Kampf gegen das Vergessen
Etwa 1,4 Millionen Menschen leiden in Deutschland an einer Demenz, 70 Prozent davon, schätzt die Deutsche Alzheimer Gesellschaft, an der bekanntesten Form der Demenz: der Alzheimerkrankheit. Alzheimer ist eine große Belastung, für die Betroffenen selbst und auch für ihre Angehörigen.
"Es hat lange geschlummert. Und als die Vergesslichkeit immer schlimmer wurde, war mir eigentlich klar: Das kann auch Alzheimer sein."
"In Wirklichkeit ist die Alzheimerdiagnose bis heute eine Ausschlussdiagnose. Das heißt der Arzt schaut, ob die Demenz eine Ursache haben kann. Und wenn er keine findet, schließt er: Dann muss es wohl Alzheimer sein."
"Wir haben auf 1000 Patienten einen Forscher. Keiner versteht, wie die Nervenzellen untergehen. Das ist das große Geheimnis. Das wüssten wir gern."
"Eine Heilung der Alzheimerkrankheit ist gegenwärtig nicht in Sicht. Das muss man ganz klar sagen."
Ein Nachmittag in Brandenburg. Bärbel und Gerhard, verheiratet seit fast 40 Jahren, sitzen am Kaffeetisch.
"Was ist mit deinem Kaffee, der schmort da draußen? Oder was macht der? (sie murmelt etwas und steht auf) ... (Klappern im Hintergrund)."
Bärbel ist aufgesprungen, holt aus der Küche den vergessenen Kaffee. Vor wenigen Monaten hat sie die Diagnose bekommen: Alzheimer im Frühstadium. Überrascht hat sie das nicht.
"Ich habe einfach zu viel vergessen. Das war sonst nicht üblich. Beruflich hab ich nach Terminkalender gelebt, Mandanten bestellt. Gut durchorganisiert. Und irgendwann vor einigen Jahren fiel mir auf, dass dieses Organisationstalent immer mehr nachließ. Da fiel mir schon auf, dass das Alzheimer war."
Alzheimer - jeder kennt den Begriff, verwendet ihn. Kennt Menschen, die mutmaßlich Alzheimer haben. Hat Angst davor, einmal selbst betroffen zu sein. Aber wenn man Experten fragt, was Alzheimer eigentlich ist - dann stößt man auf große Lücken.
Konrad Beyreuther müsste es eigentlich wissen. Er ist Professor für Chemie und gilt als einer der führenden deutschen Alzheimer-Forscher. Konrad Beyreuter ist inzwischen über 70. Sein halbes Leben lang versucht er schon, der Krankheit auf die Spur zu kommen. Doch trotzt aller Anstrengungen: Bisher weiß kein Forscher weltweit, wie und warum die Alzheimerkrankheit entsteht. Es gibt bis heute nur Vermutungen.
"Wenn man alt genug wird, kriegen alle Alzheimer. Es sieht wohl danach aus. Nun, - warum beginnt der Prozess? Wir haben heute die Erkenntnis, dass sehr belastende Erlebnisse - ein Mensch ist gestorben, ein Unfall, man ist tödlich beleidigt worden - das kriegt man aus dem Gehirn nicht mehr raus. Das sind Albträume. Und das Gehirn braucht zum Verarbeiten dieser Albträume sehr, sehr viel Energie. Und das schädigt das Gehirn. Und diese Schädigung führt zur Alzheimerkrankheit. Das ist die heute führende Theorie."
Massiver Stress könnte also ein Auslöser sein. Aber auch andere Faktoren. Faktoren, die zumindest das Risiko für eine Alzheimererkrankung steigern:
"Der zweite Risikofaktor ist mangelnde Bewegung, mangelnde geistige Anregung - keine Neugierde. Das dritte ist: In mittlerem Lebensalter Bluthochdruck, schlechte Versorgung des Gehirns mit Sauerstoff. Das nächste ist Übergewicht in mittlerem Lebensalter, das führt zur extremen Belastung des Gehirns mit Radikalen. Dann kommt Diabetes, dann kommt Rauchen."
