Kalamitäten, Skandale und Eklats
Ethan Rosen, die Hauptfigur in Doron Rabinovicis Roman, kann die jüdische Identitätsproblematik nicht mehr wirklich Ernst nehmen. Er ist im Zwischenraum zuhause, Heimat ist für ihn immer "andernorts".
Doron Rabinovici, 1961 in Tel Aviv geboren, lebt seit 1964 in Wien und arbeitet als Schriftsteller, Essayist und Historiker. In allen politischen Debatten in Österreich profiliert er sich als kampflustiger Polemiker. Ethan Rosen, die Hauptfigur seines neuen Romans "Andernorts", hat nicht wenige biografische Daten mit seinem Autor gemein: Er ist streitbarer Soziologie-Dozent und Kulturwissenschaftler, in Israel geboren, lebt in Wien und sein Denken ist, wie auch das Denken Rabinovicis, stark von der Frage der jüdischen Identität bestimmt.
Der Roman nimmt seinen Ausgang in Wien, im intellektuell prickelnden, streitlustigen und leicht frivolen Milieu der Kinder von Holocaust-Überlebenden. Er wechselt dann den Schauplatz: In Tel Aviv rückt die Eltern-Generation ins Blickfeld, Ethan Rosens Vater Felix, der Familien-Patriarch, und Ethan Rosens väterlicher Förderer, der soeben verstorbene Dov Zedek. Diese Generation hat im Holocaust den Großteil ihrer Familien verloren. Mit umso größerem Pathos und umso dringlicherem moralischen Ernst behandeln die Überlebenden die Themen Herkunft, Gedächtnis, Familie, Kontinuität und Identität.
Für Ethans Vater Felix Rosen steht der Wunsch nach familiärem Zusammenhalt über allem, während für den Sohn Identitäts- und Sippschaftsfragen - wie auch manch andere jüdische Herzensangelegenheit - eher Anlass bieten für ebenso geistvolle wie respektlose Gedanken- und Rollenspiele. Ethan - und erst recht Autor Rabinovici - können die jüdische Identitätsproblematik nicht mehr wirklich Ernst nehmen: Sie sind im Zwischenraum zuhause, Heimat ist für sie immer "andernorts".
Der grundsätzlich skeptische Ethan wird nun in Schwindel erregende familiäre Turbulenzen und in einen Wirbel von Herkunftsmythen und Familienlegenden hineingerissen, in "die ganzen Schmonzetten über Kohn und Kontext, Jiddn und Identität". Ethans größte narzisstische Kränkung: ausgerechnet Rudi Klausinger, sein Wiener Kollege, Gegenspieler und Rivale, mit dem er auf das schärfste um eine Wiener Professur konkurriert und gegen den er öffentlich polemisiert, beginnt, sich in Ethans Familie hineinzudrängen; Klausinger will nicht nur zum Judentum konvertieren, sondern entpuppt sich, zumindest zeitweilig, auch noch als Ethans Halbbruder.
Die Herkunfts-Enthüllungen, die Ethans Vater und (auf nachgelassenen Interview-Kassetten) auch der verstorbene Emigrant Dov Zedek (eigentlich: Adolf Gerechter) zu machen haben, setzen im Roman einen haarsträubenden Überbietungswettbewerb an familiären Kalamitäten, Eklats und peinlichen Skandalen in Gang. Sie gipfeln in der Zumutung eines durchgeknallten Rabbiners, der glaubt, aus Ethans DNA in der Retorte den Messias herstellen zu können.
Die unausgesprochene Grundthese des Romans, dass eine jüdische Familie nach Auschwitz nicht mehr genetisch, sondern nur mehr durch Wunsch und Wille zusammengehalten werden kann, wird vom Autor ins Groteske überdreht - für manchen Lesergeschmack wohl um ein paar Drehungen zu viel. Die Rasanz, mit der Doron Rabinovici seinen Plot immer waghalsiger vorantreibt und verwirbelt, kann nicht über die sprachliche Sorglosigkeit hinwegtäuschen, mit der hier erzählt wird. Vielleicht ist Rabinovici doch eher ein journalistisches Talent und ein reaktionsschneller Polemiker als ein großer Erzähler.
Besprochen von Sigrid Löffler
Doron Rabinovici: Andernorts
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010
286 Seiten, 19,90 Euro
Der Roman nimmt seinen Ausgang in Wien, im intellektuell prickelnden, streitlustigen und leicht frivolen Milieu der Kinder von Holocaust-Überlebenden. Er wechselt dann den Schauplatz: In Tel Aviv rückt die Eltern-Generation ins Blickfeld, Ethan Rosens Vater Felix, der Familien-Patriarch, und Ethan Rosens väterlicher Förderer, der soeben verstorbene Dov Zedek. Diese Generation hat im Holocaust den Großteil ihrer Familien verloren. Mit umso größerem Pathos und umso dringlicherem moralischen Ernst behandeln die Überlebenden die Themen Herkunft, Gedächtnis, Familie, Kontinuität und Identität.
Für Ethans Vater Felix Rosen steht der Wunsch nach familiärem Zusammenhalt über allem, während für den Sohn Identitäts- und Sippschaftsfragen - wie auch manch andere jüdische Herzensangelegenheit - eher Anlass bieten für ebenso geistvolle wie respektlose Gedanken- und Rollenspiele. Ethan - und erst recht Autor Rabinovici - können die jüdische Identitätsproblematik nicht mehr wirklich Ernst nehmen: Sie sind im Zwischenraum zuhause, Heimat ist für sie immer "andernorts".
Der grundsätzlich skeptische Ethan wird nun in Schwindel erregende familiäre Turbulenzen und in einen Wirbel von Herkunftsmythen und Familienlegenden hineingerissen, in "die ganzen Schmonzetten über Kohn und Kontext, Jiddn und Identität". Ethans größte narzisstische Kränkung: ausgerechnet Rudi Klausinger, sein Wiener Kollege, Gegenspieler und Rivale, mit dem er auf das schärfste um eine Wiener Professur konkurriert und gegen den er öffentlich polemisiert, beginnt, sich in Ethans Familie hineinzudrängen; Klausinger will nicht nur zum Judentum konvertieren, sondern entpuppt sich, zumindest zeitweilig, auch noch als Ethans Halbbruder.
Die Herkunfts-Enthüllungen, die Ethans Vater und (auf nachgelassenen Interview-Kassetten) auch der verstorbene Emigrant Dov Zedek (eigentlich: Adolf Gerechter) zu machen haben, setzen im Roman einen haarsträubenden Überbietungswettbewerb an familiären Kalamitäten, Eklats und peinlichen Skandalen in Gang. Sie gipfeln in der Zumutung eines durchgeknallten Rabbiners, der glaubt, aus Ethans DNA in der Retorte den Messias herstellen zu können.
Die unausgesprochene Grundthese des Romans, dass eine jüdische Familie nach Auschwitz nicht mehr genetisch, sondern nur mehr durch Wunsch und Wille zusammengehalten werden kann, wird vom Autor ins Groteske überdreht - für manchen Lesergeschmack wohl um ein paar Drehungen zu viel. Die Rasanz, mit der Doron Rabinovici seinen Plot immer waghalsiger vorantreibt und verwirbelt, kann nicht über die sprachliche Sorglosigkeit hinwegtäuschen, mit der hier erzählt wird. Vielleicht ist Rabinovici doch eher ein journalistisches Talent und ein reaktionsschneller Polemiker als ein großer Erzähler.
Besprochen von Sigrid Löffler
Doron Rabinovici: Andernorts
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010
286 Seiten, 19,90 Euro