30 Jahre "Kampf der Kulturen"
Antiker Kampf zweier Kulturkreise: Der Athener Theseus tötet das Ungeheuer Minotaurus und macht damit den Menschenopfern für den grausamen König Minos von Kreta ein Ende. © picture-alliance / ZB / Frank Baumgart
Huntingtons einfache Thesen für eine komplexe Welt
Vor 30 Jahren erschien Samuel P. Huntingtons Aufsatz "The Clash of Civilizations?", aus dem ein weltweiter Bestseller wurde. Weshalb sorgte seine These vom "Kampf der Kulturen" für so viel Ärger und Widerspruch? Wo lag der US-Amerikaner richtig?
1996 erschien Samuel P. Huntingtons Buch „The Clash of Civilizations“. Es ging zurück auf einen Aufsatz, den Huntington im Sommer 1993 in der Zeitschrift „Foreign Affairs“ veröffentlicht hatte. Auf dem deutschen Markt war sein Werk unter dem nicht präzis übersetzten, suggestiven Titel „Kampf der Kulturen“ zu bekommen. Das Buch wurde ein Weltbestseller.
Das Publikum liebte Huntingtons Komplexitätsreduktion einer globalisierten Welt, die Fachwelt lehnte sie in großer Mehrheit ab. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 erklomm Huntingtons Buch in den USA zum zweiten Mal die Bestsellerlisten.
Auch als anschließend der Versuch scheiterte, den Irak per Invasion zu demokratisieren, wurden seine Thesen erneut diskutiert, und nochmals nach dem Erstarken des "Islamischen Staats".
Wer war Samuel P. Huntington?
Der 1927 in New York geborene Wissenschaftler und Politikberater lehrte fast 60 Jahre an der Harvard University. Er befasste sich vor allem mit Militär- und Außenpolitik im globalen Rahmen.
Als Professor der Politikwissenschaften an der Eliteuniversität war er seit 1978 Direktor mehrerer Institute für internationale Beziehungen und strategische Studien. Huntington wurde im Kreis der Friedens- und Konfliktforscher dem Lager der "Realisten" zugeordnet, die als Grundlage der Durchsetzungskraft eines Staates die maximale Entfaltung wirtschaftlicher und militärischer Potenz ansehen.
Einem breiten Publikum wurde Huntington 1996 durch "The Clash of Civilizations" bekannt ("Kampf der Kulturen"). Ein weiteres Buch von ihm, das auch in deutscher Sprache zu lesen ist, erschien 2004: "Who are We? Die Krise der amerikanischen Identität". Huntington starb 2008 im Alter von 81 Jahren.
Kein kalter Krieger
Huntington sei kein Provokateur gewesen, sagt sein deutscher Kollege Bassam Tibi, der ihn seit 1982 kannte und ebenfalls in Harvard lehrte. Er sei ein "toller Konfliktforscher" und sehr toleranter Mensch gewesen, bescheiden und zurückhaltend.
Die ungeheure Wirkung seiner Thesen und den gewaltigen Erfolg des Buches habe Huntington nicht erwartet, so Tibi: Er habe lediglich geglaubt, die Analyse einer post-bipolaren Welt nach 1990 vorzulegen.
Der Begriff "Kampf" im deutschen Buchtitel habe leider dazu beigetragen, dass Huntington in Deutschland als "kalter Krieger" wahrgenommen worden sei, erläutert Tibi. Dies aber sei er nicht gewesen: "Nach 9/11 hätte er so groß werden können, und sein Buch hätte wahrscheinlich Riesenauflagen erfahren können. Er hat das abgelehnt, mitzuspielen." Denn Huntington nahm damals öffentlich Stellung gegen den Irak-Krieg der Bush-Administration.
Was sind Huntingtons wichtigsten Thesen?
Huntington provozierte die Fachwelt in seinem Aufsatz in der angesehenen US-Zeitschrift "Foreign Affairs" vor 30 Jahren mit mehreren spektakulären Hypothesen. Er schrieb, dass die wesentlichen Quellen für Konflikte nicht länger ideologischer oder wirtschaftlicher Natur seien, sondern kulturelle Differenzen zwischen Nationen oder Gruppen verschiedener Zivilisationen.
Die "Frontlinien der Zukunft" verlaufen nach Huntington dort, wo zwei Zivilisationen aufeinanderprallen. Deren unvereinbare kulturelle Prägungen (insbesondere Religionen) führten zwangsläufig zu gewaltsamen Konflikten, die bestenfalls in einem "kalten Frieden" eingefroren werden könnten.