Wann hat das Vergessen bei Bärbel begonnen? Sie überlegt. Mit dem Umzug vor sieben Jahren wurde es schlimmer, meint sie. Sie sei gern hierher gezogen, in die einsame Idylle, an den Ruppiner See. Aber ihr fehle der Beruf, ihr kleines Reisebüro, das sie am alten Wohnort in Neuhaus betrieben hat. Und die Freundinnen fehlen ihr auch.
"SIE: "Ist zu ruhig. Es könnte ein bisschen mehr sein. Es ist keiner, mit dem man sich unterhalten kann. Und mein Mann ist nicht sehr redselig. (lacht) ER: Kommt drauf an. SIE: Na ja, wir haben unterschiedliche Hobbys. Und das ist nie aufgefallen. Ich hab meine Hobbys mit meinen Freundinnen gepflegt. Und mein Mann ist ohne zu murren zu Hause geblieben. Und das ist jetzt ziemlich ... unpraktisch.""
Denn die Freundinnen wohnen noch in Neuhaus - das ist 200 Kilometer entfernt. Und Bärbel darf inzwischen nicht mehr Autofahren, ihre Augen sind zu schlecht geworden. Sie bleibt jetzt viel zuhause, arbeitet mit ihrem Mann im Garten. Vor kurzem hat sie von einer medizinischen Studie der Charité in Berlin erfahren. Dort wollen Ärzte Alzheimerpatienten mit einer Impfung helfen. Sie meldet sich als Teilnehmerin.
"Letztlich, - wie viel andere Hoffnungen hab ich, das mir geholfen wird? Die einzige: Sie wollen ein neues Medikament auf den Markt bringen ... Ich bin 70, was soll's, wenn ich gar nichts tue... und ich kann evtl. Studienzwecken helfen."
Berlin, Klinik für Psychiatrie der Charité. Hierher fährt Bärbel nun alle vier Wochen. Hier laufen zahlreiche Therapie-Studien. Dr. Oliver Peters leitet sie. Er ist Psychiater. Und gesteht, dass die Ärzte die Alzheimerkrankheit noch längst nicht enträtselt haben. Sogar eine sichere Diagnose zu stellen, ist schwierig.
"Eine 100 Prozent sichere Diagnose kann nur posthum, nach dem Versterben durch den Neuropathologen erfolgen. Eine Diagnose zu Lebzeiten hat immer eine Restunschärfe, die man zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht durch die Anwendung moderner Messmethoden verringern kann. Die Möglichkeit, dass eine falsche Diagnose gestellt wird, ist natürlich gegeben."
Oliver Peters erzählt, dass die Mediziner gerade beginnen, umzudenken. Früher habe man die Krankheit nur anhand von Tests diagnostiziert. Der Patient musste verschiedene Gedächtnis- und Orientierungsaufgaben lösen. Wenn er dabei schlecht abschnitt, galt er als Alzheimerpatient. Heute komme ein anderes Diagnosekriterium hinzu:
"Heute ist es so, dass wir davon ausgehen, wenn damit verbunden auch eine Störung im Eiweißstoffwechsel des Gehirnes nachgewiesen werden kann. Dieses Eiweiß nennt man Amyloid."
Amyloidplaques sind bestimmte Eiweißklumpen, die sich im Gehirn von Alzheimerpatienten finden. Mediziner vermuten, dass die Plaques entstehen, weil der Eiweißstoffwechsel im Gehirn nicht richtig funktioniert. Diese Störung wollen sie nachweisen, indem sie im Gehirnwasser von Patienten nach bestimmten Eiweißen suchen. Sie entnehmen es mit einer Spritze aus dem Rücken. Aber die Hypothese, dass Amyloidplaques Alzheimer verursachen, ist ins Wanken geraten. Denn inzwischen weiß man, dass jeder fünfte ältere Mensch Amyloidplaques im Gehirn hat - ohne an der Alzheimerkrankheit zu leiden.
