Kalender der Vorzeit
Am 22. Dezember ist Wintersonnenwende. Dem kürzesten Tag des Jahres folgt die längste Nacht, dann werden die Tage wieder länger und das Jahr geht dem Frühling entgegen. Schon die Völker der Stein- und der Bronzezeit haben den Lauf der Gestirne ermittelt und Sonnenwend-Feste gefeiert. Davon zeugen zum Beispiel das Sonnenobservatorium von Goseck und die Himmelsscheibe von Nebra.
Goseck. Ein 1000-Seelen-Dorf in Sachsen-Anhalt. Idyllisch gelegen. Von den Zinnen seines Schlosses hat man einen freien Blick hin zu den Saale - Wiesen. Ganz in der Nähe dieses mittelalterlichen Baus befindet sich heute noch eine andere Attraktion, einfacher als dieser aber dafür sehr viel älter: das beinahe 7000 Jahre alte Sonnenobservatorium aus der Steinzeit.
"Wenn Sie jetzt auf die Straße runterkommen, fahr'n Sie jeradeaus über die Kreuzung drüberweg bis zum Ende der Siedlung, und da gucken' se ma gleich links runter."
"Rechts runter!"
"Na ja, rechts runter, und da seh'n se schon die riesengroßen Dinger!"
"Großen Holzpfähle"."
""Die Stämme, die se da einjegrab'n ham. Das ham' die neu jemacht, ja, das is' alles neu aufjebaut. Das sind ja 2300 Stämme, die da drinne sind!"
"Wir haben uns entschieden aufgrund der Befunde, das so zu rekonstruieren, dass die Pfosten ca. 2, 50 m aus dem Boden herausragen. Man hätte auch 3m machen können oder 3,50m, das wäre statisch auch noch gegangen. Höher sicher nicht. Das kann man sicher sagen, dass sie nicht höher gewesen sind."
Francois Bertemes, er stammt ursprünglich aus Luxemburg. Bertemes ist Professor für Archäologie an der Universität Halle und hat die Ausgrabungen in Goseck geleitet. In fünf Jahren angestrengter Arbeit, von 2000 bis 2005, haben die Archäologen die Reste der Anlage ans Licht befördert und alle Funde geborgen. Danach ließ man - zur Freude der Tourismus-Branche - die Steinzeit-Attraktion wieder auferstehen.
Das Sonnenobservatorium von Goseck: ein Doppelkreis, 70 Meter im Durchmesser. Dicht gefügt aus rund 2000 hohen Eichenstämmen. Drei mächtige Eingangstore.
"Die Kollegen der Archäologie haben da ganze Arbeit geleistet! Das Observatorium in Goseck ist heute so rekonstruiert, wie es sicher auch vor 7000 Jahren ausgesehen hat".
Wolfhard Schlosser. Er ist Professor für Astronomie und Experte für deren Geschichte.
Am 21. Dezember wird in Goseck wieder ein großes Fest gefeiert: Wintersonnenwende.
"Ja, was da nun alles passiert, das wissen wir auch noch nicht, das müssen wir erstmal abwarten und so. Jedenfalls machen die ’ne Feuer-Schau, die hatten se ja nun vor’s Jahr auch schon gemacht. Ja, was nun dies’ Jahr wird, das müss’ mer nun erstmal seh’n."
"Dass rekonstruierte Anlagen – Stichwort Stonehenge oder Avebury - eine Eigendynamik entwickeln, das gehört dazu, das stört mich auch nicht. Man muss das ja nicht wissenschaftlich kommentieren und begleiten. Das Denkmal entwickelt ein Eigenleben, und das ist auch okay so","
sagt Francois Bertemes.
Moderne Event-Kultur mit prähistorischem Hintergrund. In Sachsen-Anhalt ist das en vogue. Rund 30 Kilometer nordwestlich von Goseck wurde letzten Sommer ein Erlebniscenter eröffnet: die "Arche Nebra". Die Arche ist ein Symbol auf der "Himmelsscheibe von Nebra", einem legendären Fund aus der Bronzezeit. Wer mehr erfahren möchte über Astronomie in der prähistorischen Epoche, über die Himmelscheibe, aber auch über das Sonnenobservatorium von Goseck, kann sich dort in einer Ausstellung kundig machen. Er kann sich aber auch in einem komfortablen Kino in die Polstersessel werfen :
Film "Die Himmelscheibe von Nebra":
""Vor mehr als 3600 Jahren schmiedete ein unbekannter Künstler sein Meisterwerk - die Himmelsscheibe von Nebra. Sie ist die erste konkrete Darstellung des Kosmos weltweit. Schon ein erster Blick lässt auf der Himmelsscheibe Sonne, Mond und Sterne erkennen. Doch in welchem Zusammenhang stehen sie zueinander? War es nur ein schönes Bild oder gab es einen tieferen Sinn in der Anordnung der Element, der sich dem ersten Blick entzieht? Begleiten Sie uns auf eine kosmische Detektivgeschichte in längst vergangene Zeiten.
Der Lauf der Sonne war allerdings bereits in der Jungsteinzeit, über 3000 Jahre vor der Himmelscheibe, bekannt. So errichteten frühe Ackerbauern fast 5000 Jahre vor Christus das Sonnenobservatorium von Goseck, um den jährlichen Lauf der Sonne zu verfolgen und ihre wichtigsten Stationen abzulesen."
Francois Bertemes: "Also, die Sonnenwendfeier, dass das wieder an dem Ort begangen wird, wie das auch in Stonehenge gemacht wird, das kann ich verstehen. Ich selber hab’ damit weniger was zutun, ich find’ es viel spannender, mich eigentlich in die Zeit zurückzuversetzen und mir vorzustellen, wie es damals war."
Wolfhard Schlosser: "Die Archäologen haben natürlich eine Schwierigkeit, weil Vorgeschichte heißt einfach: Geschichte ohne Schrift, es war eben ’ne Sprache, die nicht schriftlich aufgezeichnet wurde."
Bettina Pfaff: "Man kann natürlich schlecht was über die Geisteswelt rauskriegen, dass ist klar: Was haben die Menschen gedacht, wie haben die sich bestimmte Dinge vorgestellt ?"
Bettina Pfaff. Sie ist Archäologin und Geschäftsführerin der "Arche Nebra".
Mit Hilfe "stummer Zeugen" - Scherben und Knochen, Waffen und Werkzeugen, die sie bei Ausgrabungen finden - versuchen Experten für prähistorische Archäologie, sich ein Bild zu machen, wie es wohl ausgesehen hat, das steinzeitliche Leben in Mitteldeutschland um 5000 vor Christus.
Auch dreitausend Jahre später, in der Bronzezeit, hatten die Völker nördlich der Alpen noch immer keine Schriftkultur entwickelt, die uns ihren Geisteskosmos hätte übermittel können. Wolfhard Schlosser:
"Es war wohl auch ein Bestreben, nicht zu schreiben. Wir kennen es von den Druiden. Die Druiden konnten schreiben und lesen. Die Kelten haben ja mit ihren Buchstaben sozusagen den Namen drauf geschrieben auf ihre Weinflaschen. Sie haben es immer abgelehnt, es aufzuschreiben, ihr Wissen, und haben es an ihre Schüler mündlich weitergegeben.
