Der geplante Kulturwandel bei Volkswagen
Im Chaos von Dieselgate muss sich Volkswagen neu erfinden. Audi, Porsche und VW sollen den Markt mit vernetzten Elektroautos beflügeln. Die Wolfsburger erwägen sogar die Produktion eigener Batteriezellen. Doch was ist dran an den vollmundigen Ankündigungen?
"Und wenn Sie jetzt einfach mal auf Kick-down … also, einfach das Gaspedal durchtreten, dann müsste der eigentlich umschalten, sehen Sie! Dann hat sich der Verbrenner nämlich dazu geschaltet - ein bisschen ruppig, weil wir jetzt auch provoziert haben - und dann haben Sie wirklich 'die Kraft der zwei Herzen' - sage ich auch immer so gerne - auf die Vorderachse geleitet!"
Wolfsburg im Oktober 2013: Europas größter Autobauer hat zur progressiven Spritztour geladen. Noch lacht die Sonne durch das Schiebedach.
"Da sind Sie mal schön sportlich unterwegs: Von 0 auf 100 in 7,6 Sekunden! Sie können auch rein elektrisch losfahren, sehr leise, aber sehr dynamisch – macht einfach Spaß! Das ist halt das Schöne daran: Das schaut nicht aus wie so´n Schuhkarton oder wie ein Überraschungs-Ei, schaut halt wie ein echter Audi aus!"
Reporter, die auf Touren kommen - kräftig angespornt von Oscar da Silva Martins. Der Audi-Technik-Spezialist mimt den Beifahrer im damals nagelneuen A3 e-tron: Ein Plug-in-Hybrid aus der kompakten Premiumklasse, halb noch Verbrenner halb schon ein Stromer.
Wir boosten, wir segeln, wir rekuperieren. Das Auto summt in perfekter Harmonie und da Silva, das Verkaufstalent, sendet kleine Botschaften aus, die von Ingenieursstolz künden:
Sicher ist sicher! Dann kann nichts passieren! Schön, wir freuen uns, dass Ihnen das gefällt! Wenn Sie noch Fragen zum Exterieur, Interieur oder sonst irgendwie haben: Wir können gern draußen noch ein paar Fragen klären."
Autokraten lenkten den Autokonzern
Zwei Männer lenken Volkswagen, damals vor gut drei Jahren in Wolfsburg: Der allgegenwärtige VW-Patriarch Ferdinand Piëch und dessen Zögling Martin Winterkorn. Der Führungsstil des Duos ist - gelinde gesagt - autoritär. Wer es damals schon wissen will, erfährt hinter vorgehaltener Hand, wie die mächtigen Männer Untergebene öffentlich abkanzeln und erfährt auch, wie schnell so ein Autokrat Karrieren beendet. Im System Volkswagen ist Widerspruch nicht vorgesehen.
Auch die Vorgabe, die Winterkorn einige Jahre zuvor beim Autosalon in Genf verkündet hatte, stellte öffentlich niemand in Frage: Bis zum Jahr 2015 - so Winterkorns Ziel - wollte VW den CO2-Ausstoß der gesamten Fahrzeugflotte um ein Drittel senken.
"Ja, meine Damen und Herren, ich hoffe, wir konnten Sie ein wenig elektrisieren!"
Damals, im Oktober 2013, gaben sich in Wolfsburg noch die Stars des Tech-Konzerns vor der geballten Motorpresse die Ehre, um eine Art Öko-Bilanz zu ziehen. Inzwischen sei nämlich das Elektro-Zeitalter angebrochen, frohlockten die Chefentwickler von Audi, Porsche sowie der Kernmarke Volkswagen um Golf und Passat unisono:
"Es ist so, dass wir im Jahr 2020 mit unserer Flotte die 95 Gramm CO2-Emissionen erreichen wollen – das machen wir natürlich, indem wir gesamtheitlich an unseren Fahrzeugen arbeiten, indem wir die konventionellen Antriebe entsprechend verbessern."
"Technologien, die auf der einen Seite effizient sind, aber keinen Spaß machen, sind schwer am Markt durchzusetzen. Für einen Porsche muss der Fahrspaß immer ganz oben stehen!"
