Kalte Dusche für Herzberg

Von Claudia van Laak |
Knapp 1000 Arbeitsplätze streicht der Armaturenhersteller Grohe bundesweit. Das Werk im brandenburgischen Herzberg trifft es besonders hart. Es wird komplett geschlossen, obwohl es Gewinne machte. Die Entlassung von 300 Leuten trifft alle in der Region, vom Blumenhändler bis zum Versicherungsmakler.
Umfrage: "Wenn Herzberg weg bricht, ist hier ein großer Teil für lange, lange Zeit ohne Arbeit und ohne Perspektive, wenn man das als Ganzes sieht, ist das eine riesengroße Tragödie.

Die schreiben Gewinne, 20 Prozent, schwarze Zahlen, das ist doch irre, dann wird das Ding platt gemacht, das ist für Normalverbraucher nicht verständlich, im Moment ist in Herzberg eine schlechte Stimmung.

Da haben mitunter schon die Väter und Großväter in dem Betrieb gearbeitet und das hat für viele Familientradition und plötzlich bricht das eben ab, da fragt man sich, was war das alles wert?

Für Herzberg als Stadt und für die Gewerbetreibenden ist das schon dramatisch, weil die Arbeitslosigkeit schon ohne die Schließung bei 25 Prozent liegt, und nach der Schließung wird sie bei knapp 30 liegen, das bedeutet einen dramatischen Kaufkraftverlust.

Ich arbeite seit 26 Jahren in dem Werk, meine Frau arbeitet in dem Werk, die wird dann auch arbeitslos, wie das dann weitergeht, kann sich jeder ausmalen. "

Betriebsratschef Peter Schulze reibt sich die Augen. Er sieht übernächtigt aus, am Tag zuvor hat er 17 Stunden lang zusammen mit den Betriebsräten der westdeutschen Grohe-Werke und dem Vorstand einen Sozialplan für die Beschäftigten ausgehandelt. Zurück in Herzberg klingelt ununterbrochen das Telefon.

Schulze: "Grohe Herzberg, Schulze, schönen guten Tag. Ach Frau Luckmann, Ihre Stimme habe ich schon lange nicht mehr gehört, Gott sei dank, ja Frau Luckmann, ich brauche Sie dringend."

Die Stimme des Betriebsratschefs ist heiser, seine Augen sind rot gerändert, die Finger nikotingelb. Boxernase, Schnauzer, die Haare vorne kurz, hinten lang, um den Hals trägt der 43-Jährige eine dicke Goldkette. Spitze Schuhe und ein imposanter Bauch vervollständigen das Bild. Peter Schulze ist eine Kämpfernatur.

Schulze: "Gewinne wurden mitgenommen, es wurde alles zu Geld gemacht, was möglich ist, es wurde versucht, die Belegschaften schlanker zu machen, nicht zukunftsorientiert, und wurde dann für den doppelten Preis an die US-amerikanischen Investoren verkauft, und damals war uns schon klar, wenn das so weitergeht, wird das Feld bald abgegrast sein. Wenn die Zitrone ausgepresst ist, irgendwann bleibt nur noch die Schale übrig, und die kann man nicht verwerten."

Betriebsratschef Schulze vermerkt nicht ohne Stolz, dass er schon vor vier Jahren bei einer Betriebsversammlung den Begriff von den Heuschrecken geprägt habe. Als das Unternehmen Grohe zum ersten Mal von Finanzinvestoren übernommen wurde.

Schulze: "Heuschrecken lassen sich auf gesunde grüne Felder nieder, fressen die kahl und ziehen dann weiter, hinterlassen einen brachliegenden Acker und ob der sich jemals wieder erholt, kommt darauf an, wie tief die Heuschrecken die Wurzeln angegriffen haben."

Die persönliche Situation von Betriebsratschef Schulze ähnelt der vieler Kollegen. Beide Ehepartner arbeiten seit mehr als 20 Jahren im Armaturenwerk. Da Grohe immer gut und pünktlich bezahlt hat, entschieden sich die Schulzes vor einigen Jahren, ein Grundstück zu kaufen und ein Eigenheim zu bauen. Die Schulden sind noch lange nicht getilgt, der Sohn ist arbeitslos, die Tochter sucht bislang vergeblich eine Lehrstelle.

Schulze: "Wir können auch unsere Grundstücke und Häuser hier nicht verkaufen, wer kauft die denn hier, die können wir nicht veräußern, und wenn, dann nur unter Wert, denn wer kauft denn in dieser Region ein Grundstück, wenn er keine Arbeit hat, sozialer Kahlschlag."