Und denken Sie auch daran, dass beispielsweise Arminius, Hermann, der Cherusker, der war ja römischer Offizier, der konnte selbstverständlich lesen und schreiben, und hätte seinen Germanen sagen können: 'Liebe Germanen, ich hab’ da was ganz tolles in Rom kennen gelernt, nämlich Lesen und Schreiben, macht das mal !' Das haben sie nicht gemacht, und auch später kann man feststellen, dass die ältesten Runentexte nur ganz kurz sind. Also, man hatte wohl eine gewisse Scheu, die Gedanken schriftlich festzuhalten."
Jene Scheu vor der Schriftlichkeit hat leider fatale Konsequenzen für unsere Geschichtsschreibung. Denn alles, was die prähistorische Wissenschaft über Lebensgewohnheiten und Riten zu Tage fördert - ob nun im Zusammenhang mit dem steinzeitlichen Goseck oder auch der "Himmelscheibe" aus der Bronzezeit, ist immer auch mit Vermutungen behaftet.
"Selbstverständlich. Von uns war keiner damals dabei, als die 'Himmelsscheibe' gebaut wurde."
Und doch: auch "stumme Zeugen" sprechen eine Sprache, und die kann gedeutet werden. Inzwischen haben Francois Bertemes und Wolfhard Schlosser schon einiges herausgefunden über steinzeitliches Leben und Sternenkunde in Mitteldeutschland.
Schlosser: "Wie die Völker sich selbst benannten, wissen wir nicht. Irgendwelche Aufzeichnungen von den Völkernamen haben wir spätestens von den Griechen und Römern. Davor war nichts, und deswegen benennen die Archäologen diese Völkerschaften nach der charakteristischen Keramik, die sie hinterlassen haben."
Bertemes: "Weil die Gefäße mit charakteristischen Bändern verziert sind, spricht man hier von der bandkeramischen Kultur, das ist die Bezeichnung, die wir diesen Menschen geben: das sind die 'Band-Keramiker'. Die kommen ja ursprünglich aus dem Karpatenbecken, das wissen wir, im 6. Jahrtausend, und haben dann in relativ kurzer Zeit mehr oder weniger Mitteleuropa kolonialisiert, ausgehend vom Pariser Becken im Westen bis zur Ukraine im Osten. Das Ganze spielt sich nord-alpin ab und reicht im Norden etwa bis auf die Höhe von Hannover.
Was man heute annimmt ist, dass diese Menschen die indo-germanische Sprache nach Europa gebracht haben. Das, was wir wissen, ist, dass diese Menschen im sechsten Jahrtausend eindeutig die gleiche Sprache gesprochen haben."
Die steinzeitlichen "Band-Keramiker" waren aber offensichtlich nicht nur ein sprachbegabtes, sondern auch ein sternenkundiges Volk. Auf alle Fälle haben sie den Lauf der Sonne beobachtet. In Europa wurden inzwischen rund zweihundert Kreisgrabenanlagen entdeckt. Aber nur ein Bruchteil davon ist so sorgfältig ausgegraben wie das Sonnenobservatorium in Goseck. Wolfhard Schlosser:
"Die Sonne beschreibt über das Jahr genau definierte Auf- und Untergangspunkte am Horizont, die ungefähr einen Winkel von 180 Grad umspannen. Und wenn Sie jetzt von den Toren in Goseck alle in dem Bereich haben, wo die Sonne auf- und untergeht, können Sie mit sehr großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass diese Anlage zur Beobachtung von Sonnen-Phänomenen genutzt wurde, die selbstverständlich dann kalendarisch-religiös gedeutet wurden."
Im Observatorium von Goseck gibt es drei Tore. Eins im Südosten, ein zweites im Südwesten, das dritte in nördlicher Richtung. Die beiden südlichen Tore markieren Aufgang und Untergang der Sonne zum Zeitpunkt der Wintersonnenwende, das nördliche hatte vermutlich keine astronomische Funktion.
"Das Nord-Tor hat damals wie heute im Wesentlichen als Zugang gedient. Das heißt, man ging durch das Nordtor rein, ging dann in die Mitte, wobei der Kreis der Teilnehmer möglicherweise sehr beschränkt war auf den Priester oder wen auch immer, oder auf eine kleine Gruppe beschränkt, und hat dann der aufgehenden und untergehenden Sonne ehrfurchtvoll eine Andacht gewidmet."
Die Sonne wurde wie eine Gottheit verehrt. Wolfhard Schlosser nimmt dies zumindest an. Man müsse sich nur die Lebensumstände des steinzeitlichen Menschen vorstellen.
"Dass der Mensch sorgenvoll verfolgte, wie die Sonne vom Sommer her kommend immer tiefer sank, und eines Tages war sie so tief wie eben sonst nie, und dann wurde eben gehofft, und gebetet, dass die Sonne wieder höher steigt."
Das Observatorium - ein steinzeitliches Heiligtum? Die Beschaffenheit der Palisaden legt diese Vermutung nahe.
Bertemes: "So konnten wir feststellen, dass da Pfosten benutzt wurden, die etwa 20 cm Durchmesser hatten, dass diese Pfosten sehr eng, sehr dicht nebeneinander gestellt waren. Es muss sich also um sehr gerade Stämme gehandelt haben, die man dafür benutzt hat."
Schlosser: "Die Palisaden hatten sicher die Aufgabe, etwas Inneres von etwas Äußerem zu trennen, also etwas Profanes von etwas Heiligem."
Womöglich sollte durch die dicht gedrängten Eichenstämme der Blick in das Innere des Kreises verhindert werden. Die Anlage war überdies von einem tiefen Graben umgeben und durch einen Wall geschützt. Was hatte diese hermetische Abriegelung zu bedeuten? Wurde etwa nur ausgewählten Personen Zutritt gewährt? Oder war der Zutritt für alle auf bestimmte Zeiten begrenzt? Gab es Mitglieder der Sippe, die den Doppelkreis aus Eichenstämmen niemals von innen gesehen haben? Wer weiß. Klar scheint nur eines zu sein:
Bertemes: "Die Sonnenobservierung spielte eine große Rolle innerhalb dieses Heiligtums, und sehr wahrscheinlich auch in den Riten, die dort vollzogen worden sind. Sie können sich vorstellen, dass das Observieren der Sommersonnenwende, der Wintersonnenwende, begleitet wurde mit aufwendigen Festivitäten, wo Opferungen stattgefunden haben. All dies ist mit den Kreisgrabenanlagen aus dieser Zeit zu verbinden."
Francois Bertemes und seine Mitarbeiter haben auf dem Gelände des Observatoriums gegraben und massenweise Tierknochen zu Tage gefördert, hauptsächlich vom Rind.
"Wo man Schlachtungsspuren nachweisen kann, Zerteilungsspuren nachweisen kann. Wir können spekulieren, dass das Rind anlässlich dieser Festivitäten geopfert wurde, sehr wahrscheinlich in einem gemeinsamen Ritualmahl verspeist worden ist. Und die Reste sind dann im Heiligtum selber dem Boden übergeben worden."
Wahrscheinlich hat die Festgemeinde um 5000 vor Christus auch Rinderschädel auf die Eichenstämme gespießt und an die Torpfosten gebunden.
"In Goseck können wir feststellen, dass im Bereich der Eingänge vermehrt Rinderschädel-Fragmente vorkommen, aber auch Rinderhörner, so dass man davon ausgehen kann, dass im Bereich der Palisade bei diesen Eingängen Rinderschädel, auch die Hörner, angebracht gewesen sind - ganz ähnlich, wie wir das zum Beispiel aus keltischen Heiligtümern aus jüngerer Zeit kennen."