"Wir werden schon 2015 in der Flotte des Konzerns die CO2-Anforderungen des Gesetzgebers deutlich unterschreiten und werden unserer Pflicht sauber nachkommen!"
Ulrich Hackenberg, Wolfgang Hatz und Heinz-Jakob Neusser – in besseren Zeiten als geniale Erfinder gefeiert, sind seit Monaten suspendiert. Denn offenbar ließen sich Abgasnormen und Kostenvorgaben nur mit Hilfe einer Software einhalten, die auf dem Prüfstand den Testmodus erkennt - und dann die Motorsteuerung so verändert, dass weniger Stickoxide entweichen.
Bei Nachkontrollen im realen Straßenbetrieb bliesen die angeblich so sauberen VW-Dieselautos um ein Vielfaches mehr gesundheitsgefährdende Stickoxide in die Luft, als gesetzlich erlaubt.
"It's not dirty for christ’s sake ..!"
Manipulation soll schon 2005 beschlossen worden sein
VW wollte in den USA Marktanteile gewinnen und mehr Dieselautos verkaufen. Doch die Vorgaben der Konzernspitze erwiesen sich als unlösbares Problem. Eine kleine Gruppe aus der Motorentechnik soll bereits 2005 den folgenschweren Beschluss zum Einsatz einer verbotenen Abschalteinrichtung getroffen – und dieses so genannte Defeat Device tief in der komplexen Motorsteuerung versteckt haben.
Im Frühjahr 2014 entdecken Wissenschaftler im Auftrag der Non-Profit-Organisation "International Council on Clean Transportation" ICCT bei zufälligen Kontrollen die erhöhten Abgaswerte und melden diese den US-Umweltbehörden EPA und CARB. Die wiederum informieren Volkswagen. Ihr schmutziges Geheimnis streiten die Wolfsburger trotz eindeutiger Testergebnisse lange ab. Als die US-Umweltbehörden EPA und CARB im Juli 2015 damit drohen, neue Modelle nicht zu zertifizieren, räumt VW die Manipulationen nur gegenüber den Behörden ein. Am 18. September veröffentlichen EPA und CARB ihre Ergebnisse in der sogenannten "Notice of Violation" und drohen wegen Verstößen gegen die Abgasnormen mit Strafen bis zu 18 Milliarden Euro. Am 20. September gibt VW öffentlich zu, manipuliert zu haben.
Volkswagen hat in den Jahren 2008 bis 2015 11 Millionen Dieselmotoren des Typs EA 189 manipuliert – ein Konzernklassiker aus der in zahlreichen Modellen und Varianten verbauten TDI-Familie. Betroffen sind vor allem Modelle der Kernmarke VW, aber auch von Audi, Porsche, Seat und Škoda.
Die Korrekturen der Motorsoftware in den Werkstätten sowie die Schadensregulierung und Abwicklung ist mittlerweile angelaufen und wird noch lange dauern. Schon jetzt ist klar: Der Skandal hat die gesamte Autoindustrie getroffen. Auch bei anderen Herstellern wurden erhöhte Abgaswerte und fragwürdige Methoden zur Einhaltung der Vorgaben auf dem Prüfstand festgestellt.
"Okay, it´s not dirty, but you still have a dirty mind!”
Kurz vor seinem Rücktritt als Konzernchef hatte Martin Winterkorn diesen größten Skandal der Firmengeschichte noch als "Fehler einiger weniger" bezeichnet.
"Die Unregelmäßigkeiten bei Dieselmotoren unseres Konzerns widersprechen allem, für was Volkswagen steht!"
Regelverstöße auf allen Ebenen
Mittlerweile sind sechs von neun Vorstandsmitgliedern ausgewechselt worden, der frühere Finanzvorstand Hans-Dieter Pötsch zum Aufsichtsratschef ernannt. Gegen zahlreiche Führungskräfte und Vorstände wird ermittelt, darunter auch Winterkorns Nachfolger VW-Chef Matthias Müller und VW-Markenchef Herbert Diess. Wer im Einzelnen für was verantwortlich ist, lässt auch Volkswagen selbst seit Monaten von internen und externen Ermittlern wie etwa der US-Kanzlei Jones Day untersuchen.
