Kahn-Ackermann: China lässt sich "durch nichts und niemanden beeindrucken"
Was kann der Westen gegen Chinas repressive Politik im Innern unternehmen? Der langjährige Leiter des Goethe-Instituts in Peking, Michael Kahn-Ackermann, beurteilt die Proteste gegen die Verhaftung des Künstlers Ai Weiwei mit Skepsis.
Frank Meyer: Seit einem guten Monat ist der chinesische Ai Weiwei jetzt verhaftet, und noch immer weiß man nicht, wo er festgehalten wird, wie es ihm geht. Der Maler Norbert Bisky hat gestern einen Artikel in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" veröffentlicht unter der Überschrift: Ich protestiere dagegen, dass die internationale Kunstwelt weiter ihre Deals mit China macht, trotz der Willkür dort, nicht nur im Fall von Ai Weiwei. Welche Rolle kann in dieser Situation das Goethe-Institut in China spielen? Das wollen wir mit Michael Kahn-Ackermann besprechen. Er arbeitet seit der Gründung des Goethe-Instituts in Peking dort lange Jahre als Leiter dieses Instituts. Guten Tag nach Peking, Herr Kahn-Ackermann!
Michael Kahn-Ackermann: Guten Tag!
Meyer: Goethe-Institute sind Freiräume in repressiven Staaten, das hat der Präsident des Goethe-Instituts, Klaus-Dieter Lehmann vor Kurzem in einem Zeitungsbeitrag geschrieben. Gilt das auch für das Goethe-Institut in Peking, ist das ein Freiraum?
Kahn-Ackermann: Es ist insofern ein Freiraum, als wir natürlich unseren Gästen und unseren Besuchern keine Schranken auferlegen in Sachen Meinungsfreiheit oder in Sachen künstlerischer Freiheit. Aber natürlich sind wir in unserer Tätigkeit mit der Realität des Landes konfrontiert und müssen der auch Rechnung tragen. In den mehr jetzt als zwölf Jahren, in denen ich das Goethe-Institut in China geleitet habe, hat es immer wieder engere und größere Spielräume gegeben – das ist etwas, was man nutzen muss, was man lernen muss zu nutzen. Wir suchen nicht die Konfrontation mit den Behörden, aber wir lassen uns natürlich auch nicht den Mund verbieten.
Meyer: Und wie nutzen Sie diese Spielräume, also zum Beispiel, welche kontroversen Themen sprechen Sie an, die für die chinesischen Behörden kontrovers sind?
Kahn-Ackermann: Es gibt ein paar grundsätzliche dogmatisch festgelegte Dinge: dass man in der Öffentlichkeit das Herrschaftsmonopol der Partei nicht infrage stellt, dass man die territoriale Integrität Chinas nicht infrage stellt – das bezieht sich dann auf Forderungen wie die Unabhängigkeit Tibets oder die Unabhängigkeit Taiwans. Alles andere ist im Wesentlichen eine Frage der jeweiligen Möglichkeiten und Spielräume. Es gibt da keine vorgeschriebenen Grenzen, die mir sagen, das darfst du sagen und das darfst du nicht sagen. Das sind Dinge, die muss man einfach ausprobieren.
Meyer: Der Präsident des Goethe-Instituts, Klaus-Dieter Lehmann hat in seinem Zeitungsbeitrag geschrieben, es gab in den letzten drei Jahren einen Fall von direkter Zensur bei einer Gemeinschaftsausstellung des Goethe-Instituts mit dem Pekinger Kunstviertel 798, dort wurden zwei Bilder beanstandet. Das Goethe-Institut habe die Ausstellung dann abgesagt, weil es keine amputierte Ausstellung zeigen wollte. Ist das so eine grundsätzliche Linie – wenn es eine echte Zensur gibt oder Versuche dazu, wie in diesem Fall, dann werden Projekte auch abgeblasen?
