Kafka, als er einmal glücklich war
Einmal nur hat Franz Kafka es gewagt, mit einer Frau zusammen zu leben. 40 Jahre lang ist er seinen Geliebten immer wieder ausgewichen, in Briefen, in Ver- und Entlobungen. Ein Jahr vor seinem Tod aber lernt er Dora Diamant kennen, und die beiden scheinen wirklich glücklich gewesen zu sein. Michael Kumpfmüller widmet dieser Liebe seinen neuen Roman.
Er ist schon lange nicht mehr nur der tragische Heros modernen Schreibens. Spätestens seit Klaus Wagenbachs Bildband, der Anfang der 80er-Jahre zum ersten Mal erschien, können wir uns Kafka auch als lachenden Menschen vorstellen. Nun geht Michael Kumpfmüller noch einen Schritt weiter. Sein neuer Roman zeigt Franz Kafka als einen glücklich Liebenden, ausgerechnet in seinem letzten Lebensjahr, von der Tuberkulose bereits schwer gezeichnet.
Im Juli 1923 begegnete er im Ostseebad Müritz der aus Polen stammenden Dora Diamant, die in der Ferienkolonie des Berliner Jüdischen Volksheims Kinder betreute. Bei der Forschung ist sie nicht sonderlich beliebt. Denn bis heute ist unklar, ob sie die an sie gerichteten Briefe Kafkas und die Notizbücher dieser Zeit tatsächlich mit ihm gemeinsam verbrannte, oder einfach nicht wollte, dass fremde Menschen Einblick in Aufzeichnungen erhielten, von denen sie glaubte, sie gehörten nur ihr und dem Geliebten. Anders als bei Felice Bauer, mit der er zweimal verlobt war, anders auch als bei Milena Jesenská, der tschechischen Journalistin und Übersetzerin, mit der ihn eine leidenschaftliche Affäre verband, sind von dieser Liebe keine Briefe überliefert und überhaupt wenige schriftliche Zeugnisse.
Für einen Romancier ist das ein Glück. Denn es verschafft ihm die nötige Freiheit für die schriftstellerische Imagination. Dabei fabuliert Michael Kumpfmüller nicht ins Blaue. Auf der Basis von Fakten und mit genauer Kenntnis des Werks erzählt er eine Geschichte, die ihre eigene Plausibilität entfaltet und auch ihren eigenen Zauber.
Tatsächlich wagt der 40-jährige Franz Kafka mit der fünfzehn Jahre jüngeren Dora Diamant zum ersten und einzigen Mal, was ihm zuvor unmöglich erschien: das Zusammenleben mit einer Frau. Obwohl die galoppierende Inflation sie von Wohnung zu Wohnung hetzt, in keiner der drei Berliner Wohnungen können sie länger als zehn Wochen bleiben, obwohl sich Kafkas Gesundheitszustand ständig verschlechtert, gelingen Kumpfmüller eindrückliche Bilder eines glaubhaften Glücks. Und das bis zuletzt, als Kafka nach erneuter Odyssee durch verschiedene Krankenhäuser und Sanatorien, von Dora Diamant begleitet, am 3. Juni 1924 im österreichischen Kierling stirbt. Eine Woche später wird er auf dem jüdischen Friedhof in Prag beigesetzt.
Am Anfang des im Präsens erzählten Romans ist noch eine gewisse Unsicherheit zu spüren. Souverän wird er, sobald sich die Hauptfiguren als Paar gefunden haben. Klugerweise nennt Kumpfmüller den Helden nie bei seinem Schriftstellernamen, sondern stets so, wie ihn Dora Diamant genannt haben könnte: zunächst "Doktor" und später "Franz". Ebenso klug ist es, dass er den Stil Kafkas nicht kopiert. Er findet einen eigenen, ebenso warmen wie zurückhaltenden Ton. Dass Kafka am Ende seines Lebens Zweifel befielen, ob es richtig war, seine ganze Existenz dem Schreiben unterzuordnen, lässt sich an seinen späten Erzählungen ablesen. Der vierte Roman des fünfzigjährigen Autors erzählt auch von der heiklen Balance zwischen Schreiben und Leben. Er lockt dessen "Herrlichkeit", von der Kafka in einem Tagebucheintrag aus dem Jahr 1921 sprach, mit einer gekonnten Anrufung hervor.
