Aufbruch in Kamerun

Junge Unternehmer, greiser Herrscher

24:02 Minuten
Eine Frau in bunter afrikanischer Kleidung und ein Mann mit weißem Hemd und schwarzer Anzughose halten in einem Büro ein Schild hoch, auf dem ihre Ausbildungsort beworben wird.
Stolz zeigen Landwirtin Chakdang Bibiane und Solarinstallateur Sissianou Nana Maxim ein Schild ihrer Ausbildung im Jugendzentrum der Stadt Ngaoundéré im Norden Kameruns. © Susanne Lettenbauer
Von Susanne Lettenbauer |
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Seit 1982 ist Paul Biya Präsident in Kamerun. Seine Herrschaft steht im Kontrast zur sehr jungen Bevölkerung, die sich befreien will aus den verkrusteten politischen Strukturen. Sie strebt nach Gleichberechtigung, Wohlstand und Demokratie.
In der Designschule von Yaoundé herrscht Aufbruchsstimmung. In der kleinen Villa inmitten eines ärmlichen Viertels von Kameruns Hauptstadt diskutieren junge Modedesigner und Designerinnen aus dem ganzen Land. Sie gehören zur aktuellen Meisterklasse und träumen von den Laufstegen dieser Welt. So wie Julie: "Ich arbeite seit zwei Jahren als Stylistin, habe die Modeschule besucht und arbeite jetzt seit einem Jahr als Designerin", erzählt sie.
Die junge, schmale Frau steht vor einem Laptop. Gemeinsam mit anderen jungen Designern versucht Julie, die BWL-Grundlagen für ein erfolgreiches Modeunternehmen zu verstehen.
In langen Excel-Tabellen stehen Zahlenkolonnen, die ihr den effektiven Aufbau eines eigenen Labels ermöglichen sollen. "Das ist wirklich möglich", ist sie sich sicher. "Durch die Meisterklasse können wir uns besser präsentieren, unsere Labels, unsere Fähigkeiten ausbauen und sichtbarer werden. Wenn über unser Land gesprochen wird, oder generell über Afrika, hilft das enorm. Warum sollte man dann nicht auch in einem anderen Land Erfolg haben? Warum nicht auch in Paris zum Beispiel? Das wäre natürlich wunderbar."

Traum von eigenem Label in Kamerun

Julie zeigt mir ihre Entwürfe für die derzeit laufende Meisterklasse: lange Kleider, Cocktailkleider und Oberteile, eine Mischung aus strengen, geraden Konturen, gepaart mit den kraftvollen blauen, roten oder gelben Farben und typischen Mustern Kameruns.
Eine Gruppe junger Design-Studentinnen und Studenten in stylischer Kleidung steht zusammen vor einem Holzbau und schaut in die Kamera. Links am Rand steht die deutsche Reporterin Susanne Lettenbauer.
Schülerinnen und Schüler aus der Meisterklasse der Designschule von Kameruns Hauptstadt Yaoundé. Einige wollen nach Paris, andere in Kamerun ihr Label aufziehen. Ganz links steht Reporterin Susanne Lettenbauer.© Susanne Lettenbauer
Auch dabei ist Machia Djam Muhammad. Er will sich auf Herrendesign spezialisieren. Auf seinem Smartphone zeigt er einige Entwürfe, für Uniformen und teils gewagte Oberteile. „Wir haben in der Modebranche in Kamerun eine enorme Qualität", sagt er. "Um mein Business gleich von Anfang an gut aufzustellen, habe ich mich hier beworben." Aber es sei gar nicht so einfach, richtig durchzustarten. "Gemeinsam mit den anderen Teilnehmern können wir Ideen umsetzen. Warum also nicht auch für die Laufstege der Welt. Wir haben das Potenzial.“
Anders als sein Vorbild, der Kameruner Modeschöpfer Imane Ayissi, will der selbstbewusste junge Mann im schwarzen Outfit nicht ins Ausland gehen, nach Paris oder New York, sondern von Kamerun aus sein Label aufbauen. „Ich möchte von hier arbeiten", ist er sich sicher. Er habe bereits in Belgien und der Türkei studiert, konnte viel herumreisen und sich Boston, Harvard, auch Deutschland anschauen. "Ich möchte hierbleiben und Investoren nach Kamerun holen. Mit den richtigen Leuten kann man hier viel bewegen.“
Mode „Made in Kamerun“, das heißt für die jungen Leute auch: Mode „Made aus einheimischen Stoffen“. Aber das ist schwieriger geworden, seit viele Textilfabriken aufgrund der Billigware aus China schließen mussten, und so fehlen auch den Baumwollbauern aus dem Norden Kameruns die Abnehmer.