Kahn-Ackermann: Dann werden Projekte abgeblasen. Dieser Fall ist insofern besonders interessant, weil es sich um zwei Arbeiten handelte, ganz unterschiedliche Arbeiten, des Berliner Künstlers Via Lewandowsky. In dem einen wurde eine chinesische Nationalfahne verwendet, und wir wurden darauf hingewiesen, dass es ein chinesisches Gesetz gibt, das die Verwendung der Nationalfahne zu nicht öffentlichen Zwecken genehmigt werden muss. Und dieses Gesetz haben wir dann akzeptiert und haben gesagt, gut, das akzeptieren wir, wir nehmen diese Arbeit aus der Ausstellung heraus. Aber die andere Arbeit, die einen weinenden Stalin zeigte – das Gesetz, das Stalin nicht weinen darf, gibt es nicht, und das Verbot können wir daher nicht akzeptiert. Und als man dann auf die Entfernung dieser Arbeit bestand, haben wir dann die Ausstellung geschlossen.
Meyer: Der Artikel von Klaus-Dieter Lehmann, der ist auch deshalb beeindruckend, weil er am Beispiel Ägypten, wo wir ja jetzt miterlebt haben, wie dort eine Revolution ein repressives System hinweggefegt hat, an diesem Beispiel beschreibt, was das Goethe-Institut leisten kann. Und zwar berichtet Klaus-Dieter Lehmann davon als Präsident des Goethe-Instituts, dass dort Kulturprojekte gefördert wurden, die auch zu einer Art Vorbild wurden für diese Revolution und in die Stimmungslage, in die Veränderungsbereitschaft in diesem Land eingegangen ist. Gibt es beim Goethe-Institut in China, gibt es ähnliche Beispiele, dass Sie die Dissidenten in China, mit denen im Gespräch sind, die unterstützen?
Kahn-Ackermann: China ist eine ungeheuer dynamische Gesellschaft, in der sich in den letzten 30 Jahren eine ganz andere kulturelle Szene etabliert hat, als ich jetzt mal davon ausgehe, dass es in einem Land wie Ägypten der Fall gewesen ist. China ist eben eine Gesellschaft in Bewegung, die eine ganze Reihe von Widersprüchen produziert, die auch öffentlich diskutiert werden, die Partei, die dieses Land regiert, und die Behörden reagieren unterschiedlich repressiv. Also sie verbieten mal, mal lassen sie zu, das ist schwer vorauszusehen. Die Verhaftung von Ai Weiwei hat uns vielleicht nicht ganz so überrascht wie viele Beobachter im Westen, weil es eine Tendenz zu einer verstärkten Repression gegenüber Leuten, die sozusagen jenseits der Grenzen dieser beiden Punkte agiert haben, gegeben hat.
Meyer: Machen wir das mal konkret: Gegen welche grundsätzlichen Schranken hat denn Ai Weiwei verstoßen in Ihren Augen?
Kahn-Ackermann: Ai Weiwei hat natürlich immer wieder das Herrschaftsmonopol und die Herrschaftsberechtigung der kommunistischen Partei infrage gestellt, er hat den Untergang des Systems in naher Zukunft prophezeit, und es ist in gewisser Weise zu fragen, wieso die Behörden, die ihn ja sehr, sehr lange haben agieren lassen, in diesem Moment plötzlich so repressiv reagieren. Und ich denke, da ist der Zusammenhang mit Ägypten dann schon da. Das heißt, natürlich haben die Ereignisse in den arabischen Ländern auch hier die Führung nervös gemacht.
Meyer: Wie spricht man denn zurzeit in den Kreisen, in denen Sie sich bewegen, in Peking, über den Fall Ai Weiwei, was denkt man da, was haben die chinesischen Behörden mit ihm vor?
