Kafkas Kopfkino
Dass Franz Kafka ein passionierter Kinogänger war, dokumentieren seine Briefe und Tagebücher. Wie stark auch seine literarische Arbeit durch die Darstellungsformen des Films bestimmt wurde, zeigt Peter-André Alt in "Kafka und der Film" anhand von konkreten Beispielen.
"Im Kino gewesen. Geweint." Mit dieser lakonischen Tagebuchnotiz belegte Franz Kafka, dass er sich vom Kino seiner Zeit mitreißen ließ.
Die Faszination des jungen Prager Literaten für das neue Medium wollte lange nicht recht in die Deutungsmuster seiner Interpreten passen. Meist versuchte man mit einem didaktisch eingängigen Verständnis, das surreale und befremdliche Universum seiner Prosa aus seiner Biografie heraus zu erklären. So war die Aura des einsamen todkranken Intellektuellen, der an einem avantgardistischen Kunstanspruch und den Verstrickungen in seinem Vaterkonflikt, dem verhassten Brotberuf und uneinlösbaren Lieben litt, auf den ersten Blick schwerlich mit der Lust am Massenvergnügen Kino in Einklang zu bringen.
Vor dem ersten Weltkrieg galten Filme nämlich noch pauschal als billiges Sensations- und Herz-Schmerz-Spektakel, als triviales Vergnügen für die unteren Stände, das der Neugier eines gebildeten und kunstinteressierten jungen Mannes keinesfalls würdig schien.
Erst die neuere Kafka-Forschung hat begonnen, sich für das erstaunliche Phänomen des "Kinogehers" Kafka zu interessieren und daraus neue Einsichten über seine Wahrnehmung zu gewinnen. Eine vor zwölf Jahren veröffentlichte Studie des Schauspielers und Literaturkenners Hanns Zischler verglich beispielsweise Kafkas Tagebucheinträge und Briefe mit den Spuren der Filmprogramme in den Kinos an seinen jeweiligen Aufenthaltsorten und rekonstruierte liebevoll, welche Melodramen, Detektiv- und Slapstickfilme den Schriftsteller in seiner Heimatstadt und auf Reisen beeindruckt haben mögen.
Der Literaturwissenschaftler Peter-André Alt, der im vergangenen Jahr bereits die Kafka-Biografie "Der ewige Sohn" veröffentlichte, greift Hanns Zischlers verdienstvolles Buch "Kafka geht ins Kino" nun in einer eigenen Studie auf.
Alts Buch "Kafka und der Film" interessiert sich dabei nur am Rande für eine mögliche Korrektur des überkommenen Kafka-Bildes, es bezieht sich auf sein Werk, indem es verdeutlicht, dass die Phantasmen, das Dunkle und Unzugängliche seiner Romane und Erzählungen gerade nicht aus einer radikalen Abgrenzung vom Leben seiner Epoche entstanden sind.
Es geht Peter-André Alt vielmehr um die Spuren, die Kafkas sensible Wahrnehmung der technischen Moderne in seinen literarischen Ausdrucksformen hinterlassen haben.
Für Leser, die Kafkas Werk kennen, oder sich zur Lektüre des Originals anregen lassen wollen, führt das Buch anspruchsvoll und dennoch präzise anschaulich in die Frage ein, wie die neuen Erzählweisen des Kinos Kafkas Schreiben beeinflussten.
Beim Flanieren im Strom des urbanen Lebens oder im Dunkel der Kinosäle leerte er sich den Kopf und fand zur tranceähnlichen Abkehr von sich selbst, die erst das Schreiben ermöglichte.
Alt erläutert, wie sich aus Kafkas Stilfiguren, aus dem "Kamerablick" auf die Oberfläche einer Szene oder die Auflösung eines Geschehens in knappe Momentaufnahmen und Sequenzen, sein Gespür für eine neue, von Beschleunigung, Technik und Verkehr inspirierte Ästhetik ablesen lässt.
Nicht zuletzt gewinnt das Buch durch vorsichtige Spekulationen an Lesereiz, wenn es nahe legt, dass Kafkas Roman "Das Schloss" und F. W. Murnaus legendärer "Nosferatu"-Film vom selben Schauplatz, einer Burg in den Bergen der Tatra, inspiriert wurden.