"Die Ergebnisse sind eben so zu verstehen, dass Amyloidablagerungen eben nicht krank machen müssen. Es besteht die Vermutung, dass, wenn man langjährig diese Ablagerungen hat, dass man dann zu irgendeinem Zeitpunkt mal an Alzheimer erkrankt."
Amyloid kann also krank machen, muss es aber nicht. Trotzdem laufen seit etwa 10 Jahren medizinische Studien, die darauf zielen, die Amyloidablagerungen oder deren Eiweißvorstufen im Gehirn von Alzheimerkranken zu bekämpfen. Dazu setzen Pharmaunternehmen weltweit auf eine Impfung. Sie soll das Immunsystem der Patienten dazu bringen, im Gehirn aufzuräumen, sprich das Amyloid zu entfernen.
Das hat bisher aber nicht sehr gut funktioniert. Denn anfangs bekamen einige Test-Patienten durch die Impfung schwere Hirnhautentzündungen. Und vor wenigen Monaten hat erneut ein großer Hersteller, die Firma Pfizer, ihre Impfstudie abgebrochen. Wegen mangelnder Wirksamkeit. Jetzt konzentriert sich die Forschung deswegen auf Patienten in einem sehr frühen Stadium der Krankheit - wie zum Beispiel auf Bärbel aus Neuruppin. Sie erzählt, dass sie in Berlin nun regelmäßig eine Infusion mit dem Impfstoff bekommt. Ansonsten versucht sie, sich mit Gedächtnistraining fit zu halten:
"Ich mach schon seit Jahren Sudoku, Computerspiele.. Das hab ich auch schon immer gemacht. Es gibt noch kein Medikament, wo man weiß: das hilft. Und das weiß ich."
Diese Einschätzung bestätigt Stefan Lange vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Das Institut ist unabhängig und prüft, wie nützlich Medikamente wirklich sind. Es hat auch die Alzheimer-Medikamente untersucht, die bereits auf dem Markt sind. Sie sollen die geistige Leistungsfähigkeit verbessern. Das Ergebnis: Alle Medikamente haben nur geringe Effekte, und das auch nur für eine kurze Zeit.
"Man schätzt so etwas ein halbes bis ein Jahr. Experten gehen davon aus, dass - wenn überhaupt - das Fortschreiten der Erkrankung mit diesen Medikamenten über maximal ein Jahr hinausgeschoben werden kann. Aber das heißt nicht zwangsläufig, dass diese Menschen auch im Alltag besser zurecht kommen. Dafür gab es nicht so gute Hinweise, die waren eher schwach."
Hinzu kommt: Einige der Medikamente haben deutliche Nebenwirkungen:
"Übelkeit, Erbrechen, Schwindel - und das auch bei einem nicht unerheblichen Prozentsatz. Da wär's natürlich wünschenswert, man hätte Alternativen, die nicht solche Nebenwirkungen haben."
Alternativen könnten Therapien sein, die ohne Medikamente wirken. Gedächtnis- oder Bewegungstraining zum Beispiel. Diese Therapien, sagt Stefan Lange, würden leider kaum erforscht. Das sei eine Frage des Geldes.
"Das liegt eben daran, dass hier eben keine Institutionen oder Firmen mit finanziellen Interessen dahinter stecken, die diese Studien fördern."
Forschung findet einseitig statt - nur auf dem Pharmasektor. Das kritisiert auch die Wissenschaftsjournalistin Cornelia Stolze. Sie hat ein Buch geschrieben. Es heißt: "Vergiss Alzheimer". Darin vermutet sie: Viele Patienten werden zu unrecht als alzheimerkrank abgestempelt. In Wirklichkeit litten sie an einer anderen, behandelbaren Form der Demenz.