Kahn-Ackermann: Man geht davon aus, dass man ihn vor Gericht stellen wird wegen Steuerhinterziehung vor allem, also wegen wirtschaftlicher Vergehen. Das wird vermutlich beweisbar sein, damit steht er nicht alleine – dieses Vergehens macht sich ein größerer Teil der chinesischen, international erfolgreichen Künstler schuldig. Dass man dieses vermutlich beweisbare Delikt benutzen wird, um ihn für ein paar Jahre ins Gefängnis zu sperren, ist zu befürchten.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit Michael Kahn-Ackermann, lange Jahre der Leiter des Goethe-Instituts in Peking. Der Künstler Norbert Bisky hat gestern in seinem "FAZ"-Artikel geschrieben: Der Skandal ist, dass wir nichts Entschiedenes dagegen tun, nämlich gegen die willkürliche Verhaftung des chinesischen Künstlers Ai Weiwei. Wie geht es Ihnen damit, vermissen Sie lautere Proteste aus Deutschland gegen diese Verhaftung?
Kahn-Ackermann: Ach wissen Sie, diese Proteste, man muss das mal in aller Deutlichkeit sagen, bis zu einem gewissen Grad dienen unserer Gewissensberuhigung. Damit meine ich nicht, dass wir solche Dinge einfach klaglos hinnehmen sollen, das ist gar nicht das Problem, das sind Fragen, die zum Beispiel auf einer politischen Ebene angesprochen werden müssen. Das Interessante an solchen Geschichten ist ja immer, dass die moralische Bringschuld in solchen Fragen immer die Aufgabe der Kultur ist. Also es macht ja keiner ernsthaft den Vorschlag, dass das Unternehmen Siemens oder Thyssen seine Geschäftsbeziehungen zu China jetzt abbrechen soll. Es macht keiner den Vorschlag, dass der Botschafter aus China abgerufen werden soll. Die Aufgabe sozusagen, in einem solchen Fall sich nach den Grundsätzen unserer politischen Moral zu verhalten, ergeht immer an die Kultur, die am allerwenigsten in der Lage ist, irgendetwas ernsthaft in diesem Fall zu unternehmen. Ich glaube, dass die chinesischen Behörden sich durch nichts und niemanden beeindrucken lassen werden, wenn sie beschlossen haben, mit einer verhafteten Person ein Exempel zu statuieren. Die Proteste sind sicher ehrenwert, unter Umständen werden sie innerhalb der ja durchaus in solchen Punkten nicht absolut einigen Herrschaftselite zum Nachdenken anregen, ob der Nutzen, der mit einer solchen Verhaftung für das System erreicht wird, den Schaden rechtfertigt, der international damit angerichtet wird.
Meyer: Nun gab es auch den Vorschlag, in der Form zu reagieren, dass man die groß angelegte Aufklärungsausstellung in Peking, die ja auch vom deutschen Außenministerium mit erheblichen Geldern unterstützt wurde, diese Ausstellung vorzeitig zu beenden als Zeichen des Protestes. Was würden Sie davon halten?
Kahn-Ackermann: Ach nichts, überhaupt nichts. Erst mal würde das hier so gut wie niemand zur Kenntnis nehmen – es ist ja nicht so, dass diese Ausstellung hier in China Furore gemacht hat oder jetzt unerhörtes Aufsehen erregt hat und einen Aufschrei der Empörung durch die Besuchermengen ginge, wenn jetzt die Ausstellung geschlossen würde. Es wäre ein politischer Akt, also eine Art demonstrativer Akt, aber auch da ist meine Frage: Wieso muss die Ausstellung diese Aufgaben übernehmen? Es gäbe sehr viel wirksamere Instrumente des Protestes als die Schließung einer Ausstellung. Ich halte davon gar nichts.
Meyer: Was ist jetzt Ihre Konsequenz daraus – weniger von der Kultur zu verlangen, als moralischem Botschafter gewissermaßen, oder mehr zu verlangen von der Politik und der Wirtschaft?
