Kampf der Kulturen

Von Jochen Thies |
Hinterher ist man oder sind die allermeisten schlauer. So lässt sich die Lage beim Streit um die Mohammed-Karikaturen zwei Wochen nach seinem eruptiven Ausbruch am besten umschreiben. Natürlich ist dabei auch eine Menge Heuchelei, politisches Taktieren und Moralisieren im Spiel. Aber richtig ist zweifellos, dass nun eine Phase des Nachdenkens erforderlich ist, um die aufgebrachten Gemüter in der muslimischen Welt zu beruhigen und am Ende einen Dialog der Kulturen in Gang zu setzen, der länger anhält und nicht nur vorübergehende Medienbedürfnisse befriedigt.
Bevor die nachdenklichen Töne in der Debatte einsetzten, die die Karikaturen einer dänischen Provinzzeitung ausgelöst hatten, dominierte zunächst der Gedanke der Pressefreiheit, die es unter allen Umständen zu verteidigen gelte. Daran ist eine Menge richtig. Denn es darf nicht zur Selbstzensur der Medien in der Demokratie kommen. Aber das Wort Pressefreiheit besteht aus zwei Teilen und zur Freiheit gehört immer auch, dass sie ihre Spielräume bedenken muss, dass Freiheit nicht grenzenlos sein kann.

Genau daran – an grenzenlose Freiheit - haben wir Europäer uns gewöhnt, mehr als die Amerikaner, die interessanterweise bei den Massenprotesten, die es zwischen Marokko und Indonesien gab und die glücklicherweise nun abebben, ausgespart blieben. Und wer im Urlaub an fernen Plätzen einen Fernsehsender anschaltet und deutsche oder andere europäische Fernsehprogramme über die Mattscheibe flimmern sieht, schämt sich gelegentlich dieser Freiheiten. Ein gläubiger Moslem oder Mitglied einer nichtchristlichen Religionsgemeinschaft muss Europa für den verkommendsten Platz der Welt halten, hielte er sich an das, was im Privatfernsehen über den Äther geht. Und Fernsehen, vergessen wir das nicht, ist an vielen Orten auf der Welt das Maß aller Dinge, da es andere Möglichkeiten zur Information nicht gibt.

Und das ist das neue und gefährliche an der Lage: Der Protest der Muslime betrifft nicht nur die Dänen, die zu tausenden ihren Winterurlaub stornieren mussten. Er richtet sich gegen Europa. Quasi durch die Hintertür kommt nach den im Sande verlaufenden Debatten um die so genannte "Leitkultur" oder Multikulturalität, Deutsch auf dem Schulhof die Frage an uns zurück, wer wir sind und welche Werte wir vertreten. Im Grunde genommen verlangen die, die ob gelenkt oder aus eigenem Antrieb in den Palästinensergebieten, in Teheran oder in Kabul auf die Straße gingen und Auslandsvertretungen und staatliche Symbole Europas in Brand steckten, eine moralische Antwort. Mit Entschuldigungen, mit Bedauern darüber, dass diese Karikaturen, die religiöse Gefühle verletzten, ab- oder nachgedruckt wurden, lässt sich die Angelegenheit nicht aus der Welt schaffen.

Die Europäische Gemeinschaft, Brüssel haben es bislang vorgezogen, sich öffentlich nicht vor die Dänen zu stellen, die in vielen Gegenden der Welt nun die Erfahrung machen, die die Amerikaner bislang sammelten, unbeliebt bis verhasst zu sein, weil sie als Repräsentanten einer Supermacht angesehen werden. In den Augen der Dritten Welt sind auch die Europäer eine große Macht. Es ist an der Zeit, diesen Umstand in Rechnung zu stellen und sich darauf zu besinnen, dass Europa bei diesem Konflikt eine Menge von Vorteilen auf seiner Seite hat. Denn es muss ihn friedlich lösen angesichts von knapp 20 Millionen von Muslimen, die in der EU leben. In den sechziger Jahren waren es übrigens erst 180.000.

Es gab schon einmal eine lange Zeit des friedlichen Dialogs zwischen Europäern und Muslimen. Die Spuren dieses Dialogs sind noch heute im südlichen Spanien und in Sizilien zu besichtigen. Man muss nur in Erinnerung rufen, worüber damals gesprochen wurde, vermutlich haben sich die Themen nicht geändert, vor allem das Hauptthema Toleranz und man sollte sich einmal den Dom im sizilianischen Cefalù anschauen, den arabischen Baumeister errichteten und mit ihren Ornamenten versahen.