"Ich würde sagen, die meisten, die die Diagnose Alz bekommen, sind nicht gründlich genug untersucht worden. Das heißt, man hat die wahre Ursache nicht gefunden. Demenz kann sehr viele verschiedene Ursachen haben, Erkrankungen, Stoffwechselstörungen, Funktionsstörungen der Leber und Niere. Zum Teil können die Medikamente - jedes für sich - Demenzsymptome hervorrufen, zum Beispiel trifft das zu für Schmerzmittel und Psychopharmaka. Und dazu kommt dann noch das Problem der Wechselwirkungen."
Auch ein erhöhter Altershirndruck könne Demenzsymptome auslösen. Und auch der sei behandelbar. Oft versäumten Ärzte, nach allen diesen Auslösern zu forschen. Die Autorin rät deswegen:
"Selbst aktiv zu werden, die Betroffenen gründlich untersuchen zu lassen, möglicherweise auch von einem zweiten oder dritten Arzt. Ganz wichtig ist eine Liste zu erstellen. Eine Liste von Vorerkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck. Und ganz wichtig ist auch, eine Liste der Medikamente aufzustellen, die der ältere Mensch einnimmt."
Es lohnt sich, gründlich nachzuforschen, nach Ursachen zu suchen, die für Symptome der Verwirrtheit verantwortlich sind. Denn wenn es bei der Diagnose Alzheimer bleibt, hat die Forschung Patienten und ihren Angehörigen bisher nicht viel anzubieten. Was bleibt, ist, die Krankheit anzunehmen. Bärbel aus Neuruppin hat beschlossen, es zu versuchen:
"Ich sach mal: Jammern nutzt nix. Ich hab auf der anderen Seite auch erlebt meinen Großvater, der mit Alzheimer wohl sehr glücklich war. Der das nachher nicht mehr geschnallt hat. Der lebte mit seiner Frau bei meinen Eltern, und die hatten ne große Wohnküche. Also, dass ihn seine Alzheimerkrankheit überhaupt nicht belastet hat."
"In Wirklichkeit ist die Alzheimerdiagnose bis heute eine Ausschlussdiagnose. Das heißt der Arzt schaut, ob die Demenz eine Ursache haben kann. Und wenn er keine findet, schließt er: Dann muss es wohl Alzheimer sein."
"Wir haben auf 1000 Patienten einen Forscher. Keiner versteht, wie die Nervenzellen untergehen. Das ist das große Geheimnis. Das wüssten wir gern."
"Eine Heilung der Alzheimerkrankheit ist gegenwärtig nicht in Sicht. Das muss man ganz klar sagen."
Ein Nachmittag in Brandenburg. Bärbel und Gerhard, verheiratet seit fast 40 Jahren, sitzen am Kaffeetisch.
"Was ist mit deinem Kaffee, der schmort da draußen? Oder was macht der? (sie murmelt etwas und steht auf) ... (Klappern im Hintergrund)."
Bärbel ist aufgesprungen, holt aus der Küche den vergessenen Kaffee. Vor wenigen Monaten hat sie die Diagnose bekommen: Alzheimer im Frühstadium. Überrascht hat sie das nicht.
"Ich habe einfach zu viel vergessen. Das war sonst nicht üblich. Beruflich hab ich nach Terminkalender gelebt, Mandanten bestellt. Gut durchorganisiert. Und irgendwann vor einigen Jahren fiel mir auf, dass dieses Organisationstalent immer mehr nachließ. Da fiel mir schon auf, dass das Alzheimer war."
Alzheimer - jeder kennt den Begriff, verwendet ihn. Kennt Menschen, die mutmaßlich Alzheimer haben. Hat Angst davor, einmal selbst betroffen zu sein. Aber wenn man Experten fragt, was Alzheimer eigentlich ist - dann stößt man auf große Lücken.