Betriebsratschef Schulze drückt der Besucherin zum Abschied noch eine Broschüre in die Hand. "100 Jahre Armaturen aus Herzberg, 1900 bis 2000". Auf der letzten Seite heißt es unter der Überschrift "Aufbruch in die Zukunft": "Mit der Konzentration der Programm-Marke Grohe-Art in Brandenburg ist gleichzeitig die Sicherung des Werkes Herzberg für die weitere Zukunft vorgezeichnet."

Schichtwechsel bei Grohe. Die meisten verlassen einsilbig und schnellen Schrittes das Werk. Seitdem das Aus für ihren Betrieb besiegelt ist, ist die Empörung der Resignation gewichen.

Arbeiterin: "Spaß macht es nicht mehr, aber man will ja noch ein bisschen Geld verdienen, es ist eben traurig, dass es so gekommen ist, man ist hier jahrelang arbeiten gewesen, und nun das, und in unserem Alter kriegt man schlecht Arbeit. "

In der Pförtnerloge hängen zwei Zettel. Auf einem steht, dass die T-Shirts mit dem Heuschrecken-Motiv zur Abholung bereitliegen. "Mit freundlichen Grüßen, Euer Kammerjäger." Auf dem zweiten wird zur Demonstration am folgenden Tag aufgerufen. Auch Herzbergs Bürgermeister Michael Oecknig will bei der Kundgebung reden. Obwohl er weiß, dass ihm der Wind ins Gesicht wehen wird. Die momentanen Aufgeregtheiten der Bundespolitik gehen an dem CDU-Kommunalpolitiker völlig vorbei.

Bürgermeister: "Also das ist bitter, bitter, was hier passiert und die Politik sollte sich bitte schön nicht mit sich selbst beschäftigen, und ob da nun die Abwahl ist oder Rücktritt oder Misstrauensvotum, das interessiert die Leute überhaupt nicht, die Leute hier, die kämpfen um ihre nackte Existenz. "

Hinter dem Schreibtisch von Bürgermeister Oecknig hängt ein Kruzifix - für ostdeutsche Politiker durchaus ungewöhnlich. Michael Oecknig ist bekennender Katholik und gelernter Bäcker, die Wendezeit hat ihn in die Politik gespült. Für die Freiheit und gegen die SED-Bonzen ist er 1989 auf die Straße gegangen. Auch als Bürgermeister ist ihm der zivile Ungehorsam nicht fremd. Kurz vor dem Besuch von SPD-Ministerpräsident Platzeck organisierte er eine Demo für den Bau eines Radwegs und schrieb eigenhändig auf die Straße: "CDU mahnt, Radweg fehlt." Die Staatsanwaltschaft verurteilte ihn zu einem Ordnungsgeld. Jetzt kämpfen wir gegen einen unsichtbaren Gegner, klagt der Bürgermeister, gegen zwei anonyme US-amerikanische Investmentbanken.

Bürgermeister: "Wir hatten an die beiden Finanzgruppen geschrieben mit der Bitte, uns vorstellen zu können und ihnen zu erläutern, welche Auswirkungen es für unsere Städte hat, und es ist beides nach wenigen Tagen postwendend zurückgekommen, dass sie sich nicht zuständig fühlen. "

Herzbergs Bürgermeister blättert in seiner Postmappe, die in diesen Tagen wenig Freundliches zu bieten hat. Keine 48 Stunden nach Bekanntgabe der Werksschließung durch den Grohe-Vorstand ging ein Schreiben des Finanzamtes ein. "Hiermit geben wir Ihnen bekannt, dass die Gewerbesteuer von Grohe auf Null gesetzt ist." Sofort hat Bürgermeister Oecknig eine Haushaltssperre verhängt.

Bürgermeister: "Ich muss ja alles in Summe sehen. Die Gewerbesteuer, die ja jetzt schon auf Null gesetzt ist und die zu erwartende anteilige Einkommenssteuer, die wir auch kriegen aufgrund der Gehälter, da kommen wir auf eine halbe Million Euro Steuereinnahmen, und das ist sehr viel Geld."

Die Rechnung ist einfach: der Steuereinbruch von einer halben Million Euro im Jahr entspricht genau der Summe, die die Stadt Herzberg zurzeit für ihre freiwilligen Leistungen ausgibt.

Bürgermeister: "Ich bin sehr stolz darauf, dass wir die Bibliothek haben, dass wir das Schwimmbad haben, dass wir das Planetarium haben, dass wir einen kleinen Tierpark haben, also immer solide gelebt, der Haushalt ist ausgeglichen und jetzt kommt der große Brecher, bumm."