Kritiker werfen dem Konzern vor, immer nur das zuzugeben, was längst bewiesen ist. Volkswagen hatte angekündigt, die Ergebnisse der firmeninternen Selbsterkundung zu veröffentlichen und die Schuldfrage zu klären, vertröstet die Öffentlichkeit jedoch immer wieder.
Die ersten Analysen zeigen, dass der immense Schaden sich aus Regelverstößen auf allen Ebenen zusammensetzt und sich über Jahre zu der hoch toxischen Wolke zusammenbraute, die nun über dem Konzern hängt. Weder der firmeninterne "Code-of-Conduct" - also die eigenen Verhaltensregeln - noch das interne Compliance-Management-System konnten die betrügerischen Vorgänge verhindern. Welche Konsequenzen muss VW nun ziehen?
"Jedes Mal, wenn eine Regelabweichung in der Dimension bekannt wird, müssen Köpfe rollen. Das ist Teil der Selbstreinigung jeder Organisation, die so eine Skandalisierung durchläuft. Das heißt, man hat keine andere Wahl als so eine Personalisierung vorzunehmen. Das Interessante ist eher zu gucken, was sind die grundlegenden Prozesse, die dahinter stecken."
Erklärt der Bielefelder Organisationssoziologe Stefan Kühl. Er hat sich intensiv mit Regelabweichungen in Organisationen auseinandergesetzt. Sein nüchternes Fazit: Abweichungen von der Regel sind üblich - und sogar überlebenswichtig. Man sollte sie gar nicht völlig verhindern wollen.
"Dann wäre die Organisation blockiert. Es gibt keine effizientere Methode, um eine Organisation unfähig zum Handeln zu machen, als eben 'Dienst nach Vorschrift'. Das ist egal, welche Organisation Sie nehmen: Wir brauchen diese kleinen Anpassungen, diese kleinen Abweichungen, von denen alle Bescheid wissen, die aber nicht publik werden dürfen. Das ist notwendig, um ein gewisses Maß an Flexibilität zu produzieren, aber man braucht eben auch eine Sensibilität, wo die Grenzen dieser Abweichungen sind."
Neues entwickeln, experimentieren, kreativ sein. Manchmal aber einfach nur: Mit widersprüchlichen Anweisungen umgehen müssen. Bei all diesen Gelegenheiten sei oft nicht bis ins Detail abschätzbar, welche Risiken damit verbunden sind. Die große Herausforderung für alle Mitarbeiter und Organisationen sei deshalb:
"Dass Organisationen einmal ein Gespür dafür bekommen, dass diese Abweichungen Normalität sind, aber auf der anderen Seite auch es diskutierbar wird, wie man mit solchen Regelabweichungen umgehen kann und wie weit solche gehen können, das ist die hohe Kunst."
Zur Zeit läuft bei VW aber erstmal die Selbstreinigung auf Hochtouren. Von präventiver und ganzheitlicher Compliance ist die Rede. Das Ressort "Integrität und Recht" wurde auf Vorstandsebene neu geschaffen und mit der früheren Verfassungsrichterin und Daimler-Vorstandsfrau Christine Hohmann-Dennhardt prominent besetzt.
Wenn der Vorstand blockt, ist der Compliance-Officer chancenlos
Eine ihrer größten Herausforderungen: Die Führungskultur umzubauen. Bisher waren die Strukturen auf "Befehl und Gehorsam" ausgerichtet, streng hierarchisch von oben nach unten. Winterkorns Nachfolger Matthias Müller will es nun anders machen. Aber wie kann man - bei laufenden Ermittlungen wegen Betrugs - das gegenseitige Vertrauen fördern und glaubhaft vermitteln, dass nun eine andere Fehler- und Diskussionskultur herrscht?
"Wenn der Vorstand nicht mitspielt, können Sie als Compliance-Officer eigentlich einpacken. Die Geschäftsführung – übrigens auch die Aufsichtsräte – müssen mitspielen wollen und können."
Kathrin Niewiarra, Compliance-Expertin und Juristin aus Berlin.
"Ganz platt gesagt: Es sollte ein bisschen weniger homo oeconomicus sein – und mehr ehrbarer Kaufmann."
