Wohnraum als Versorgungsleistung statt als Gewinnobjekt
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Aktivisten sammeln in Berlin Unterschriften für ein Volksbegehren zur Enteignung von Wohneigentümern. Das Thema ist populär, weil viele Mieter sich sorgen, ihre Eigentümer könnten sie mit überzogenen Mieterhöhungen um ihr Zuhause bringen.
Im Regal Gymnastikmatten, an der Wand bunte Bilder: Im Eingangsbereich der Physiotherapiepraxis Datt deutet nichts darauf hin, dass dies ein Ort des Widerstands ist. Doch die Liste auf dem Anmeldetresen hat es in sich. In ihr tragen sich all diejenigen ein, die dafür sind, ein Volksbegehren einzuleiten – mit dem Ziel, große private Immobilienkonzerne zu vergesellschaften.
"Es ist ja eigentlich unmöglich für die Menschen, die hier wohnen, noch eine bezahlbare Wohnung zu finden, und das ist ein Zustand, den ich eigentlich so nicht dulden kann. Deswegen habe ich mich entschlossen, diese Liste da auszulegen, um den Druck zu erhöhen auf die Politik, dort wirksame Maßnahmen zu ergreifen."
Ein paar Dutzend Unterschriften hat sie schon gesammelt: Miriam Datt, die in ihrer Praxis in Berlin-Charlottenburg auch Yoga-Kurse anbietet. Sie wirkt nicht gerade wie eine Rebellin, aber das Thema Mieten macht sie schon lange wütend. "Ich bin überhaupt nicht dagegen, dass man Wohnungen kauft oder verkauft, aber in der heutigen Zeit, wo auch so viel günstiges Geld unterwegs ist und im Weltmarkt verschoben wird, hat es einfach diese Auswirkungen, dass Städte wie Berlin zum Beispiel - andere sind ja auch davon betroffen - zum Spekulationsobjekt werden. Und ich möchte, dass dagegen vorgegangen wird."
Über 20.000 Stimmen in der ersten Stufe des Volksbegehrens
"Wir werden die notwendige Zahl von 20.000 Stimmen in der ersten Stufe deutlich, sehr deutlich übertreffen, …" Der Mann, der den großen Wohnungskonzernen den Kampf angesagt hat, ist Rouzbeh Taheri. Ein Iraner, der im Alter von 14 nach West-Berlin kam, später an der Humboldt-Universität Volkswirtschaft studierte.
Vor vier Jahren setzte er den Mietenvolksentscheid in Berlin durch, und nun führt er ein Bündnis aus Mieterinitiativen an mit dem etwas sperrigen Titel "Deutsche Wohnen und Co enteignen. Spekulation bekämpfen". Er ist überzeugt: Die Unterschriftensammlung ist ein großer Erfolg. "Wenn man in einem Drittel der notwendigen Zeit - sechs Monate hätten wir ja theoretisch zur Verfügung - deutlich mehr als die notwendige Zahl rein bekommt, dann ist das auch ein Zeichen in die Stadtgesellschaft, dass es viel Unterstützung gibt."
Auf Podiumsdiskussionen in alternativen Kulturzentren wird Rouzbeh Taheri wie ein Popstar gefeiert. Viele Menschen finden es gut, was die Initiative fordert. Dass der Berliner Senat ein Gesetz erarbeiten und verabschieden möge, wonach große private Wohnungsgesellschaften nach Artikel 15 Grundgesetz enteignet und ihre Bestände in Gemeineigentum überführt werden sollen. In Berlin geht es dabei um knapp 250.000 Wohnungen. Jeder zweite Berliner habe Angst um seine Wohnung, sagt Rouzbeh Taheri. Wegen der Preistreiberei der börsennotierten Konzerne.
Soziale Wohnungspolitik von Großkonzernen? - Kaum möglich
"Selbst wenn sie es wollten, könnten sie kaum eine soziale Wohnungspolitik machen, weil sie sonst Ärger mit ihren Aktionären bekommen. Wenn ein Konzern wie Deutsche Wohnen zum Beispiel innerhalb von vier Jahren die Dividende verdoppelt, dann muss ja dieses Geld irgendwoher kommen. Dieses System passt nicht zu einer sozialen Wohnraumversorgung. Wohnungen sind keine Maschinenteile, mit denen man an der Börse handelt, sondern ist das Grundbedürfnis, das Wohnen, für Menschen."
