brauchen ja auch schnelles Treten, Antritt, 'nen schnellen Antritt braucht man da – ist dort vorhanden."
Die 48-Stunden-Regel als Sex-Kompass für leistungsorientierte Sportler und Sportlerinnen – das klingt sympathischer als allzu rigorose Abstinenzforderungen, die lange in der Sportwelt herumgeisterten. Selbst ein Muhammed Ali soll angeblich sechs Wochen vor jedem Kampf dem Sex entsagt haben. Begründung: Andernfalls würde die Dynamik seiner Beinarbeit, der berühmte Ali-Shuffle, leiden. Frank Sommer widerspricht. Ein so langer Verzicht auf sexuelle Betätigung sei nicht nötig. Das gelte auch für Gewichtheben und andere Disziplinen.
"Bei Sportarten, wo man sehr viel Kraft entwickeln muss, aber auch Kugelstoßen, Diskuswerfen, Hammerwerfen, Sportarten von der Leichtathletik, um die mal zu nennen, spielt das eine ganz große Rolle. Was man da achten sollte, dass eben nicht kurz vorher – wie gesagt, am besten die 48-Stunden-Regel einhalten – ein Orgasmus gewesen ist, weil das relaxiert den Körper zu sehr und die brauchen doch mehr Aggressivität und Spannung im Körper, um diese Maximalkraft zu entwickeln."
Die Erkenntnisse der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit sind umso verdienstvoller, als die bisherigen Forschungen über den Zusammenhang von Hormonspiegel und sportlicher Leistung vergleichsweise dünn ausfallen. Die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" berichtete vor einiger Zeit unter der Überschrift "Im Taumel der Hormone" über eine Schweizer Studie mit 15 männlichen, durchtrainierten Sportlern verschiedener Disziplinen. Dabei mussten die Probanden an zwei aufeinander folgenden Tagen einen Belastungstest auf dem Fahrradergometer absolvieren, gefolgt von Messungen der Herzfrequenz und des Testosterongehalts im Blut sowie einem einstündigen Konzentrationstest. Weiter heißt es in dem Artikel:
"Im Vorfeld dieser Prozedur fand Geschlechtsverkehr entweder am ersten oder am zweiten Tag statt. Das sah dann im Einzelnen so aus: 6 Uhr früh: Sex. - 8:15 Uhr: Bestimmung der Testosteronkonzentration. - 8:30 Uhr: Belastungstest. - 12:30 Uhr: Konzentrationstest. - 16:15 Uhr Bestimmung der Testosteronkonzentration.- 16:30 Uhr: erneuter Belastungstest."
Gestresst durch Sex um Punkt 6 Uhr
Das Ergebnis der Studie: Insgesamt ließen sich weder negative noch positive Effekte von Sex auf die erzielbare Ausdauerleistung und Konzentration messen. Frank Sommer wundert das gar nicht.
"Vielleicht waren die so gestresst, dass die genau Punkt 6 Uhr Sex haben mussten, weil sie um 8:15 Uhr zur Blutabnahme gehen mussten, das weiß ich nicht, das kann sich natürlich negativ auswirken, das ist klar. Stress wirkt supprimierend, also drückt den Testosteronspiegel nach unten, und das wäre natürlich negativ. Klar, das kann natürlich passieren."
Zumindest eines lässt sich festhalten: Offenbar sind die Wirkungen von Sexualität auf Körper und Psyche bei allen Menschen unterschiedlich. Je nach Disziplin und Zeitpunkt kann Sex die Leistung beim Sport beflügeln oder dämpfen. So sieht es auch Ausdauersportler Mike Kleiss:
"Für die einen ist einen Tag vor dem Marathon oder vor 'nem Wettkampf Sex 'ne Wunderwaffe, für die anderen ist es so, dass es sie eher kaputt macht. Und vielleicht ist es so wie bei allem im Leben: Vielleicht ist es einfach auch das Maß. Man sollte vielleicht nicht fünf Stunden Sex haben in der Nacht, bevor man den Marathon läuft, vielleicht eher logisch, dass das nicht funktioniert."
Wohl wahr. Überhaupt hält Kleiss nicht allzu viel von dem Prinzip des "Höher-Schneller-Weiter" im Sport. Gerade für Amateure, so findet er, sollten andere Werte zählen.
"Wir werden alle - oder die meisten zumindest - nie in die Verlegenheit kommen, mit Sport unser Geld verdienen zu müssen. Also wofür tun wir’s? Wir tun’s für uns! Und da gehört es hin und ich finde das noch mal kurz zu überdenken, ist immer eine gute Idee."
(Der Beitrag lief in dieser hier abgebildeten Langfassung erstmals am 9. Dezember 2018 auf Deutschlandfunk Kultur.)