Inmitten der größten Krise hat der neue VW-Chef Matthias Müller den "größten Wandel" in der Konzerngeschichte ausgerufen. In der Hauptversammlung in Hannover stimmt der VW-Lenker das Publikum auf milliardenschwere Investitionen in batteriegetriebene Fahrzeuge und visionäre Geschäftsmodelle ein.
"Volkswagen wird ein weltweit führender Anbieter nachhaltiger Mobilität sein. Diese Vision beschreibt den Transfer unseres Führungsanspruches aus der alten Welt in die Mobilitätswelt von morgen."
Audi, Porsche und VW sollen den Markt mit einer Vielzahl smarter Elektromodelle beflügeln. In weniger als 15 Jahren soll jeder vierte Volkswagen, der vom Band rollt, ein Elektroauto sein. Die Wolfsburger, so lassen sie verlauten, denken sogar über die Produktion eigener Batteriezellen nach und wollen den Aufbau eines Ladenetzes forcieren – notfalls im Alleingang.
Bildlich gesprochen will Müller nach einem Neustart ordentlich Gas geben, zugleich beherzt auf die Bremse treten und das Steuer herumreißen – freilich ohne ins Schlingern zu geraten. Nicht alle Teilhaber, die das Geschehen über Großleinwände bei Currywurst und Getränken verfolgen, trauen ihm ein solches Manöver zu.
Müller und sein Aufsichtsratschef Hans-Dieter Pötsch lavieren durch die Krise. Was falsch lief, bleibt vorerst das Geheimnis der Vorstände und Aufsichtsräte - auf ihre millionenschweren Boni wollen sie dennoch nicht verzichten.
"Das ist ein Skandal, eine Frage der Moral und der Ethik, dass man immer noch die Hand aufhält, wo ein so großer Schaden entstanden ist!" / "Es ist ein schwerer und teurer weiter Weg, wo andere vielleicht schon weiter sind als Volkswagen." / "Ich mal davon aus, dass sie es schaffen. An VW hängt so viel dran, im Globalen gesehen. Das hoffe ich, dass das nicht kaputt gemacht wird."
Jens Hilgenberg ist Verkehrsexperte beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre hatte ihn eingeladen, die Pläne der Konzernführung zu bewerten.
"Wir würden uns das sehr wünschen auch für den Erhalt der Arbeitsplätze in Deutschland - allein mir fehlt der Glaube!"
Wo bleibt der Aufbruch in die neue Mobilität?
Was Hilgenberg vermisst, sind sichtbare Zeichen für den Aufbruch in die neue Mobilität. Ein solches Zeichen könnte VW mit der Auswahl der eigenen Modelle setzen, die von den zwölf Hausmarken in der Halle präsentiert werden – direkt neben den Großleinwänden, auf denen Pötsch und Müller vom Aufbruch schwärmen.
Hilgenberg lässt den Blick schweifen über Luxuskarossen von Bentley und Lamborghini, er mustert schwergewichtige Geländewagen mit Vier-Rad-Antrieb – doch ein Elektromobil sucht der Beobachter in dieser Leistungsschau vergeblich.
"Man hat immer wieder gezeigt, dass man technisch in der Lage ist, solche Fahrzeuge zu bauen. Aber man hat auch immer wieder gezeigt, dass man diese Fahrzeuge offensichtlich gar nicht verkaufen will. Die Modelle, die es schon in dem Bereich gab – der Elektro-up! und der Elektro-Golf – die standen wie Blei in den Läden!"
Der Diesel verkauft sich dagegen prächtig. Die Verkaufs- und Zulassungszahlen sind erstaunlich solide. Im Dunst von Dieselgate konnte der Konzern zuletzt sogar zulegen: Im ersten Halbjahr brachten die Wolfsburger weltweit mehr als fünf Millionen Fahrzeuge unter die Leute. Vor allem die Kernmarke findet zurück in die Spur – auch ein Grund, warum VW im ehrgeizigen Rennen der Weltmarktführer zuletzt wieder um einen Kühlergrill vor Toyota lag.
Nichts ist unmöglich! Das Schmuddelkind der Branche darf darauf hoffen, dass Menschen ihr Konsumverhalten eher unwillig und allenfalls schleppend ändern.