Wolfhard Schlosser betrachtet die Rinderschädel als ein Indiz: Wahrscheinlich sind in Goseck nicht nur die Sonne, sondern auch andere Sterne beobachtet worden.
Schlosser: "Wir haben keine direkten Hinweise auf Sternenbeobachtung. Wir können aber vermuten, dass beispielsweise, weil sich auf dem Südosttor möglicherweise Stierköpfe befunden haben, Stierschädel - dass da eben auch das Sternbild des Stiers, wozu die Hyaden gehören, eine große Rolle spielte. Und das war eben damals der Anzeiger der Sommersonnenwende."
Zur Wintersonnenwende konnte man den Sonnenuntergang im westlichen Tor der Anlage beobachten, zur Sommersonnenwende ging zwischen den Pfosten des Tores das Sternbild der Hyaden auf. Wintersonnenwende und Sommersonnenwende - vermutlich sind beide kalendarischen Daten in Goseck registriert und gefeiert worden.
Bertemes : "Andere Hinweise auf Opferungen sind dann auch die Keramik, die wir zum Beispiel in der Anlage oder auch in dem Graben wieder finden. Auch sie steht in einem funktionalen Zusammenhang mit den dort vollzogenen Riten: Wir finden keine ganzen Gefäße, sondern nur Scherben, und nach dem Ritual sind dann diese Reste wiederum im sakralen Bereich deponiert worden."
Wahrscheinlich war es ein Brauch der Festgemeinde, zum Ende der Feier das Geschirr zu zerschlagen, um es anschließend vor Ort zu begraben. Im Observatorium von Goseck wurden nicht nur Knochen von Tieren gefunden, sondern auch eine Grube mit Menschenknochen, daneben zwei steinerne Pfeilspitzen. Könnte es dort auch blutige Opferrituale gegeben haben, wurden Menschen geschlachtet? Francois Bertemes will sich nicht festlegen:
"Weil wir da sehr vorsichtig sind. Wir können in der Regel nicht nachweisen, dass eine bewusste Tötung vorliegt. Wir können aber nachweisen, dass es sich um Menschen handelt, die nicht das normale Totenritual durchlaufen haben."
Das normale Totenritual um 5000 vor Christus war eine "Hocker-Bestattung": die Grablegung in Seitenlage mit angezogenen Beinen. Solche Skelette haben die Hallenser Wissenschaftler rund 200m vom Observatorium entfernt gefunden. In einer steinzeitliche Siedlung. Im Observatorium dagegen haben die Archäologen Menschenknochen gefunden, die vom Skelettverbund gelöst und in einer Grube bestattet worden sind.
Bertemes: "Das muss nicht ein Hinweis auf eine Opferung sein, dass es sich hierbei um Menschen handelt, die ein besonderes Totenritual bekommen haben. Möglicherweise könnte es sich auch um diejenigen handeln, die diesem Heiligtum vorstanden, die man praktisch als frühe Priester bezeichnen könnte."
Es sieht so aus, als hätte man im Observatorium von Goseck nicht Leichen, oder Leichenteile, sondern Knochen bestattet.
"Hier haben wir Hinweise darauf, dass man diese Toten längere Zeit zunächst aufgebart hatte, so dass sie entfleischt sind. Es gibt auch Hinweise darauf, dass man der Entfleischung etwas nachgeholfen hat."
Manche der Menschenknochen sind mit steinernen Klingen bearbeitet worden. Könnte es sich bei den steinzeitlichen Bewohnern von Goseck gar um Kannibalen gehandelt haben?
Bertemes: "Kannibalismus ist archäologisch extrem schwierig nachzuweisen. Ausschließen kann man so was nie, aber ich würde das mal ganz hinten anstellen. Wir können das archäologisch in den seltensten Fällen nachweisen."
Das Sonnenobservatorium von Goseck war mehr als dreitausend Jahre Geschichte, als die "Himmelscheibe von Nebra" entstand: ein kunstvolle Schmiedearbeit aus der Bronzezeit, gefertigt etwa 1600 vor Christus. Auch der Laie erkennt auf den ersten Blick: Diese Scheibe hat mit Astronomie zutun. Wolfhard Schlosser:
"Jeder sieht sofort Sonne, Mond und Sterne. Dann haben wir seitliche Verzierungsstücke, die in ihren Winkelmaßen dem Auf– und Untergang der Sonne über das Jahr entsprechen, und wir haben eigentlich als einziges mythisches Element die Sonnenbarke. Die Himmelsscheibe ansonsten ist nüchtern wie ein Verkehrsschild."
Oder wie ein Arbeitsgerät. Bettina Pfaff :
"Es war sicherlich unter freiem Himmel benutzt, damit man die Scheibe entsprechend der Sichtachsen der Horizontberührung ausrichten konnte."
Wer die Bronzescheibe waagerecht gen Horizont erhebt, kann den Tag der Sommer- und der Wintersonnenwende bestimmen - vorausgesetzt, er befindet sich etwa auf dem geographischen Breitengrad von Magdeburg. Merkwürdig aber: Die Himmelscheibe wurde rund 100 km südlich, bei Nebra, gefunden. Wolfhard Schlosser:
"Man darf annehmen - das meinen die Archäologen zumindest - dass die Zeit, als die Himmelsscheibe in die Erde kam, eine Zeit vielleicht ähnlich wie der Dreißigjährige Krieg war. Also eine Zeit von Irrung und Wirrung, und sie wurde relativ zügig begraben, nicht mit dem Aufwand, den man hätte machen können. Ein weiteres Zeichen, dass es eine Zeit von Wirren war: Auffällig ist, dass die Himmelsscheibe von Nebra nicht als Sache bestattet wurde, sondern als Person."
Zusammen mit zwei Schwertern , Armreifen und Beilen.
"Und das würde normalerweise nur Fürsten vorbehalten. Wir müssen also davon ausgehen, dass die Himmelscheibe als mehr angesehen wurde als nur eine Bronzescheibe."
Diese Scheibe - gefertigt aus Kupfer, Zinn und Gold - gibt den Wissenschaftlern auch einigen Aufschluss über die Kultur der Bronzezeit in Mitteleuropa, vor allem über mögliche Handelskontakte.
Schlosser: "Die Materialien sind hier im Prinzip auch zu Hause, das Kupfer könnte man aus dem Mansfelder Land nehmen, das Gold könnte man aus der Unstrut heraus waschen, und auch das Zinn ist im Erzgebirge vorhanden. Nur, wie die Kollegen in der Metallurgie festgestellt haben, sind diese Metalle offensichtlich nicht lokal gewonnen worden. Sondern, durch ihre chemische Zusammensetzung bedingt, glaubt man, dass das Kupfer eher aus Richtung Österreich kam, während das Gold vielleicht aus Rumänien kam."
Pfaff: "Also, man hat wirklich Fernkontakte geknüpft, um an das Metall ranzukommen. Damit war natürlich auch ein reger geistiger Austausch verbunden."
