Michel Foucault auf LSD
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1975 reist der französische Philosoph Michel Foucault nach Kalifornien. Ein Buch mit Briefen und Fotos belegt jetzt: Der sagenumwobene LSD-Trip ins Death Valley hat tatsächlich stattgefunden und sogar Foucaults Denken beeinflusst.
Viel ist schon geschrieben worden über die Zeit des französischen Philosophen Michel Foucault in Kalifornien. Einiges davon, wie die wilden Erfahrungen in den Dark Rooms der Gay und BDSM-Szene in San Francisco, konnte nie eindeutig belegt werden. Auch seine Erfahrungen mit Drogen sind umstritten. Lange Zeit galt eine Reise Foucaults in das Death Valley von Kalifornien als nicht glaubhaft, denn der Franzose soll dort zum ersten Mal LSD genommen haben und diese Erfahrung soll lebensverändernd für ihn gewesen sein.
Doch nun ist ein Buch mit dem Titel "Foucault in California" erschienen, das die Zweifel an diesem Ereignis ausräumt: "Mein Bruder hat das Buch 1975/76 geschrieben, aber er konnte keinen Verlag dafür finden. Dann hat er es über die Jahre angepasst und 1990 die endgültige Version vorgelegt, doch kein Verlag wollte es. Niemand wollte das Buch veröffentlichen".
Zwischen Gerümpel und Geräten: Foucaults Handschrift
David Wade hat im Nachlass seines 2017 verstorbenen Bruders Simeon Wade das Manuskript gefunden, das bislang nie veröffentlicht wurde.
"Als mein Bruder starb, lag es an meiner Frau und mir durch Tausende von Kisten mit Papieren, Tausenden Büchern und einem allgemeinen Chaos zu kramen, mein Bruder schmiss nichts weg. Uns wurde gesagt, wir müssen diese Briefe von Michel Foucault finden, die belegten, dass das alles passiert ist. Ansonsten glaubt das keiner. Nancy und ich verbrachten so achteinhalb Wochen in Südkalifornien im Haus meines Bruders. Es war entmutigend, denn wir mussten da jedes Papier ansehen, durch Hunderte Boxen suchen, denn mein Bruder hatte alles zusammen geschmissen."
"Eine der großartigsten Erfahrungen in meinem Leben"
David Wade und seine Frau wollten schon aufgeben, doch dann stieß die Archäologin Nancy Wade auf eine ganz besondere Schatulle.
"In einer gefühlten Tiefe von vier Metern, unter alten Tennisschuhen, Camping -Zubehör, alten Möbeln, Geräten und Kram stieß meine Frau auf eine Geldschatulle, eine kleine Metallbox und darin lagen fünf Briefe von Michel Foucault, die alles belegten. Und ich lese Ihnen aus einem Brief von Foucault an Simeon vor, datiert 14. Mai 1975. Das ist der Tag, an dem Foucault nach der Death Valley Reise zurück nach Berkeley kam: 'Lieber Simeon', es ist wirklich Foucaults Handschrift, 'ich weiß nicht, wie ich Dir für all das danken kann, was Du für mich am vergangenen Wochenende getan hast. Es war eine großartige Erfahrung, eine der wichtigsten in meinem Leben. Und ich meine nicht nur die "Zabriskie-Nacht"' – damit meint er die Zeit im Death Valley – 'sondern auch unser Treffen und die zwei Tage, die wir miteinander verbracht haben. Es ist so selten, einen Freund wie Dich zu treffen, mit dem es möglich ist, eine sowohl intellektuelle als auch emotionale Beziehung einzugehen'".
Weitere Briefe folgten, Michel Foucault und Simeon Wade wurden Freunde, blieben in Kontakt bis zum Tod des Philosophen im Jahr 1984. Was bei diesem Reisebericht ins Death Valley überrascht, ist, warum der weltbekannte Philosoph Foucault sich überhaupt mit Simeon Wade abgab, einem Assistant Professor an einem unwichtigen College in Südkalifornien, ihm vertraute und mit ihm und seinem Partner in die Wüste fuhr. Das alleine schon, ließ viele daran zweifeln, dass es diesen Trip überhaupt gab:
"Jeder zweifelte genau deshalb daran. Warum? Aber ich kann Ihnen gerne aus dem Brief meines Bruders an Foucault vorlesen, der am Anfang stand."
Wie der LSD-Trip Foucaults Denken veränderte
David Wade sucht in seinen Unterlagen:
"'Ich schreibe Ihnen, um Sie an irgendeinem Zeitpunkt Ihres Aufenthaltes in Berkeley nach Südkalifornien einzuladen. Hier in Claremont haben wir ein interdisziplinäres Programm um Ihre Methoden und Ergebnisse herum aufgebaut. Ich lege das hierfür erstellte Flugblatt und weitere Materialien dem Schreiben bei.' Und der Brief beschreibt noch weiter, was Simeon in Claremont aufgebaut hat. Ein paar Tage später kam bereits die Antwort von Foucault: 'Ich danke Ihnen sehr für Ihren Brief und Ihre Einladung. Ich würde mich sehr freuen, ein paar Tage an Ihrer Universität zu verbringen, gerade auch, weil Sie an denselben Problemen wie ich interessiert sind.'"
Ein paar Monate später, als Michel Foucault zu Gast bei der UC Irvine war, nutzte Simeon Wade die Chance, um den Franzosen direkt nach dessen Vorlesung anzusprechen. Und Foucault willigte ein, nicht nur nach Claremont zu kommen, sondern auch das Death Valley zu besuchen. Simeon Wade sah Foucault in einer Denkkrise, deshalb war er überzeugt davon, die Fahrt ins Tal des Todes und die Einnahme von LSD würden dem, seiner Überzeugung nach, brillantesten Denker in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts helfen.
Der späte Foucault: Zum "Gebrauch der Lüste"
"Simeon denkt, und ich stimme dem zu, dass dieses Wochenende Foucaults Denken verändert hat. So sehr, dass Foucault das Manuskript für das erste Buch seiner 'Geschichte der Sexualität' vernichtete, den ursprünglichen Plan von sechs Bänden aufgab und sich in seinen letzten Jahren vielmehr der Lebenskunst und dem 'Gebrauch der Lüste' zuwandte."
Der Reisebericht von Simeon Wade "Foucault in California" ist jetzt im HeyDay Verlag in Berkeley erschienen. Untertitel: "A True Story - Wherein the Great French Philosopher Drops Acid in the Valley of Death". Gesucht wird derzeit noch nach einem deutschen Verleger.