Kalifornien

Wie viel Macht hat der Anti-Trump-Bundesstaat?

Anti-Trump-Proteste in Kalifornien
Anti-Trump-Proteste in Kalifornien © Kerstin Zilm
Von Kerstin Zilm |
Gleich nach Donald Trumps Wahlerfolg kündigte Kalifornien Widerstand an. Doch wie viel Einfluss und Macht hat der Bundesstaat auf der anderen Seite des Kontinents in der Auseinandersetzung mit der neuen US-Regierung tatsächlich?
Vor Kurzem bei einer Demo in Kalifornien gegen die Politik von US-Präsident Trump. Der Grund für den Protest diesmal: seine Erlasse zum Thema Einwanderung.
"Kalifornien ist der wichtigste Bundesstaat der USA, wir haben großen politischen und wirtschaftlichen Einfluss. Wichtig ist, dass Kalifornien nicht mit Washington kooperiert, zum Beispiel bei Razzien und Abschiebungen der Immigrationsbehörde. Sonst kommen wir in Schwierigkeiten."
Einige Kalifornier wollen sich sogar von den USA abspalten. Das wäre dieser Anti-Trump-Demonstrantin dann doch zu viel.
"Es macht das Leben etwas leichter, dass wir in einem Staat leben, der eine andere Richtung einschlägt. Die Vorschläge, sich ganz vom Rest der USA zu trennen, sind dumm, aber ich denke, dass andere von uns lernen können."
Anti-Trump-Proteste in Kalifornien mit Puppen des US-Präsidenten und einem Plakat, dass sich gegen die Separierung von Familien ausspricht
Anlass dieser Proteste in Kalifornien: Trumps Erlasse zum Thema Einwanderung© Kerstin Zilm
Kalifornien gilt als Gegenspieler zum neuen US-Präsidenten. Alles begann mit zwei Politikern des Westküstenstaates, die in der Nacht des Wahlsieges von Donald Trump lange wach lagen: Der Vorsitzende des kalifornischen Senats, Kevin de León und sein Kollege im Abgeordnetenhaus, Anthony Rendon. Noch am frühen Morgen gaben beide Demokraten eine gemeinsame Erklärung heraus:
"Heute morgen sind wir mit dem Gefühl aufgewacht, Fremde im eigenen Land zu sein. Denn gestern haben US-Bürger Ansichten über eine pluralistische und demokratische Gesellschaft ausgedrückt, die absolut unvereinbar mit den Werten der Kalifornier sind."
Kaliforniens Wähler hatten Donald Trump nur dreißig Prozent ihrer Stimmen gegeben. In Los Angeles waren es 22 Prozent und in San Francisco weniger als zehn Prozent. De León und Rendon machten klar: der Bundesstaat an der Westküste ist zum Kampf gegen den neuen Präsidenten und seine Politik bereit.
"Wir sind stolzer als je zuvor, Kalifornier zu sein. Wir werden den Widerstand gegen jeglichen Versuch, unser gesellschaftliches Gefüge oder unsere Verfassung zu zerstören, anführen. Kalifornien war nicht Teil dieses Landes als seine Geschichte begann, aber offenkundig sind wir heute der Wächter über seine Zukunft."
Der dritte im Bunde war Kaliforniens Gouverneur. Jerry Brown blies wenig später in einer leidenschaftlichen Rede vor Geophysikern zum Angriff gegen die von Trump im Wahlkampf propagierte Klima-, Wissenschafts- und Einwanderungspolitik.
"Gemessen am Bruttosozialprodukt von mehr als 2,2 Billionen sind wir die fünft- oder sechstgrößte Wirtschaftskraft der Welt. Wir haben eine Menge Munition: Wir haben Wissenschaftler, Universitäten und Anwälte. Wir sind bereit zur Verteidigung unserer Werte. Wir haben unsere eigenen Gesetze sowie die Mittel und den politischen Willen, diese umzusetzen."