Schlosser: "Den gab es sicherlich. Ich bin fest überzeugt, dass in der Bronzezeit der Fürst hier in Leubingen oder auch Nebra genau wusste, welche Pharao-Dynastie in Ägypten gerade war. Es gab ja ausgedehnte Handelsbeziehungen: Denken Sie an die Bernsteinstraße, wir haben ja in Ägypten tausende Tonnen von Gold im alten, mittleren und neuen Reich, die von der Ostsee kamen. Die strömten natürlich alle durch diese Gegend hier."
Unter den Völkern der Bronzezeit wurden nicht nur materielle, sondern auch geistige Güter getauscht, meint Wolfhard Schlosser. Nur so erklärt sich, dass auf der Himmelscheibe von Nebra auch eine Sonnenbarke abgebildet ist.
Schlosser: "Die Sonnenbarken haben sich in der Zeit der späteren Nutzung der Himmelsscheibe explosionsartig über ganz Europa ausgebreitet, bis Skandinavien. Überall finden sie Sonnenschiffe: auf Felsen eingeritzt und so weiter. Und sie waren selbstverständlich in Ägypten und auch in Babylon schon voll im Schwange. Sie haben dort Heiligenbilder getragen und dergleichen mehr."
Pfaff: "Es ist ja so, dass die Sonnenbarke als letztes Element aufgebracht wurde auf der Himmelsscheibe. Und man weiß eben aus Ägypten und aus Griechenland, dass damit die Vorstellung verbunden war: die Sonne wird über den Nachthimmel gezogen, um am Morgen wieder aufgehen zu können. Und wird eben auf dieser Barke gezogen, also, dass kennt man aus Ägypten. Der Sonnengott Re fährt ja auf seinem Wagen über den Horizont."
In der Bronzezeit haben die Bewohner Mitteldeutschlands möglicherweise neue astronomische Erkenntnisse gewonnen, die den Steinzeitmenschen von Goseck noch unbekannt waren. Denn mit der Himmelscheibe kann man nicht nur die Termine der Sonnenwenden bestimmen, sondern zwei weitere wichtige Daten.
Schlosser: "Es sind der 10. März und der 17. Oktober, nach heutigem Kalender und Sprachgebrauch."
Pfaff: "Sie sehen ja, wenn Sie die Scheibe betrachten, das Siebengestirn, die Plejaden. Und die Plejaden waren in allen bäuerlichen Kulturen ein ganz wichtiges Sternbild, um Aussaat und Ernte zu bestimmen."
Wenn die Plejaden am Abendhimmel aufgehen neben einer schmalen Mondsichel, dann kommt der Frühling, und es ist Zeit zu säen. Steht das Siebengestirn hingegen am Morgenhimmel neben dem Vollmond, dann ist es Herbst und Erntezeit: das ist die Botschaft der "Himmelsscheibe von Nebra".
Film "Die Himmelscheibe von Nebra": "Diese Nutzung der Plejaden ist uns aus vielen Ackerbaukulturen bekannt und wurde in Geschichten und Mythen dargestellt. Hören wir dem griechischen Dichter Hesiod zu, wie er um 700 vor Christus den Jahreslauf für die Bauern ordnet: 'Wenn das Gestirn der Plejaden, der Atlastöchter, emporsteigt, dann beginne die Ernte. Doch pflüge, wenn sie hinab gehen. Sie sind vierzig Tage und vierzig Nächte beisammen, eingehüllt. Doch wenn sie wieder im kreisenden Jahre leuchtend erscheinen, erst dann beginne die Sichel zu wetzen!'"
Schlosser: "Interessant ist, dass heute noch in Litauen nach praktisch den gleichen Regeln die Bauern ihre Feste gefeiert haben wie vor 4000 Jahren in Nebra. Die Bauernregeln waren fast identisch. Was die Märzregel angeht, heißt es im Litauischen sinngemäß: 'Wenn die Plejaden in der Abendröte stehen, dann gehört der Ochse in die Furche und die Pferde auf die Weide.' Wir sagen auch heute noch: 'Im Märzen der Bauer die Rösslein anspannt…', und Anfang Oktober wird eben Erntedankfest gefeiert. Das sind die gleichen Termine, die heute noch die Bauern bewegen und auch gefeiert werden."
Bei allem, was man über das Leben der Völker in der Stein- und in der Bronzezeit inzwischen herausgefunden hat: viele Fragen sind noch offen. Und viele werden auch offen bleiben. Francois Bertemes wird immer wieder daran erinnert angesichts des modernen Sonnenwend-Spektakels in Goseck:
"Alles, was man nachspielt anlässlich solcher Feiern ist von vornherein falsch. Denn wir wissen nicht, wie die Leute bekleidet waren, wir wissen nicht, wie sie aussehen, wir wissen auch nicht genau, wie die Rituale abgelaufen sind. Wir haben nur die verdinglichten Reste."
"Aber ich bin überzeugt: wenn von den zweihundert Kreisgrabenanlagen in Europa nur drei, vier weitere so gründlich ausgegraben werden wie Goseck, sind wir einen großen Schritt weiter","
meint Wolfhard Schlosser mit Blick auf das astronomische Wissen unserer Vorfahren. Eines jedenfalls ist sicher: Die Kalender aus der Stein– und aus der Bronzezeit wirken fort – bis heute.
""Ja, natürlich. Unsere christlichen Feiertage sind ja sämtlich astronomisch bestimmt, nicht wahr. Gerade das Weihnachtsfest über den Mitras-Kult, die Wintersonnenwende. Und natürlich auch Ostern mit der Karwoche über den ersten Frühlingsvollmond. Ich meine, Christus wurde nie zu Weihnachten geboren, da waren keine Lämmer auf den Weiden und so weiter. Das ist eine Übernahme aus dem Mitras-Kult, und das war ganz klar die Wintersonnenwende."
Was bleibt dem Historiker der Astronomie in Zukunft noch zu wünschen übrig?
"Eine zweite Himmelscheibe! Denn dann könnten wir endlich mal unsere Theorien an der Wahrheit testen. Mit nur einer Himmelsscheibe können Sie schwer die endgültige Wahrheit erleben, da müssen sie schon mehrere haben. Und ich hoffe, dass in absehbarer Zeit noch irgendetwas zu Tage kommt wie die Himmelsscheibe - auch wenn es vielleicht anders aussieht - was uns sozusagen die Astronomie der damaligen Zeit näher bringt. Das wir Objekte finden, von denen wir bisher gar nichts wissen, die aber genauso überraschend sind wie die Himmelsscheibe selber."
Film "Die Himmelscheibe von Nebra":
"Mit der Himmelscheibe ist jedoch erstmals in der Geschichte ein Blick durch das Schlüsselloch in die geistige Welt der Menschen vor 3600 Jahren möglich. Das Wissen über die Zyklen des Himmels hatte demnach in der Bronzezeit einen erstaunlichen Höhepunkt erreicht. Die bronzezeitlichen Menschen Mitteleuropas hatten sich bereits um 1600 vor Christus den Himmel als Kuppel, die Erde überwölbend gedacht."
Die Himmelscheibe von Nebra ist tatsächlich eine bronzezeitliche Sternkarte. Sie wurde 1999 gefunden. So etwas hatten die Historiker der Astronomie noch nie gesehen und auch nicht erwartet, schon gar nicht von den Völkerstämmen in Mitteleuropa.
Schlosser: "Nein, eigentlich nicht."
Vor Entdeckung der Scheibe hielt man solche Art Geistesleistung nördlich der Alpen für praktisch ausgeschlossen. Die hatte man nur Hochkulturen zugetraut: den Babyloniern, den Ägyptern, den Griechen.