Die Deutsche Wohnen, die so massiv in der Kritik steht, wehrt sich. Auf einer Veranstaltung der Immobilienwirtschaft sagte ihr Vorstandsvorsitzender Michael Zahn: "Wir lassen uns nicht enteignen, und wir werden auch nicht enteignet." Und ging dann zum Gegenangriff über. Der Wortführer der Mieterinitiativen, Herr Taheri, sei es, der Angst verbreite: "Er führt eine Kampagne, die sehr populistisch, polemisch, stark vereinfachend, fehlerhaft, falsch ist, und er ist ideologisch. Er ist mit einer Weltanschauung unterwegs. Da ist natürlich eine Deutsche Wohnen, die börsennotiert ist, etwas, was nicht in das Weltbild passt."
Antwort Rouzbeh Taheri: "Genau das Umgekehrte ist der Fall: Die Mieterinnen und Mieter rennen uns die Bude ein und sagen: 'Helft uns, damit wir was gegen diese Großkonzerne machen können!'."
Angriff auf die bundesrepublikanische Marktwirtschaft
Fakt ist: Im Geschäftsjahr 2018 stieg der Aktienkurs des Konzerns um knapp zehn Prozent. Die Deutsche Wohnen verbuchte einen Gewinn in Höhe von 1,8 Milliarden Euro. – Wie auch immer: die Forderung von Rouzbeh Taheri und den vielen Zehntausend Berlinern, private Wohnungsgesellschaften zu enteignen, ist der wohl kühnste Angriff auf die bundesrepublikanische Marktwirtschaft, seitdem es sie gibt. Klingt nach Sozialismus und ist nach Ansicht von Jakob Hans Hien, Rechtsanwalt mit dem Spezialgebiet Öffentliches Baurecht, deshalb zum Scheitern verurteilt.
"Es gibt noch keine Rechtssprechung zu dieser Frage. Die ganz überwiegende Meinung in der Literatur geht aber davon aus, dass die Verfassung in Berlin absichtlich nicht die Sozialisierung erwähnt und daher dies in Berlin nicht möglich ist, dass also der Landesgesetzgeber diese Möglichkeit gerade nicht haben soll. Hier spricht vieles dafür, dass gerade hier ein stärkerer Schutz des Eigentums gewollt war und schon von daher eine Vergesellschaftung durch den Landesgesetzgeber nicht möglich ist."
Privaten Wohnraum in Gemeineigentum zu überführen wirft viele Rechtsfragen auf. Auch der rot-rot-grüne Senat in Berlin ist sich uneins. Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen unterstützen die Vergesellschaftungsinitiative, die SPD spielt auf Zeit: Sie will sich erst im Herbst entscheiden, welche Position sie einnimmt. Ihr Regierender Bürgermeister Michael Müller appelliert derweil an die Deutsche Wohnen: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Unternehmen selbst mit diesem Auftritt, den wir im Moment in Berlin erleben, langfristig glücklich wird."
Mietenmoratorium als Alternative zur Enteignung
Enteignungs- und Gesellschaftsfantasien, so Müller weiter, würden ihren Glanz verlieren, wenn sich der Konzern sozial verhielte. Eine Zuversicht, die nicht alle teilen, denn noch immer bekämpft die Deutsche Wohnen die Rechtsgültigkeit des Berliner Mietspiegels. In einem sind sich die Koalitionspartner im Senat allerdings einig: die Mieten dürfen nicht weiter steigen. Ein Mietendeckel soll deshalb her. Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher von der Linken wird noch im Juni ein Eckpunktepapier für ein entsprechendes Gesetz vorlegen: "Das heißt: Wir haben keinen Streit im Grundsatz. Sondern wir müssen uns über die Ausgestaltung einigen."