Auch wenn der Kauf eines Automobils nicht alltäglich ist – mit der Marke Volkswagen sind die Menschen seit jeher vertraut.
Kein Wunder: Generationen von Deutschen erfuhren im Käfer und im Golf erstmals den Rausch kaum begrenzter Beschleunigung. Da wurde auf großer Fahrt im Bulli kollektiv die Landlust ausgelebt. Alles rundete sich, während die Autos zuverlässig dahinknatterten. Auf den Rückbänken wurden Elchschilder verstaut, Joints geraucht, Kinder gezeugt. Lauter prägende Erlebnisse!
Ausgeprägte Markentreue bei Autokäufern
"Wir haben einige Forschung gemacht, wo beispielsweise Heritage eine ganz große Rolle spielt: Der Bulli, der uns damals 'hochgebracht' hatte - in Anführungszeichen - Wirtschaftswunder. Aber auch der Käfer – das sind alles Dinge, die tief drin stecken!"
Sagt Klaus-Peter Wiedmann, Professor für Marketing und Management an der Leibniz Universität Hannover. In der Causa Volkswagen spricht die Wissenschaft vom Sondereffekt einer ausgeprägten Markentreue:
Mit ihren betrügerischen Manipulationen hat die alte Liebe Volkswagen den Unglauben und das Unbehagen in die Beziehung gebracht. Wiedmann, der Fachmann für´s Hintergründige, empfiehlt nun eifriges Renovieren des Profils und der Fassade:
"Die Saat des Zweifels geht nicht auf, wenn jetzt wirklich massiv gearbeitet wird - und den Eindruck hat man bislang nicht gewonnen. Wenn man dann so hört: die Seilschaften, die man ja offensichtlich doch so nicht in den Griff bekommt, bei der Modellpolitik, Digitalisierung, mit E-Fahrzeugen die Dinge sehr schleppend vorangehen, Führungspersönlichkeiten in der Öffentlichkeit nun nicht gerade begeistert aufgenommen werden – das sind natürlich Aspekte die sehr gefährlich sind!"
Bei Volkswagen sind sie alle miteinander verflochten: Der Staatskonzern, an dem das Land Niedersachsen 20 Prozent der stimmberechtigten Stammaktien hält, wird wie ein mittelständisches Familienunternehmen von den Großaktionären Piëch und Porsche kontrolliert. Die mächtigen Eigentümerfamilien haben ihre VW-Anteile in der Holding Porsche SE gebündelt. Zugleich wird kein deutsches Unternehmen so sehr von der IG Metall mitbestimmt wie Volkswagen.
Wer das komplizierte Interessengeflecht bei VW verstehen will, muss zurück zu den Ursprüngen gehen. Das Werk wurde 1938 auf der grünen Wiese zwischen Hannover und Berlin gebaut.
Gebaut mit dem Geld der enteigneten Gewerkschaften
"Ich vollziehe diese Grundsteinlegung im Namen des deutschen Volkes! Das Werk soll entstehen aus der Kraft des ganzen deutschen Volkes und es soll dienen der Freude des deutschen Volkes!"
Was Hitler nicht sagte: Das Geld kam von den deutschen Gewerkschaften, die er kurzerhand enteignet hatte. Ein Staatsunternehmen, erbaut aus Arbeitergeld. Die engen Verflechtungen von Politik und Wirtschaft wirkten auch nach 1945. VW wurde zum Symbol für die deutsche Wirtschaft schlechthin.
"Wie die meisten Fabriken hierzulande, musste das Volkswagenwerk wie ein Phönix aus der eigenen Asche wieder auferstehen. Um die Produktion zu steigern und die Qualität zu verbessern, wurde die Tradition handwerklichen Könnens mit den Grundsätzen einer freien Wirtschaft und den Gesetzen des Fortschritts verschmolzen."
"Fünf Meilen westlich" aus dem Jahre 1958 ist eines dieser Filmdokumente einer vermeintlich längst vergangenen Zeit.
In seiner Auftragsarbeit für den Volkswagen-Konzern ruft Regisseur Konstantin Kalser die Autostadt Wolfsburg zum Sinnbild einer Gesellschaft aus, die sich aus eigener Kraft neu erschaffen kann.