Konrad Beyreuther müsste es eigentlich wissen. Er ist Professor für Chemie und gilt als einer der führenden deutschen Alzheimer-Forscher. Konrad Beyreuter ist inzwischen über 70. Sein halbes Leben lang versucht er schon, der Krankheit auf die Spur zu kommen. Doch trotzt aller Anstrengungen: Bisher weiß kein Forscher weltweit, wie und warum die Alzheimerkrankheit entsteht. Es gibt bis heute nur Vermutungen.
"Wenn man alt genug wird, kriegen alle Alzheimer. Es sieht wohl danach aus. Nun, - warum beginnt der Prozess? Wir haben heute die Erkenntnis, dass sehr belastende Erlebnisse - ein Mensch ist gestorben, ein Unfall, man ist tödlich beleidigt worden - das kriegt man aus dem Gehirn nicht mehr raus. Das sind Albträume. Und das Gehirn braucht zum Verarbeiten dieser Albträume sehr, sehr viel Energie. Und das schädigt das Gehirn. Und diese Schädigung führt zur Alzheimerkrankheit. Das ist die heute führende Theorie."
Massiver Stress könnte also ein Auslöser sein. Aber auch andere Faktoren. Faktoren, die zumindest das Risiko für eine Alzheimererkrankung steigern:
"Der zweite Risikofaktor ist mangelnde Bewegung, mangelnde geistige Anregung - keine Neugierde. Das dritte ist: In mittlerem Lebensalter Bluthochdruck, schlechte Versorgung des Gehirns mit Sauerstoff. Das nächste ist Übergewicht in mittlerem Lebensalter, das führt zur extremen Belastung des Gehirns mit Radikalen. Dann kommt Diabetes, dann kommt Rauchen."
Wann hat das Vergessen bei Bärbel begonnen? Sie überlegt. Mit dem Umzug vor sieben Jahren wurde es schlimmer, meint sie. Sie sei gern hierher gezogen, in die einsame Idylle, an den Ruppiner See. Aber ihr fehle der Beruf, ihr kleines Reisebüro, das sie am alten Wohnort in Neuhaus betrieben hat. Und die Freundinnen fehlen ihr auch.
"SIE: "Ist zu ruhig. Es könnte ein bisschen mehr sein. Es ist keiner, mit dem man sich unterhalten kann. Und mein Mann ist nicht sehr redselig. (lacht) ER: Kommt drauf an. SIE: Na ja, wir haben unterschiedliche Hobbys. Und das ist nie aufgefallen. Ich hab meine Hobbys mit meinen Freundinnen gepflegt. Und mein Mann ist ohne zu murren zu Hause geblieben. Und das ist jetzt ziemlich ... unpraktisch.""
Denn die Freundinnen wohnen noch in Neuhaus - das ist 200 Kilometer entfernt. Und Bärbel darf inzwischen nicht mehr Autofahren, ihre Augen sind zu schlecht geworden. Sie bleibt jetzt viel zuhause, arbeitet mit ihrem Mann im Garten. Vor kurzem hat sie von einer medizinischen Studie der Charité in Berlin erfahren. Dort wollen Ärzte Alzheimerpatienten mit einer Impfung helfen. Sie meldet sich als Teilnehmerin.
"Letztlich, - wie viel andere Hoffnungen hab ich, das mir geholfen wird? Die einzige: Sie wollen ein neues Medikament auf den Markt bringen ... Ich bin 70, was soll's, wenn ich gar nichts tue... und ich kann evtl. Studienzwecken helfen."
Berlin, Klinik für Psychiatrie der Charité. Hierher fährt Bärbel nun alle vier Wochen. Hier laufen zahlreiche Therapie-Studien. Dr. Oliver Peters leitet sie. Er ist Psychiater. Und gesteht, dass die Ärzte die Alzheimerkrankheit noch längst nicht enträtselt haben. Sogar eine sichere Diagnose zu stellen, ist schwierig.