Schlosser: "'Hochkultur' ist per definitionem eine Kultur mit Schriftbesitz. Das kann man hier nicht voraussetzen. Aber ich bin überzeugt, die geistigen Fähigkeiten der Menschen hier waren genauso wie in Babylon. Und wie man sieht, in Goseck: Das Ganze ging schon viele tausend Jahre vor Babylon hier los."
"Wenn Sie jetzt auf die Straße runterkommen, fahr'n Sie jeradeaus über die Kreuzung drüberweg bis zum Ende der Siedlung, und da gucken' se ma gleich links runter."
"Rechts runter!"
"Na ja, rechts runter, und da seh'n se schon die riesengroßen Dinger!"
"Großen Holzpfähle"."
""Die Stämme, die se da einjegrab'n ham. Das ham' die neu jemacht, ja, das is' alles neu aufjebaut. Das sind ja 2300 Stämme, die da drinne sind!"
"Wir haben uns entschieden aufgrund der Befunde, das so zu rekonstruieren, dass die Pfosten ca. 2, 50 m aus dem Boden herausragen. Man hätte auch 3m machen können oder 3,50m, das wäre statisch auch noch gegangen. Höher sicher nicht. Das kann man sicher sagen, dass sie nicht höher gewesen sind."
Francois Bertemes, er stammt ursprünglich aus Luxemburg. Bertemes ist Professor für Archäologie an der Universität Halle und hat die Ausgrabungen in Goseck geleitet. In fünf Jahren angestrengter Arbeit, von 2000 bis 2005, haben die Archäologen die Reste der Anlage ans Licht befördert und alle Funde geborgen. Danach ließ man - zur Freude der Tourismus-Branche - die Steinzeit-Attraktion wieder auferstehen.
Das Sonnenobservatorium von Goseck: ein Doppelkreis, 70 Meter im Durchmesser. Dicht gefügt aus rund 2000 hohen Eichenstämmen. Drei mächtige Eingangstore.
"Die Kollegen der Archäologie haben da ganze Arbeit geleistet! Das Observatorium in Goseck ist heute so rekonstruiert, wie es sicher auch vor 7000 Jahren ausgesehen hat".
Wolfhard Schlosser. Er ist Professor für Astronomie und Experte für deren Geschichte.
Am 21. Dezember wird in Goseck wieder ein großes Fest gefeiert: Wintersonnenwende.
"Ja, was da nun alles passiert, das wissen wir auch noch nicht, das müssen wir erstmal abwarten und so. Jedenfalls machen die ’ne Feuer-Schau, die hatten se ja nun vor’s Jahr auch schon gemacht. Ja, was nun dies’ Jahr wird, das müss’ mer nun erstmal seh’n."
"Dass rekonstruierte Anlagen – Stichwort Stonehenge oder Avebury - eine Eigendynamik entwickeln, das gehört dazu, das stört mich auch nicht. Man muss das ja nicht wissenschaftlich kommentieren und begleiten. Das Denkmal entwickelt ein Eigenleben, und das ist auch okay so","
sagt Francois Bertemes.
Moderne Event-Kultur mit prähistorischem Hintergrund. In Sachsen-Anhalt ist das en vogue. Rund 30 Kilometer nordwestlich von Goseck wurde letzten Sommer ein Erlebniscenter eröffnet: die "Arche Nebra". Die Arche ist ein Symbol auf der "Himmelsscheibe von Nebra", einem legendären Fund aus der Bronzezeit. Wer mehr erfahren möchte über Astronomie in der prähistorischen Epoche, über die Himmelscheibe, aber auch über das Sonnenobservatorium von Goseck, kann sich dort in einer Ausstellung kundig machen. Er kann sich aber auch in einem komfortablen Kino in die Polstersessel werfen :
Film "Die Himmelscheibe von Nebra":
""Vor mehr als 3600 Jahren schmiedete ein unbekannter Künstler sein Meisterwerk - die Himmelsscheibe von Nebra. Sie ist die erste konkrete Darstellung des Kosmos weltweit. Schon ein erster Blick lässt auf der Himmelsscheibe Sonne, Mond und Sterne erkennen. Doch in welchem Zusammenhang stehen sie zueinander? War es nur ein schönes Bild oder gab es einen tieferen Sinn in der Anordnung der Element, der sich dem ersten Blick entzieht? Begleiten Sie uns auf eine kosmische Detektivgeschichte in längst vergangene Zeiten.
Der Lauf der Sonne war allerdings bereits in der Jungsteinzeit, über 3000 Jahre vor der Himmelscheibe, bekannt. So errichteten frühe Ackerbauern fast 5000 Jahre vor Christus das Sonnenobservatorium von Goseck, um den jährlichen Lauf der Sonne zu verfolgen und ihre wichtigsten Stationen abzulesen."
Francois Bertemes: "Also, die Sonnenwendfeier, dass das wieder an dem Ort begangen wird, wie das auch in Stonehenge gemacht wird, das kann ich verstehen. Ich selber hab’ damit weniger was zutun, ich find’ es viel spannender, mich eigentlich in die Zeit zurückzuversetzen und mir vorzustellen, wie es damals war."
Wolfhard Schlosser: "Die Archäologen haben natürlich eine Schwierigkeit, weil Vorgeschichte heißt einfach: Geschichte ohne Schrift, es war eben ’ne Sprache, die nicht schriftlich aufgezeichnet wurde."
Bettina Pfaff: "Man kann natürlich schlecht was über die Geisteswelt rauskriegen, dass ist klar: Was haben die Menschen gedacht, wie haben die sich bestimmte Dinge vorgestellt ?"
Bettina Pfaff. Sie ist Archäologin und Geschäftsführerin der "Arche Nebra".
Mit Hilfe "stummer Zeugen" - Scherben und Knochen, Waffen und Werkzeugen, die sie bei Ausgrabungen finden - versuchen Experten für prähistorische Archäologie, sich ein Bild zu machen, wie es wohl ausgesehen hat, das steinzeitliche Leben in Mitteldeutschland um 5000 vor Christus.
Auch dreitausend Jahre später, in der Bronzezeit, hatten die Völker nördlich der Alpen noch immer keine Schriftkultur entwickelt, die uns ihren Geisteskosmos hätte übermittel können. Wolfhard Schlosser:
"Es war wohl auch ein Bestreben, nicht zu schreiben. Wir kennen es von den Druiden. Die Druiden konnten schreiben und lesen. Die Kelten haben ja mit ihren Buchstaben sozusagen den Namen drauf geschrieben auf ihre Weinflaschen. Sie haben es immer abgelehnt, es aufzuschreiben, ihr Wissen, und haben es an ihre Schüler mündlich weitergegeben.
Und denken Sie auch daran, dass beispielsweise Arminius, Hermann, der Cherusker, der war ja römischer Offizier, der konnte selbstverständlich lesen und schreiben, und hätte seinen Germanen sagen können: 'Liebe Germanen, ich hab’ da was ganz tolles in Rom kennen gelernt, nämlich Lesen und Schreiben, macht das mal !' Das haben sie nicht gemacht, und auch später kann man feststellen, dass die ältesten Runentexte nur ganz kurz sind. Also, man hatte wohl eine gewisse Scheu, die Gedanken schriftlich festzuhalten."