Zwei komplett gegensätzliche Welten

Der Gouverneur Kaliforniens entwarf ein Bild von zwei komplett gegensätzlichen Welten, die sich in den USA gegenüber stehen: in Washington, an der Ostküste die einfältige, Forschung und Wahrheiten ignorierende und alternative Fakten verbreitende Trump-Regierung. Buchstäblich auf der anderen Seite des Landes sei Kalifornien: vielfältig, fortschrittlich, mit einem Werte-Fundament aus Wissenschaft und Humanität. Politikprofessorin Sherry Bebitch-Jeffe von der University of Southern California in Los Angeles, USC, sagt: Jerry Brown trifft mit dieser Beschreibung den Nagel auf den Kopf:
"Ideologisch gesehen, ist Kaliforniens Politik 180 Grad entfernt von der Richtung, in die Donald Trump dieses Land politisch führen will. Wir haben den Ruf, der Anti-Trump-Bundesstaat zu sein. Etwas Gutes hat Donald Trump Kalifornien gebracht: ein neues Image. Wir werden nicht mehr nur als Hippies und Elite von der Westküste gesehen, sondern als Spitze des Widerstands."
Dass dieser Widerstand nicht nur auf der Straße und in politischen Debatten, sondern letztendlich vor allem in Gerichtsgebäuden stattfinden wird, war der kalifornischen Regierung von Anfang an klar. Noch vor Donald Trumps Amtseinführung gab sie der in Washington sehr einflussreichen Anwaltsfirma von Eric Holder, Justizminister unter Barack Obama, einen Beratervertrag. Politik-Professorin Bebitch-Jeffe bezeichnet das als klugen Schachzug:
"Erstens setzt es ein deutliches Zeichen. Zweitens ist es ein Schuss vor den Bug der 100 Prozent republikanischen Bundesregierung vom komplett demokratisch regierten und größten US-Bundesstaat. Holder kennt alle US-Gerichte. Die Entscheidung war ein erstes Zeichen dafür, wie oft Kalifornien den Rechtsweg einschlagen wird, um zu verhindern, dass Trumps Erlasse zu Gesetzen werden."
Holders Beratung ist nicht billig. Monatlich verlangt sein Anwaltsbüro 25.000 Dollar. Der kalifornische Senatspräsident Kevin de León bezeichnete das in einem Radiointerview als gute Investition.
"Dies sind ungewöhnliche Zeiten, die ungewöhnliche Maßnahmen erfordern. Je mehr Unterstützung wir in Rechtsfragen haben, desto besser können wir kalifornische Werte verteidigen. Vieles steht auf dem Spiel: Umweltschutz, der Schutz von Familien von Einwanderern, bezahlbare Krankenversicherung für Kalifornier. All das müssen wir gegen Angriffe aus Washington verteidigen, wenn die Wahlkampf-Drohungen wahr gemacht werden."
Donald Trump zeigt seit seinem ersten Tag im Amt, dass er seine Versprechen umsetzen will und dass Kalifornien dabei als Feindbild dienen wird. In einem Interview mit dem Fernsehsender FOX bezeichnete der US-Präsident den Bundesstaat als "in vielerlei Hinsicht außer Kontrolle".
"California in many ways is out of control as you know."