Besprochen von Claudia Lenssen
Peter-André Alt: Kafka und der Film – Über kinematographisches Erzählen
C. H. Beck, München 2009
238 Seiten, 19,90 EUR
Die Faszination des jungen Prager Literaten für das neue Medium wollte lange nicht recht in die Deutungsmuster seiner Interpreten passen. Meist versuchte man mit einem didaktisch eingängigen Verständnis, das surreale und befremdliche Universum seiner Prosa aus seiner Biografie heraus zu erklären. So war die Aura des einsamen todkranken Intellektuellen, der an einem avantgardistischen Kunstanspruch und den Verstrickungen in seinem Vaterkonflikt, dem verhassten Brotberuf und uneinlösbaren Lieben litt, auf den ersten Blick schwerlich mit der Lust am Massenvergnügen Kino in Einklang zu bringen.
Vor dem ersten Weltkrieg galten Filme nämlich noch pauschal als billiges Sensations- und Herz-Schmerz-Spektakel, als triviales Vergnügen für die unteren Stände, das der Neugier eines gebildeten und kunstinteressierten jungen Mannes keinesfalls würdig schien.
Erst die neuere Kafka-Forschung hat begonnen, sich für das erstaunliche Phänomen des "Kinogehers" Kafka zu interessieren und daraus neue Einsichten über seine Wahrnehmung zu gewinnen. Eine vor zwölf Jahren veröffentlichte Studie des Schauspielers und Literaturkenners Hanns Zischler verglich beispielsweise Kafkas Tagebucheinträge und Briefe mit den Spuren der Filmprogramme in den Kinos an seinen jeweiligen Aufenthaltsorten und rekonstruierte liebevoll, welche Melodramen, Detektiv- und Slapstickfilme den Schriftsteller in seiner Heimatstadt und auf Reisen beeindruckt haben mögen.
Der Literaturwissenschaftler Peter-André Alt, der im vergangenen Jahr bereits die Kafka-Biografie "Der ewige Sohn" veröffentlichte, greift Hanns Zischlers verdienstvolles Buch "Kafka geht ins Kino" nun in einer eigenen Studie auf.
Alts Buch "Kafka und der Film" interessiert sich dabei nur am Rande für eine mögliche Korrektur des überkommenen Kafka-Bildes, es bezieht sich auf sein Werk, indem es verdeutlicht, dass die Phantasmen, das Dunkle und Unzugängliche seiner Romane und Erzählungen gerade nicht aus einer radikalen Abgrenzung vom Leben seiner Epoche entstanden sind.
Es geht Peter-André Alt vielmehr um die Spuren, die Kafkas sensible Wahrnehmung der technischen Moderne in seinen literarischen Ausdrucksformen hinterlassen haben.
Für Leser, die Kafkas Werk kennen, oder sich zur Lektüre des Originals anregen lassen wollen, führt das Buch anspruchsvoll und dennoch präzise anschaulich in die Frage ein, wie die neuen Erzählweisen des Kinos Kafkas Schreiben beeinflussten.
Beim Flanieren im Strom des urbanen Lebens oder im Dunkel der Kinosäle leerte er sich den Kopf und fand zur tranceähnlichen Abkehr von sich selbst, die erst das Schreiben ermöglichte.
Alt erläutert, wie sich aus Kafkas Stilfiguren, aus dem "Kamerablick" auf die Oberfläche einer Szene oder die Auflösung eines Geschehens in knappe Momentaufnahmen und Sequenzen, sein Gespür für eine neue, von Beschleunigung, Technik und Verkehr inspirierte Ästhetik ablesen lässt.
Nicht zuletzt gewinnt das Buch durch vorsichtige Spekulationen an Lesereiz, wenn es nahe legt, dass Kafkas Roman "Das Schloss" und F. W. Murnaus legendärer "Nosferatu"-Film vom selben Schauplatz, einer Burg in den Bergen der Tatra, inspiriert wurden.
Besprochen von Claudia Lenssen
Peter-André Alt: Kafka und der Film – Über kinematographisches Erzählen
C. H. Beck, München 2009
238 Seiten, 19,90 EUR