Jene Scheu vor der Schriftlichkeit hat leider fatale Konsequenzen für unsere Geschichtsschreibung. Denn alles, was die prähistorische Wissenschaft über Lebensgewohnheiten und Riten zu Tage fördert - ob nun im Zusammenhang mit dem steinzeitlichen Goseck oder auch der "Himmelscheibe" aus der Bronzezeit, ist immer auch mit Vermutungen behaftet.
"Selbstverständlich. Von uns war keiner damals dabei, als die 'Himmelsscheibe' gebaut wurde."
Und doch: auch "stumme Zeugen" sprechen eine Sprache, und die kann gedeutet werden. Inzwischen haben Francois Bertemes und Wolfhard Schlosser schon einiges herausgefunden über steinzeitliches Leben und Sternenkunde in Mitteldeutschland.
Schlosser: "Wie die Völker sich selbst benannten, wissen wir nicht. Irgendwelche Aufzeichnungen von den Völkernamen haben wir spätestens von den Griechen und Römern. Davor war nichts, und deswegen benennen die Archäologen diese Völkerschaften nach der charakteristischen Keramik, die sie hinterlassen haben."
Bertemes: "Weil die Gefäße mit charakteristischen Bändern verziert sind, spricht man hier von der bandkeramischen Kultur, das ist die Bezeichnung, die wir diesen Menschen geben: das sind die 'Band-Keramiker'. Die kommen ja ursprünglich aus dem Karpatenbecken, das wissen wir, im 6. Jahrtausend, und haben dann in relativ kurzer Zeit mehr oder weniger Mitteleuropa kolonialisiert, ausgehend vom Pariser Becken im Westen bis zur Ukraine im Osten. Das Ganze spielt sich nord-alpin ab und reicht im Norden etwa bis auf die Höhe von Hannover.
Was man heute annimmt ist, dass diese Menschen die indo-germanische Sprache nach Europa gebracht haben. Das, was wir wissen, ist, dass diese Menschen im sechsten Jahrtausend eindeutig die gleiche Sprache gesprochen haben."
Die steinzeitlichen "Band-Keramiker" waren aber offensichtlich nicht nur ein sprachbegabtes, sondern auch ein sternenkundiges Volk. Auf alle Fälle haben sie den Lauf der Sonne beobachtet. In Europa wurden inzwischen rund zweihundert Kreisgrabenanlagen entdeckt. Aber nur ein Bruchteil davon ist so sorgfältig ausgegraben wie das Sonnenobservatorium in Goseck. Wolfhard Schlosser:
"Die Sonne beschreibt über das Jahr genau definierte Auf- und Untergangspunkte am Horizont, die ungefähr einen Winkel von 180 Grad umspannen. Und wenn Sie jetzt von den Toren in Goseck alle in dem Bereich haben, wo die Sonne auf- und untergeht, können Sie mit sehr großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass diese Anlage zur Beobachtung von Sonnen-Phänomenen genutzt wurde, die selbstverständlich dann kalendarisch-religiös gedeutet wurden."
Im Observatorium von Goseck gibt es drei Tore. Eins im Südosten, ein zweites im Südwesten, das dritte in nördlicher Richtung. Die beiden südlichen Tore markieren Aufgang und Untergang der Sonne zum Zeitpunkt der Wintersonnenwende, das nördliche hatte vermutlich keine astronomische Funktion.
"Das Nord-Tor hat damals wie heute im Wesentlichen als Zugang gedient. Das heißt, man ging durch das Nordtor rein, ging dann in die Mitte, wobei der Kreis der Teilnehmer möglicherweise sehr beschränkt war auf den Priester oder wen auch immer, oder auf eine kleine Gruppe beschränkt, und hat dann der aufgehenden und untergehenden Sonne ehrfurchtvoll eine Andacht gewidmet."
Die Sonne wurde wie eine Gottheit verehrt. Wolfhard Schlosser nimmt dies zumindest an. Man müsse sich nur die Lebensumstände des steinzeitlichen Menschen vorstellen.
"Dass der Mensch sorgenvoll verfolgte, wie die Sonne vom Sommer her kommend immer tiefer sank, und eines Tages war sie so tief wie eben sonst nie, und dann wurde eben gehofft, und gebetet, dass die Sonne wieder höher steigt."
Das Observatorium - ein steinzeitliches Heiligtum? Die Beschaffenheit der Palisaden legt diese Vermutung nahe.
Bertemes: "So konnten wir feststellen, dass da Pfosten benutzt wurden, die etwa 20 cm Durchmesser hatten, dass diese Pfosten sehr eng, sehr dicht nebeneinander gestellt waren. Es muss sich also um sehr gerade Stämme gehandelt haben, die man dafür benutzt hat."
Schlosser: "Die Palisaden hatten sicher die Aufgabe, etwas Inneres von etwas Äußerem zu trennen, also etwas Profanes von etwas Heiligem."
Womöglich sollte durch die dicht gedrängten Eichenstämme der Blick in das Innere des Kreises verhindert werden. Die Anlage war überdies von einem tiefen Graben umgeben und durch einen Wall geschützt. Was hatte diese hermetische Abriegelung zu bedeuten? Wurde etwa nur ausgewählten Personen Zutritt gewährt? Oder war der Zutritt für alle auf bestimmte Zeiten begrenzt? Gab es Mitglieder der Sippe, die den Doppelkreis aus Eichenstämmen niemals von innen gesehen haben? Wer weiß. Klar scheint nur eines zu sein:
Bertemes: "Die Sonnenobservierung spielte eine große Rolle innerhalb dieses Heiligtums, und sehr wahrscheinlich auch in den Riten, die dort vollzogen worden sind. Sie können sich vorstellen, dass das Observieren der Sommersonnenwende, der Wintersonnenwende, begleitet wurde mit aufwendigen Festivitäten, wo Opferungen stattgefunden haben. All dies ist mit den Kreisgrabenanlagen aus dieser Zeit zu verbinden."
Francois Bertemes und seine Mitarbeiter haben auf dem Gelände des Observatoriums gegraben und massenweise Tierknochen zu Tage gefördert, hauptsächlich vom Rind.
"Wo man Schlachtungsspuren nachweisen kann, Zerteilungsspuren nachweisen kann. Wir können spekulieren, dass das Rind anlässlich dieser Festivitäten geopfert wurde, sehr wahrscheinlich in einem gemeinsamen Ritualmahl verspeist worden ist. Und die Reste sind dann im Heiligtum selber dem Boden übergeben worden."
Wahrscheinlich hat die Festgemeinde um 5000 vor Christus auch Rinderschädel auf die Eichenstämme gespießt und an die Torpfosten gebunden.
"In Goseck können wir feststellen, dass im Bereich der Eingänge vermehrt Rinderschädel-Fragmente vorkommen, aber auch Rinderhörner, so dass man davon ausgehen kann, dass im Bereich der Palisade bei diesen Eingängen Rinderschädel, auch die Hörner, angebracht gewesen sind - ganz ähnlich, wie wir das zum Beispiel aus keltischen Heiligtümern aus jüngerer Zeit kennen."
Wolfhard Schlosser betrachtet die Rinderschädel als ein Indiz: Wahrscheinlich sind in Goseck nicht nur die Sonne, sondern auch andere Sterne beobachtet worden.