Krisen musste Volkswagen auch in späteren Jahren bestehen. Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre oder in den 90er Jahren waren immer wieder zigtausende Arbeitsplätze bedroht.
"Gegen das erste Morgenlicht zeichnet sich diese Silhouette ab: Das Symbol des Wirtschaftslebens von Wolfsburg!"
Dieselskandal hat Belegschaft schwer erschüttert
Allein am Produktionsstandort Wolfsburg arbeiten heute 60.000 Menschen für Volkswagen. Der Dieselskandal hat die Belegschaft tief erschüttert. Viele sorgen sich um ihre Arbeitsplätze, fragen sich, wie es mit ihnen, mit VW weitergehen soll.
"Ich sehe Riesenchancen in der Krise! Ich habe mich selbst aktiv in der Krise für den Konzern entschieden, weil ich der festen Überzeugung war: Wenn ich jetzt in dieser Phase zu Volkswagen gehe, wird der Wille zur Veränderung größer sein als in anderen Unternehmen, die jetzt vielleicht auf einer Erfolgswelle reiten."
Johann Jungwirth spricht lieber vom Neustart als von der Krise; von Innovationen, die unsere Vorstellung vom Automobil und von der Mobilität an sich von Grund auf verändern werden. Der ehemalige Daimler- und Apple-Manager hat lange im Silicon Valley gearbeitet.
Seit einem halben Jahr ist der dynamische Jungmanager oberster Digitalstratege bei Volkswagen. Jungwirth, 43, offenes Hemd, gewinnendes Lächeln, empfängt die Besucher in der Abgeschiedenheit einer ehemaligen Gießerei auf dem Wolfsburger Werksgelände. Wo einst Funken flogen und Dämpfe waberten, entsteht gerade die Schmiede der Zukunft: eine lichte Bürowelt.
Die monumentalen Bildschirme unter den Designerleuchten geben Grafiken, Skizzen, Tabellen aus.
"Es gefällt mir sehr gut! Es erinnert mich ans Silicon Valley: so eine alte Werkshalle mit total coolem Flair! Es ist offen, es ist transparent, wir sind alle nahbar, erreichbar, jederzeit verfügbar…"
Die Wettbewerber heißen Apple, Uber oder Tesla
Der Chefstratege preist den Ehrgeiz seines Entwicklerteams. Was ihn bewegt, ist die Herausforderung, ein reifes Produkt wie das Automobil mit seiner 130-jährigen Geschichte von Grund auf neu zu denken:
"Das Automobil wurde 1886 erfunden. Und da gab es den Umstieg eben vom Pferd aufs Auto. Und jetzt wird es soweit sein, dass wir die erste Neuerfindung des Automobils erleben werden und selber im Prinzip im driver seat gestalten dürfen. Und das ist einmalig!"
Wettbewerber wie Apple und Uber tüfteln längst an eigenen Systemen – und drohen den klassischen Automobilbauern mit ausgefallenen Designlösungen und Elektroantrieben zuvorzukommen. Google lässt seit 2009 kugelförmige Roboterautos durch das Silicon Valley rollen. Das relativ kleine Start up Tesla hat sich nach zehnjähriger Startphase zu einem der Marktführer bei Elektroautos aufgeschwungen.
Jungwirth sieht die amerikanischen IT-Unternehmen mehr als Partner bei einer Jahrhundertaufgabe, denn als Rivalen, die nur das Knowhow absaugen und kluge Köpfe abwerben. In diesem Kontext sei auch VWs 300 Millionen Dollar teurer Einstieg beim israelischen Fahrdienstvermittler Gett zu verstehen.
"Wir bauen die besten Autos der Welt - und da müssen wir uns auch nicht verstecken! Wir arbeiten heute mit Google zusammen und haben Android Auto integriert, wir arbeiten mit Apple zusammen und haben Apple Carplay integriert. Wir haben dort sehr gute Beziehungen und ich bin der festen Überzeugung, dass wir auch hier schauen sollten, dass wir die Stärken kombinieren, dass wir damit Mobilität demokratisieren."