Kahn-Ackermann: Weder noch. Was ich erwarte oder mir wünsche, ist eine differenziertere, eine klügere und eine der eigenen und der fremden Positionen bewusstere Wahrnehmung eines Kontinents wie China. Wir haben von China ein Klischeebild, das durch die chinesischen Behörden und Aktionen der chinesischen Behörden durchaus auch nachdrücklich mit befördert wird, aber es wäre unsere Aufgabe, uns der chinesischen Wirklichkeit in einer etwas anderen Form anzunähern. Also wenn zum Beispiel Herr Bisky es als skandalös empfindet, dass wir die Kunstgeschäfte mit China weiterbetreiben, ist absurd. Ich meine, damit würden wir den chinesischen Künstlern schaden, sonst niemandem, wenn wir das unterbinden würden und könnten – können wir ja gar nicht. Wesentlich scheint mir, dass wir lernen, uns diesem Kontinent mit größerer Aufmerksamkeit zu nähern, dass wir verstärkt auf die sehr unterschiedlichen innerchinesischen Stimmen hören, mit welchen Problemen sich die Leute hier auseinandersetzen.
Meyer: Und wenn ich jetzt einen Artikel lese wie den von Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, der eben schreibt, das Goethe-Institut setze sich ein für die Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen in repressiven Ländern, unter anderem in China, ja, ist das dann für Sie eine Art Überforderung auch Ihrer Arbeit des Goethe-Instituts in Peking?
Kahn-Ackermann: Wenn man uns zu einem Instrument einer revolutionären Veränderung des chinesischen Gesellschaftssystems machen würde, wäre es in der Tat eine komplette Überforderung. Ich glaube auch nicht, dass das Goethe-Institut oder irgendeiner dieser Institutionen auch anderer Länder einen wirklich essenziellen Beitrag leisten kann zu großen gesellschaftlichen Veränderungen. Wir arbeiten mit der Zivilgesellschaft, weil die Zivilgesellschaft ein wichtiger Teil dieser Gesellschaft ist und weil er zu einem großen Teil den innovativen, kritischen und kreativen Teil dieser Gesellschaft ausmacht. Die interessanten, spannenden Begegnungen, um die es uns geht, also dass zwischen zwei Kulturen etwas passiert, was über die Stereotypen der Wahrnehmung, die im Allgemeinen so sich festgesetzt haben, hinausgeht, da spielt die Zivilgesellschaft für uns natürlich eine ganz maßgebliche Rolle. Was aber nicht heißt, dass ich jetzt mich nur noch mit NGOs treffe. Ich arbeite mit den kulturellen Institutionen dieses Landes, die naturgemäß zum größten Teil staatlich sind, und ich arbeite zum Teil ausgezeichnet mit denen zusammen.
Meyer: Welche Rolle können Goethe-Institute in autoritären Staaten wie China spielen? Das haben wir besprochen mit Michael Kahn-Ackermann, langjähriger Leiter des Goethe-Instituts in Peking. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kahn-Ackermann!
Kahn-Ackermann: Bitte sehr!
Michael Kahn-Ackermann: Guten Tag!
Meyer: Goethe-Institute sind Freiräume in repressiven Staaten, das hat der Präsident des Goethe-Instituts, Klaus-Dieter Lehmann vor Kurzem in einem Zeitungsbeitrag geschrieben. Gilt das auch für das Goethe-Institut in Peking, ist das ein Freiraum?
Kahn-Ackermann: Es ist insofern ein Freiraum, als wir natürlich unseren Gästen und unseren Besuchern keine Schranken auferlegen in Sachen Meinungsfreiheit oder in Sachen künstlerischer Freiheit. Aber natürlich sind wir in unserer Tätigkeit mit der Realität des Landes konfrontiert und müssen der auch Rechnung tragen. In den mehr jetzt als zwölf Jahren, in denen ich das Goethe-Institut in China geleitet habe, hat es immer wieder engere und größere Spielräume gegeben – das ist etwas, was man nutzen muss, was man lernen muss zu nutzen. Wir suchen nicht die Konfrontation mit den Behörden, aber wir lassen uns natürlich auch nicht den Mund verbieten.
Meyer: Und wie nutzen Sie diese Spielräume, also zum Beispiel, welche kontroversen Themen sprechen Sie an, die für die chinesischen Behörden kontrovers sind?