Doch die Einigkeit täuscht, denn wie der Mietendeckel ausgestaltet sein soll, darüber gehen die Meinungen noch auseinander.
"Die Vorschläge reichen derzeit von Mietenmoratorium, zeitlich befristet, bis zu einer Mietobergrenze, soweit ich das überschaue, besteht Einvernehmen darüber, dass man Neubau ausnimmt aus einer solchen Mietobergrenzenregelung, um auch den Wohnungsneubau nicht zu behindern, die Kernfrage ist: Gibt es eine einheitliche Mietobergrenze, die sich zum Beispiel an Einkommensverhältnissen orientiert, oder gibt es eine differenzierte Mietobergrenze, die sich an der Ausstattung, Lage und Qualität der Wohnungen orientiert? Und diese Frage ist exakt noch in der Diskussion."
Katrin Lompscher favorisiert ein Mietenmoratorium: ab 2020 für fünf Jahre keine Mieterhöhungen. Katrin Schmidberger, wohnungspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, sieht hier Diskussionsbedarf: "Schaffen wir es wirklich, alle Mieten einzufrieren? Und gleichzeitig aber auch dafür zu sorgen, dass überhöhte Mieten abgesenkt werden. Andererseits dürfen wir aber auch nicht zu viele Eigentümer bankrott gehen lassen, wir müssen auch weiterhin dafür sorgen, dass die Leute die Häuser ordentlich bewirtschaften können. Natürlich wollen wir diesen Mietendeckel alle, aber es ist nicht einfach, Weil: Er muss da verfassungsgemäß sein, wie beim Volksbegehren auch betreten wir da juristisch Neuland."
Ein bisschen Träumen über das, was vielleicht möglich ist
Einfacher wäre es, die Regierungskoalition in Berlin würde endlich die Instrumente konsequent nutzen, die bereits zur Verfügung stehen: etwa die Mietpreisbremse oder die Zweckentfremdungsverordnung und vor allem: Neu Bauen. – Rouzbeh Taheri vom Bündnis "Deutsche Wohnen und Co enteignen" findet ein Mietenmoratorium gut, weil es zeigt, was die Bürgerinitiative mit ihren Forderungen in kurzer Zeit bewirkt hat: "Wenn sie mir vor anderthalb Jahren gesagt hätten, mit so einer radikalen Forderung hätten wir zwei der drei regierenden Parteien hinter uns, hätte ich Ihnen nicht geglaubt. Die Politik bewegt sich, erstens, in unsere Richtung, aber im Windschatten unserer Forderung werden plötzlich auch neue Möglichkeiten zum Schutz der Mieterinnen und Mieter entdeckt. Also: die Frage eines Mietendeckels, was jetzt innerhalb von wenigen Monaten von der Diskussion zu einer konkreten Gesetzesausarbeitung gelangt ist, wäre früher nie so schnell und nie in so einer Deutlichkeit vorangetrieben worden, wenn es nicht unsere Kampagne gäbe."
Die Enteignungsaktivisten werden jetzt die Listen mit den Unterschriften beim Innensenator einreichen. Der wird sie prüfen und danach entscheiden, ob dem Antrag auf ein Volksbegehren stattgegeben wird. Das kann dauern. Zeitlich befristet ist der Vorgang nicht.
Und die Yoga-Lehrerin Miriam Datt? Sie wird sich weiter engagieren, um dem Mietenwahnsinn Einhalt zu gebieten, denn dass die großen Immobilienkonzerne tatsächlich enteignet und vergesellschaftet werden, daran glaubt sie nicht. Dazu ist sie zu sehr Realistin. Aber ein bisschen träumen darf erlaubt sein, sagt sie.
"Wenn es dazu kommt, wäre es interessantes Neuland, warum nicht beschreiten, es ist ja nichts dagegen einzuwenden, aber ich möchte, dass der Druck auf die Politik erhöht wird, dass endlich funktionierende Maßnahmen ergriffen werden. Die für die Bürger dieser Stadt gemeint sind und nicht für irgendwelche Investoren oder Eigentümer wo auch immer auf der Welt."