Kampf der Grünen um das Kanzleramt

"Spezialisten im Versemmeln bester Wahlkampfchancen"

09:54 Minuten
Die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock steht an einem Tisch und schaut nach oben, im Vordergrund unscharf und von hinten Olaf Scholz, Kanzlerkandidat der SPD.
Im Kampf um das Kanzleramt sei nicht Olaf Scholz (SPD) das größte Problem für Annalena Baerbock, meint Wolfram Weimer. © picture alliance/dpa/Kay Nietfeld
Wolfram Weimer im Gespräch mit Anke Schaefer |
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Klares Profil, hohe Umfragewerte: Annalena Baerbock könnte die erste Bundeskanzlerin der Grünen werden. Doch der Publizist Wolfram Weimer sieht Hürden: das Image als Verbotspartei und die offene Frage einer künftigen Koalition.
Im ersten Rededuell mit ihrem SPD-Konkurrenten Olaf Scholz habe Annalena Baerbock einen "sehr guten Auftritt" hingelegt, findet der Publizist Wolfram Weimer. Die Kanzlerkandidatin der Grünen sei sympathisch und strahle eine "gewisse Coolness" aus. Doch auch Scholz habe sich gut geschlagen. "Das Problem für Annalena Baerbock ist ein anderes", so Weimer. "Es ist ein bisschen wie vor vier Jahren mit Martin Schulz."
Wolfram Weimer im Porträt
Der Publizist und Verleger Wolfram Weimer© imago / Klaus W. Schmidt
Dabei geht es nach Ansicht des früheren Cicero-Chefredakteurs nicht nur um einen "Hype" und eine große "Fallhöhe", die Baerbock mit dem früheren SPD-Kanzlerkandidaten teile. Entscheidend sei vielmehr die Option auf eine grün-rot-rote beziehungsweise rot-rot-grüne Koalition: "Schulz hat das damals nicht ausgeschlossen. Das hat ihn im Grunde genommen die Wähler der Mitte gekostet."

Getragen von einer Welle klimapolitischen Bewusstseins

Baerbock werde von der "Welle eines klimapolitischen Bewusstseins" und dem Wunsch nach einem Neubeginn nach 16 Jahren Angela Merkel getragen, so Weimer. Aber: "Die Grünen waren schon in den beiden letzten Bundestagswahlkämpfen ein halbes Jahr davor mit unglaublich hohen Umfragewerten unterwegs und sind dann Spezialisten im Versemmeln bester Wahlkampfchancen gewesen."
Es komme darauf an, wie konkret ihre politischen Forderungen werden, sagt Weimer. Wenn Baerbock Steuererhöhungen auf Benzin oder Flugreisen fordere, dann gebe es eine "Widerständigkeit in der Bevölkerung", prognostiziert er. "Das ist das Dilemma, das Frau Baerbock im Moment hat."
"Der politische Kampf geht um den Instrumentenkasten, er geht gar nicht um das Ziel", betont Weimer. Im Ziel, mehr Klimaschutz zu erreichen, seien sich alle Parteien bis auf die AfD einig. Bei den Instrumenten sei das anders: "Da haben die Grünen das Problem, mit dem Makel der Verbotspartei und Besteuerungspartei zu leben. Das wird ihnen natürlich auch immer wieder vorgehalten."
(bth)

Wolfram Weimer ist Verleger und Publizist. Er war Chefredakteur der Welt und der Berliner Morgenpost sowie des von ihm gegründeten Politik-Magazins Cicero und des Nachrichtenmagazins Focus.

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