Kahn-Ackermann: Es gibt ein paar grundsätzliche dogmatisch festgelegte Dinge: dass man in der Öffentlichkeit das Herrschaftsmonopol der Partei nicht infrage stellt, dass man die territoriale Integrität Chinas nicht infrage stellt – das bezieht sich dann auf Forderungen wie die Unabhängigkeit Tibets oder die Unabhängigkeit Taiwans. Alles andere ist im Wesentlichen eine Frage der jeweiligen Möglichkeiten und Spielräume. Es gibt da keine vorgeschriebenen Grenzen, die mir sagen, das darfst du sagen und das darfst du nicht sagen. Das sind Dinge, die muss man einfach ausprobieren.
Meyer: Der Präsident des Goethe-Instituts, Klaus-Dieter Lehmann hat in seinem Zeitungsbeitrag geschrieben, es gab in den letzten drei Jahren einen Fall von direkter Zensur bei einer Gemeinschaftsausstellung des Goethe-Instituts mit dem Pekinger Kunstviertel 798, dort wurden zwei Bilder beanstandet. Das Goethe-Institut habe die Ausstellung dann abgesagt, weil es keine amputierte Ausstellung zeigen wollte. Ist das so eine grundsätzliche Linie – wenn es eine echte Zensur gibt oder Versuche dazu, wie in diesem Fall, dann werden Projekte auch abgeblasen?
Kahn-Ackermann: Dann werden Projekte abgeblasen. Dieser Fall ist insofern besonders interessant, weil es sich um zwei Arbeiten handelte, ganz unterschiedliche Arbeiten, des Berliner Künstlers Via Lewandowsky. In dem einen wurde eine chinesische Nationalfahne verwendet, und wir wurden darauf hingewiesen, dass es ein chinesisches Gesetz gibt, das die Verwendung der Nationalfahne zu nicht öffentlichen Zwecken genehmigt werden muss. Und dieses Gesetz haben wir dann akzeptiert und haben gesagt, gut, das akzeptieren wir, wir nehmen diese Arbeit aus der Ausstellung heraus. Aber die andere Arbeit, die einen weinenden Stalin zeigte – das Gesetz, das Stalin nicht weinen darf, gibt es nicht, und das Verbot können wir daher nicht akzeptiert. Und als man dann auf die Entfernung dieser Arbeit bestand, haben wir dann die Ausstellung geschlossen.
Meyer: Der Artikel von Klaus-Dieter Lehmann, der ist auch deshalb beeindruckend, weil er am Beispiel Ägypten, wo wir ja jetzt miterlebt haben, wie dort eine Revolution ein repressives System hinweggefegt hat, an diesem Beispiel beschreibt, was das Goethe-Institut leisten kann. Und zwar berichtet Klaus-Dieter Lehmann davon als Präsident des Goethe-Instituts, dass dort Kulturprojekte gefördert wurden, die auch zu einer Art Vorbild wurden für diese Revolution und in die Stimmungslage, in die Veränderungsbereitschaft in diesem Land eingegangen ist. Gibt es beim Goethe-Institut in China, gibt es ähnliche Beispiele, dass Sie die Dissidenten in China, mit denen im Gespräch sind, die unterstützen?
Kahn-Ackermann: China ist eine ungeheuer dynamische Gesellschaft, in der sich in den letzten 30 Jahren eine ganz andere kulturelle Szene etabliert hat, als ich jetzt mal davon ausgehe, dass es in einem Land wie Ägypten der Fall gewesen ist. China ist eben eine Gesellschaft in Bewegung, die eine ganze Reihe von Widersprüchen produziert, die auch öffentlich diskutiert werden, die Partei, die dieses Land regiert, und die Behörden reagieren unterschiedlich repressiv. Also sie verbieten mal, mal lassen sie zu, das ist schwer vorauszusehen. Die Verhaftung von Ai Weiwei hat uns vielleicht nicht ganz so überrascht wie viele Beobachter im Westen, weil es eine Tendenz zu einer verstärkten Repression gegenüber Leuten, die sozusagen jenseits der Grenzen dieser beiden Punkte agiert haben, gegeben hat.