Nach der Vision der Automobilindustrie sollen die ersten vollautonomen Stromer bereits in drei bis fünf Jahren auf den Markt kommen. Ganze Flotten solcher selbstfahrenden Fahrzeuge mit Batterieantrieb schweben Jungwirth vor. Sie stehen nicht mehr ungenutzt auf Parkplätzen, sondern lassen sich per Smartphone oder Tablet anfordern. Mit künstlicher Intelligenz transportieren sie die Insassen dann zu jedem beliebigen Einsatzort:
"Das Auto der Zukunft wird auf jeden Fall voll elektrisch fahren. Es wird autonom fahren können. Und dann steigt man dort ein… und es wird ein Modell geben als Sofa und als Lounge. Es wird ein Modell geben mit meinem Home Office oder vielleicht ein Kinosaal - was auch immer man sich vorstellen kann!"
Autos sollen mit künstlischer Intelligenz fahren
Der Mobilitätsmarkt der Zukunft ist ein Milliardengeschäft – und die kreative Phantasie kennt offenbar keine Grenzen.
Das sieht bei den Mitteln für Forschung und Entwicklung ganz anders aus. Noch kann niemand seriös beziffern, was VW der Betrug an 11 Millionen Diesel-Käufern weltweit letztlich kosten wird. In den USA – mit rund 500.000 Autos ein kleiner Markt - haben Strafjuristen und Anwälte viel herausgeschlagen. VW muss Autos zurückkaufen oder umbauen, je nachdem was die Kunden wollen – dazu kommen Entschädigungen. Auf mindestens 15 Milliarden Dollar beläuft sich der Vergleich.
VW muss also auch finanziell einen extremen Spagat schaffen: Zugleich Milliarden sparen - und Milliarden in die Zukunft investieren. Kein Wunder, dass solche Nachrichten für Unruhe in den VW-Belegschaften sorgen. Die 600.000 VW-ler weltweit, 110.000 davon allein in Niedersachsen, wollen nicht ausbaden, was wenige verursacht haben.
"Wir haben gelernt, dass, wenn man erst einmal mit den roten Fahnen um den Betrieb läuft, um die Standorte und die Beschäftigung zu sichern, man zu spät kommt."
Ortswechsel. Wir sind in Braunschweig. Im ältesten VW-Werk fertigen rund 7000 Mitarbeiter im Schichtbetrieb Komponenten für die Hausmarke – darunter auch die Batterien für die Elektro- und Hybridmodelle von Golf, Up! und Passat.
Uwe Fritsch ist hier in Braunschweig der oberste Betriebsrat. Der einflussreiche Gewerkschafter von der IG Metall will - besser: muss - an den Wandel glauben. Denn schon länger ist klar: Nur mit Blech verbiegen lässt sich auf Dauer kein Geld mehr verdienen:
"Wenn Sie eine Steigerungsrate von jährlich rund einer Million Fahrzeugen hatten, wenn dort sehr erfolgreich diese klassischen Modelle in den Markt gebracht worden sind – manchmal geraten dann solche zukünftigen strategischen Fragen in den Hintergrund. Ich bin aber sicher, dass wir jetzt die Kraft haben, diesen Transformationsprozess noch hinzubekommen."
Entscheidend für das Gelingen ist, ob die Braunschweiger es schaffen, den Vorsprung asiatischer Technologie in Sachen Batterie einzuholen. Das Herz einer Batterie ist ihre Zelle. Von ihr hängt ab, wie weit die Ladung reicht und wie lange sie lebt. Die Zellen kommen mittlerweile aus Japan, Südkorea oder China. In Braunschweig werden sie derzeit verkabelt und mit einem selbst entwickelten Steuerungsprogramm verbunden. Der Konkurrent Daimler stieg im vorigen Jahr aus der Batteriezellenfertigung aus. Wenn es hierzulande noch irgendwo Knowhow rund um Batterien gibt, dann hier in Braunschweig.
"Wir haben in Braunschweig bittere Erfahrungen gemacht, wenn man Trends verschläft. Wir waren ja mal der Hort der Fotoindustrie mit Rollei und Voigtländer – der ein oder andere wird es noch kennen… Es gibt heute keinen einzigen mehr, der in der Fotoindustrie in Braunschweig arbeitet. Das ist für mich das Beispiel: Wir werden mit den besten Automobilen dieser Welt und mit den tollsten Spaltmaßen die Zukunft nicht gestalten!"
