Kampf gegen das Vergessen

Von Susanne Lettenbauer |
Nach jahrelangen Debatten soll in München ein NS-Dokumentationszentrum errichtet werden. Der Neubau soll am historisch eng mit der NS-Zeit verbundenen Königsplatz entstehen. Knapp ein Jahr suchte ein Architektenwettbewerb nach angemessenen Formen für das längst überfällige Dokumentationszentrum. Nun wurde der Sieger vorgestellt.
Heute Nachmittag die feierliche Enthüllung des Siegerentwurfes durch Oberbürgermeister Christian Ude. Die Stadtspitze nimmt es mit Humor, dass auf den ersten Plätzen durchweg keine Münchner vertreten sind. Sieger wurde das Berliner Büro "Georg Scheel Wetzel Architekten". Münchens Stadtbaurätin Rosemarie Hingerl:

"Als Architektin möchte ich sagen, wenn so einen erster Preis so schlicht und einfach daherkommt, mag man sagen, wozu hat es da einen Wettbewerb gebraucht...Es ist ein überhöhter Würfel der fast skulptural wirkt. Er wird hell sein, es wird ein weißer Beton sein, der kraftvoll sich mit einer Höhe über die vorhandenen NS-Bauten, die wir hier haben in der Umgebung hinwegsetzen."

Und tatsächlich beeindruckt der prämierte Entwurf durch seine quadratische Sperrigkeit. Er markiert nur den Täterort des "Braunen Hauses", besetzt ihn mit seinen 22 auf 22 auf 22 Metern. Zweigeschossige hohe Lamelleneinschnitte, die den Blick auf den Königsplatz wie auch die NS-Bauten freilassen, stehen im Mittelpunkt des Entwurfes. Diese Betonlamellenfenster geben der Gebäudehülle "eine große Einheitlichkeit mit spannungsvollen Bezügen zueinander", lobt die Preisgerichtsbeurteilung. Eine Begrünung soll die massive Stadtbildveränderung ein wenig abschwächen.

Die Vorgaben waren heikel: Auf der Grundstücksfläche des Braunen Hauses von nur 2000 qm soll ein fünfgeschossiger Bau mit einer Ausstellungsfläche von 3500 qm entstehen. Einige Architekten wie die Berliner Bussmann & Haberer versuchten das Gebäude nahezu komplett unterirdisch anzulegen. Die Berliner Schultes & Frank Architekten deuten in ihrem Entwurf die Maße des Braunen Hauses nur mittels einer offenen Kellerfensterleiste an. Arbeiten, die die gesamte Fassade verspiegeln oder verglasen wollten, begründeten ihre Idee mit der Außenwirkung in die Stadt hinein. Gegenüberliegende NS-Bauten wie die heutige Musikhochschule und der Königsplatz, einst Aufmarschplatz für die Nazis, sollten direkt eingebunden werden in die optische Erfahrung des Baues durch den Besucher.

Aber auch eine Arbeit aus Japan mit hängenden Grünflächen als Fassadenelemente kam nicht in die engere Wahl. Der Siegerentwurf hingegen konterkariert bewusst schlicht das historische Erbe.

Dr. Oskar Holl, Vorsitzender des Bezirksausschusses Maxvorstadt, hatte befürchtet, dass als NS-Dokumentationszentrum gemäß der städtebaulichen Vorgaben eine kleine Kopie des Vorgängerbaues entstehen würde. Erleichterung seinerseits:

"Wenn man weiß, dass Paul Ludwig Troost, der Architekt der beiden sogenannten Führerbauten aus dem Kunstgewerbe kommt, also eigentlich Innendekorateur war, dann ist das schon eine wunderbare Kontrastposition, wenn Architekten auf eine Form zurückgreifen, die der demokratischen Idee der Architektur entsprechen, nämlich Geometrie ist abstrakt und allgemein und dadurch für die Gesellschaft viel besser verwendbar gerade für so einen wichtigen, symbolhaften Bau."

Warum ein Architektenwettbewerb so spät in München Realität wird, schiebt Oberbürgermeister Ude auf den Freistaat, der schiebt es auf den Bund. Alle drei Parteien sind zu jeweils einem Drittel an den Baukosten von 30 Millionen beteiligt. Ob sich diese Baukosten so halten lassen mit Baubeginn 2011 bis zur Eröffnung 2013, sei dahingestellt. Ude glaubt aber ...

"... dass es kein Nachteil ist, dass wir jetzt schon auf den Erfahrungen vieler anderer Dokumentationsstätten aufbauen können."

Spät, fast zu spät wird ein zentrales NS-Zentrum für die Hauptstadt der Bewegung doch noch Realität. Die zahlreichen Münchner Initiativgruppen und Bürgerforen gegen das Vergessen glaubten letztlich nicht mehr daran, dass in der Hauptstadt der Bewegung, wo Adolf Hitler 1913 als arbeitsloser Kunstmaler auftauchte und später systematisch das Zentrum des NS-Staates aufbaute, die Vergangenheit angemessen aufgearbeitet werden würde. Kultusminister Ludwig Spaenle gibt zu:

"Ich glaube, dass die Frage der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit am Standort München kein Ruhmesblatt für die Stadt München ist und auch nicht für alle, die politische Verantwortung tragen."

Klaus Bäumler, Autor zahlreicher Schriften zum Projekt Dokumentationszentrum, war lange gegen den geplanten Standort des Neubaues auf dem Areal des ehemaligen "Braunen Hauses", der NSDAP-Zentrale:

"Es war ursprünglich geplant, einen zentralen Erinnerungsort auf dem Grundstück des Wittelsbacher Palais, der Münchner Gestapo-Zentrale zu errichten, da wo heute die Landesbank steht."

An Täterorte zu erinnern, galt als Tabuthema in München, über Jahrzehnte hinweg hielt die Gedenkstätte KZ Dachau als hinreichende Dokumentationsstätte der Münchner Nazizeit her. Wo welche Gebäude der NSDAP, der Gestapo, der SS oder SA noch heute stehen, wissen die wenigsten Münchner.
Das neue NS-Dokumentationszentrum soll diese Lücken schließen.

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