Meyer: Machen wir das mal konkret: Gegen welche grundsätzlichen Schranken hat denn Ai Weiwei verstoßen in Ihren Augen?
Kahn-Ackermann: Ai Weiwei hat natürlich immer wieder das Herrschaftsmonopol und die Herrschaftsberechtigung der kommunistischen Partei infrage gestellt, er hat den Untergang des Systems in naher Zukunft prophezeit, und es ist in gewisser Weise zu fragen, wieso die Behörden, die ihn ja sehr, sehr lange haben agieren lassen, in diesem Moment plötzlich so repressiv reagieren. Und ich denke, da ist der Zusammenhang mit Ägypten dann schon da. Das heißt, natürlich haben die Ereignisse in den arabischen Ländern auch hier die Führung nervös gemacht.
Meyer: Wie spricht man denn zurzeit in den Kreisen, in denen Sie sich bewegen, in Peking, über den Fall Ai Weiwei, was denkt man da, was haben die chinesischen Behörden mit ihm vor?
Kahn-Ackermann: Man geht davon aus, dass man ihn vor Gericht stellen wird wegen Steuerhinterziehung vor allem, also wegen wirtschaftlicher Vergehen. Das wird vermutlich beweisbar sein, damit steht er nicht alleine – dieses Vergehens macht sich ein größerer Teil der chinesischen, international erfolgreichen Künstler schuldig. Dass man dieses vermutlich beweisbare Delikt benutzen wird, um ihn für ein paar Jahre ins Gefängnis zu sperren, ist zu befürchten.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit Michael Kahn-Ackermann, lange Jahre der Leiter des Goethe-Instituts in Peking. Der Künstler Norbert Bisky hat gestern in seinem "FAZ"-Artikel geschrieben: Der Skandal ist, dass wir nichts Entschiedenes dagegen tun, nämlich gegen die willkürliche Verhaftung des chinesischen Künstlers Ai Weiwei. Wie geht es Ihnen damit, vermissen Sie lautere Proteste aus Deutschland gegen diese Verhaftung?
Kahn-Ackermann: Ach wissen Sie, diese Proteste, man muss das mal in aller Deutlichkeit sagen, bis zu einem gewissen Grad dienen unserer Gewissensberuhigung. Damit meine ich nicht, dass wir solche Dinge einfach klaglos hinnehmen sollen, das ist gar nicht das Problem, das sind Fragen, die zum Beispiel auf einer politischen Ebene angesprochen werden müssen. Das Interessante an solchen Geschichten ist ja immer, dass die moralische Bringschuld in solchen Fragen immer die Aufgabe der Kultur ist. Also es macht ja keiner ernsthaft den Vorschlag, dass das Unternehmen Siemens oder Thyssen seine Geschäftsbeziehungen zu China jetzt abbrechen soll. Es macht keiner den Vorschlag, dass der Botschafter aus China abgerufen werden soll. Die Aufgabe sozusagen, in einem solchen Fall sich nach den Grundsätzen unserer politischen Moral zu verhalten, ergeht immer an die Kultur, die am allerwenigsten in der Lage ist, irgendetwas ernsthaft in diesem Fall zu unternehmen. Ich glaube, dass die chinesischen Behörden sich durch nichts und niemanden beeindrucken lassen werden, wenn sie beschlossen haben, mit einer verhafteten Person ein Exempel zu statuieren. Die Proteste sind sicher ehrenwert, unter Umständen werden sie innerhalb der ja durchaus in solchen Punkten nicht absolut einigen Herrschaftselite zum Nachdenken anregen, ob der Nutzen, der mit einer solchen Verhaftung für das System erreicht wird, den Schaden rechtfertigt, der international damit angerichtet wird.
Meyer: Nun gab es auch den Vorschlag, in der Form zu reagieren, dass man die groß angelegte Aufklärungsausstellung in Peking, die ja auch vom deutschen Außenministerium mit erheblichen Geldern unterstützt wurde, diese Ausstellung vorzeitig zu beenden als Zeichen des Protestes. Was würden Sie davon halten?