"Eine 100 Prozent sichere Diagnose kann nur posthum, nach dem Versterben durch den Neuropathologen erfolgen. Eine Diagnose zu Lebzeiten hat immer eine Restunschärfe, die man zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht durch die Anwendung moderner Messmethoden verringern kann. Die Möglichkeit, dass eine falsche Diagnose gestellt wird, ist natürlich gegeben."
Oliver Peters erzählt, dass die Mediziner gerade beginnen, umzudenken. Früher habe man die Krankheit nur anhand von Tests diagnostiziert. Der Patient musste verschiedene Gedächtnis- und Orientierungsaufgaben lösen. Wenn er dabei schlecht abschnitt, galt er als Alzheimerpatient. Heute komme ein anderes Diagnosekriterium hinzu:
"Heute ist es so, dass wir davon ausgehen, wenn damit verbunden auch eine Störung im Eiweißstoffwechsel des Gehirnes nachgewiesen werden kann. Dieses Eiweiß nennt man Amyloid."
Amyloidplaques sind bestimmte Eiweißklumpen, die sich im Gehirn von Alzheimerpatienten finden. Mediziner vermuten, dass die Plaques entstehen, weil der Eiweißstoffwechsel im Gehirn nicht richtig funktioniert. Diese Störung wollen sie nachweisen, indem sie im Gehirnwasser von Patienten nach bestimmten Eiweißen suchen. Sie entnehmen es mit einer Spritze aus dem Rücken. Aber die Hypothese, dass Amyloidplaques Alzheimer verursachen, ist ins Wanken geraten. Denn inzwischen weiß man, dass jeder fünfte ältere Mensch Amyloidplaques im Gehirn hat - ohne an der Alzheimerkrankheit zu leiden.
"Die Ergebnisse sind eben so zu verstehen, dass Amyloidablagerungen eben nicht krank machen müssen. Es besteht die Vermutung, dass, wenn man langjährig diese Ablagerungen hat, dass man dann zu irgendeinem Zeitpunkt mal an Alzheimer erkrankt."
Amyloid kann also krank machen, muss es aber nicht. Trotzdem laufen seit etwa 10 Jahren medizinische Studien, die darauf zielen, die Amyloidablagerungen oder deren Eiweißvorstufen im Gehirn von Alzheimerkranken zu bekämpfen. Dazu setzen Pharmaunternehmen weltweit auf eine Impfung. Sie soll das Immunsystem der Patienten dazu bringen, im Gehirn aufzuräumen, sprich das Amyloid zu entfernen.
Das hat bisher aber nicht sehr gut funktioniert. Denn anfangs bekamen einige Test-Patienten durch die Impfung schwere Hirnhautentzündungen. Und vor wenigen Monaten hat erneut ein großer Hersteller, die Firma Pfizer, ihre Impfstudie abgebrochen. Wegen mangelnder Wirksamkeit. Jetzt konzentriert sich die Forschung deswegen auf Patienten in einem sehr frühen Stadium der Krankheit - wie zum Beispiel auf Bärbel aus Neuruppin. Sie erzählt, dass sie in Berlin nun regelmäßig eine Infusion mit dem Impfstoff bekommt. Ansonsten versucht sie, sich mit Gedächtnistraining fit zu halten:
"Ich mach schon seit Jahren Sudoku, Computerspiele.. Das hab ich auch schon immer gemacht. Es gibt noch kein Medikament, wo man weiß: das hilft. Und das weiß ich."
Diese Einschätzung bestätigt Stefan Lange vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Das Institut ist unabhängig und prüft, wie nützlich Medikamente wirklich sind. Es hat auch die Alzheimer-Medikamente untersucht, die bereits auf dem Markt sind. Sie sollen die geistige Leistungsfähigkeit verbessern. Das Ergebnis: Alle Medikamente haben nur geringe Effekte, und das auch nur für eine kurze Zeit.