Eine Klage nach der nächsten gegen Trump-Politik

Viele der Erlasse, die der Präsident in seinen ersten einhundert Amtstagen unterschrieb, treffen den Westküstenstaat besonders. Dazu gehören die striktere Abschiebung von illegal über die Grenze gekommenen Einwanderern, die Streichung von Klimaschutzmaßnahmen, die Genehmigung zu Ölbohrungen vor US-Küsten sowie die Anordnung, den Status von Nationalparks zu überprüfen und eventuell zurückzunehmen. Kaliforniens Werte-Fundament ist unter schwerem Beschuss. Schnell ändern wird sich trotzdem nichts Wesentliches, erklärt Politikprofessorin Sherry Bebitch-Jeffe.
"Donald Trump hat Kalifornien mit seinen Erlassen direkt zwischen die Augen getroffen, kein Zweifel. Aber vorgeschlagene Änderungen müssen von Gerichten geprüft und vom Parlament abgesegnet werden, um Gesetze zu werden. Es wird garantiert eine Klage nach der nächsten gegen die Trump-Politik geben – nicht nur vom Bundesstaat, sondern auch beispielsweise von Umweltschutz- und Einwanderer-Gruppen."
Tausende von Trump-Gegnern marschierten am ersten Mai durch Downtown Los Angeles. Im Mittelpunkt des Protests stand diesmal die Arbeits- und Einwanderungspolitik. Auf ihren Schildern forderten die Demonstranten einen Mindestlohn von 15 Dollar, das Ende der Razzien gegen Einwanderer ohne Papiere und den Schutz von Familien vor Abschiebung. "Die kalifornische Regierung ist auf Eurer Seite", rief ihnen Senatspräsident Kevin de Léon zu.
"Das hier ist Kalifornien. Wir bauen keine Mauern, wir reißen sie ein! In diesem wunderbaren Bundesstaat feiern wir Vielfalt. Denn das ist Amerikas Fundament. Wir glauben an Wissenschaft und daran, dass jedes Kind das Recht auf saubere Luft und sauberes Wasser hat. Wir glauben, dass jeder Mensch Respekt und Würde verdient. Wer auch immer heute im Weißen Haus ist, niemand wird je die Werte verändern, die unseren Bundesstaat definieren."
Um Trumps verschärften Abschiebe-Vorschriften gegen Einwanderer ohne Papiere entgegen zu wirken, erklärten sich US-weit Städte zu "Sanctuary Cities" – also Städte der Zuflucht. Das sind Orte, an denen die Polizei nicht mit der US-Einwanderungsbehörde zusammenarbeitet. Viele davon sind in Kalifornien. Und nun debattiert das Parlament des Bundesstaates sogar einen Gesetzentwurf, der ganz Kalifornien zum "Sanctuary State" machen soll. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: Präsident Trump droht, den sogenannten Zufluchtsorten Bundesmittel zu entziehen. US-Justizminister Jeff Sessions warnt Städte und Gemeinden davor, kriminelle Immigranten vor der Abschiebung zu schützen:
"Wenn sie ein Verbrechen begehen, sollen sie abgeschoben werden. Das sagt das Gesetz. Nicht 'können' sie abgeschoben werden. Wir werden diese Städte bei jedem Schritt bekämpfen und Druck ausüben. Das ist wichtig für Amerika."

Keine Sonderbehandlung für Einwanderer

Wichtig für Kalifornien ist Sicherheit, argumentieren die verantwortlichen Politiker. Und dazu würden auch die Einwanderer gebraucht. Denn wenn Einwanderer Angst hätten vor der Polizei, würden sie auch keine Verbrechen melden oder Aufklärungsarbeit leisten. Also will Kalifornien eingewanderte Menschen auch nicht gesondert behandeln. Die Polizei soll nicht – wie von Trump gewünscht – Bürger ohne Verdacht auf eine Straftat nach deren Aufenthaltsgenehmigung fragen. Auch die Ausdehnung von Haftzeiten, um die Abschiebung vorzubereiten, soll es im Westküstenstaat nicht geben.
Kaliforniens Justizminister, Xavier Becerra, ist überzeugt, seine Position vor Gericht beweisen zu können.
"Das Gute an Gerichten ist, dass alternative Fakten dort machtlos sind und nur die Wahrheit zählt. Kalifornien und seine Städte sperren gewalttätige Menschen ein. Schwerverbrecher gehen ins Gefängnis. Wenn sie illegal im Land sind, werden sie höchstwahrscheinlich abgeschoben. Woran wir kein Interesse haben ist, dass unsere Polizei für den Bund Leuten an Supermärkten, Kindergärten oder Kirchen auflauert."
In dem Streit um "Sanctuary Cities" hat Kalifornien bereits einen Sieg errungen. Ein Gericht entschied, dass der Bund nur einen sehr kleinen Teil seiner Mittel von den Städten abziehen kann, die sich als Zufluchtsorte definieren und dass diese Mittel direkt mit der beschlossenen Einwanderungspolitik zu tun haben müssen. Die Trump-Regierung hat gegen die Entscheidung Widerspruch eingelegt.
Ein "People s Climate March" am 29. April 2017 in Los Angeles, Kalifornien
Es gibt viel Widerstand gegen Trump - wie hier beim "People s Climate March" in Los Angeles.© imago
Auch in der Klimapolitik ist Kalifornien entschlossen, seinen eigenen Weg zu verfolgen, die Nutzung fossiler Brennstoffe zu reduzieren und erneuerbare Energien zu fördern. Kalifornische Wissenschaftler protestierten mit Unterschrifts-Aktionen gegen Trumps Kabinettsmitglieder, die die Existenz des Klimawandels anzweifeln. Prominenz von Leonardo DiCaprio bis Jane Fonda unterstützt den Kampf für strenge Emissionsgrenzwerte, Umweltschutz und wissenschaftsgestützte Klimapolitik.
"Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit sind wir mit einer existentiellen Bedrohung unseres Planeten und unserer Demokratie konfrontiert. Wenn sie gewinnen, kommen wir dem Wendepunkt in globaler Erwärmung näher und von dort gibt es kein zurück. Wir dürfen nicht zuschauen, wie eine Gruppe von weißen männlichen Milliardären versucht, dem amerikanischen Volk eine lebenswerte Zukunft zu verwehren."