Kahn-Ackermann: Ach nichts, überhaupt nichts. Erst mal würde das hier so gut wie niemand zur Kenntnis nehmen – es ist ja nicht so, dass diese Ausstellung hier in China Furore gemacht hat oder jetzt unerhörtes Aufsehen erregt hat und einen Aufschrei der Empörung durch die Besuchermengen ginge, wenn jetzt die Ausstellung geschlossen würde. Es wäre ein politischer Akt, also eine Art demonstrativer Akt, aber auch da ist meine Frage: Wieso muss die Ausstellung diese Aufgaben übernehmen? Es gäbe sehr viel wirksamere Instrumente des Protestes als die Schließung einer Ausstellung. Ich halte davon gar nichts.
Meyer: Was ist jetzt Ihre Konsequenz daraus – weniger von der Kultur zu verlangen, als moralischem Botschafter gewissermaßen, oder mehr zu verlangen von der Politik und der Wirtschaft?
Kahn-Ackermann: Weder noch. Was ich erwarte oder mir wünsche, ist eine differenziertere, eine klügere und eine der eigenen und der fremden Positionen bewusstere Wahrnehmung eines Kontinents wie China. Wir haben von China ein Klischeebild, das durch die chinesischen Behörden und Aktionen der chinesischen Behörden durchaus auch nachdrücklich mit befördert wird, aber es wäre unsere Aufgabe, uns der chinesischen Wirklichkeit in einer etwas anderen Form anzunähern. Also wenn zum Beispiel Herr Bisky es als skandalös empfindet, dass wir die Kunstgeschäfte mit China weiterbetreiben, ist absurd. Ich meine, damit würden wir den chinesischen Künstlern schaden, sonst niemandem, wenn wir das unterbinden würden und könnten – können wir ja gar nicht. Wesentlich scheint mir, dass wir lernen, uns diesem Kontinent mit größerer Aufmerksamkeit zu nähern, dass wir verstärkt auf die sehr unterschiedlichen innerchinesischen Stimmen hören, mit welchen Problemen sich die Leute hier auseinandersetzen.
Meyer: Und wenn ich jetzt einen Artikel lese wie den von Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, der eben schreibt, das Goethe-Institut setze sich ein für die Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen in repressiven Ländern, unter anderem in China, ja, ist das dann für Sie eine Art Überforderung auch Ihrer Arbeit des Goethe-Instituts in Peking?
Kahn-Ackermann: Wenn man uns zu einem Instrument einer revolutionären Veränderung des chinesischen Gesellschaftssystems machen würde, wäre es in der Tat eine komplette Überforderung. Ich glaube auch nicht, dass das Goethe-Institut oder irgendeiner dieser Institutionen auch anderer Länder einen wirklich essenziellen Beitrag leisten kann zu großen gesellschaftlichen Veränderungen. Wir arbeiten mit der Zivilgesellschaft, weil die Zivilgesellschaft ein wichtiger Teil dieser Gesellschaft ist und weil er zu einem großen Teil den innovativen, kritischen und kreativen Teil dieser Gesellschaft ausmacht. Die interessanten, spannenden Begegnungen, um die es uns geht, also dass zwischen zwei Kulturen etwas passiert, was über die Stereotypen der Wahrnehmung, die im Allgemeinen so sich festgesetzt haben, hinausgeht, da spielt die Zivilgesellschaft für uns natürlich eine ganz maßgebliche Rolle. Was aber nicht heißt, dass ich jetzt mich nur noch mit NGOs treffe. Ich arbeite mit den kulturellen Institutionen dieses Landes, die naturgemäß zum größten Teil staatlich sind, und ich arbeite zum Teil ausgezeichnet mit denen zusammen.
Meyer: Welche Rolle können Goethe-Institute in autoritären Staaten wie China spielen? Das haben wir besprochen mit Michael Kahn-Ackermann, langjähriger Leiter des Goethe-Instituts in Peking. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kahn-Ackermann!
Kahn-Ackermann: Bitte sehr!