Die Postmappe des Bürgermeisters hat noch mehr Negatives zu bieten: Einen Brief aus New York von der Credit Suisse First Boston Investmentgesellschaft, in dem die Grohe-Eigentümer mitteilen, dass sich die Stadt Herzberg doch bitte an den Grohe-Vorstand wenden solle. Der Satz "Wir geben zu, dass es im Moment eine schwierige Zeit für Sie ist" wird von Bürgermeister Oecknig mit Hohn quittiert.

Bürgermeister: "Ich habe nichts anderes erwartet, also wir sind nicht so wichtig für die, not important person."

Zu allem Überfluss ist noch ein Brief von der Edeka-Gruppe angekommen. Die Stadt Herzberg hatte Edeka eine leer stehende Immobilie angeboten. Die Antwort: "Nach Überprüfung des von Ihnen angebotenen Standorts müssen wir Ihnen mitteilen, dass er für uns nicht von Interesse ist."

Bürgermeister: "Da kommt fast jeden Tag von irgendeiner Kette so eine Mitteilung, ist nicht interessant, keine Kaufkraft. Möglicherweise wird da ja ein Werk geschlossen, denken die sich, um Himmels willen, da halten wir uns lieber zurück. Da sehen Sie mal ganz direkt die Auswirkungen, die das hat."

Herzbergs Bürgermeister macht sich Sorgen über die Funktionsfähigkeit seiner 11.000-Einwohner-Gemeinde. Wenn junge Leute wegziehen oder zu Wochenendpendlern werden, fehlen sie zum Beispiel bei der Freiwilligen Feuerwehr. Wenn die Stadtbibliothek mit den Computerarbeitsplätzen schließen muss, fehlen Bildungsmöglichkeiten für sozial schwache Familien.

Bürgermeister: "Was die Seele einer Stadt ausmacht, das ist das gesellschaftliche Miteinander, das aktive gesellschaftliche Leben. Und wenn ich Ihnen die Vorstellung vermittle, dass vielleicht ein Drittel derer, die eine Alternative suchen, nach Westdeutschland gehen, ob die nun wegziehen oder Pendler sind, die fehlen mir hier für das gesellschaftliche Leben, für die Verbände, für die Vereine. "

Doch nun will Michael Oecknig nicht mehr weiter jammern. Er strafft seinen Bauch unter dem Jeanshemd, blickt auf die Uhr und verkündet eine positive Nachricht. Gleich wird er im Standesamt ein junges Herzberger Paar trauen.

Bürgermeister: "Da kann ich aber abschalten, wenn ich für die schlechten Seiten zuständig bin, dann möchte ich mir ab und zu auch die guten Seiten gönnen."

Während Herzbergs Bürgermeister schnell nach Hause fährt, um in seinen schwarzen Anzug zu schlüpfen, bereiten örtliche Handwerker und Händler die diesjährige Gewerbemesse vor. In der Turnhalle des Oberstufenzentrums bauen sie ihre Stände auf.

Erwin Reichardt, Inhaber eines Sanitärbetriebs, montiert Armaturen von Grohe an die Stellwände seines Messestandes. Wir wollen unsere Verbundenheit mit der Region demonstrieren, sagt der Handwerker.

Reichardt: "Wir haben auch jetzt wieder die neuesten Sachen, die auf der Messe in Frankfurt ausgestellt wurden, wie der Aqua-Tower 1000 oder 2000, die sind erst jetzt in Serie gegangen und werden ausschließlich in Herzberg produziert, und da zeigen wir die Verbundenheit zu den Mitarbeitern. Ist natürlich makaber, dass die nachher nicht mehr in Herzberg hergestellt werden."

Sondern vielleicht in China. Das Aus für Grohe in Herzberg ist das bestimmende Thema auf der Gewerbemesse, alle 65 Aussteller sind direkt oder indirekt von der Schließung des Werkes betroffen. Vom Leuchtreklamehersteller über den Rasenmäherverkäufer, vom Malermeister bis zum Küchenhersteller.

Umfrage Gewerbetreibende: "Arbeitslose sind weniger unser Ziel, nicht die 20 Prozent Arbeitslosen sind unsere Zielgruppe, sondern die, die Arbeit haben, also diese Leute kaufen eine neue Küche, wenn die nicht mehr da sind, werden wir sehen.

Wenn das Ganze zugemacht wird, ist das für uns ein Abbruch, gerade wir als Handwerksbetrieb sind auf jeden Auftrag angewiesen und gerade Grohe war ein Kunde, auf den man sich verlassen konnte. Wenn der Auftrag kam, wurde auch bezahlt, das ist auch ein wichtiger Punkt, was soll man sagen, einfach traurig.