Umkämpfte Ausbildung im Norden

Kein Wunder, dass sich in der Region die Terrororganisation Boko Haram schon niedergelassen hat, um junge, frustrierte Männer anzuwerben. Deshalb braucht es gerade hier Alternativen, wie in der Stadt Ngaoundéré, in der Sissianou Nana Maxim wohnt. „Der Kurs hier für Jugendliche hat mir wirklich geholfen, eine Ausbildung abzuschließen", erzählt sie. "Wir konnten uns hier verschiedene Bereiche aussuchen, was wir lernen wollten, um hinterher eine Arbeit zu finden. Sehr viele Leute suchen hier oft vergebens einen Job.“
Der junge Mann hat sich getraut und beworben, um eine Ausbildung im Jugendzentrum von Ngaoundéré im Norden Kameruns. Dort konnte er zwischen 22 unterschiedlichen Branchen wählen: E-Commerce, Landwirtschaft, Logistik... Er entschied sich für erneuerbare Energien. Der frischgebackene Solarinstallateur arbeitet jetzt hier in der Regionalhauptstadt an zwei Solarprojekten. In der Region sei die Solartechnik noch "etwas relativ Neues", sagt er. "Die Leute kennen es nicht besonders gut. Es ist noch nicht weit verbreitet." Deshalb habe er die Ausbildung ausgewählt. "Es ist ein Zukunftsmarkt. Das hilft, um unabhängig zu werden.“

Noch viel Potenzial für Solarstrom

Wie viele der jungen Menschen vertrieb sich Sissianou die Zeit nach der Primarschule mit Gelegenheitsjobs. Der heute 29-Jährige konnte die weiterbildende Schule nicht besuchen, aus finanziellen Gründen. Einen festen Arbeitsplatz fand er auch nicht. Die sind Mangelware in den nördlichen Provinzen Kameruns.
Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Hinzu kommt die zunehmende Trockenheit, die immer mehr Menschen aus der Sahelzone – rund 200 Kilometer nördlich – hierhin nach Ngaoundéré flüchten lässt. Der Klimawandel zeigt sich in der Region sehr genau. Trotzdem muss Sissianou, wenn er Solarpaneele installiert, noch vieles erklären. „In unserer Region Adamaoua muss man die Leute noch von der Bedeutung der Solartechnik überzeugen. Wir zeigen ihnen, wie man Solarpaneelen auf den Privathäusern nutzen kann, aber auch für Vereinshäuser und andere Gebäude.“
Sissianou hat eine große Aufgabe vor sich. Derzeit liegt der Anteil von Erneuerbaren Energien am Energie-Mix von Kamerun bei gerade einmal einem Prozent.

Bürgermeister klagt über Zentralregierung

Die Regierung des Landes müsse handeln, in vielen Bereichen, tue aber wenig – vor allem für die Jüngeren, sagt der Bürgermeister der Regionalhauptstadt Ngaoundéré. „Die Situation der Jugendlichen ist hier wie in ganz Kamerun schwierig. Deshalb sind wir froh über diese Ausbildungsinitiative.“
Abana Idrissou lädt in seinen Empfangsraum ein. Durch die Fenster kann man die langgestreckten Hügel rund um die Stadt sehen. Wegen der Regenzeit sind die Berge sattgrün. Idrissou gehört der Oppositionspartei UNDP an, der Nationalen Union für Demokratie und Fortschritt. Auf großen Plakaten sind die Erfolge seiner Partei dargestellt: eine neue Schule, die Ausbesserung von Straßen, Förderung benachteiligter Jugendlicher – und das in Eigenregie.
Bürgermeister Abana Idrissou steht in einem langen weiß-blauen Gewand im Flur vor zwei Schautafeln.
Abana Idrissou ist Bürgermeister der Regionalhauptstadt Ngaoundéré im Norden Kameruns und kritisiert die Zentralregierung.© Susanne Lettenbauer
Die Zentralregierung in Kameruns Hauptstadt Yaoundé habe längst den Kontakt zu den Menschen, zu ihren Bedürfnissen und Problemen in den zehn Regionen des Landes verloren. „Wir sind eine Region der Opposition. Hier regiert die UNDP. In der Hauptstadt regiert die Einheitspartei RDPC", erklärt der Bürgermeister. "Die Zentralisierung hilft uns hier überhaupt nicht. Wir müssen uns hier selbst um unsere Entwicklung kümmern. Präsident Biya weiß nicht, was hier los ist. Wir kümmern uns selbst um die Straßen, um die Schulen, um die Verwaltung."

Gespalten in frankofonen und anglofonen Teil

Das zeigt: Kamerun ist längst gespalten, in den englischsprachigen Norden an der Grenze zu Nigeria und in den französischsprachigen Teil, dominiert von der Zentralregierung.
Die beschloss vor fünf Jahren, nur noch französischsprachige Urteile an den Gerichten zu akzeptieren und auch an den Schulen nur noch einen französischen Lehrplan anzubieten. Seitdem hat sich die Situation massiv verhärtet.
Über 3000 Tote hat der Konflikt bislang auf beiden Seiten gefordert. Hunderttausende Binnenflüchtlinge sind aus den englischsprachigen Gebieten geflohen. Hier sei die Lage noch vergleichsweise gut, meint Oppositionsbürgermeister Abana Idrissou: „Die Situation hier bei uns in Ngaoundéré ist nicht vergleichbar mit der in den Boko-Haram-Gebieten in Süd- und Norwestkamerun. Hier achten wir darauf, dass die Kinder in die Schule gehen und einen Abschluss machen." Das hätten sie als Oppositionspartei bei der Wahl 2018 versprochen. "Vorher bestimmten oft nur die Väter über den Schulbesuch, aber das haben wir abgeschafft. Wir achten darauf, dass die Kinder immer betreut sind, im positiven Sinne, und nicht auf schlechte Gedanken kommen. Bei uns kümmern wir uns um sie.“