Schlosser: "Wir haben keine direkten Hinweise auf Sternenbeobachtung. Wir können aber vermuten, dass beispielsweise, weil sich auf dem Südosttor möglicherweise Stierköpfe befunden haben, Stierschädel - dass da eben auch das Sternbild des Stiers, wozu die Hyaden gehören, eine große Rolle spielte. Und das war eben damals der Anzeiger der Sommersonnenwende."
Zur Wintersonnenwende konnte man den Sonnenuntergang im westlichen Tor der Anlage beobachten, zur Sommersonnenwende ging zwischen den Pfosten des Tores das Sternbild der Hyaden auf. Wintersonnenwende und Sommersonnenwende - vermutlich sind beide kalendarischen Daten in Goseck registriert und gefeiert worden.
Bertemes : "Andere Hinweise auf Opferungen sind dann auch die Keramik, die wir zum Beispiel in der Anlage oder auch in dem Graben wieder finden. Auch sie steht in einem funktionalen Zusammenhang mit den dort vollzogenen Riten: Wir finden keine ganzen Gefäße, sondern nur Scherben, und nach dem Ritual sind dann diese Reste wiederum im sakralen Bereich deponiert worden."
Wahrscheinlich war es ein Brauch der Festgemeinde, zum Ende der Feier das Geschirr zu zerschlagen, um es anschließend vor Ort zu begraben. Im Observatorium von Goseck wurden nicht nur Knochen von Tieren gefunden, sondern auch eine Grube mit Menschenknochen, daneben zwei steinerne Pfeilspitzen. Könnte es dort auch blutige Opferrituale gegeben haben, wurden Menschen geschlachtet? Francois Bertemes will sich nicht festlegen:
"Weil wir da sehr vorsichtig sind. Wir können in der Regel nicht nachweisen, dass eine bewusste Tötung vorliegt. Wir können aber nachweisen, dass es sich um Menschen handelt, die nicht das normale Totenritual durchlaufen haben."
Das normale Totenritual um 5000 vor Christus war eine "Hocker-Bestattung": die Grablegung in Seitenlage mit angezogenen Beinen. Solche Skelette haben die Hallenser Wissenschaftler rund 200m vom Observatorium entfernt gefunden. In einer steinzeitliche Siedlung. Im Observatorium dagegen haben die Archäologen Menschenknochen gefunden, die vom Skelettverbund gelöst und in einer Grube bestattet worden sind.
Bertemes: "Das muss nicht ein Hinweis auf eine Opferung sein, dass es sich hierbei um Menschen handelt, die ein besonderes Totenritual bekommen haben. Möglicherweise könnte es sich auch um diejenigen handeln, die diesem Heiligtum vorstanden, die man praktisch als frühe Priester bezeichnen könnte."
Es sieht so aus, als hätte man im Observatorium von Goseck nicht Leichen, oder Leichenteile, sondern Knochen bestattet.
"Hier haben wir Hinweise darauf, dass man diese Toten längere Zeit zunächst aufgebart hatte, so dass sie entfleischt sind. Es gibt auch Hinweise darauf, dass man der Entfleischung etwas nachgeholfen hat."
Manche der Menschenknochen sind mit steinernen Klingen bearbeitet worden. Könnte es sich bei den steinzeitlichen Bewohnern von Goseck gar um Kannibalen gehandelt haben?
Bertemes: "Kannibalismus ist archäologisch extrem schwierig nachzuweisen. Ausschließen kann man so was nie, aber ich würde das mal ganz hinten anstellen. Wir können das archäologisch in den seltensten Fällen nachweisen."
Das Sonnenobservatorium von Goseck war mehr als dreitausend Jahre Geschichte, als die "Himmelscheibe von Nebra" entstand: ein kunstvolle Schmiedearbeit aus der Bronzezeit, gefertigt etwa 1600 vor Christus. Auch der Laie erkennt auf den ersten Blick: Diese Scheibe hat mit Astronomie zutun. Wolfhard Schlosser:
"Jeder sieht sofort Sonne, Mond und Sterne. Dann haben wir seitliche Verzierungsstücke, die in ihren Winkelmaßen dem Auf– und Untergang der Sonne über das Jahr entsprechen, und wir haben eigentlich als einziges mythisches Element die Sonnenbarke. Die Himmelsscheibe ansonsten ist nüchtern wie ein Verkehrsschild."
Oder wie ein Arbeitsgerät. Bettina Pfaff :
"Es war sicherlich unter freiem Himmel benutzt, damit man die Scheibe entsprechend der Sichtachsen der Horizontberührung ausrichten konnte."
Wer die Bronzescheibe waagerecht gen Horizont erhebt, kann den Tag der Sommer- und der Wintersonnenwende bestimmen - vorausgesetzt, er befindet sich etwa auf dem geographischen Breitengrad von Magdeburg. Merkwürdig aber: Die Himmelscheibe wurde rund 100 km südlich, bei Nebra, gefunden. Wolfhard Schlosser:
"Man darf annehmen - das meinen die Archäologen zumindest - dass die Zeit, als die Himmelsscheibe in die Erde kam, eine Zeit vielleicht ähnlich wie der Dreißigjährige Krieg war. Also eine Zeit von Irrung und Wirrung, und sie wurde relativ zügig begraben, nicht mit dem Aufwand, den man hätte machen können. Ein weiteres Zeichen, dass es eine Zeit von Wirren war: Auffällig ist, dass die Himmelsscheibe von Nebra nicht als Sache bestattet wurde, sondern als Person."
Zusammen mit zwei Schwertern , Armreifen und Beilen.
"Und das würde normalerweise nur Fürsten vorbehalten. Wir müssen also davon ausgehen, dass die Himmelscheibe als mehr angesehen wurde als nur eine Bronzescheibe."
Diese Scheibe - gefertigt aus Kupfer, Zinn und Gold - gibt den Wissenschaftlern auch einigen Aufschluss über die Kultur der Bronzezeit in Mitteleuropa, vor allem über mögliche Handelskontakte.
Schlosser: "Die Materialien sind hier im Prinzip auch zu Hause, das Kupfer könnte man aus dem Mansfelder Land nehmen, das Gold könnte man aus der Unstrut heraus waschen, und auch das Zinn ist im Erzgebirge vorhanden. Nur, wie die Kollegen in der Metallurgie festgestellt haben, sind diese Metalle offensichtlich nicht lokal gewonnen worden. Sondern, durch ihre chemische Zusammensetzung bedingt, glaubt man, dass das Kupfer eher aus Richtung Österreich kam, während das Gold vielleicht aus Rumänien kam."
Pfaff: "Also, man hat wirklich Fernkontakte geknüpft, um an das Metall ranzukommen. Damit war natürlich auch ein reger geistiger Austausch verbunden."
Schlosser: "Den gab es sicherlich. Ich bin fest überzeugt, dass in der Bronzezeit der Fürst hier in Leubingen oder auch Nebra genau wusste, welche Pharao-Dynastie in Ägypten gerade war. Es gab ja ausgedehnte Handelsbeziehungen: Denken Sie an die Bernsteinstraße, wir haben ja in Ägypten tausende Tonnen von Gold im alten, mittleren und neuen Reich, die von der Ostsee kamen. Die strömten natürlich alle durch diese Gegend hier."
Unter den Völkern der Bronzezeit wurden nicht nur materielle, sondern auch geistige Güter getauscht, meint Wolfhard Schlosser. Nur so erklärt sich, dass auf der Himmelscheibe von Nebra auch eine Sonnenbarke abgebildet ist.