Auf jeden Fall ist es negativ die ganze Geschichte, weil ja wir als kleine Handwerker von den Kunden leben, die ein gewisses Einkommen haben, und der, der Stempelgeld bekommt, der wird nicht zu unseren Kunden zählen. "

Bei allen Befürchtungen: die Kleinunternehmer können für die Schließung des Armaturenwerkes mehr Verständnis aufbringen als die Belegschaft. Unternehmer müssen eben wirtschaftlich denken, sagt Frank Zinnow, Vorsitzender des Gewerbevereins.

Zinnow: "Wenn man das gleiche Produkt woanders günstiger produzieren kann und dann noch dichter am Verbraucher, dann ist das eine Entscheidung, die man kaufmännisch sicher verstehen kann und die ich nachvollziehen kann. Die Problematik ist eben die soziale Verantwortung, die man als Unternehmer hat. "

Der Chef eines Weiterbildungsunternehmens ärgert sich über die Heuschrecken-Diskussion in Herzberg, auch wenn das Bild im Fall von Grohe durchaus passend sei. Hier wird pauschal Unternehmerschelte betrieben, sagt Frank Zinnow.

Zinnow: "Wir können uns nicht auf der einen Seite hinstellen und von der Wirtschaft fordern, dass Arbeitsplätze geschaffen werden und auf der anderen Seite mit dem Finger auf die zeigen, und sagen, Ihr seid die Bösen. Das passt nicht zusammen und verschärft sinnlos das politische Klima und schafft zusätzlichen Unmut und Spannungen, die wir nicht gebrauchen können. "

Der Gewerbeverein will versuchen, in Herzberg ein unternehmer-freundlicheres Klima herzustellen. Einen Großinvestor können die kleinen Handwerker und Händler allerdings auch nicht herbeizaubern, zumal die Bedingungen denkbar ungünstig sind. Zum einen ist Herzberg schlecht erschlossen, die nächste Autobahnauffahrt liegt 50 Kilometer entfernt. Zum anderen hat Brandenburgs Landesregierung angekündigt, in Zukunft stärker den Speckgürtel rund um Berlin zu fördern und weniger die Randregionen des Landes.

Zinnow: "Die Landespolitik hier zu verstehen ist manchmal schwierig, man hat manchmal schon den Gedanken, dass man abgekoppelt ist und in Potsdam nur Potsdam gesehen wird und die berühmten Leuchttürme. Das reicht eben nicht bis hierher. Und unsere tolle Verkehrsanbindung, da fällt es schwer, Unternehmen zu bewegen, hierher zu kommen. "

Ratlosigkeit, Ohnmachtsgefühle, Resignation allerorten. Selbst bei denjenigen, die professionelle Seelsorger sind. Herzbergs Pfarrerin Renate Timm sitzt in ihrem aufwändig sanierten Gemeindehaus und hat mehr Fragen als Antworten.

Pfarrerin: "Dass hier in dem kleinen Herzberg der Begriff plötzlich wichtig wird, den wir Globalisierung nennen, dass man mittendrin ist in dieser Welt, dass man versucht, Verbündete zu finden, aber man merkt viel Ohnmacht, nützt doch nichts, was sollen wir schon machen, also eine gewisse Resignation ist zu spüren. "

Pfarrerin Timm thematisiert die Schließung des Grohe-Werks in ihren Predigten, schließt die Arbeitslosen in ihre Fürbittengebete ein, bietet seelsorgerliche Gespräche an. Doch sie spürt auch die Grenzen ihrer Tätigkeit.

Pfarrer: "Plötzlich gibt es zwei Seiten, die, die Arbeit haben und da gibt es die Seite derer, wo die Arbeit droht wegzufallen, das ist genau die Situation, wie kann ein Gesunder mit einem Kranken reden. Ich kann ihnen zum Beispiel keine Arbeitsstelle geben und das lähmt auch ein bisschen. "

Herzbergs Pfarrerin sieht auch die Konsequenzen für ihre Gemeinde. Junge, aktive Gemeindeglieder werden wegziehen, der Arbeit hinterher. Zurück bleiben die älteren, hilfsbedürftigen.

Pfarrerin: "Es muss ja irgendetwas geben, was in dieser Stadt auch bleibt, aber wir hatten ja noch nie viel Industrie, wir sind kein Industriestandort, wir müssen andere Stärken hervorkehren, ich weiß auch noch nicht, welche. Mal sehen. "