Huntington unterschied acht Zivilisationen oder "Kulturkreise" auf der Welt, darunter den westlichen, den orthodoxen, den islamischen, den hinduistischen und den sinischen (chinesischen) Kulturkreis. In dieser multipolaren Welt werde die Dominanz des Westens und insbesondere seine Führungsmacht USA von mehreren Seiten herausgefordert ("The West versus the Rest").
Manche Kulturkreise seien aufsteigend, andere absteigend – ein Konzept, das Anklänge an Oswald Spenglers "Untergang des Abendlandes" verrät, wie deutsche Rezensenten bemerkten. Friedliche und fruchtbare Austauschprozesse zwischen Kulturen kommen in Huntingtons zugespitzter These vom "Clash" der Zivilisationen eher nicht vor, ebenso wenig die zahlreichen Konflikte um Ressourcen wie Land, Rohstoffe und Boden.
Welche Kritik gibt es an Huntingtons Thesen?
Bis heute bemühten sich Huntingtons Kritiker darzulegen, warum er falschgelegen habe, sagt der Essayist Florian Felix Weyh. Das hänge auch damit zusammen, dass er sich auf ein längst geräumtes Feld gewagt hatte: das des akademischen Konflikts zwischen Sein und Sollen.
1989 schlug die Stunde des Sollens. Mit der Verschrottung des Eisernen Vorhangs hatten nach übereinstimmender Meinung die guten Sollwerte gesiegt – westlicher Liberalismus inklusive Menschenrechte, Individualismus und Marktwirtschaft. Kräfte wie Religion und Kultur hatten in diesem Modell keinen Platz.
Samuel P. Huntington setzte dem eine archaisch-pessimistische Sicht der menschlichen Verhaltenslenkungskraft Religion entgegen: Sie spalte die Welt. Weitere Freund-Feind-Schemen durchzögen Huntingtons gesamtes Denken, sagt Florian Felix Weyh.
Über Zuschreibung lässt sich streiten
Viele Wissenschaftler haben Huntington vorgeworfen, dass er seine Kulturkreise in ungeschichtlicher, konservativer Weise festschreibt. Über die Zuordnungen vieler Länder oder Landesteile (etwa der Ukraine) zu dieser oder jener "Zivilisation" ließ und lässt sich natürlich trefflich streiten.
Auch seine Vorstellungen von Feindschaft und Unverständnis zwischen den Zivilisationen wurden häufig infrage gestellt. Der Philosoph Gregor Paul, der lange in China und Japan lebte, widersprach Huntingtons Annahme einer grundsätzlichen Konfrontation der Kulturen: "Nicht die Kulturen stehen quasi naturgemäß in einem gegnerischen Verhältnis, sondern nur die Hardliner der jeweiligen Kulturen, seien sie nun religiös-fanatisch oder nationalistisch."
Welche Verdienste hat Huntington?
"Huntington war kein Prophet, aber ein unkonventioneller Denker gegen den Mainstream", meint der Mainzer Historiker Andreas Rödder. Auf kulturelle Differenzen hinzuweisen, sei die große Leistung von Huntingtons Buch gewesen.
Die kulturelle Dimension habe für die weltpolitische Entwicklung seit 1990 eine große Rolle gespielt: "Die richtet sich sowohl gegen das Weltbild eines selbstgewissen westlichen Neoliberalismus als auch gegen die Vorstellung eines fortschrittsgläubigen westlichen Universalismus."
Huntington sei sehr klug, wenn er sagt, dass das, was der Westen als universelle Werte ausgibt, für andere in der Welt oftmals nichts anderes sei als westlicher Imperialismus.
Was bleibt vom "Kampf der Kulturen"?
Huntington sei mit dem "Clash"-Buch kein Wissenschaftsautor gewesen, urteilt der Essayist Florian Felix Weyh, sondern ein polternder Pamphletist der alten US-Machtpragmatiker-Schule. Mit seinem fast schon romanhaften Einwurf wollte er dem Westen die Scheuklappen vom Kopf reißen, hinter denen dieser das Irrationale von Religionen, Kulten und Kulturen bloß noch auf politisch und soziologisch beherrschbare Kategorien herunterbrach.
So verkürzt manche von Huntingtons Thesen auch sein mögen – heute sieht die Welt viel eher so aus, wie er sie beschrieb, als so, wie sie sich Liberale nach 1989 erträumten.
scr