Kalifornien tut sich mit anderen Bundesstaaten zusammen

Seit fast 50 Jahren ist Kalifornien Pionier in Sachen Umweltpolitik der USA. Ausgelöst Mitte der 60er-Jahre durch schlechte Luftwerte in Los Angeles sowie einen verheerenden Ölunfall an der Küste, bildeten sich einflussreiche Umweltschutzgruppen. Kalifornien bekam vom Bund einen Sonderstatus, der dem Bundesstaat unter anderem eigene, strengere Abgaswerte erlaubte. Diese wurden von mehreren US-Bundesstaaten und unter Präsident Barack Obama landesweit übernommen. Die Trump-Regierung droht nun, diesen Sonderstatus aufzuheben. David Pettit, leitender Anwalt der Umweltschutzorganisation National Resources Defense Council, NRDC, bereitet sich auf lange Gerichtsprozesse vor, in denen auch er Kaliforniens Sonderrolle vertreten wird:
"Schauen Sie, was in unserem Bundesstaat passiert: Wir hatten fünf Jahre Dürre. Der Meeresspiegel steigt. Wir haben das ganze Jahr über Waldbrände. Arten, die unserem Öko-Gleichgewicht schaden und die wir nie gesehen haben kommen aus Mittelamerika zu uns. Millionen von Bäumen sterben in den Bergen. Stärkere Stürme verändern unseren Wasserhaushalt. All das sind Ereignisse, die es kaum in Nebraska oder anderen Staaten mitten im Land gibt."
In dieser Konfrontation mit Washington hat sich Kalifornien wie im Streit um Sanctuary Cities mit anderen Bundesstaaten zusammen getan, um schlagkräftiger zu sein und sich die Kosten der Gerichtsprozesse zu teilen. Oft könnte es bis vor den Obersten Gerichtshof der USA gehen. In dem könnten bis dahin allerdings mehr von Präsident Trump eingesetzte Richter sitzen und die Entscheidungen beeinflussen. Sherry Bebitch-Jeffe von der University of Southern California nochmal:
"Es ist gut möglich, dass das Oberste Gericht bis dahin konservativer besetzt ist. Es kann bis dahin mehr Präzedenzfälle geben. Vielleicht erreichen die Klagen aber auch gar nicht das Oberste Gericht. Wir wissen das alles nicht. Mit dieser Regierung ist es, als würde man versuchen, Bleisäure festzuhalten. Alles ist möglich in der Gesetzgebung und in Rechtsverfahren. Es ist verrückt. Und ich bin objektiv, wenn ich das sage."
Ganz vorne an der Widerstandsfront steht Kaliforniens Gouverneur, der 79 Jahre alte Jerry Brown. Er hat selbst drei Mal für das Amt des US-Präsidenten kandidiert und war Justizminister von Kalifornien. Diese Erfahrungen haben ihn perfekt vorbereitet auf seine neue Rolle: Anführer einer Revolution von der Westküste.
"Wir werden zeigen, was Widerstand bedeutet. Was immer Washington glaubt, zu tun – Kalifornien ist die Zukunft!"
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