Seit fast 40 Jahren regiert Paul Biya

600 Kilometer weiter südlich in der Hauptstadt Yaoundé regiert seit fast 40 Jahren Präsident Paul Biya. 1982 gewann er zum ersten Mal die Wahlen, seitdem ist er an der Macht in Kamerun und setzt unbeirrt auf einen Zentralstaat.
Porträt von Kameruns Präsident Paul Biya
Alle sieben Jahre wird in Kamerun ein neuer Präsident gewählt. Seit den 80er-Jahren gibt es dabei stets den gleichen Sieger: Paul Biya.© imago / panoramic / Gerard Roussel
Zum Ärger der gut 300 Oppositionsparteien im Land, deren Politiker und Politikerinnen nur auf einen Wechsel warten. Aber der 88-Jährige macht weiter und ließ sich, mit großem internationalen Medieninteresse, zuletzt 2018 wählen – trotz Manipulationsvorwürfen. "Ich fühle mich traurig", sagte Herausforderer Maurice Kamto von der größten Oppositionspartei Bewegung für die Wiedergeburt Kameruns (MRC). „Dieses Wahlergebnis ist einfach Fake, basierend auf Fake-Zahlen." Es spiegele überhaupt nicht die Situation im Land wider. "Wir müssen sehen, was wir jetzt unternehmen können, aber wir vertrauen der Kameruner Bevölkerung, dass sie weiß, wie sie Widerstand leisten kann.“

40 Prozent der Bevölkerung unter 15 Jahren

Die Lage in Kamerun grundlegend verändern wollen 30 Jungpolitiker und Politikerinnen aus allen zehn Regionen Kameruns, die sich an diesem Tag in Yaoundé für einen Workshop treffen. Ihre Analyse ist klar: „Das größte Problem, was wir in Kamerun haben, ist, dass die Demokratie nicht respektiert wird, verstehen Sie?", sagt einer von ihnen. "Man redet zwar von Gesetzen und von Demokratie, aber alles erinnert mehr an eine Monarchie. Um hier etwas zu verändern, müssen wir erst einmal wieder demokratische Verhältnisse herstellen.“
In Kamerun leben etwa 28 Millionen Menschen. Wobei rund 40 Prozent der Bevölkerung jünger als 15 Jahre ist. Aber die Stimme dieser Jüngeren wird kaum gehört. Also wollen sie sich organisieren, weiterbilden, um effektive politische Arbeit zu leisten.
Wie hier bei diesem Workshop, wo sie lernen wollen, besser in politischen Diskussionen zu kommunizieren, um mehr Menschen für ihre Anliegen zu gewinnen. Vor allem eine neue Generation von Frauen in Kamerun meldet sich nun dezidierter zu Wort, um die durch Männer geprägten Strukturen zu sprengen.

Erste Friedenskonvention Kameruns

Aktiv seit 2018 ist auch die Frauen-Initiative „South West/North West Women's Task Force“. Sie hat sich gegründet, um das Töten von Zivilisten, Frauen und Mädchen zu stoppen. Sie leiden vor allem durch den Konflikt, der Hunderttausende Binnenflüchtlinge hervorgerufen hat. Wer bleibt, muss meist die getöteten Männer betrauern. Allein im Haus, haben dann einige angefangen zu twittern. So ging es los mit der Initiative, die sehr präsent in sozialen Medien auftritt.
Vertreterinnen waren auch im Juli bei der ersten Friedenskonvention in der Geschichte des Landes. 1500 Frauen aus allen Regionen und Gesellschaftsschichten kamen: von der Hausfrau bis zur Polizistin. Sie tauschten ihre Erfahrungen aus und riefen gemeinsam zum Frieden auf.

Als Frau eine eigene Firma gründen

Zurück im Jugendzentrum von Ngaoundéré: Aufbruch im Kleinen versprüht hier auch Chakdang Bibiane. Die junge Unternehmerin erzählt über ihre Entscheidung „Landwirtschaft“ als Ausbildungsfach zu wählen, um jetzt ihre eigene Hühnerfarm aufzumachen: „Ich habe tatsächlich schon Gebäude und ein Stück Land. Jetzt suche ich noch Angestellte und kämpfe für die Finanzierung, um endlich zu starten und ein eigenes Einkommen zu haben.“
Später erklärt sie, wie schwer es für eine Frau in Nordkamerun ist, eine eigene Firma aufzubauen. Traditionell ist der Norden Kameruns muslimisch geprägt, viele Männer heiraten mehrere Frauen. Die verlassen das Haus nur selten. Noch.
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