Ungeachtet des jüngsten tödlichen Unfalls hat Tesla unlängst ein drittes Elektromobil angekündigt, das mit einem Schnelladesystem ausgerüstet 340 Kilometer zurücklegen soll. Der amerikanische Tech-Konzern investiert bereits Milliarden in eine eigene Zellproduktion. Als Lokalpatriot und Betriebsrat mit Weitblick warnt Fritsch eindringlich davor, noch lange abzuwarten. Eine Chance für den Wiedereinstieg sieht er bei der nächsten, leistungsstärkeren Batteriegeneration:
"Das Thema Reichweite, Zellchemie, die Frage der Lebensdauer der Zelle können wir doch nur machen, wenn wir diese Schritte mitmachen. Man muss auch entscheiden: Macht man es selber?"
Der Aufbau einer eigenen Zellfertigung wird Jahre dauern, Milliarden kosten und wohl nur in einer gemeinsamen Aktion der deutschen Autobauer und Zulieferer möglich sein.
Nur 12.363 Elektroautos wurden 2015 in Deutschland zugelassen
Ob die deutschen Autobauer die smarten Zellen künftig im eigen Land fertigen können, hängt von den Stückzahlen ab – und die schlichte Realität ist ernüchternd: Gerade einmal 12.363 Elektroautos wurden im Vorjahr in Deutschland zugelassen.
Nicht nur VW, auch die Bundesregierung hatte weit ehrgeizigere Ziele verkündet: Eine Million E-Autos sollen bis 2020 in Deutschland fahren. Fritsch nennt es beschämend, wie die Bundesregierung mit ihrem selbst gesteckten Ziel umgeht:
"Wir können ja nur froh sein, dass noch nicht mehr Menschen ein Elektrofahrzeug laden wollen. Wo sollten sie es tun? Im Hochhaus mit 25 Parteien? Jeder schmeißt seine Kabeltrommel über den Balkon und schließt sein Auto an? Das kann es ja nun nicht wirklich sein!"
Zurück nach Wolfsburg. Hier in der Braunschweiger Straße 10 wurde 2012 die e-Mobility-Station eingerichtet. Auf den ersten Blick sieht sie wie eine ganz gewöhnliche Tankstelle aus.
Beim Näherkommen wird klar: Hier stehen ausschließlich Elektro-Zapfsäulen. An diesem Nachmittag parkt nur ein e-Up! auf dem Gelände, es ist der Dienstwagen der Betreiber.
"Wir sind die erste kompakte Elektro-Tankstelle in Deutschland, in Europa – und wir können hier Fahrzeuge mit Strom laden."
Sagt Jörg Rohde. Er hat gerade Dienst - aber trotzdem Zeit für ein Gespräch. Denn was fehlt, ist Kundschaft.
Die Station ist ein Vorzeigeprojekt der Wolfsburg AG, die zur Wirtschafts- und Strukturförderung gegründet wurde. Noch docken hier nur wenige Autos an:
"Wir haben heute schon zwischen 20 und 25 Lade-Vorgänge pro Tag!"
Die dauern je nach Steckverbindung und Ladesystem zwischen einer halben- und mehreren Stunden. Aufgeladen werden nicht nur VW-Modelle, sondern auch die der Konkurrenz:
"Tesla ist momentan in aller Munde. Wir haben hier ganz viele Gäste mit dem Model S, die hier das Auto laden. Es ist ein gelungenes Fahrzeug, das muss man neidlos anerkennen!
An diesem Beispiel wird deutlich: VWs Kaltstart in die Zukunft kommt spät, vielleicht zu spät. Und nicht nur VW, sondern die gesamte deutsche Automobilbranche hat gemeinsam mit der Politik zu lange auf die falsche Karte gesetzt.
Der Dieselskandal und seine milliardenschwere Bewältigung sind eine Hypothek, die so schnell nicht zu tilgen ist. Justiz- und Umweltbehörden von US-Bundesstaaten bis zum Freistaat Bayern: Immer neue Klagewellen rollen auf Volkswagen zu.
Am Anfang stand der Betrug. Jetzt geht es um Milliarden, um Existenzen, letztlich um die Zukunft des Konzerns!