Besprochen von Meike Feßmann
Michael Kumpfmüller: Die Herrlichkeit des Lebens
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2011
238 Seiten, 18,99 Euro
Im Juli 1923 begegnete er im Ostseebad Müritz der aus Polen stammenden Dora Diamant, die in der Ferienkolonie des Berliner Jüdischen Volksheims Kinder betreute. Bei der Forschung ist sie nicht sonderlich beliebt. Denn bis heute ist unklar, ob sie die an sie gerichteten Briefe Kafkas und die Notizbücher dieser Zeit tatsächlich mit ihm gemeinsam verbrannte, oder einfach nicht wollte, dass fremde Menschen Einblick in Aufzeichnungen erhielten, von denen sie glaubte, sie gehörten nur ihr und dem Geliebten. Anders als bei Felice Bauer, mit der er zweimal verlobt war, anders auch als bei Milena Jesenská, der tschechischen Journalistin und Übersetzerin, mit der ihn eine leidenschaftliche Affäre verband, sind von dieser Liebe keine Briefe überliefert und überhaupt wenige schriftliche Zeugnisse.
Für einen Romancier ist das ein Glück. Denn es verschafft ihm die nötige Freiheit für die schriftstellerische Imagination. Dabei fabuliert Michael Kumpfmüller nicht ins Blaue. Auf der Basis von Fakten und mit genauer Kenntnis des Werks erzählt er eine Geschichte, die ihre eigene Plausibilität entfaltet und auch ihren eigenen Zauber.
Tatsächlich wagt der 40-jährige Franz Kafka mit der fünfzehn Jahre jüngeren Dora Diamant zum ersten und einzigen Mal, was ihm zuvor unmöglich erschien: das Zusammenleben mit einer Frau. Obwohl die galoppierende Inflation sie von Wohnung zu Wohnung hetzt, in keiner der drei Berliner Wohnungen können sie länger als zehn Wochen bleiben, obwohl sich Kafkas Gesundheitszustand ständig verschlechtert, gelingen Kumpfmüller eindrückliche Bilder eines glaubhaften Glücks. Und das bis zuletzt, als Kafka nach erneuter Odyssee durch verschiedene Krankenhäuser und Sanatorien, von Dora Diamant begleitet, am 3. Juni 1924 im österreichischen Kierling stirbt. Eine Woche später wird er auf dem jüdischen Friedhof in Prag beigesetzt.
Am Anfang des im Präsens erzählten Romans ist noch eine gewisse Unsicherheit zu spüren. Souverän wird er, sobald sich die Hauptfiguren als Paar gefunden haben. Klugerweise nennt Kumpfmüller den Helden nie bei seinem Schriftstellernamen, sondern stets so, wie ihn Dora Diamant genannt haben könnte: zunächst "Doktor" und später "Franz". Ebenso klug ist es, dass er den Stil Kafkas nicht kopiert. Er findet einen eigenen, ebenso warmen wie zurückhaltenden Ton. Dass Kafka am Ende seines Lebens Zweifel befielen, ob es richtig war, seine ganze Existenz dem Schreiben unterzuordnen, lässt sich an seinen späten Erzählungen ablesen. Der vierte Roman des fünfzigjährigen Autors erzählt auch von der heiklen Balance zwischen Schreiben und Leben. Er lockt dessen "Herrlichkeit", von der Kafka in einem Tagebucheintrag aus dem Jahr 1921 sprach, mit einer gekonnten Anrufung hervor.
Besprochen von Meike Feßmann
Michael Kumpfmüller: Die Herrlichkeit des Lebens
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2011
238 Seiten, 18,99 Euro