Schlosser: "Die Sonnenbarken haben sich in der Zeit der späteren Nutzung der Himmelsscheibe explosionsartig über ganz Europa ausgebreitet, bis Skandinavien. Überall finden sie Sonnenschiffe: auf Felsen eingeritzt und so weiter. Und sie waren selbstverständlich in Ägypten und auch in Babylon schon voll im Schwange. Sie haben dort Heiligenbilder getragen und dergleichen mehr."
Pfaff: "Es ist ja so, dass die Sonnenbarke als letztes Element aufgebracht wurde auf der Himmelsscheibe. Und man weiß eben aus Ägypten und aus Griechenland, dass damit die Vorstellung verbunden war: die Sonne wird über den Nachthimmel gezogen, um am Morgen wieder aufgehen zu können. Und wird eben auf dieser Barke gezogen, also, dass kennt man aus Ägypten. Der Sonnengott Re fährt ja auf seinem Wagen über den Horizont."
In der Bronzezeit haben die Bewohner Mitteldeutschlands möglicherweise neue astronomische Erkenntnisse gewonnen, die den Steinzeitmenschen von Goseck noch unbekannt waren. Denn mit der Himmelscheibe kann man nicht nur die Termine der Sonnenwenden bestimmen, sondern zwei weitere wichtige Daten.
Schlosser: "Es sind der 10. März und der 17. Oktober, nach heutigem Kalender und Sprachgebrauch."
Pfaff: "Sie sehen ja, wenn Sie die Scheibe betrachten, das Siebengestirn, die Plejaden. Und die Plejaden waren in allen bäuerlichen Kulturen ein ganz wichtiges Sternbild, um Aussaat und Ernte zu bestimmen."
Wenn die Plejaden am Abendhimmel aufgehen neben einer schmalen Mondsichel, dann kommt der Frühling, und es ist Zeit zu säen. Steht das Siebengestirn hingegen am Morgenhimmel neben dem Vollmond, dann ist es Herbst und Erntezeit: das ist die Botschaft der "Himmelsscheibe von Nebra".
Film "Die Himmelscheibe von Nebra": "Diese Nutzung der Plejaden ist uns aus vielen Ackerbaukulturen bekannt und wurde in Geschichten und Mythen dargestellt. Hören wir dem griechischen Dichter Hesiod zu, wie er um 700 vor Christus den Jahreslauf für die Bauern ordnet: 'Wenn das Gestirn der Plejaden, der Atlastöchter, emporsteigt, dann beginne die Ernte. Doch pflüge, wenn sie hinab gehen. Sie sind vierzig Tage und vierzig Nächte beisammen, eingehüllt. Doch wenn sie wieder im kreisenden Jahre leuchtend erscheinen, erst dann beginne die Sichel zu wetzen!'"
Schlosser: "Interessant ist, dass heute noch in Litauen nach praktisch den gleichen Regeln die Bauern ihre Feste gefeiert haben wie vor 4000 Jahren in Nebra. Die Bauernregeln waren fast identisch. Was die Märzregel angeht, heißt es im Litauischen sinngemäß: 'Wenn die Plejaden in der Abendröte stehen, dann gehört der Ochse in die Furche und die Pferde auf die Weide.' Wir sagen auch heute noch: 'Im Märzen der Bauer die Rösslein anspannt…', und Anfang Oktober wird eben Erntedankfest gefeiert. Das sind die gleichen Termine, die heute noch die Bauern bewegen und auch gefeiert werden."
Bei allem, was man über das Leben der Völker in der Stein- und in der Bronzezeit inzwischen herausgefunden hat: viele Fragen sind noch offen. Und viele werden auch offen bleiben. Francois Bertemes wird immer wieder daran erinnert angesichts des modernen Sonnenwend-Spektakels in Goseck:
"Alles, was man nachspielt anlässlich solcher Feiern ist von vornherein falsch. Denn wir wissen nicht, wie die Leute bekleidet waren, wir wissen nicht, wie sie aussehen, wir wissen auch nicht genau, wie die Rituale abgelaufen sind. Wir haben nur die verdinglichten Reste."
"Aber ich bin überzeugt: wenn von den zweihundert Kreisgrabenanlagen in Europa nur drei, vier weitere so gründlich ausgegraben werden wie Goseck, sind wir einen großen Schritt weiter","
meint Wolfhard Schlosser mit Blick auf das astronomische Wissen unserer Vorfahren. Eines jedenfalls ist sicher: Die Kalender aus der Stein– und aus der Bronzezeit wirken fort – bis heute.
""Ja, natürlich. Unsere christlichen Feiertage sind ja sämtlich astronomisch bestimmt, nicht wahr. Gerade das Weihnachtsfest über den Mitras-Kult, die Wintersonnenwende. Und natürlich auch Ostern mit der Karwoche über den ersten Frühlingsvollmond. Ich meine, Christus wurde nie zu Weihnachten geboren, da waren keine Lämmer auf den Weiden und so weiter. Das ist eine Übernahme aus dem Mitras-Kult, und das war ganz klar die Wintersonnenwende."
Was bleibt dem Historiker der Astronomie in Zukunft noch zu wünschen übrig?
"Eine zweite Himmelscheibe! Denn dann könnten wir endlich mal unsere Theorien an der Wahrheit testen. Mit nur einer Himmelsscheibe können Sie schwer die endgültige Wahrheit erleben, da müssen sie schon mehrere haben. Und ich hoffe, dass in absehbarer Zeit noch irgendetwas zu Tage kommt wie die Himmelsscheibe - auch wenn es vielleicht anders aussieht - was uns sozusagen die Astronomie der damaligen Zeit näher bringt. Das wir Objekte finden, von denen wir bisher gar nichts wissen, die aber genauso überraschend sind wie die Himmelsscheibe selber."
Film "Die Himmelscheibe von Nebra":
"Mit der Himmelscheibe ist jedoch erstmals in der Geschichte ein Blick durch das Schlüsselloch in die geistige Welt der Menschen vor 3600 Jahren möglich. Das Wissen über die Zyklen des Himmels hatte demnach in der Bronzezeit einen erstaunlichen Höhepunkt erreicht. Die bronzezeitlichen Menschen Mitteleuropas hatten sich bereits um 1600 vor Christus den Himmel als Kuppel, die Erde überwölbend gedacht."
Die Himmelscheibe von Nebra ist tatsächlich eine bronzezeitliche Sternkarte. Sie wurde 1999 gefunden. So etwas hatten die Historiker der Astronomie noch nie gesehen und auch nicht erwartet, schon gar nicht von den Völkerstämmen in Mitteleuropa.
Schlosser: "Nein, eigentlich nicht."
Vor Entdeckung der Scheibe hielt man solche Art Geistesleistung nördlich der Alpen für praktisch ausgeschlossen. Die hatte man nur Hochkulturen zugetraut: den Babyloniern, den Ägyptern, den Griechen.
Schlosser: "'Hochkultur' ist per definitionem eine Kultur mit Schriftbesitz. Das kann man hier nicht voraussetzen. Aber ich bin überzeugt, die geistigen Fähigkeiten der Menschen hier waren genauso wie in Babylon. Und wie man sieht, in Goseck: Das Ganze ging schon viele tausend Jahre vor Babylon hier los."