"Man schätzt so etwas ein halbes bis ein Jahr. Experten gehen davon aus, dass - wenn überhaupt - das Fortschreiten der Erkrankung mit diesen Medikamenten über maximal ein Jahr hinausgeschoben werden kann. Aber das heißt nicht zwangsläufig, dass diese Menschen auch im Alltag besser zurecht kommen. Dafür gab es nicht so gute Hinweise, die waren eher schwach."
Hinzu kommt: Einige der Medikamente haben deutliche Nebenwirkungen:
"Übelkeit, Erbrechen, Schwindel - und das auch bei einem nicht unerheblichen Prozentsatz. Da wär's natürlich wünschenswert, man hätte Alternativen, die nicht solche Nebenwirkungen haben."
Alternativen könnten Therapien sein, die ohne Medikamente wirken. Gedächtnis- oder Bewegungstraining zum Beispiel. Diese Therapien, sagt Stefan Lange, würden leider kaum erforscht. Das sei eine Frage des Geldes.
"Das liegt eben daran, dass hier eben keine Institutionen oder Firmen mit finanziellen Interessen dahinter stecken, die diese Studien fördern."
Forschung findet einseitig statt - nur auf dem Pharmasektor. Das kritisiert auch die Wissenschaftsjournalistin Cornelia Stolze. Sie hat ein Buch geschrieben. Es heißt: "Vergiss Alzheimer". Darin vermutet sie: Viele Patienten werden zu unrecht als alzheimerkrank abgestempelt. In Wirklichkeit litten sie an einer anderen, behandelbaren Form der Demenz.
"Ich würde sagen, die meisten, die die Diagnose Alz bekommen, sind nicht gründlich genug untersucht worden. Das heißt, man hat die wahre Ursache nicht gefunden. Demenz kann sehr viele verschiedene Ursachen haben, Erkrankungen, Stoffwechselstörungen, Funktionsstörungen der Leber und Niere. Zum Teil können die Medikamente - jedes für sich - Demenzsymptome hervorrufen, zum Beispiel trifft das zu für Schmerzmittel und Psychopharmaka. Und dazu kommt dann noch das Problem der Wechselwirkungen."
Auch ein erhöhter Altershirndruck könne Demenzsymptome auslösen. Und auch der sei behandelbar. Oft versäumten Ärzte, nach allen diesen Auslösern zu forschen. Die Autorin rät deswegen:
"Selbst aktiv zu werden, die Betroffenen gründlich untersuchen zu lassen, möglicherweise auch von einem zweiten oder dritten Arzt. Ganz wichtig ist eine Liste zu erstellen. Eine Liste von Vorerkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck. Und ganz wichtig ist auch, eine Liste der Medikamente aufzustellen, die der ältere Mensch einnimmt."
Es lohnt sich, gründlich nachzuforschen, nach Ursachen zu suchen, die für Symptome der Verwirrtheit verantwortlich sind. Denn wenn es bei der Diagnose Alzheimer bleibt, hat die Forschung Patienten und ihren Angehörigen bisher nicht viel anzubieten. Was bleibt, ist, die Krankheit anzunehmen. Bärbel aus Neuruppin hat beschlossen, es zu versuchen:
"Ich sach mal: Jammern nutzt nix. Ich hab auf der anderen Seite auch erlebt meinen Großvater, der mit Alzheimer wohl sehr glücklich war. Der das nachher nicht mehr geschnallt hat. Der lebte mit seiner Frau bei meinen Eltern, und die hatten ne große Wohnküche. Also, dass ihn seine Alzheimerkrankheit überhaupt nicht belastet hat."

Konrad Beyreuther: Bei Alzheimer immer das Individuum sehen.© zmbh.uni-heidelberg.de